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Fünfundneunzigstes Kapitel

Ich traf mit Dawnay zusammen, und wir verabredeten vorher alles Erforderliche, ehe wir uns zu Allenbys Truppen aufmachten. Dort angekommen, empfing uns General Bols mit zufriedenem Lächeln und sagte: »Nun, Salt werden wir bald wieder haben.« Zu unserem maßlosen Staunen erzählte er weiter, daß die Häuptlinge der Beni Sakhr eines Morgens nach Jericho gekommen wären und die sofortige Mitwirkung ihrer bei Themed stehenden zwanzigtausend Stammesbrüder angeboten hätten. Tags darauf hatte Bols im Bade einen Plan ausgearbeitet und alles abgemacht.

Ich fragte, wer denn der Führer der Beni Sakhr wäre. »Fahad«, antwortete Bols triumphierend über seinen so glanzvollen Eingriff in mein Bereich. Das wurde ja immer schlimmer. Ich wußte, daß Fahad keine ganzen vierhundert Mann aufbringen konnte und daß zur Zeit in Themed keine Zeltspitze existierte; sie waren mit Fahad südwärts zu Young gezogen.

Eilig rief ich das Hauptquartier an und erfuhr leider, daß alles so war, wie Bols gesagt hatte. Die englische Kavallerie war Hals über Kopf in die Berge von Moab vorgerückt, lediglich auf die vagen Versprechungen einiger Sebn-Scheiks hin, habgieriger Burschen, die nach Jerusalem gekommen waren, nur um Allenbys Güte zu mißbrauchen, und deren Großmäuligkeit man für ernst genommen hatte.

Um diese Zeit war kein dritter Mann im Großen Hauptquartier. Guy Dawnay, der Bruder unseres Preisfechters, der den Jerusalemplan entworfen hatte, war zu Haigs Stab gegangen. Bartholomew, der den Herbstangriff auf Damaskus vorbereiten sollte, war noch bei Chetwode. So wurde in diesen Monaten Allenbys Werk nicht in der Weise durchgeführt, wie es seinen Absichten entsprochen hätte.

Natürlich mißglückte dieser Vorstoß gänzlich, während ich noch in Jerusalem war und mich über General Bols' Unzulänglichkeit mit Storrs tröstete, der jetzt (gewandt und verständnisvoll) Gouverneur des Platzes war. Was von den Beni Sakhr da war, blieb müßig in den Zelten, die anderen waren unterwegs zu Young. General Chauvel, der Kavalleriekommandeur, ohne jede Hilfe auch nur eines dieser Stammesbrüder, bemerkte, wie die Türken bereits die Jordanfähren in seinem Rücken in Betrieb setzten, um ihm den Weg, den er gekommen war, abzuschneiden. Wir entgingen einem schweren Unheil nur dank Allenbys sicherem Blick für jede Situation, der ihn die drohende Gefahr noch eben rechtzeitig erkennen ließ. Aber wir hatten ernste Verluste. Dieser Rückschlag lehrte die Engländer, mit Faisals schwieriger Lage mehr Geduld zu haben; er überzeugte die Türken davon, daß der Ammanabschnitt ein Gefahrenpunkt für sie war, und erweckte in den Beni Sakhr das Gefühl, daß man sich mit den Engländern nicht recht auskannte: keine großen Kämpfer vielleicht, aber doch bereit, im gegebenen Augenblick das Ungewöhnlichste zu verrichten. So machte er teilweise den Fehlschlag von Amman wieder gut durch die absichtliche Wiederholung dessen, was wie ein Zufall ausgesehen hatte. Gleichzeitig zerstörte er die Hoffnungen, die Faisal genährt hatte, unabhängig mit den Beni Sakhr vorzugehen. Dieser vorsichtige und sehr wohlhabende Stamm verlangte jetzt verläßliche Verbündete.

Die arabische Bewegung, eine einfache klare Sache, solange sie nur auf eigene Faust mit dem Feind zu tun hatte, war nun gebunden an das Waffenglück ihres großen Mitspielers. Wir mußten uns nach Allenby richten, und es stand nicht gut um ihn. Die deutsche Offensive in Frankreich hatte ihm einen großen Teil seiner Truppen entzogen. Er hielt zwar Jerusalem, konnte aber auf Monate hinaus nicht das geringste, geschweige denn einen ernsten Angriff unternehmen. Das Kriegsamt versprach ihm indische Divisionen aus Mesopotamien und indische Stammformationen. Mit diesen begann er seine Armee nach indischem Muster wieder aufzubauen, um dann vielleicht im Herbst aufs neue aktionsbereit zu sein. Für den Augenblick blieb uns beiden jedenfalls nichts anderes übrig, als stillzusitzen.

