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Achtundachtzigstes Kapitel

Ich verbrachte drei Tage der Ruhe in den Zelten der Panzerwagenabteilung in Guweira unter Gesprächen mit Alan Dawnay, Joyce und anderen und Erzählungen von unseren Ruhmestaten bei Tafileh. Aber die Freunde waren ein bißchen traurig über mein Glück, weil ihre große Expedition mit Faisal vor vierzehn Tagen, um Mudewwere einzunehmen, erfolglos geblieben war. Teils hatte das an dem alten Problem gelegen, Berufssoldaten und Freiwillige zur Zusammenarbeit zu bringen, teils war es die Schuld des alten Mohammed Ali el Beidawi gewesen, der die Beni Atijeh führte. Als er mit ihnen an eine Wasserstelle gekommen war, hatte er »Mittagsrast« geboten und war dort zwei Monate sitzengeblieben, dem hedonistischen Zug im Wesen der Araber nachgebend, der sie zu wehrlosen Sklaven materieller Genüsse macht. In Arabien, wo jeglicher Überfluß fehlt, wird leicht schon das Notwendigste an Nahrung zur Versuchung. Jeder Bissen, den sie über die Lippen bringen, kann zu einer alles andere überwuchernden Lust werden, wenn sie nicht wachsam sind. Dabei können es Genüsse so bescheidener Art sein wie frisches Wasser oder der Schatten eines Baumes; ihre Seltenheit macht sie gewissermaßen zu raren Leckerbissen, denen man sich im Übermaß hinzugeben nur allzu leicht verführt ist. Diese Neigung der Araber erinnert mich an das Wort des Apollonius: »Kommt weg, ihr Männer von Tarsus, die ihr an eurem Flusse sitzt gleich Gänsen, die trunken sind von seinem klaren Wasser!«

Aus Akaba trafen für mich dreißigtausend Pfund in Gold ein und außerdem meine Wodheiha, eine Kamelstute gelblicher Färbung und das beste Tier, das noch in meinem Stall vorhanden war: reines Ateibablut, das ihrem früheren Besitzer manches Rennen gewonnen hatte. Zudem war es in vorzüglicher Verfassung, gut genährt, aber nicht zu fett, die Hufe gehärtet durch viele Ritte über den kiesigen Boden des Nordens, das Fell dicht und mattglänzend. Sie war nicht sehr groß und sah etwas schwerfällig aus, hatte aber einen weichen Gang und war bequem zu reiten: ein leichter Druck auf die vordere Sattelbausche genügte, um sie nach rechts oder links zu wenden; ich ritt sie ohne Stock und las ruhig ein Buch im Sattel, wenn es der Marsch gestattete.

Da meine eigene Gefolgschaft in Asrak und Tafileh oder auch unterwegs war, bat ich Faisal um Begleitung für meine Rückkehr. Er stellte mir zwei Ateiba-Kamelreiter, Serdsch und Rameid, zur Verfügung, und außerdem zur Hilfe bei dem Goldtransport noch den Scheik Motlog, dessen Qualitäten wir entdeckt hatten, als unsere Panzerwagen seinerzeit die Ebenen zwischen Mudewwere und Tebuk erkundet hatten.

Motlog war damals als Landeskundiger mitgefahren und hatte, hoch auf dem getürmten Gepäckstapel eines Fordwagens thronend, uns den Weg gewiesen. Die Wagen waren aus und ein zwischen den Sandhügeln hindurchgerast, schwankend wie Boote auf hoher See. An einer scharfen Kurve waren sie wie toll auf zwei Rädern herumgeschlittert, und Motlog war kopfüber herausgeschleudert worden. Marshall hatte sofort angehalten, war besorgt zurückgelaufen und wollte sich eben für diese Fahrerei entschuldigen. Aber der Scheik, sich betrübt den schmerzenden Kopf reibend, sagte nur höflich: »Seien Sie mir, bitte, nicht böse; ich habe es nicht gelernt, diese Dinger zu reiten.«

Das Gold war in Säcken zu je tausend Pfund verstaut. Ich verteilte je zwei Säcke an vierzehn von Motlogs zwanzig Leuten, die beiden übrigbleibenden nahm ich selbst. Ein Sack wog zweiundzwanzig Pfund, und bei den schauderhaften Wegeverhältnissen waren zwei, rechts und links an den Satteltaschen baumelnd, für ein Kamel ein anständiges Gewicht. Wir brachen gegen Mittag auf und hofften auf einen langen ersten Marsch, bevor wir in die Ungunst der Berge kamen. Leider aber fing es schon nach einer halben Stunde zu gießen an, und ein veritabler Dauerregen durchnäßte uns gründlich; das Fell der Kamele kräuselte sich zusammen, daß sie aussahen wie nasse Hunde.

