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Hundertsechstes Kapitel

Joyce kam mit seinem Schiff von Dschidda herauf und brachte die Post von Mekka. Faisal öffnete seine »Kibla« (das Organ König Husseins), und gleich auf der ersten Seite fiel ihm eine Königliche Kundmachung ins Auge, die besagte, daß Dschaafar-Pascha von gewissen Narren »Generaloberst der Arabischen Nordarmee« genannt werde, trotzdem es solch einen Rang gar nicht gäbe; der höchste Rang in der arabischen Armee sei der eines Hauptmanns, und als solcher täte Scheik Dschaafar, wie jeder andere, seine Pflicht.

Das war von König Hussein veröffentlicht worden (nachdem er von der Auszeichnung Dschaafars durch Allenby gelesen hatte), ohne Faisal vorher in Kenntnis zu setzen, und lediglich zu dem Zweck, die Araber in den nördlichen Städten, die syrischen und mesopotamischen Offiziere zu kränken, die der König gleichzeitig wegen ihrer Lauheit verachtete und wegen ihrer Fähigkeiten fürchtete. Er wußte, daß sie nicht kämpften, um ihm die Herrschaft über jene Gebiete zu erobern, sondern um für ihre Heimatländer Freiheit und Selbstverwaltung zu gewinnen; und das Machtgelüst des alten Mannes hatte nahezu keine Grenzen mehr.

Dschaafar-Pascha erschien vor Faisal und bot seinen Rücktritt an. Ihm folgten die Divisionsführer und ihre Stäbe mit den Regiments- und Bataillonskommandeuren. Ich bat sie, den unberechenbaren Launen eines alten Mannes keine Beachtung zu schenken, der weltabgeschlossen in Mekka säße und der seine jetzige Größe nur ihnen zu verdanken hätte. Faisal weigerte sich, ihren Rücktritt anzunehmen, unter Hinweis darauf, daß ihre Ernennung durch ihn selbst erfolgt sei (da sein Vater ihren Diensteintritt mißbilligt hätte), und daß folglich er allein durch jene Kundgebung beschimpft sei.

In diesem Sinne drahtete er nach Mekka und erhielt ein Antworttelegramm, das ihn einen Verräter und Rebellen nannte. Faisals Antwort war die Niederlegung seines Kommandos auf der Akabafront. Hussein ernannte Seid zu seinem Nachfolger. Seid lehnte prompt ab. Des Königs Chiffretelegramme wurden immer niederträchtiger vor Wut, und das militärische Leben in Aba el Lissan kam zu jähem Stillstand. Dawnay rief mich kurz vor Abgang seines Schiffes aus Akaba an und fragte verzweifelt, ob nun alles aus wäre. Ich erwiderte, die Sache hinge an einem Faden, aber vielleicht würden wir durchkommen.

Drei Wege standen uns offen. Der erste: so starken Druck auf König Hussein auszuüben, daß er seine Äußerung zurücknahm; der zweite: über die Sache einfach hinwegzugehen und mit den Vorbereitungen ruhig fortzufahren; der dritte: Faisal in aller Form für unabhängig von seinem Vater zu erklären. Für jeden dieser Wege fanden sich Verfechter unter Engländern wie Arabern. Wir funkten an Allenby und baten ihn, einzugreifen und den Zwischenfall möglichst aus der Welt zu schaffen. Hussein war ebenso halsstarrig wie verschlagen, und es konnten Wochen vergehen, bis man ihn so weit bearbeitet hatte, daß er zur Entschuldigung bereit war. Zu gewöhnlichen Zeiten hätten wir diese Wochen ruhig abwarten können; aber unglücklicherweise standen wir jetzt unter dem Zwang, innerhalb der nächsten drei Tage – wenn überhaupt – unsere Expedition nach Dera in Marsch zu setzen. Wir mußten Mittel und Wege finden, den Feldzug ohne Verzögerung weiterzuführen, indes sich Ägypten um eine Lösung des Konfliktes bemühte.

Als erstes sandte ich Eilnachricht zu Nuri Schaalan, daß ich nicht während des Zusammenziehens seiner Stämme in Kaf zu ihm stoßen könnte, aber bestimmt am ersten Tag des neuen Monds in Asrak sein würde. Eine bedenkliche Botschaft, denn Nuri konnte aus dieser Abänderung Verdacht schöpfen und das verabredete Zusammentreffen nicht innehalten. Ohne die Rualla aber fehlte unserm Vorstoß auf Dera am 16. September die Hauptunterstützung. Dennoch mußten wir diesen geringeren Verlust wagen, denn ohne Faisal und seine Regulären und Pisanis Geschütze fiel die ganze Expedition ins Wasser, und ich mußte, um ihre Verstimmung zu überwinden, in Aba el Lissan bleiben.

