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Neunundneunzigstes Kapitel

Es war jetzt Ende Juli, und Ende August mußte die Dera-Expedition in Marsch gesetzt sein. In der Zwischenzeit mußte Buxtons Kamelkorps sein gesamtes Programm erledigen, Nuri Schaalan war zu benachrichtigen, Landungsplätze für die Flugzeuge mußten gefunden werden, und die Panzerautos hatten die Straße nach Asrak auszuprobieren. Ein reichbesetzter Monat. Nuri Schaalan, als der am weitesten Entfernte, kam zuerst an die Reihe. Man sandte ihm einen Boten mit der Bitte, am 7. August in Dschefer mit Faisal zusammenzutreffen. Als zweites kam die Abteilung Buxtons an die Reihe. Ich teilte Faisal, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, ihre Ankunft mit. Um sie vor Verlusten zu bewahren, mußten sie Mudewwere durch überraschenden Handstreich nehmen. Ich selbst wollte sie bis zur Rumm führen, auf ihrem ersten schwierigen Marsch durch die Randgebiete der Howeitat um Akaba.

So machte ich mich denn nach Akaba auf zu Buxton. Ich gab ihm Aufklärung über den Marschplan jeder seiner Kompagnien und über die leicht erregbare Natur unserer Verbündeten, zu denen er ja ungebeten komme, um ihnen zu helfen. Ich bat ihn und die Seinen, bei Streitigkeiten lieber auch die linke Backe hinzuhalten, weil sie besser erzogen wären als die Araber und deshalb weniger voreingenommen, und zudem wären sie ja auch in der Minderzahl. Nach dieser feierlichen Einleitung kam dann der Ritt durch die eindrucksvolle Schlucht von Ithm, vorüber an den roten Felsklippen des Nedschd und über das wie in schwellenden Brüsten gewellte Hügelland von Imran – dieses sich steigernde Vorspiel zur Größe der Rumm. Dann betraten wir bei dem zackigen Gipfel des Khusail durch den Schlund hindurch das innere Heiligtum der Quellen mit seiner ehrfurchtgebietenden Stille und Kühle. Hier war die Landschaft kein freundliches Beiwerk mehr, sondern rührte mit ihrer gewaltigen Erhabenheit an den Himmel, und wir schwatzenden Menschenkinder wurden wie Staub zu ihren Füßen.

In der Rumm machten die Mannschaften Buxtons an den Tränkstellen ihre erste Erfahrung in puncto Gleichheit und Brüderlichkeit mit Arabern und fanden das etwas unbequem. Aber sie zeigten sich von wunderbarer Sanftmut; Buxton war zudem ein alter Sudanbeamter, der Arabisch sprach und sich auf Nomadenart verstand, geduldig, umgänglich und verständnisvoll. Hasaa half den Arabern gut zureden, und Stirling und Marshall, die die Kolonne begleiteten, waren alte Bekannte der Beni Atiyeh. Dank ihrer Diplomatie und der englischen Disziplin kam es zu keinerlei Unzuträglichkeiten.

Ich blieb während des ersten Tages bei ihnen in der Rumm, sprachlos darüber, wie fremdartig diese gesund ausschauenden Burschen in dieser Umgebung wirkten, die in Hemdärmeln und kurzen Hosen wie ungelenke Schulbuben zwischen diesen Felsen herumwanderten, die meine private Zufluchtsstätte gewesen waren! Drei Jahre in Sinai hatten ihre Gesichter farblos und ledern gemacht, und das Flackern ihrer blauen Augen darin nahm sich seltsam schwach aus gegenüber dem dunklen, wie besessenen Blick der Beduinen. Im übrigen hatten sie breite Gesichter, niedrige Stirnen und einen stumpfen Ausdruck. Sie stachen merklich ab von den feingezeichneten Arabern, die durch eine generationenlange Inzucht zu einer scharfen Klarheit der Linien und einer Verfeinerung gelangt waren, die Jahrtausende älter war als diese primitiven, grobgeschnitzten, ehrbaren Engländer. Soldaten des Kontinents erschienen plump gegenüber unseren schlanken Leuten: aber plump wiederum erschienen die Engländer gegenüber meinen geschmeidigen Ageyl.

