Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Hundertneunzehntes Kapitel

Unser Krieg war zu Ende – wenngleich wir die letzte Nacht noch draußen in Kiswe lagern mußten; denn die Araber hatten uns berichtet, auf den Straßen wäre es gefährlich, und wir verspürten keine Lust, unmittelbar vor den Toren von Damaskus etwa ruhmlos im Dunkeln unser Leben zu lassen. Die sportgewohnten Australier betrachteten diesen Feldzug gegen Damaskus mehr als eine Art Wettrennen, bei dem es für sie nur darauf ankam, den ersten Preis zu ergattern. Aber alle Heeresteile hatten sich der Gesamtleitung Allenbys einzufügen, und der Sieg war einzig und allein das logische Ergebnis seines Genies und der methodischen Arbeit Bartholomews.

Allenbys Operationsplan gemäß sollten die Australier die Gegend nördlich und westlich von Damaskus samt den Eisenbahnen besetzen und ausdrücklich abwarten, bis die südliche Kolonne der Engländer die Stadt erreicht hatte. Und wir selbst, die Führer der Araber, hatten beim Vorgehen gegen Damaskus auf die bedeutend langsamer marschierenden Engländer gewartet, gewiß auch im Sinne Allenbys.

Er hoffte, wir würden bei dem Einzug zugegen sein, zum Teil weil er wußte, wievielmehr als eine bloße Siegesbeute den Arabern Damaskus bedeutete, zum Teil aber auch aus rein sachlichen Gründen: denn dank der von Faisal geführten arabischen Bewegung begegnete die Bevölkerung den Engländern freundschaftlich auf ihrem Vormarsch durch Feindesland, so daß sich ihre Transporte ohne Bedeckung auf den Straßen bewegen und Städte ohne militärische Besatzung verwaltet werden konnten. Bei ihrer voreiligen Einkreisung von Damaskus konnten die Australier, entgegen ausdrücklichem Befehl, gezwungen werden, in die Stadt einzudringen. Trafen sie dann auf Widerstand von irgendeiner Seite, so konnte das möglicherweise alle unsere Zukunftspläne zunichte machen. In dieser letzten Nacht vor einem möglichen Sturm auf die Stadt mußten wir also den Versuch machen, die Damaszener zu veranlassen, die englischen Armeen als ihre Verbündeten zu empfangen.

Nun hatte das Damaskus-Komitee Faisals schon seit Monaten im stillen alle Vorbereitungen getroffen, um bei einem türkischen Zusammenbruch die Zügel in die Hand zu nehmen. Wir brauchten daher nur mit ihnen in Fühlung zu treten, um ihnen die Bewegungen der Verbündeten mitzuteilen und was zunächst zu tun sei. So sandte denn Nasir, als es völlig dunkel geworden war, die Rualla-Scheiks in die Stadt. Sie sollten Ali Risa, den Vorsitzenden unseres Komitees, oder Schukhri el Ajubi, den zweiten Vorsitzenden, aufsuchen und ihnen mitteilen, daß am nächsten Morgen eine Schonung der Stadt möglich sein würde, falls sie sofort eine Regierung bildeten. Tatsächlich war das bereits, noch vor unserem Eingreifen, um vier Uhr nachmittags geschehen. Ali Risa war nicht in der Stadt anwesend – im letzten Augenblick hatten ihm die Türken ein Kommando bei ihrer aus Galiläa zurückgehenden Armee übertragen –, Schukhri aber hatte unerwartet Unterstützung bei den beiden Algeriern, den Brüdern Mohammed Said und Abd el Kadir, gefunden. Mit Hilfe ihrer Anhänger in der Stadt war noch vor Sonnenuntergang die arabische Flagge auf dem Stadthaus gehißt worden, während die letzten Staffeln der Deutschen und Türken daran vorüberzogen. Man erzählte sich, der letzte General habe die Flagge ironisch salutiert.

Ich riet Nasir entschieden ab, schon jetzt die Stadt zu betreten: es würde dort nur eine Nacht der Verwirrung geben, und es wäre seiner Würde angemessener, wenn er morgen in der Frühe feierlich einzöge. Er und Nuri Schaalan hatten ohne mein Wissen die zweite Gruppe der Rualla-Kamelreiter, die mit mir am Morgen von Dera vormarschiert war, nach Damaskus den Ruallascheiks zu Hilfe geschickt. Somit hatten wir gegen Mitternacht, als wir zur Ruhe kamen, viertausend unserer Bewaffneten in der Stadt.