Als zweites mußte die Nachschubkarawane nach Asrak abgehen – das Material, die Verpflegung, das Benzin, die Munition. Young hatte das in Arbeit und zeigte sich der Aufgabe gewachsen, wie immer, wenn er nicht auf eigne Faust handeln mußte. Denn er war eine Natur, die sich selbst am meisten im Wege stand und zugleich jede Einmischung anderer schroff zurückwies. Ich werde nie das strahlende Gesicht Nuri Saids vergessen, als er nach einer gemeinsamen Besprechung zu einer Gruppe arabischer Offiziere trat mit den lachenden Worten: »Laßt's gut sein, Kameraden. Er redet mit den Engländern genau so wie mit uns.« Young erreichte es, daß jede der Staffeln unter den zugewiesenen Offizieren programmäßig abging – nicht genau zwar zur festgesetzten Zeit, aber doch nur einen Tag später. Grundsätzlich übermittelten wir Befehle an die Araber nur durch ihre eingeborenen Führer, damit diese, nicht wir, es wären, denen sie gehorchten oder nicht. Sie zogen aber wie die Lämmer.

Zum dritten mußte ich mit einer Meuterei der Truppen fertig werden. Es hatten sich unwahre Gerüchte über unsere Krise unter ihnen verbreitet. Besonders die Artilleristen waren dadurch aufgebracht, hatten sich mit ihren Offizieren überworfen und stürzten fort, um die Geschütze gegen deren Zelte zu richten. Aber Rasim, der Artilleriekommandant, war ihnen zuvorgekommen. Er hatte die Verschlußstücke herausgenommen und sie zu einer Pyramide in seinem Zelt aufgeschichtet. Ich benutzte diese einer gewissen Komik nicht entbehrende Situation, um mit den Leuten zu reden. Anfangs waren sie unzugänglich, aber dann wurden sie neugierig und unterhielten sich mit mir, dessen Name für sie bisher einen exzentrischen Klang gehabt hatte und den sie halb für einen Beduinen, halb für einen Engländer hielten.

Ich erzählte ihnen von dem Sturm im Wasserglas, der unter den Führern ausgebrochen war, und sie lachten herzlich darüber. Sie waren nach Damaskus orientiert, nicht nach Mekka, und sie interessierten sich für nichts, was außerhalb ihres militärischen Bereiches lag. Sie hatten geglaubt, Faisal wäre zurückgetreten und hätte bereits das Lager verlassen, und daraus war die ganze Geschichte entstanden. Faisal hatte sich in der Tat schon seit Tagen nicht mehr blicken lassen. Ich versprach ihnen, ihn sofort zu ihnen zu bringen. Als er dann in dem Vauxhall, den Bols eigens für ihn hatte grün lackieren lassen, genau so wie immer aussehend mit Seid durch ihre Reihen fuhr, überzeugten sie sich mit eigenen Augen von ihrem Irrtum.

Die vierte Aufgabe war dann, die nach Asrak bestimmten Truppen am festgesetzten Tag in Marsch zu setzen. Um das zu bewerkstelligen, mußte ihr Vertrauen auf die Zuversicht der Offiziere wiederhergestellt werden. Stirlings ganzes Geschick und Taktgefühl wurde dazu in Bewegung gesetzt. Nuri Said hatte als echter Soldat den Ehrgeiz, die Gelegenheit nach Möglichkeit auszunutzen, und erklärte sich bereit, bis nach Asrak vorzurücken und die Frage der Entschuldigung Husseins in der Schwebe zu lassen. Fiel sie unzulänglich aus, so konnten sie immer noch umkehren oder die Bundesgenossenschaft aufkündigen; gab sie ihnen volle Genugtuung – und ich versprach es ihm für gewiß –, so würden die in der Zwischenzeit ihm so unverdientermaßen erwiesenen Dienste der Nordarmee dem alten Mann die Schamröte ins Gesicht treiben.

Den Mannschaften mußte man mit handgreiflichen Argumenten kommen. Wir führten ihnen zu Gemüte, daß so schwierige Fragen wie Verpflegung und Besoldung nur bei voller Aufrechterhaltung der gesamten Organisation zu ihrer Zufriedenheit gelöst werden könnten. Sie sahen das ein, und die verschiedenen Einzelkolonnen, die berittene Infanterie, die Maschinengewehrabteilung, die ägyptischen Pioniere, die Ghurkas und die Batterie Pisani marschierten – dank Stirlings und Youngs gewohntem Geschick – mit nur zwei Tagen Verspätung ab.

Nun blieb nur noch die letzte Aufgabe, die Oberhoheit Faisals wiederherzustellen. Ohne ihn etwas Ernstliches zwischen Dera und Damaskus zu unternehmen, war gänzlich zwecklos. Wohl konnten wir den Angriff auf Dera durchführen; das war, was Allenby von uns erwartete. Aber die Einnahme von Damaskus – und das war, was ich von den Arabern erwartete, der eigentliche Grund, warum ich mich ihrem Aufstand angeschlossen, zehntausend Plagen auf mich genommen und Geist und Kräfte vergeudet hatte –, das hing einzig und allein von der Gegenwart Faisals an der Kampffront ab, wo er, unbelastet von militärischen Aufgaben, bereit stand, die politische Auswertung dessen zu übernehmen, was unsere Waffen für ihn erobert hatten. Schließlich erklärte er sich bereit, unter meinem Befehl mitzukommen.