Ich ritt dann nach Akaba zurück, durch das felsgetürmte Ithm, allein mit sechs stummen, teilnahmslosen Begleitern, die hinter mir wie Schatten folgten, harmonisch verwachsen mit Sand, Busch und Berg ihrer Heimat. Und Heimweh überkam mich, ein schmerzliches Bewußtwerden meines Lebens hier als Fremdling unter diesen Arabern, indes ich ihre höchsten Ideale ausbeutete und ihre Freiheitsliebe zu einem bloßen Werkzeug in Englands Diensten machte.

Es war Abend; hinter dem geraden Rücken des Sinai ging die Sonne unter. Ihre Scheibe schien heute meinen Augen allzu strahlend, denn ich war meines Lebens zum Sterben überdrüssig und sehnte mich wie selten vorher nach den verdeckten Himmeln Englands. Dieser Sonnenuntergang war gewaltig, aufreizend, barbarisch; er belebte wie ein frischer Trunk die Farben der Wüste – wie er es ja wirklich jeden Abend tat in einem neuen Wunder aus Kraft und Glut. Ich aber sehnte mich nach Schwäche, Kälteschauern und grauem Nebel, damit die Welt nicht so kristallklar erschien, so präzise richtig und falsch.

Wir Engländer, die wir jahrelang unter Fremden leben, hüllen uns stets in den Stolz auf unser Land, so wie wir es in Erinnerung haben, diese sonderbare Wesenheit, die nichts mit ihren Bewohnern gemein hat (denn wer England am meisten liebt, liebt oft die Engländer am wenigsten). Hier aber, in den Kriegsnöten Arabiens, verkaufte ich meine Ehrlichkeit, um England zu erhalten.

In Akaba fand ich den größten Teil meiner Leibgarde versammelt, des Sieges gewärtig; denn ich hatte den aus dem Hauran Stammenden versprochen, sie würden das große Fest in ihren befreiten Dörfern feiern; und der Zeitpunkt war nahe. So hielten wir zum letztenmal Musterung auf dem windgefegten Strand an der Küste des Meeres, auf dessen Wogen die Sonne glitzerte und gleißte wie in heiterem Wetteifer mit der buntschillernden Farbigkeit meiner Leute. Es waren ihrer sechzig. Noch selten hatte Saagi, ihr Führer, soviel zusammengebracht; und als wir dann zwischen braunen Bergen gen Guweira ritten, setzte er seinen Stolz darein, sie nach der Art der Ageyl zu formieren: eine Gruppe in der Mitte und je rechts und links eine Flügelabteilung mit Dichtern und Sängern. So zogen wir mit tönendem Gesang dahin. Aber es schmerzte Saagi, daß ich nicht ein Banner führte wie ein Fürst.

Ich ritt meine Ghasala, die alte Großmama, jetzt wieder in prächtiger Form. Ihr Fohlen war vor kurzem eingegangen, und Abdulla, der nächste hinter mir, hatte das kleine tote Tier abgehäutet und trug nun das getrocknete Fell hinten über seinen Sattel gebreitet wie eine Schabracke. Zu Anfang, dank dem lullenden Gesang der Schar, ging Ghasala gut; nach einer Stunde aber warf sie witternd den Kopf hoch und begann unruhig zu treten, hob aufgeregt die Füße wie ein Schwerttänzer.

Ich wollte sie antreiben; aber Abdulla glitt an meine Seite, raffte seinen Mantel hoch und sprang, das Fohlenfell in der Hand, aus dem Sattel. Dann baute er sich vor Ghasala auf, die leise klagend nun wie festgewurzelt stand, breitete im Sand vor ihr das Fell aus und drückte ihren Kopf nieder. Das Tier hörte auf zu klagen, beschnupperte mehrmals mit vorgeschobenen Lippen die kleine getrocknete Haut, und mit einem Wimmern setzte sie sich wieder in Bewegung. Das wiederholte sich am Tage noch einige Male; dann aber schien sie vergessen zu haben.