Ich wollte ein paar Stunden schlafen, denn für den nächsten Tag stand mir viel bevor, aber ich konnte es nicht. Damaskus war der Brennpunkt unserer Gedanken gewesen, das uns stets vorschwebende Ziel in diesen zwei Jahren schwankender Ungewißheit; und mein Hirn war noch voll von all dem Wust der Ideen und Pläne, die während dieser Zeit verwirklicht oder verworfen worden waren. Zudem war Kiswe schwül von den Dünsten zu vieler Bäume, zu vieler Pflanzen, zu vieler Menschen: ein kleiner Ableger gleichsam der wimmelnden Welt da vor uns.

Bei ihrem Abmarsch sprengten die Deutschen die Material- und Munitionsdepots in die Luft, so daß wir alle paar Minuten aufgeschreckt wurden vom Krachen der Explosionen, deren erste gleich den Himmel weithin in Flammen setzte. Bei jedem dieser Schläge schien die Erde zu beben, und wenn wir nach Norden blickten, sahen wir den fahlen Nachthimmel durchsprüht von Garben gelber Punkte: den Granaten, die aus den gesprengten Magazinen mit ungeheurer Gewalt hoch in die Luft geschleudert, wie Raketenschwärme, barsten. Ich wandte mich zu Stirling und sagte leise: »Damaskus brennt«, ganz krank bei dem Gedanken, die große Stadt als Preis für ihre Freiheit in Asche zu finden.

Als der Morgen graute, fuhren wir auf den Höhenrücken, der die Oase der Stadt südlich umgrenzt; wir getrauten uns kaum nach Norden hinzuschauen, aus Angst, nur eine Trümmerstätte zu sehen. Aber anstatt Ruinen, lagen da stille Gärten in prangendem Grün, überdunstet vom frühen Nebel des Flusses, und durch seine Schleier hindurch schimmerte die Stadt, herrlich wie je, gleich einer Perle in der Morgensonne. Vom Aufruhr der Nacht war nichts mehr zu sehen als eine träge, hohe Rauchsäule, die in mürrischer Schwärze aus dem Speichergelände bei Kadem aufstieg, der Kopfstation der Hedschas-Bahn.

Wir fuhren die gerade, eingedämmte Straße durch die bewässerten Felder hinunter, wo Bauern eben ihr Tagwerk begannen. Ein Reiter kam uns entgegengaloppiert. Als er unsere arabischen Kopftücher im Wagen erblickte, hielt er an und streckte uns mit fröhlichem Gruß eine gelb leuchtende Weintraube entgegen: »Gute Nachricht«, rief er, »Damaskus heißt euch willkommen.« Er war von Schukhri el Ajubi gesandt.

Nasir war gerade hinter uns; wir überbrachten ihm die Botschaft, denn ihm, dem Kämpfer in fünfzig Schlachten, gebührte die Ehre, zuerst seinen Einzug in die Stadt zu halten. Er und Nuri Schaalan an seiner Seite setzten ihre Pferde in einen letzten Galopp der Stadt zu und verschwanden die lange Straße hinunter in einer Staubwolke, die zögernd zwischen den Berieselungskanälen in der Luft hängen blieb. Stirling und ich wollten ihm genügend Vorsprung lassen, und an einem kleinen Wasserlauf, kühl in der Tiefe einer steilen Rinne, hielten wir an, um uns zu waschen und zu rasieren.

In aller Ruhe fuhren wir die langgezogene Straße hinunter, die zu dem Regierungsgebäude am Ufer der Barada führt. Sie war umlagert von Menschen; auf ihr, neben ihr, an den Fenstern, auf den Balkonen und Dächern standen sie dichtgedrängt. Viele weinten, hier und da ertönten schwache Hochrufe, einzelne der Kühneren riefen uns bei Namen, die meisten aber standen nur und schauten – schauten, und die Freude leuchtete aus ihren Augen. Es war, als ginge ein langer Seufzer durch die Reihen, uns geleitend vom Tor bis ins Herz der Stadt.

