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Hundertzehntes Kapitel

Ich brach mit meiner Leibgarde auf, um sobald wie möglich Meserib zu erreichen, während Joyce mit hundert von Nuri Saids Berittenen, den Rualla, den Ghurkas und den Panzerautos am Tell Arar als Deckungstruppe verblieb. Meine Leute sahen wie Beduinen aus, so konnten wir uns offen zeigen und den kürzesten Weg nehmen. Aber der Feind bemerkte unsern Abmarsch. Ein Flugzeug strich über uns hin und warf Bomben: eine, zwei, drei – daneben; die vierte schlug mitten zwischen uns. Zwei Mann stürzten. Ihre Kamele, eine blutige Masse, wanden sich am Boden. Sie selbst hatten keine Schramme abbekommen und sprangen hinten bei Freunden auf.

Eine zweite Maschine flog über uns weg; der Motor wurde abgedrosselt. Noch zwei Bomben, und dann eine Erschütterung, die mein Kamel herumwirbelte und mich halb aus dem Sattel warf; in meinem rechten Ellbogen fühlte ich einen betäubenden, brennenden Schmerz. Ich glaubte mich schwer getroffen und weinte vor Wut, daß ich gerade jetzt kampfunfähig wurde, da nur noch einen Tag Durchhalten einen umfassenden Erfolg gebracht hätte! Das Blut lief mir den Arm herunter; vielleicht konnte ich weiter machen, wenn ich nicht darauf achtete und tat, als ob ich unverletzt sei.

siehe Bildunterschrift

Junor.
Bleistiftzeichnung von G Spencer

Mein Kamel taumelte durch das Streufeuer der Maschinengewehre. Ich griff nach dem Sattelknauf und stieß an meinen verletzten Arm, der noch bewegungsfähig war. Ich hatte geglaubt, daß er weggeschossen war. Mit der linken Hand warf ich den Mantel zurück und betastete die Wunde – doch ich fand nur einen sehr heißen kleinen Metallsplitter, der zu winzig war, um ernstlich Schaden anzurichten, nachdem er die massigen Falten meines Mantels durchschlagen hatte. Diese Kleinigkeit zeigte mir, wie sehr meine Nerven gelitten hatten. Sonderbarerweise war es das erstemal, daß ich bei einem Luftangriff eine Verletzung davongetragen hatte.

Wir zogen uns auseinander und legten ein scharfes Tempo vor; den jungen Bauern, die wir unterwegs trafen, riefen wir zu, daß es jetzt in Meserib Arbeit gäbe. Auf allen Feldwegen strömten sie aus den Dörfern herbei, um uns zu helfen. Sie waren voll guten Willens; aber unsere Augen waren allzusehr an die braune Schlankheit der Wüstensöhne gewöhnt, so daß uns diese vergnügten Dorfburschen mit ihren geröteten Gesichtern, dem wuscheligen Haar und den fleischigen, weißlichen Gliedern wie Mädchen vorkamen. Um besser voranzukommen, hatten sie ihre langen Kleider bis über die Knie geschürzt; und die Eifrigsten trabten neben uns her durch die Felder und gaben die Neckereien meiner Veteranen mundfertig zurück.

In Meserib angekommen, berichtete uns Dursi ibn Dughmi, daß Nuri Saids Truppen nur noch zwei Meilen zurück wären. Wir gaben den Kamelen Wasser und tranken selbst reichlich, denn der Tag war lang und heiß gewesen, und noch war kein Ende. Hinter dem alten Kastell gedeckt, hielten wir dann Ausschau über den See hinweg und bemerkten Bewegung in der kleinen Station der einst von den Franzosen gebauten Zweigbahn.