In Guweira wartete Siddons mit einem Flugzeug auf mich. Nuri Schaalan und Faisal wünschten, daß ich sofort nach Dschefer käme. Die Luft war dünn und voller Wirbel, so daß wir nur mit Mühe über den Kamm von Schtar hinwegkamen. Ich fragte mich, ob wir hier zerschellen würden, ja ich hoffte es fast. Ich war sicher, daß Nuri die Erfüllung unseres unehrlichen Handels verlangen würde, dessen Ausführung noch unsauberer schien als das Vorhaben. Der Tod hier oben würde ein ehrlicher Ausweg sein, doch hoffte ich kaum darauf; nicht aus Furcht, denn ich war zu müde, um mich sehr zu fürchten, noch aus Skrupeln, denn unser Leben gehörte nach meiner Ansicht so ganz uns selbst, daß wir es nach Belieben behalten oder fortwerfen konnten – sondern aus Gewohnheit, denn in letzter Zeit hatte ich mein Leben nur dann aufs Spiel gesetzt, wenn es für unsere Sache vorteilhaft gewesen war.

Ich beschäftigte mich damit, mein Inneres in saubere Fächer abzuteilen; denn wie so oft standen Vernunft und Instinkt wieder in Fehde gegeneinander. Der Instinkt sagte: »Stirb!« Aber die Vernunft sagte, dieser Wunsch gehe nur darauf aus, die Fesseln des Geistes zu zerschneiden und ihn in die Freiheit zu entlassen. Besser sei es, einen geistigen Tod zu wünschen, ein langsamer Verfall des Hirns, um es tief unter allen diesen Grübeleien zu vergraben. Wenn ich zögerte, mein Leben zu riskieren, warum machte ich soviel Aufhebens davon, daß ich es beschmutzte? Aber Leben und Ehre schienen verschiedene Kategorien zu sein; man konnte die eine nicht für die andere einsetzen. Und was die Ehre anging – hatte ich sie nicht schon vor einem Jahr verloren, damals, als ich den Arabern versicherte, daß England sein feierlich gegebenes Wort halten würde?

Oder war es mit der Ehre wie mit den Blättern der Sibylle; je mehr davon verlorenging, um so kostbarer wurde das Übrigbleibende? Waren ihre Teile soviel wert wie das Ganze? Da ich das Geheimnis für mich bewahrt hatte, gab es keinen Schiedsrichter über meine Verantwortlichkeit. Die Ausschweifung in körperlicher Arbeit endete immer damit, daß ich nach noch mehr verlangte; und die ewigen Zweifel, das ewige Fragen drehte meinen Geist in eine schwindelnde Spirale und ließ mir niemals Raum für das Denken.

Schließlich kamen wir doch noch lebendig nach Dschefer, wo ich Faisal und Nuri im friedlichsten Einvernehmen antraf. Es schien fast ein Wunder, daß dieser Greis sich bereitwillig uns, der Jugend, zugesellt hatte. Denn er war sehr alt, fahl und verwittert, wie versteint in grauer Sorge und Gewissensbeschwer, und ein bitteres Lächeln war die einzige Regung seines Gesichts. Die Augenlider, mit struppigen Wimpern, hingen in müden Falten herabgesackt. Gerade jetzt durchglomm sie, von der zu Häupten stehenden Sonne her, ein rotes Licht, so daß es aussah, als käme es aus seinen Augenhöhlen gleichwie aus zwei Feuergruben, in denen die letzte Lebensglut dieses Mannes ausbrannte. Nur das tote Schwarz seines gefärbten Haares, nur die tote Haut des Gesichts mit ihrem Netz von Runzeln verrieten dennoch seine siebzig Jahre.

Rings um dieses wortkarge Oberhaupt saßen in feierlich zeremoniösem Gespräch die Großen seiner Stämme, die mit ihm gekommen waren, berühmte Scheiks, so reich angetan mit seidnen Gewändern – teils aus eignem Bestand, teils Gaben Faisals –, daß sie raschelten wie Frauen, indes sie sich langsam und gelassen bewegten wie Stiere. Da waren, als die Vornehmsten unter ihnen, Faris, der – gleich Hamlet – niemals Nuri den Mord an seinem Vater vergaß; und Sottam, ein hagerer Mann mit herabhängendem Schnurrbart und weißem, etwas affektiertem Gesicht, der jeder etwa zu gewärtigenden Kritik der Welt mit einer betonten Sanftheit und einer ölig unterwürfigen Stimme zuvorkam. »Yif ham«, quäkte er voller Erstaunen über mich, »er versteht unser Arabisch!« Ferner waren Trad und Sultan da, rundäugig, würdevoll und ungezwungen, wahrhafte Ehrenmänner und große Reiterführer. Auch Midschem, der Rebell, war von Faisal gewonnen und mit seinem widerstrebenden Oheim versöhnt worden, der, trotz Midschems eifriger Zuvorkommenheit, die Gegenwart des rauhen, unansehnlichen Mannes nur schwer zu ertragen schien.