Was die von Mekka verlangte Entschuldigung betraf, so taten Allenby und Wilson ihr möglichstes, und der Telegraph spielte ununterbrochen. Schlug der Versuch fehl, so blieb mir nur der Weg, Faisal die unmittelbare Unterstützung der englischen Regierung zuzusagen und ihn als unabhängigen Fürsten nach Damaskus zu führen. Das war durchaus möglich, doch ich wollte es, wenn irgend angängig, vermeiden, es sei denn im Falle äußerster Notwendigkeit. Bis dahin war der arabische Aufstand eine geschlossene, klare Sache gewesen, und ich wünschte nicht, daß nun unmittelbar vor dem gemeinsamen Sieg und Frieden diese Bewegung in den bedauernswerten Zustand der Spaltung geriete.

König Hussein benahm sich getreu seinem Charakter, machte endlose Ausflüchte und geschwätzige Einwände und schien die schwerwiegenden Folgen seiner gehässigen Einmischung in die Angelegenheiten der Nordarmee durchaus nicht begreifen zu wollen. Um ihm den Verstand etwas zu klären, wurde ihm eine offene und ehrliche Darlegung des Falles zugesandt, was nur unflätige und die Sache noch mehr verwickelnde Antworten zur Folge hatte. Seine Telegramme gingen über Ägypten und wurden dann drahtlos nach Akaba weitergegeben; von da wurden sie mir durch Auto zur Aushändigung an Faisal zugesandt. Der arabische Geheimschlüssel war einfach, und unerwünschte Stellen machte ich durch Umstellung der Zeichen unentzifferbar, ehe ich die chiffrierten Telegramme Faisal aushändigte. Durch dieses einfache Verfahren vermied ich, daß die Umgebung Faisals unnötigerweise noch mehr verärgert wurde.

Das Spiel zog sich so mehrere Tage hin; und Mekka wiederholte die als unentzifferbar gemeldeten Telegramme nicht einfach, sondern drahtete statt dessen jedesmal neue Fassungen, die die ursprüngliche Schärfe auf einen immer milderen Ton herabstimmten. Endlich kam dann eine lange Botschaft, in der ersten Hälfte eine lahme Entschuldigung und Widerrufung der unglückseligen Kundgebung, in der zweiten so ziemlich eine Wiederholung der Beleidigungen in neuer Form. Ich unterdrückte den Schwanz und brachte den Kopf mit der Aufschrift »Sehr dringend« in Faisals Zelt, der dort im Kreise aller Offiziere seines Stabes saß.

Der Sekretär dechiffrierte das Telegramm und überreichte es dann Faisal. Meine Andeutungen hatten schon eine gewisse Spannung hervorgerufen, und alles blickte auf Faisal, während er las. Er war erstaunt und starrte mich verwundert an, denn diese leutseligen Worte klangen so wenig nach dem streitsüchtigen Starrsinn seines Vaters. Dann raffte er sich zusammen, las die Entschuldigung laut vor und fügte am Schluß mit durchdringender Stimme hinzu: »Der Telegraph hat unser aller Ehre gerettet.«

Ein Chor des Entzückens brach aus, indes Faisal sich zu mir beugte und mir ins Ohr flüsterte: »Ich meine, die Ehre fast aller von uns.« Das kam so köstlich heraus, daß ich lachen mußte; aber ich fragte mit scheinbar ernster Miene: »Ich verstehe nicht, was du meinst.« Er erwiderte: »Ich bot mich an, auf diesem letzten Marsch mich unter deinen Befehl zu stellen: warum war das nicht genug?« »Weil es mit deiner Ehre nicht vereinbar gewesen wäre.« Er murmelte: »Immer stellst du meine Ehre über die deine.« Dann sprang er energisch auf die Füße und rief: »Nun, meine Freunde, gelobt sei Gott, und ans Werk.«

Innerhalb drei Stunden hatten wir alle Marschanordnungen ausgearbeitet und unsere Nachfolger hier in Aba el Lissan in ihre Geschäfte und Pflichten eingeführt. Ich nahm Abschied. Joyce war eben aus Ägypten zu uns zurückgekehrt, und Faisal versprach, mit ihm und Marshall nach Asrak zu kommen, um dort spätestens am 12. September mit mir zusammenzutreffen. Das ganze Lager war in glücklicher Stimmung, als ich mich in ein Rolls-Lastauto setzte und nordwärts fuhr. War es auch schon der 4. September, so hoffte ich doch die Rualla unter Nuri Schaalan noch rechtzeitig für unsern Angriff auf Dera zusammenzubringen.


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