Motlog entdeckte ein Zelt im Schutz eines Sandsteinhügels, es war das des Scherifs Fahad. Trotz meines Vorwärtsdrängens bestand er darauf, hier die Nacht zu bleiben, um abzuwarten, wie es morgen in den Bergen aussähe. Ich wußte im voraus, daß das ein bedenklicher Entschluß sei und daß es dabei auf ein tagelanges, unentschlossenes Abwarten hinauskommen würde. Daher sagte ich ihm kurz entschlossen Lebewohl und ritt weiter, begleitet von meinen beiden Ateiba, Serdsch und Rameid, und von sechs Howeitat aus der Gegend von Schobek, die sich meiner Karawane angeschlossen hatten.

Die Auseinandersetzung hatte uns aufgehalten, und so erreichten wir erst bei Dunkelheit den Fuß der Paßhöhe. In dem beharrlichen trostlosen Regen bereuten wir fast schon unsere Tatkraft und beneideten Motlog, der jetzt wohlgeborgen im Zelt bei Fahad saß, als wir plötzlich links von uns rötlichen Feuerschein entdeckten. Wir ritten darauf zu und fanden Saleh ibn Schefia, der dort mit seinem Aufgebot von dreihundert Freiwilligen aus Janbo in einem Zelt und drei Höhlen lagerte. Saleh, der Sohn des guten alten Mohammed, unseres Spaßmachers, war jener Mann, der seinerzeit mit seiner Schar bei der Eroberung von Wedsch so tapfer mitgeholfen hatte.

»Cheyf ent?« (Wie geht es Ihnen?) sagte ich mit ernstem Gesicht zwei- oder dreimal. Seine Augen sprühten in der Art der Dschuheina. Er kam auf mich, zu, neigte den Kopf, und mit seiner kräftigen Stimme wiederholte er wohl an die zwanzig Mal: »Cheyf ent«, ohne ein einziges Mal Atem zu schöpfen. Da ich mich nicht gern übertrumpfen ließ, gab ich den Gruß vielleicht ein dutzendmal ebenso feierlich zurück. Darauf hub er wieder an mit einer noch längeren Folge, dabei weit über zwanzigmal hinausgehend. So gab ich es auf, zu erforschen, wie oft sich im Wadi Janbo die Begrüßung wiederholen kann.

Trotz meines völlig durchnäßten Zustandes führte er mich auf seinen Teppich im Zelt und versah mich mit einem neuen, eigens von seiner Mutter genähten Gewand, indes wir auf das Mahl warteten: heißdampfendes Fleisch mit Reis. Dann legten wir uns nieder und schliefen sehr zufrieden die ganze Nacht durch, während der Regen auf das doppelte Leinendach seines Mekkazeltes trommelte.

Früh am Morgen waren wir wieder auf und verzehrten rasch einige Handvoll von Salehs Brot. Als wir dann den Aufstieg begannen, blickte Serdsch empor und sagte: »Der Berg trägt sein Hauskäppchen.« Auf jedem Gipfel lag ein weißes Schneedach, und die Ateiba eilten rasch die Höhe zum Paß hinauf, um dieses neue Wunder mit Händen zu fühlen. Auch die Kamele kannten noch keinen Schnee und beugten zwei- oder dreimal ihre langen Hälse nieder, um diese blendende Weiße prüfend zu beschnuppern; dann aber streckten sie ihre Köpfe vor und blickten geradeaus, ohne des weiteren noch Interesse dafür zu zeigen.

Als wir dann später die Köpfe über den letzten Höhenrand steckten, fuhr uns ein Sturmwind aus Nordost in die Zähne, so schneidend und eisig, daß wir, nach Atem ringend, schleunigst wieder in sicheren Schutz zurückwichen. Es schien uns einfach unmöglich, diesem Sturm zu trotzen; aber wir wußten, das war Torheit, und so drängten wir uns dicht aneinander und arbeiteten uns vor, bis wir wenigstens vor der ersten Gewalt des Sturmes in einem Tal ein wenig Schutz fanden. Serdsch und Rameid, erschrocken über den ihnen ungewohnten schneidenden Schmerz in den Lungen, glaubten, sie müßten ersticken. Um ihnen den inneren Kampf mit der Verlockung gastlich winkender Zelte zu ersparen, führte ich meine kleine Schar in weitem Bogen um den Hügel herum, hinter dem verborgen Maulud mit seiner vom Wetter hart mitgenommenen Truppe lagerte.

Maulud mit seinen Leuten hatte es hier, viertausend Fuß über Meereshöhe, schon zwei Monate ohne Ablösung ausgehalten. Sie hausten in niedrigen, in den Berghang gegrabenen Löchern. Sie hatten kein Brennholz außer dem spärlichen, feuchten Gestrüpp des Wermuts, das knapp dazu reichte, um sich jeden zweiten Tag das allernotwendigste Brot zu backen. Bekleidet waren sie nur mit dem Khakileinen der englischen Sommeruniform. Sie schliefen in den vom Regen durchweichten, von Würmern wimmelnden Löchern auf leeren oder halbleeren Mehlsäcken, zu sechs oder sieben eng zusammengeknäult, damit die wenigen zerschlissenen Lagerdecken allen wenigstens etwas Wärme spendeten.