Auch Midschem war ein großer Führer, Trads Rivale bei allen Raubzügen, aber innerlich schwach und grausam. Er saß neben Khalid, Trads Bruder, ebenfalls einem gesunden frohen Reitersmann, im Gesicht Trad ähnlich, aber nicht so kräftig von Gestalt. Dursi ibn Dughmi rauschte herein und begrüßte mich: ein einäugiger, düsterer, hakennasiger Mann; schwerblütig, hinterhältig und niederträchtig, aber beherzt. Auch Khaffadschi war da, Nuris verhätscheltes Alterskind, der zu erwarten schien, daß ich ihn, den noch Unerprobten, dennoch um seines Vaters willen als ebenbürtigen Freund annehmen würde. Er zeigte sich jugendlich begeistert über das bevorstehende Kriegsabenteuer und stolz auf seine funkelnden Waffen.

Bendr, der allzeit Lachende, Alters- und Spielgefährte Khaffadschis, benutzte die Gelegenheit, um mich mit der Bitte um einen Platz in meiner Leibgarde zu überfallen. Er hatte von meinem Rahail, seinem Pflegebruder, wahre Wunderdinge von ihren Leiden und Freuden gehört, und der verderbliche Zauber der Gefolgschaft verlockte sein junges Herz. Ich wich aus, und als er immer noch weiter in mich drang, machte ich der Sache ein Ende mit der mürrischen Bemerkung, ich sei kein König, daß ich mir Diener aus dem Stamm der Schaalan leisten könnte. Nuris düsterer Blick traf für einen Augenblick den meinen.

Hinter mir saß Rahail, sein selbstvergnügtes Ich in grellfarbigen Kleidern spreizend. Im Schutz der lauten Unterhaltung flüsterte er mir den Namen jedes Großen zu. Sie brauchten nicht zu fragen, wer ich sei; denn meine Kleidung und ganze Erscheinung waren etwas Besonderes in der Wüste. Schon der Ruf, der einzige sauber Rasierte zu sein, verlieh eine gewisse Berühmtheit; und ich steigerte sie noch, indem ich immer nur reine Seide trug, und zwar von der allerweißesten (wenigstens außen), mit scharlachroter, golddurchwirkter Mekkakopfschnur und goldnem Dolch. Durch solche Kleidung betonte ich einen gewissen Anspruch, der durch die besondere Achtung, die Faisal mir öffentlich bezeugte, noch bekräftigt wurde.

Mehr als einmal hatte Faisal bei derlei Beratungen neue Stämme gewonnen und entflammt; mehr als einmal war diese Aufgabe mir zugefallen: aber noch nie bis heute hatten wir gemeinsam gewirkt, einer den andern unterstützend und ablösend und jeder von seinem besonderen Standpunkt aus. So ging denn diesmal alles wie ein Kinderspiel; die Rualla schmolzen nur so in unserm zwiefachen Feuer. Jeder Ton, jedes Wort tat seine Wirkung. In atemloser Spannung saßen sie um uns her, das Funkeln der Gläubigkeit in den schmal geöffneten Augen, die sie unentwegt auf uns gerichtet hielten.

Faisal rief ihnen zunächst die Idee der Nationalität in den Sinn, in einer Wendung, die ihre Gedanken auf die arabische Geschichte und Sprache als ein gemeinsames Gut lenkte. Dann fiel er einen Augenblick in Stillschweigen; denn für diese ungelehrten Meister der Zunge bedeuteten Worte etwas Lebendiges, und sie liebten es, jedes einzelne für sich gleichsam auf dem Gaumen auszukosten. Nun folgte eine zweite Wendung, die ihnen den Geist Faisals vor Augen führte, ihres Landsmanns und Führers, der alles für die Sache der nationalen Freiheit opferte. Dann wieder Schweigen, währenddessen sie sich ihn innerlich ausmalen konnten, wie er Tag und Nacht in seinem Zelte saß, lehrte, predigte, schaltete und warb; und sie fühlten etwas von der Idee, die hinter diesem Mannesbild stand, das da statuengleich vor ihrem Geiste saß, geläutert von Wünschen, Ehrgeiz, Schwächen und Fehlern – eine Persönlichkeit, in aller ihrer Fülle versklavt an einen Gedanken, einäugig und einarmig gleichsam gemacht durch das eine Ziel und Wollen: im Dienste dieser Idee zu leben oder zu sterben.