Dies erzählte er mir am 5. Mai, dem Datum, das von dem Smutsplan für die Verschiebung der ganzen Armee nach Norden als Einleitungsmanöver für die Eroberung von Damaskus und Aleppo bestimmt worden war. Als ersten Abschnitt dieses Planes hatten wir uns verpflichtet, Maan zu erobern, und Allenbys Stillstand belastete uns nun mit der Belagerung uns überlegener feindlicher Streitkräfte. Hinzu kam, daß die Türken nun von Amman aus die Möglichkeit hatten, uns aus Aba el Lissan hinaus und bis nach Akaba zurückzudrängen. Bei dieser unerquicklichen Lage lastete die Verpflichtung schwer auf mir, alle Unternehmungen mit denen des Partners (den man verwünschte) in Einklang zu bringen. Aber Allenby war zuverlässig und suchte uns zu helfen. Er beunruhigte den Feind durch Anlage eines starken Brückenkopfes jenseits des Jordans, so, als wollte er noch ein drittes Mal über den Fluß vorstoßen. Auf diese Weise wurden die Türken bei Amman festgehalten. Zu unserer Verstärkung bot er uns auf unserem Plateau an technischer Ausrüstung alles an, was wir brauchten.

Wir nahmen die Gelegenheit wahr und baten um häufige Luftangriffe auf die Hedschasbahn. General Salmond wurde berufen und bewies sich als ebenso großzügig in Wort und Tat wie unser Oberkommandierender. Die Königlichen Luftstreitkräfte hielten von jetzt an bis zum Fall der Türkei Amman unter dauerndem Druck. Viel von der Untätigkeit des Feindes in dieser für uns mageren Jahreszeit beruhte auf der Lähmung seines Bahnverkehrs durch unsere Luftangriffe.

Beim Tee erwähnte Allenby die Kaiserliche Kamelreiterbrigade im Sinai, die er leider wegen Mannschaftsmangel auflösen müsse, um die Leute in seine Kavallerie einzustellen. Ich fragte: »Was gedenken Sie mit den Kamelen dieser Brigade zu tun?« Er lachte und sagte: »Fragen Sie ›Q‹!«

Gehorsam ging ich durch den staubigen Garten, drang beim Oberquartiermeister General Sir Walter Campbell – einem echten Schotten – ein und wiederholte meine Frage. Er antwortete sehr bestimmt, daß diese Kamele als Transportkolonne für die zweite der neueintreffenden indischen Divisionen vorgemerkt wären. Ich sagte, daß ich mir zweitausend von diesen Kamelen ausbäte. Seine erste Antwort war nichtssagend; die zweite gab mir zu verstehen, ich könne »ausbitten«, bis ich schwarz würde. Ich führte meine Beweggründe ins Feld, aber er schien außerstande, sich in meine Auffassung zu versetzen. Natürlich, es gehörte zum Wesen eines »Q«, hartleibig zu sein.

siehe Bildunterschrift

Young.
Kreidezeichnung von R M Young

Ich kehrte zu Allenby zurück und sagte laut vor allen Anwesenden, daß zweitausendzweihundert Reitkamele und dreizehnhundert Lastkamele zur Verfügung ständen. Sie sollten sämtlich zu Transporten verwendet werden, aber Reitkamele wären doch nun einmal Reitkamele. Im Stab erhob sich ein Flüstern, und alle schauten weise drein, als hätten auch sie ihre gewichtigen Zweifel, ob Reitkamele zum Gepäcktransport verwendet werden könnten. Sich auf die Sachkunde des Menschen zu berufen, auch wenn es in Wahrheit damit nicht stimmt, ist immer ein probates Mittel. Jeder britische Offizier ist Kenner in puncto Tiere, das ist Ehrensache. So war ich nicht weiter erstaunt, als General Campbell gebeten wurde, heute bei dem Oberkommandierenden zu speisen.

Sir Walter Campbell und ich saßen rechts und links von Allenby, und dieser begann bei der Suppe von Kamelen zu sprechen. Sir Walter eiferte los, daß die vorgesehene Verteilung der Kamele der Sinai-Brigade die Transportkolonnen der –ten Division auf ihre etatmäßige Stärke brächte, ein seltener Glücksfall, denn der ganze Orient wäre schon vergeblich nach Kamelen durchsucht worden. Das war starke Übertreibung. Allenby, ein eifriger Leser Miltons, hatte einen sehr ausgeprägten Sinn für Maß, und das Argument Sir Campbells war nicht sehr glücklich, denn »etatmäßige Stärke«, das Steckenpferd aller Verwaltungsstellen, kümmerte Allenby wenig.

