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Hundertzwölftes Kapitel

Widerstrebenden Herzens lösten wir uns daher vom Gegner in der Hoffnung auf einen baldigen späteren Schlag, setzten die Armee rückwärts in Marsch und kamen in langgezogener Kolonne durch die Station Meserib. Unsere Feuer waren heruntergebrannt und der Platz lag verödet. Young und ich setzten für alle Fälle noch einige »Tulpen«, dann verschwanden die Truppen in dem durchschnittenen Gelände gegen Remthe zu, um außer Sicht von Dera wie von Schehab zu kommen. Türkische Beobachtungsflugzeuge surrten über unsern Köpfen; wir schickten daher unsere Bauernschwärme durch Meserib hindurch in ihre Dörfer zurück. Demgemäß meldeten die feindlichen Flieger, daß unsere Armee sehr stark wäre, möglicherweise acht- bis neuntausend Mann, daß man aber aus unsern divergierenden Bewegungen auf keine bestimmte Richtung schließen könne.

Um den Feind noch mehr in die Irre zu führen, wurde von den französischen Artilleristen eine starke Sprengladung mit Spätzündung an den Wasserturm der Station Meserib gelegt, der dann Stunden nach unserm Abrücken mit gewaltigem Gekrach in die Luft flog. Die Deutschen traten in dem Augenblick gerade aus Schehab heraus, um auf Dera zu marschieren; dieser unerklärliche Knall zog sie in die Gegend von Meserib, und sie verharrten dort bis zum späten Nachmittag in Bereitschaft.

Wir waren inzwischen schon weit weg, auf dem Marsch nach Nisib, dessen begrenzende Höhen wir um vier Uhr nachmittags erreichten. Der berittenen Infanterie wurde eine kurze Rast gegönnt, während die Batterie und die Maschinengewehrabteilung bis zum vordersten Höhenrand vorgingen, von dem der Hang tief zur Eisenbahnstation abfiel.

Hier gingen die Geschütze in gedeckte Stellung und erhielten Befehl, wohlgezieltes Einzelfeuer auf das zweitausend Yard entfernte Stationsgebäude zu eröffnen. Pisanis Kanoniere wetteiferten, ihr Bestes zu tun, und bald sah man denn auch in Dächer und Schuppen breite Löcher gerissen. Zu gleicher Zeit wurde die Maschinengewehrabteilung auf unserm linken Flügel vorgeschickt zum Feuerüberfall gegen die Gräben, die mit hartnäckigem Schnellfeuer erwiderten. Unsere Truppen hatten jedoch natürliche Deckungen und zudem die Nachmittagssonne im Rücken. So erlitten sie keine Verluste, aber der Feind ebensowenig. Das Ganze war eigentlich mehr eine Spielerei, und die Einnahme der Station lag nicht in unserer Absicht. Unser eigentliches Objekt war die große Brücke dicht nördlich des Dorfes. Vor uns lag noch ein kleinerer Rücken, der, die diesseitige Talwand bildend, in einer Biegung zur Brücke sich hinzog und ihr als Widerlager für ihre Spannung diente. Das Dorf lag auf dem jenseitigen Talrand. Die Türken hatten an der Brücke selbst ein kleines Verteidigungswerk und hielten durch einzelne, im Schutz des Dorfes postierte Schützen Verbindung mit ihm.

Zwei Geschütze und sechs Maschinengewehre nahmen jetzt den kleinen, aber stark befestigten Brückenstützpunkt unter Feuer, in der Hoffnung, die Verteidiger herauszutreiben. Fünf weitere Maschinengewehre schossen auf die Ortschaft. Fünfzehn Minuten später erschienen die Dorfältesten sehr verstört, um mit uns zu verhandeln. Nuri erklärte sich bereit, das Feuer einzustellen unter der Bedingung, daß sie sofort die in den Häusern postierten türkischen Schützen hinauswürfen. Das versprachen sie auch, und damit war die Verbindung zwischen Station und Brücke abgeschnitten.

Nun wurde das Feuer unserer fünfundzwanzig Maschinengewehre und der vier Geschütze Pisanis auf den Brückenstützpunkt gerichtet, und nach wenigen Salven glaubten wir zu sehen, wie die Besatzung aus den zerschossenen Gräben unter der Brücke hindurch in den Schutz des Eisenbahndamms entwich.

Dieser Damm war zwanzig Fuß hoch. Falls sich die Besatzung hier eingenistet hatte, um die Brücke zu verteidigen, so war sie in einer schwer zu nehmenden Stellung. Doch rechneten wir damit, daß ihre Kameraden in der Station eine so starke Anziehungskraft ausgeübt haben würden, daß sie gleich bis dorthin geflüchtet waren. Ich rief die Hälfte meiner Leibgarde heran, verteilte die Sprengstoffladungen unter sie und ging mit ihr längs des Rückens vor und bis auf Steinwurfweite an die Schanze heran.

Es war ein herrlicher Abend, mild und goldgelb und unbeschreiblich friedlich, ein schroffer Gegensatz zu unserer ununterbrochenen Kanonade. Die Sonne sank mählich tiefer, über die flachen Hänge breiteten sich dunkle Schatten, aus denen die zahlreich verstreuten Kiesel, von den letzten Strahlen getroffen, für einen Augenblick aufleuchteten wie schwarze, flammende Diamanten.