Natürlich war es nur das Bild eines Mannes, kein Mensch aus Fleisch und Blut, aber nichtsdestoweniger wahr, denn seine Persönlichkeit hatte ihre dritte Dimension unserer Idee geopfert, und er hatte um ihretwillen dem Reichtum und den Ränken der Welt entsagt. Faisal war in seinem Zelt gleichsam hinter einem Schleier verborgen, um unser Führer zu bleiben – während er in Wirklichkeit der beste Diener der nationalen Idee war, ihr Werkzeug, nicht ihr Besitzer. Doch in der Dämmerung des Zeltes schien er der Edelste von allen.

Er fuhr damit fort, daß er vor ihnen das Bild des Feindes heraufbeschwor, wie er ewig auf der Defensive festgenagelt war, und der noch am besten abschnitt, wenn er möglichst wenig in Erscheinung träte. Während wir dagegen, uns zurückhaltend, gelassen und unbesorgt in der vertrauten Stille der Wüste herumschwimmen würden, bis es uns behagte, an Land zu kommen.

Unsere Worte waren mit Vorbedacht darauf gerichtet, die eigenen unbewußten Gedankengänge unserer Zuhörer ans Licht zu heben, so daß sie meinen mußten, ihre Begeisterung käme aus ihnen selber und ihre Entscheidungen seien ihre eigenen und nicht von uns ihnen eingeimpft. Nicht lange, so fühlten wir, wie sie Feuer fingen; wir lehnten uns zurück und beobachteten, wie sie gestikulierten und redeten und sich gegenseitig in Hitze brachten, bis die Luft vor Erregung zitterte. In halbem Stottern und Stammeln drückte sich ihr dumpfes Gefühl von Vorstellungen aus, die über ihren Horizont gingen. Jetzt waren sie es, die sich antreibend und fordernd an uns, die zögernden Fremden, wandten. Sie eiferten, uns die ganze Inbrunst ihres Glaubens an die Sache begreiflich zu machen; vergaßen uns dann wieder ganz und ergingen sich untereinander in feurigen Plänen und Möglichkeiten, die eigentlich nur das waren, was wir selbst wünschten und wollten.

Ein neuer Stamm war gewonnen; und Nuris einfaches »Ja« am Ende klang uns vollgewichtiger als alles, was sie geredet hatten.

Bei unseren Predigten gab es nichts gewaltsam Anreizendes. Wir taten unser möglichstes, um die Sinne auszuschalten, damit unsere Einwirkung langsam, nachhaltig und unsentimental würde. Wir wollten keine Konvertiten um des Gewinnes willen. Wir weigerten uns standhaft, unseren schon berühmt gewordenen Goldschatz dazu zu verwenden, um Menschen heranzuziehen, die nicht innerlich überzeugt waren. Das Geld war eine Bekräftigung; es war Mörtel, nicht Baustein. Wenn wir die Menschen gekauft hätten, wäre unsere Bewegung mit dem persönlichen Interesse verknüpft worden, während unsere Anhänger bereit sein mußten, den ganzen Weg mit uns zu gehen, ohne daß ihre Motive durch etwas anderes als menschliche Schwäche getrübt wurden. Selbst ich, der Außenstehende, der gewissenlose Betrüger, der eine fremde Nationalidee entfachte, fand eine Befreiung vom Selbsthaß und dem ewigen Sich-selber-Erforschen darin, daß ich ihre Bindung an die Idee nachahmte – und das trotz meines Mangels an Instinkt im eigenen Tun und Wirken.