Er sah mich blinzelnd an und fragte: »Und wofür brauchten Sie diese Kamele?« Ich erwiderte kühn: »Um tausend Mann nach Dera zu werfen an dem Tage, an dem Sie es wünschen.« Er lächelte, wandte sich dann, betrübt den Kopf schüttelnd, an Sir Walter Campbell und sagte: »Q, Sie verlieren.« Sir Campbell schaute einigermaßen verdutzt drein, und ich war wie beschwipst vor Vergnügen. Das war eine großartige, eine königliche Gabe, eine Gabe, die unbegrenzte Bewegungsfreiheit bedeutete. Nun konnten die Araber ihren Krieg gewinnen, wann und wo es ihnen beliebte.

Am nächsten Tage war ich schon unterwegs und traf Faisal in seinem Horst in den kühlen Bergen von Aba el Lissan. Wir unterhielten uns des langen und breiten über Familiengeschichten, Stämme, Wanderzüge, Frühjahrsregen, Weiden und dergleichen. Schließlich erwähnte ich so nebenbei, daß Allenby uns zweitausend Reitkamele zur Verfügung gestellt hätte. Faisal ließ den Mund offen stehen, und faßte mich ans Knie. »Wie?« fragte er. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Er sprang auf und umarmte mich. Dann klatschte er in die Hände. Hedschris' schwarzes Gesicht erschien in der Zelttür. »Schnell«, rief Faisal, »rufe sie!« Hedschris fragte: »Wen?« »Nun, Fahad, Abdulla el Feir, Auda, Motlog, Saal …« »Und Mirsuk nicht?« fragte Hedschris sanft. Faisal schalt ihn einen Esel, und der Schwarze eilte davon. Indessen sagte ich: »Nun ist unser Werk nahezu vollendet. Bald kannst du mich ziehen lassen.« Davon wollte er nichts wissen und sagte, daß ich bei ihm bleiben müsse, immer, und nicht nur bis Damaskus, wie ich es in Um Ledsch versprochen hätte. Ich, der ich so dringend zu gehen wünschte!

Schritte tappten vor dem Zelteingang und hielten inne: die Oberhäupter setzten eine würdige Miene auf für den Empfang und rückten ihre Kopftücher zurecht. Dann kam einer nach dem andern hereingeschritten und setzte sich gelassen auf den Teppich; und jeder sprach gleichmütig den üblichen Gruß: »So Gott will, gut?« Jedem antwortete Faisal: »Ehre sei Gott.« Und sie blickten verwundert auf Faisals freudeleuchtende Augen.

Als der letzte hereingerauscht war, eröffnete ihnen Faisal, daß Gott ihnen die Werkzeuge des Sieges gesendet hätte – zweitausend Reitkamele. Nun ginge der Krieg ungehemmt seinem triumphierenden Ende entgegen: der Freiheit. Sie murmelten voller Erstaunen und gaben sich, als Große Arabiens, alle Mühe, gelassen zu erscheinen. Sie äugten nach mir hin, um meinen Anteil an dem Ereignis zu erforschen. Ich sagte: »Die Großmut Allenbys …« Saal fiel rasch im Namen aller ein: »Gott erhalte sein Leben und deins.« Ich fuhr fort: »… hat uns den Sieg in die Hand gegeben.« Ich stand auf mit einem »Mit deiner Erlaubnis« zu Faisal und schlüpfte hinaus, um es Joyce mitzuteilen. Hinter mir brachen sie aus in wilde Worte über ihre noch wilderen Taten: kindlich, vielleicht, doch das wäre ein kläglicher Krieg, in dem nicht jeder die Überzeugung hätte, daß er der Sieger sein wird.

Auch Joyce war erfreut und gnädig gestimmt durch die Aussicht auf die zweitausend Kamele. Wir träumten von den Taten, zu denen wir sie brauchen würden, von ihrem Marsch von Bersaba nach Akaba; und wo wir für eine solche Menge Tiere genügende Weideplätze finden würden; und daß sie erst der Gerste entwöhnt werden müßten, bevor sie für uns verwendbar wären.

Doch das waren Zukunftssorgen. Zunächst lag es uns ob, uns den ganzen Sommer auf dem Plateau zu behaupten, Maan in Schach zu halten und dafür zu sorgen, daß die Eisenbahn dauernd unterbrochen blieb. Die Aufgabe war schwierig.