Am Rathaus sah es anders aus. Seine Stufen und Treppen waren dichtbesetzt von einer jauchzenden Menge, die schrie, sich umarmte, sang und tanzte. Man bahnte uns einen Weg in das Vorzimmer, wo der strahlende Nasir und Nuri Schaalan saßen. Rechts und links von ihnen standen die Algerier: Abd el Kadir, mein alter Feind, und Mohammed Said, sein Bruder. Ich war stumm vor Staunen. Mohammed Said sprang vor und schrie, daß sie beide, die Enkelsöhne Abd el Kadirs, des Emirs, zusammen mit Schukhri el Ajubi aus dem Hause Saladins, gestern die Regierung gebildet und Hussein zum »König der Araber« ausgerufen hätten vor den Ohren der gedemütigten Türken und Deutschen.

Indes er noch weiterprahlte, wandte ich mich an Schukhri, der kein Staatsmann war, aber von allen geliebt, ja fast ein Märtyrer in den Augen des Volks um dessentwillen, was er von Dschemal-Pascha erduldet hatte. Er erzählte, daß die beiden Algerier, als die einzigen in Damaskus, zu den Türken gehalten hätten, bis sie sahen, daß sie davonzulaufen begannen. Dann wären sie mit ihren algerischen Anhängern in das Haus eingedrungen, wo das Komitee Faisals im geheimen tagte, und hätten gewaltsam die Leitung an sich gerissen.

Sie waren beide Fanatiker, deren Ideen von religiösen Motiven bestimmt wurden, nicht von der Vernunft; ich wandte mich daher an Nasir, um ihn zu bewegen, von Anfang an ihrer Frechheit einen Riegel vorzuschieben. Doch da ereignete sich ein Zwischenfall. Das lärmende Gedränge um uns her teilte sich plötzlich, als wäre eine Ramme hineingetrieben worden, Menschen flogen rechts und links auseinander, stürzten mitsamt zerkrachenden Tischen und Stühlen zu Boden, indes das gewaltige Gedröhn einer mir bekannten Stimme alles übertönte und zum Schweigen brachte.

In dem entstandenen freien Raum sah man jetzt Scheik Auda abu Taji in wilder Rauferei mit Sultan el Atrasch, dem Oberhaupt der Drusen. Die beiderseitigen Anhänger gingen schon gegeneinander los, während ich, um sie zu trennen, rasch hinzusprang und dabei mit Mohammed el Dheilan zusammenprallte, den die gleiche Absicht bewegte. Mit vereinten Kräften gelang es dann, die beiden Kampfhähne auseinanderzubringen; Auda wurde einen Schritt zurückgedrängt, während Hussein den leichteren Sultan rasch in die Menge schob und mit ihm in einen Nebenraum entwich.

siehe Bildunterschrift

Storrs.
Pastellzeichnung von Kennington

Dann sah ich mich nach Nasir und Abd el Kadir um, um nunmehr die Regierung ordnungsgemäß einzusetzen. Sie waren fort. Die beiden Algerier hatten Nasir in ihr Haus zu einer Erfrischung eingeladen. Das traf sich gut, denn es gab jetzt Dringenderes zu erledigen. Wir mußten der Öffentlichkeit zeigen, daß die alte Zeit endgültig vorbei und eine Regierung aus dem Lande selbst schon an der Macht war: und dafür war Schukhri, als bereits regierender Präsident, mein bestes Werkzeug. So machten wir uns denn in unserem Wagen auf, um uns mit Schukhri in der Stadt zu zeigen: sein Anblick in so erhöhter Machtstellung mußte für die Bürgerschaft gleichsam das Wahrzeichen der vollzogenen Umwälzung selbst bedeuten.

Als wir einzogen, hatten uns viele Hunderte von Menschen begrüßt; jetzt aber waren aus jedem Hundert Tausende geworden. Alles, Männer, Frauen, Kinder, die Viertelmillion dieser Stadt, schien in den Straßen zu sein und nur darauf zu warten, daß unser Erscheinen den Funken der Begeisterung in ihre Herzen würfe. Damaskus wurde toll vor Freude. Die Männer schleuderten jubelschreiend ihre Tarbuschs in die Luft, die Frauen rissen ihre Schleier vom Gesicht. Die Hausbesitzer streuten Blumen, breiteten Teppiche und Vorhänge vor uns auf den Weg; ihre Frauen lehnten sich, schreiend vor Lachen, durch die Gitterfenster und überschütteten uns mit ganzen Eimern von Wohlgerüchen.