Einige der weißbeinigen Burschen berichteten uns, daß die Station von Türken stark besetzt sei. Aber wir konnten gedeckt herankommen, und die Verlockung war zu groß. Abdulla führte den Angriff; für mich waren die Tage der Abenteuer vorbei, ich gebrauchte die faule Ausrede, daß ich mein Fell für den dringendsten Notfall schonen müßte. In Wahrheit wollte ich unbedingt den Einzug in Damaskus miterleben. Das Geschäft ging glatt vonstatten. Abdulla fand Korn, auch Mehl, und eine kleine Beute an Waffen, Pferden und Kriegsdekorationen. Das vermehrte den Schwanz unserer Anhänger. Von allen Seiten kamen sie, quer durch das Gras laufend, herbeigeströmt wie Fliegen zum Honig. Tallal erschien, wie stets in vollem Galopp. Wir setzten zusammen über den Fluß, stiegen den breiten Uferhang hinan, knietief in Unkraut, bis wir die türkische Station der Hauptlinie, dreihundert Yard vor uns, sehen konnten. Wir mußten sie nehmen, ehe wir uns an die große Brücke unterhalb Tell el Schehab wagen konnten. Unbekümmert ging Tallal vor. Rechts und links zeigten sich Türken. »Alles in Ordnung«, rief er, »ich kenne den Stationsvorsteher.« Doch als wir auf zweihundert Yard heran waren, prasselte uns eine Salve aus zwanzig Gewehren entgegen. Unverletzt drückten wir uns in das Unkraut (fast lauter Disteln) und krochen behutsam zurück. Tallal fluchte laut.

Meine Leute hörten ihn oder die Schüsse und kamen vom Fluß heraufgeströmt. Aber wir schickten sie zurück in der Besorgnis, auf der Station könnte ein Maschinengewehr sein. Nuri Said traf ein, ebenso Nasir, und wir überlegten die Sache. Nuri wies darauf hin, daß ein Aufenthalt bei Meserib uns die Brücke kosten könnte, das wertvollere Objekt. Ich stimmte dem zu, meinte aber, der Spatz in der Hand genüge mir vorläufig, zumal Peakes Zerstörung der Hauptlinie für eine Woche reichen und wir dann sowieso vor einer neuen Lage stehen würden.

Also ging die Batterie Pisani in Stellung und funkte einige Runden Volltreffer in die Station. Unsere zwanzig Maschinengewehre machten noch obendrein eine Feuerglocke, und unter solchem Schutz spazierte Nuri, in Handschuhen und mit umgegürtetem Säbel, vor, um dann die sich ergebenden Türken – vierzig waren noch am Leben – in Empfang zu nehmen.

Darauf stürzten Hunderte von Hauran-Bauern mit fanatischem Geheul über die reich ausgestattete Station her und begannen die Plünderung. Männer, Frauen, Kinder kämpften wie die Hunde um jeden Brocken. Türen und Fenster, Tür- und Fensterrahmen, ja selbst Treppenstufen wurden davongetragen. Ein ganz Schlauer knackte den Geldschrank auf und fand Briefmarken darin. Andere brachen die lange Reihe der Waggons auf dem Rangiergleis auf, um darin allerlei Begehrenswertes zu finden. Tonnenweise wurde fortgeschleppt. Mehr noch lag zertrümmert und zertrampelt über den Boden verstreut.

Young und ich durchschnitten den Telegraph, hier ein weitverzweigtes Netz von Haupt- und Nebenlinien, in der Tat die Hauptverbindung der Palästinaarmee mit ihrem Heimatland. Es bereitete ein gewisses Vergnügen, sich bei jeder durchschnittenen Linie die Flüche Liman von Sanders' in Nazareth vorzustellen. Wir machten es langsam und mit Feierlichkeit, um die Entrüstung recht in die Länge zu ziehen. Danach zerstörten wir die Weichenzungen und pflanzten »Tulpen«, nicht viele, doch genug, um die Neuaufnahme des Betriebes zu verhindern. Während wir an der Arbeit waren, kam auf der Linie von Dera eine leichte Lokomotive heran zur Erkundung. Die Schläge und Rauchwolken unserer Tulpen beunruhigten sie; sie zog sich diskret zurück. Später besuchte uns ein Flugzeug.