In erster Linie hinsichtlich des Nachschubs. Ich hatte gerade die bestehenden Einrichtungen über den Haufen geworfen. Bisher hatten die ägyptischen Kameltransportkompanien regelmäßig den Nachschub zwischen Akaba und Aba el Lissan besorgt; aber sie beförderten wenig und marschierten langsamer, als wir nach bescheidenster Schätzung gerechnet hatten. Wir drängten auf Erhöhung des Transportgewichts und Beschleunigung der Märsche, stießen dabei aber auf die eisernen Vorschriften des Reglements, die darauf zugeschnitten waren, den Ausfall an unbrauchbar gewordenen Tieren so niedrig wie möglich zu halten. Durch allmähliche Erhöhung des Traggewichts konnten wir die Leistung der Kolonne leicht auf das Doppelte erhöhen; ich bot daher dem Transportamt an, die Tiere in eigne Regie zu übernehmen und die ägyptischen Kamelführer zurückzuschicken.

Die Engländer, gerade wenig beschäftigt, griffen sofort zu, sogar allzu eilig. Wir kamen in die größte Verlegenheit, für den Augenblick auch nur die allernotwendigsten Kamelführer aufzubringen.

Goslett hatte bisher ganz allein Nachschub, Transportmittel, Zeugmeisterei, Zahlmeisterei unter sich gehabt und war außerdem noch Platzkommandant von Akaba gewesen. Er war schon stark überarbeitet. Dawnay machte daher Scott, einen vortrefflichen Iren, zum Platzkommandanten. Er war heiteren Wesens, leistungsfähig und klug. Akaba kam wieder zu Atem. Die Zeugmeisterei übergaben wir dem Sergeant (oder Sergeant-Major) Bright; und Young übernahm das Amt eines Quartiermeisters und Nachschubkommandanten, wobei seine Erfahrung und Geschicklichkeit besser zur Geltung kommen konnten. Er brauchte seine ganze Kraft, um in das Chaos etwas Ordnung zu bringen. Er verfügte über keine Verpflegung für die Kolonnen, keine Sättel, kein Büropersonal, keine Veterinäre, keine Medikamente und nur über eine geringe Anzahl Kamelführer; es war daher nicht möglich, einen genauen und regelmäßigen Kolonnenbewegungsplan aufzustellen. Aber Young brachte das dennoch so ziemlich zustande in seiner seltsam undankbaren Art. Ihm war es zu danken, daß für die arabischen Regulären auf dem Plateau von Maan die Nachschubfrage nunmehr gelöst war.

Inzwischen gewann der Aufstand dauernd an Ausdehnung. Faisal schürte, in sein Zelt zurückgezogen, durch Wort und Lehre unermüdlich das Feuer der arabischen Bewegung. Akaba summte wie ein Bienenhaus, und auch draußen im Feld standen die Dinge gut. Die arabischen Regulären hatten soeben ihren dritten Erfolg gegen Dscherdun errungen, jenen heißumstrittenen Platz, den zu nehmen und wiederaufzugeben sie schon eine gewisse Übung bekommen hatten. Unsern Panzerautos gelang es, einen türkischen Ausfall aus Maan abzufangen und so gründlich zurückzuschlagen, daß von da ab jeder weitere Versuch des Feindes unterblieb. Seid, der die eine, nördlich von Uheida stehende Hälfte der Armee befehligte, zeigte große Umsicht und Tatkraft. Seine offene, sorglos heitere Art war anziehender für die Berufsoffiziere als Faisals romantischer und feierlicher Ernst; dank dieser glücklichen Ergänzung im Wesen der beiden Brüder war es jedermann freigestellt, sich je nach Geschmack für den einen oder den andern zu begeistern.

Im Norden jedoch zogen sich dunkle Wolken zusammen. In Amman zogen die Türken starke Kräfte zusammen, die gegen Maan vorgehen sollten, sobald die Nachschubverhältnisse es gestatteten. Dieser Nachschub wurde mit der Bahn von Damaskus herangeschafft, soweit das die Bombenangriffe der britischen Luftstreitkräfte in Palästina zuließen.

Um dagegen Front zu machen, war beschlossen worden, daß Nasir, unser bester General im Kleinkrieg, noch besser als Seid, einen großen Schlag gegen die Bahnlinie führen sollte. Er hatte bisher im Wadi Ghesa gelagert, zusammen mit Hornby, der beträchtlichen Sprengstoffvorrat hatte, und Peakes geschulter Abteilung des Ägyptischen Kamelreiter-Korps, um bei den Sprengungen zu helfen. Wir mußten um Zeitgewinn kämpfen, bis Allenby wieder angriffsbereit war, und dabei würde uns Nasir viel helfen können, wenn er uns eine Atempause von einem Monat dadurch sicherte, daß er für die türkische Armee das unfaßbare Gespenst spielte. Wenn er versagte, mußten wir uns auf die Entsetzung von Maan und einen Angriff des wiedererstarkten Feindes auf Aba el Lissan gefaßt machen.


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