Die Derwische gaben die Läufer ab vor und neben unserm Wagen, heulten und stachen sich mit Messern in wilder Raserei. Und über dem allgemeinen Geschrei der Menge und dem Kreischen der Frauen dröhnte wie in rhythmischem Gesang der Ruf tiefer Männerstimmen: »Faisal, Nasir, Schukhri, Urens Urens = eine Verstümmelung von Lawrence. (A. d. Ü.) Wie eine Welle hub es bei uns an, rollte über die Plätze, den Markt, die langen Straßen hinunter zum Osttor, rund um die Stadtmauer, kam vom Medina-Tor wieder zurück und wuchs bei der Zitadelle wie eine Mauer von Rufen um uns empor.

Es wurde mir berichtet, Chauvel, der Führer der englischen Truppen, wäre soeben angekommen. Unsere Wagen trafen sich in der südlichen Vorstadt. Ich beschrieb ihm die Erregung in der Stadt und daß die neue Regierung einen geregelten Verwaltungsdienst nicht vor dem morgigen Tag garantieren könnte; alsdann wolle ich mit ihm zusammenkommen, um alle für uns und die englischen Truppen notwendigen Maßnahmen zu besprechen. Bis dahin stände ich persönlich für die öffentliche Ordnung ein, bäte ihn aber nur, die englischen Truppen vorläufig noch außerhalb der Stadt zu belassen. Denn die Nacht würde innerhalb der Mauern einen Karneval sehen, wie ihn die Stadt seit sechshundert Jahren nicht mehr erlebt hätte, und das könnte denn doch die Disziplin der Truppen gefährden.

Chauvel wollte sich anfangs dem nicht fügen; aber meine Bestimmtheit überwand sein Zaudern. Er hatte, ebenso wie Barrow, keine Weisungen erhalten, was mit der eroberten Stadt zu geschehen habe. Aber da wir die Stadt in Besitz hatten, wußten, was wir wollten, das Nötige bereits eingeleitet und alle Trümpfe in der Hand hatten, blieb ihm keine Wahl, und er mußte uns gewähren lassen. Sein Stabschef, Godwin, der die technische Arbeit zu leisten hatte, war sehr froh, die Verantwortung auf die Zivilregierung abschieben zu können.

Dann bat mich Chauvel um die Erlaubnis, eine Rundfahrt durch die Stadt zu machen. Ich gab sie so bereitwillig, daß er nun weiter fragte, ob es mir recht wäre, wenn er am nächsten Tag mit den Truppen seinen offiziellen Einzug hielt. Ich erklärte, daß dem nichts im Wege stände, und wir überlegten dann, durch welche Straßen die Truppen ziehen sollten. Dabei fiel mir ein, wie sehr sich die Araber gefreut hatten, als Barrow in Dera ihre Fahne grüßte; und ich erwähnte diesen Vorfall als ein nachahmenswertes Beispiel, wenn Chauvel mit seinen Truppen am Rathaus vorbeizog. Es war nur so ein zufälliger Gedanke von mir; aber Chauvel machte eine ernste Angelegenheit daraus und erklärte, daß er doch schwerwiegende Bedenken habe, vor einer anderen Fahne außer der englischen zu salutieren. Ich hätte ihn am liebsten ausgelacht, ging aber auf seinen Ton ein und machte auf die ebenso schwerwiegenden Bedenken aufmerksam, wenn er an der arabischen Fahne vorbeizöge, ohne von ihr Notiz zu nehmen. Wir nagten an diesem gewichtigen Problem herum, während die freudig erregte Menge begeisterte Hochrufe auf uns ausbrachte. Als Kompromiß schlug ich vor, das Rathaus beiseitezulassen und einen anderen Weg einzuschlagen – sagen wir einmal, am Postamt vorbei. Ich hatte das mehr aus Jux gesagt, denn meine Geduld war am Ende. Aber er nahm es ernst und erklärte, daß es ein guter Ausweg sei. Dafür wollte er nun auch seinerseits mir und den Arabern zuliebe in einem Punkt entgegenkommen und an Stelle eines »Einzugs« nur einen »Durchmarsch« veranstalten; das hieß also, daß er selbst statt in der Mitte des Zuges an der Spitze marschierte oder statt an der Spitze in der Mitte. So genau weiß ich das nicht mehr, da ich nicht gut hinhörte. Denn es war mir völlig gleichgültig; und von mir aus hätte er ebensogut über seine Truppen hinwegfliegen oder unter ihnen hindurchkriechen oder meinetwegen sich halbieren können, um rechts und links auf beiden Seiten zu marschieren.


 << zurück weiter >>