Einer der Güterwagen aus dem Betriebsmaterial enthielt allerlei leckere Dinge für eine deutsche Kantine. Die Araber, die Konservenbüchsen und Flaschen grundsätzlich mißtrauen, hatten fast alles kaput geschlagen. Doch ergatterten wir noch etwas Suppe und Fleisch, später brachte uns Nuri Said noch Büchsenspargel. Nuri hatte gesehen, wie ein Araber eine der Dosen mit Stangenspargel prüfend öffnete, und hatte, als der Inhalt zutage kam, ihm entsetzt zugerufen: »Schweineknochen!« Der Bauer spuckte aus und warf die Dose weg. Nuri stopfte rasch, was an Büchsen noch da war, in seine Satteltaschen.

Auf der Station standen auch Waggons mit Benzintanks und dicht daneben einige mit Holz beladene Wagen. Als dann die Plünderung beendet war und Truppen wie Stämme sich in das weiche Gras beim Ausfluß des Sees gelagert hatten, wurde das Ganze in Brand gesteckt.

Der längs der Wagenreihe lodernde Schein erleuchtete unsere Abendmahlzeit. Das Holz brannte in stetig hellen Flammen, dazwischen stiegen die gewaltigen Feuerzungen der explodierenden Tanks hoch auf, höher als der Wasserturm. Wir gaben den Leuten Zeit zum Brotbacken, Suppekochen und Ausruhen, bevor wir den nächtlichen Versuch gegen die Schehabbrücke unternahmen, die drei Meilen nach Westen zu lag. Eigentlich hatten wir schon mit Dunkelwerden aufbrechen wollen; aber die Eßbegier hielt uns auf, und zudem schwärmte es in unserm Lager von Besuchern aus der Umgegend. Unser helloderndes Signalfeuer in der Station verriet unsere Anwesenheit über den halben Hauran hin.

Von den Besuchern bezogen wir unsere Informationen, und sie mußten begrüßt werden. Meine Aufgabe war es, jeden, der eine Nachricht brachte, zu empfangen und ihn sich aussprechen zu lassen; nachher mußte ich die Wahrheit sichten und kombinieren, so daß ich mir ein geschlossenes Bild machen konnte. Geschlossen deshalb, weil es mir ein sicheres, bestimmtes Urteil eingab. Doch es war nicht bewußt oder logisch zustande gekommen, denn es gab soviel Menschen, die mir Nachrichten brachten, daß ich ganz verwirrt wurde, als sie mir mit ihren weitschweifigen Reden und mannigfachen Beobachtungen den Kopf heiß machten.

Leute zu Fuß, zu Pferde und auf Kamelen kamen von Norden herabgeströmt. Hunderte und aber Hunderte trafen ein in beängstigender Begeisterung, denn sie glaubten, nun bliebe ihr Land endgültig besetzt und Nuri werde seinen Sieg durch die Einnahme von Dera noch diese Nacht krönen. Sogar der Magistrat von Dera erschien, bereit, uns die Tore seiner Stadt zu öffnen. Nahmen wir es an, so konnten wir fraglos der wichtigen Eisenbahnstation dort die Wasserzufuhr abschneiden, und sie mußte sich unweigerlich ergeben. Doch wir konnten genötigt sein, falls der Zusammenbruch der türkischen Armee sich nur langsam vollzog, die Stadt wieder zu räumen, und mußten dann die Bewohner der Ebene zwischen Dera und Damaskus, in deren Händen doch letzthin unser Sieg lag, im Stich lassen. So verlockend es war, es sprachen dennoch gewichtige Gründe auch jetzt noch gegen eine Besetzung von Dera. Und wiederum mußten wir unsere Freunde vertrösten unter Vorwänden, die ihrem Vorstellungsbereich zugänglich waren.


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