Denn natürlich konnte ich mich nicht lange selber betrügen; aber ich spielte meine Rolle so gut, daß niemand außer Joyce, Nesib und Mohammed el Dheilan es zu merken schienen, daß ich Theater machte. Für den Gefühlsmenschen hat alles, was zwei oder drei Menschen glauben, eine wunderbare Weihe, der das individuelle Wohlergehen und Leben ehrlich geopfert werden sollten. Für den Vernunftmenschen sind Nationalitätskriege genau so ein Betrug wie Religionskriege, und nichts ist wert, daß man dafür kämpft, noch kann der Kampf, die reine Kampfhandlung, irgendein Verdienst wahrer Tugend in sich schließen. Das Leben ist eine so persönliche Angelegenheit, daß kein Umstand einem Menschen die Berechtigung geben kann, gewaltsam Hand an den anderen zu legen – obwohl der eigene Tod des Menschen sein letzter freier Wille ist, eine rettende Gnade und das Ende unerträglicher Qualen.

Wir ließen die Araber sich auf die Fußspitzen recken, um an unseren Glauben heranzureichen; denn er führte in das Gefilde der guten Werke, eine gefährliche Region, wo die Menschen die Tat leicht für den Willen nehmen könnten. Es war meine Schuld, das Ergebnis meiner blinden Führerschaft (da ich eifrig darauf bedacht war, schnelle Mittel zur Bekehrung zu finden), daß ich ihnen ein fertiges Bild unseres Zieles zeigte. In Wahrheit existierte es allein in dem nie endenden Streben nach dem unerreichbaren, nur in der Vorstellung lebenden Licht. Die Masse unserer Leute, die das Licht in der Wirklichkeit suchten, glichen mitleidswerten Hunden, die um die Sockel der Straßenlaternen schnüffelten. Nur ich war Diener des Abstrakten, und mich führte mein Amt hinter den Altarschrein.

Die Ironie dabei lag darin, daß ich die Dinge mehr liebte als das Leben oder die Ideen, und die Ungereimtheit darin, daß ich dem verführerischen Ruf zur Tat nachkam, die doch die Vielfalt der Dinge betonte. Es war eine schwere Aufgabe für mich, Gefühl und Tat auseinander zu reißen. Ich hatte mein ganzes Leben lang den Wunsch gehabt, mein Ich in irgendeiner geistigen Form auszudrücken, war aber zu zersplittert gewesen, mir jemals eine Technik anzueignen. Der Zufall machte schließlich in einer perversen Laune aus mir einen Mann der Tat, gab mir einen Platz bei dem arabischen Aufstand, ein fertiges Epos, bereit für ein unmittelbares Erfassen durch Auge und Hand, und zeigte mir so den Ausweg zur Literatur, der Kunst, die keiner handwerklichen Technik bedarf. Von nun an war es nur noch der Ablauf der Handlung, der mich fesselte. Das Heldenhafte war mir fremd, wie meiner ganzen Generation, und auch die Geschichte gab mir keinen Zugang zum Heroischen, so daß ich für Männer wie Auda keinen Widerhall in mir selber fand. Er schien mir so phantastisch wie die Berge der Rumm, so alt wie Mallory.

Unter den Arabern war ich der Enttäuschte, der Skeptiker, der sie um ihren wohlfeilen Glauben beneidete. Die von ihnen unbemerkt bleibende Täuschung schien ein gut sitzendes und kleidsames Gewand für einen jämmerlichen Kerl. Die Unwissenden, die Oberflächlichen, die Betrogenen waren die Glücklichen unter uns. Durch unseren Schwindel wurden sie glorifiziert. Wir bezahlten mit unserer Selbstachtung, und sie gewannen dabei das tiefste Gefühl ihres Lebens. Je mehr wir uns verurteilten und verachteten, desto mehr konnten wir einen zynischen Stolz für sie empfinden, die unsere Geschöpfe waren. Es war so leicht, andere zu überschätzen, so unmöglich, ihre Motive so tief anzusetzen, daß sie auf die Ebene unserer eignen lieblosen Wahrheit kämen. Sie waren die von uns Genarrten, die mit ganzem Herzen den Feind bekämpften. Vor dem Atem unseres Willens trieben sie dahin wie Spreu im Winde und waren doch nicht Spreu, sondern die Tapfersten, Einfachsten und Lustigsten aller Menschen. Credo quia sum? Aber machte es nicht die aus den Fugen gegangene Rechtschaffenheit wieder wett, daß viele an einen glaubten? Das gemeinsame Emporsteigen der seit Jahren gehegten Hoffnungen aus den kurzsichtigen Massen konnte selbst einem unfreiwilligen Götzen Gottheit verleihen und ihn stärken, wenn immer die Menschheit ihn schweigend anbetete.


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