Kein Nachmittag, an dem es sich gut sterben ließ, dachten anscheinend meine Leute. Es war das erstemal, daß ihre Nerven versagten; und sie weigerten sich, ihren Unterstand zu verlassen und in den Kugelregen des Feindes zu gehen. Sie waren müde und ihre Kamele so weglahm, daß sie nur noch im Schritt gehen konnten; und dazu wußten sie, daß nur ein Geschoß unseren Sprengstoff zu treffen brauchte, um sie buchstäblich in den Himmel hinauf zu befördern.

Der Versuch, sie mit einem Scherzwort aufzumuntern, mißlang. Schließlich gab ich es auf. Ich suchte mir nur den jungen, schüchternen Hemeid aus, um mich zur Bergspitze zu begleiten. Er zitterte wie im Fieber, aber folgte mir ohne Widerspruch. Wir ritten den Bergrücken entlang bis zu seinem äußersten Ende, um die Brücke genau zu beobachten.

Dort war Nuri Said, sog an seiner Briar-Pfeife und lobte laut die Kanoniere, die in der zunehmenden Dunkelheit die Straßen zwischen der Brücke, dem Dorf und der Station unter Feuer hielten. Nuri war glücklich und schlug mir vor, die Station (die wir gar nicht stürmen wollten) abwechselnd unter Feuer zu halten und zu stürmen. Wir diskutierten zehn Minuten lang über die Schußweite, während Hemeid sich im Sattel niederduckte, da die Kugeln an uns vorbei und über uns weg pfiffen und die Querschläger wie zornige Bienen uns um die Ohren summten. Einige Schüsse schlugen in den Kalkstein und wirbelten den weißen Staub auf, der ein paar Minuten lang durchsichtig in dem spiegelnden Lichte hing.

Nuri war damit einverstanden, meinen Vorstoß zur Brücke, so gut er konnte, zu decken. Dann schickte ich Hemeid mit meinem Kamel zurück und ließ den anderen sagen, daß ich sie schwerer treffen würde als die Kugeln, wenn sie ihm nicht durch die Gefahrzone zu mir folgten. Denn ich wollte so lange umherstreifen, bis ich mit Sicherheit annehmen konnte, daß der Brückenkopf frei war.

Während sie noch zögerten, kam Saagi herauf und mit ihm Abdulla, der Unerschütterliche, Sorglose, Abenteuerliche, der Furcht nicht kannte. Die beiden rasten vor Wut, daß meine Leute mich verlassen hatten, und stürzten sich auf die Drückeberger, die sich über den Rücken schoben, ohne mehr als sechs Streifschüsse abzubekommen.

Die Verschanzung war in der Tat verlassen. Wir saßen ab und signalisierten Nuri, das Feuer einzustellen. In dem eintretenden Schweigen schlichen wir uns leise an die Brückenpfeiler heran und fanden sie ebenfalls geräumt.

Eiligst wurden die Sprengladungen rings um die Pfeiler aufgehäuft, die etwa fünf Fuß dick und fünfundzwanzig Fuß hoch waren: eine prächtige Brücke, diese meine neunundsiebzigste, und strategisch für uns eine große Gefahr, da wir ja ihr gegenüber in Umtaije bleiben wollten, bis Allenbys Vordringen uns entsetzte. Ich hatte daher beschlossen, keinen Stein auf dem andern zu lassen.

Nuri hatte inzwischen dem Kamelkorps, der Batterie und der Maschinengewehrabteilung Befehl gegeben, im Schutze der sinkenden Nacht die Bahn eiligst zu überschreiten, dann etwa eine Meile in der Wüste vorzurücken, dort zusammenzuschließen und auf uns zu warten.

Doch der Übergang einer so großen Zahl von Kamelen über die Bahn mußte eine erheblich lange Zeit in Anspruch nehmen. Wir saßen und warteten unter der Brücke, Streichhölzer in der Hand, um im Falle eines Alarms (ungeachtet unserer übergehenden Truppen) die Zündschnur sofort in Brand zu stecken. Doch verlief alles glatt, und nach einer Stunde gab mir Nasir das verabredete Zeichen. Eine halbe Minute danach, ich konnte noch eben die Türkenschanze erreichen, kamen die achthundert Pfund Sprengmaterial mit einem Schlag zur Entzündung; die Luft wurde schwarz und Steine pfiffen mir um die Ohren. Die Explosion, geradezu betäubend auf eine Entfernung von zwanzig Yard, mußte halbwegs bis nach Damaskus gehört worden sein.

Nuri suchte verzweifelt nach mir. Er hatte mir das Zeichen »Alles fertig« gegeben, ohne zu wissen, daß noch eine Kompanie der berittenen Infanterie fehlte. Zum Glück war meine Leibgarde zur Stelle. Tallal el Hareidhin führte sie den Hang hinauf, um die Kompanie zu suchen. Nuri und ich warteten unterdessen in dem gähnenden Loch, wo eben noch eine Brücke gestanden hatte, und entflammten eine elektrische Fackel als Wegweiser.

Nach einer halben Stunde kam Mahmud und brachte die vermißte Kompanie im Triumph herangeführt. Schüsse wurden abgefeuert, um die übrigen Sucher herbeizurufen. Dann ritten wir drei Meilen auf Umtaije zu. Der Weg wurde schlecht, man kam über Moränen aus schlüpfrigem Basaltgeröll. Wir waren froh, bei unseren Truppen haltzumachen, und legten uns zu wohlverdientem Schlaf nieder.


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