Wohl die gute Hälfte von ihnen starben oder trugen für ihr ganzes Leben einen Schaden davon durch die Kälte und Nässe. Und dennoch hielten sie die Wacht, wechselten täglich Schüsse mit den türkischen Außenposten, und nur die Ungunst des Wetters bewahrte sie vor einem vernichtenden feindlichen Angriff. Wir hatten ihnen viel zu verdanken, mehr noch Maulud, dessen mutiges Ausharren ihnen den Rücken stärkte.

Die Geschichte des alten, narbenbedeckten Kriegers im türkischen Heer bestand aus einer langen Liste von Zusammenstößen, die sein starkes Gefühl von arabischer Ehre und Freiheit verschuldet hatte, für ihn ein Glaube, dem er drei- oder viermal seine guten Aussichten geopfert hatte. Es mußte wohl ein starker Glaube sein, der ihn dazu brachte, drei Wintermonate bei guter Laune vor Maan auszuhalten und noch so viel Begeisterung in fünfhundert Mann zu erwecken, daß sie beherzt mit ihm durchhielten.

Uns brachte freilich auch dieser eine Tag schon Mühsal genug. Zunächst, auf dem breiten Rücken oberhalb Aba el Lissan, war der Boden hart gefroren, und nur der scharfe Gegenwind hinderte unser rasches Vorwärtskommen. Aber dann begannen erst die eigentlichen Schwierigkeiten. Mitten im Schlamm am Fuß einer zwanzig Fuß hohen, steilen und mit glitschrigem Lehm überzogenen Erhebung standen die Kamele still und äugten darauf hin, als wollten sie sagen, wir können euch unmöglich dahinauf tragen. Wir saßen ab, um sie zu führen, rutschten aber mit ihnen schon nach wenigen Schritten wieder hinunter. Schließlich zogen wir unsere neuen, kostbaren Stiefel aus, die man uns zum Winter gegeben hatte, und barfuß vorauskletternd, hißten wir die Kamele den steilen Hang hinauf, so wie wir es schon auf dem Hinmarsch getan hatten.

siehe Bildunterschrift

Ghalib.
Pastellzeichnung von Kennington

Damit war es mit der Annehmlichkeit des Reitens so ziemlich vorbei, und wir mußten bis Sonnenuntergang wohl an die zwanzig Mal absteigen. Manchmal war dieses Absitzen unfreiwillig, wenn nämlich die Kamele ausrutschten und hinstürzten, wobei dann zum Rumpeln ihrer Bäuche, die wie hohle Fässer klangen, die Goldstücke in den Säcken lustig klapperten. Solange sie noch bei Kräften waren, machte sie das ewige Hinstürzen so böse, wie nur Kamelstuten sein können; später begannen sie laut zu klagen und wurden scheu. Auch wir waren ziemlich kurz angebunden miteinander, denn der widerwärtige Wind ließ uns keine Ruhe. Nichts ist schlimmer in Arabien als ein Nordwind auf der Hochfläche von Maan, und gerade heute stürmte er in ungewohnter Heftigkeit und mit schneidender Kälte daher. Es blies durch unsere Kleider hindurch, daß man das Gefühl hatte, nackt zu sein, machte die Finger zu steifen Klumpen, daß man weder Reitstock noch Zügel halten konnte, und verkrampfte unsere Schenkel, daß wir keinen Halt mehr hatten im Sattel. Wenn wir daher von unsern stürzenden Tieren abgeworfen wurden, so flogen wir jedesmal im Reitsitz, steifgefroren mit gekreuzten Beinen, auf den Boden.

Immerhin aber regnete es nicht, der Wind trocknete den Boden, und standhaft setzten wir unsern Weg gen Norden fort. Am Abend hatten wir bereits das Flüßchen Basta erreicht. Demnach also waren wir mehr als eine Meile in der Stunde vorwärtsgekommen, und da ich fürchten mußte, daß Mann und Kamele am nächsten Morgen zu erschöpft sein würden, um Ähnliches zu leisten, wollte ich den heutigen Tag ausnutzen und trieb meine Schar in der Dunkelheit weiter über den kleinen Fluß. Er war angeschwollen, und die Tiere scheuten; so mußten wir sie führen und zu Fuß durch drei Fuß tiefes, eisiges Wasser waten.

Als wir jenseits auf die Höhe kamen, stürzte sich der Wind wie ein wütender Feind auf uns. Gegen neun Uhr abends warfen sich meine Begleiter schreiend zu Boden und weigerten sich, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Ich selbst war nahe am Heulen, nur aus Ärger über ihr lautes Gejammer hielt ich an mich und war daher schließlich wider Willen froh, ihrem Beispiel zu folgen. Die neun Kamele wurden rings in eine Phalanx gelagert, und wir legten uns in den engen Kreis leidlich geschützt zwischen sie, umbrandet vom heulenden Sturm wie ein Schiff auf hoher See. Die wenigen Sterne am nächtlichen Himmel leuchteten hell, und es schien, als wechselten sie launenhaft ihre Plätze und Gruppierungen zwischen den Wolken, die über unsere Köpfe dahinjagten. Jeder von uns war mit zwei Armeedecken versehen, und wir hatten auch noch einen kleinen Brotvorrat; so waren wir gegen das Schlimmste gefeit und konnten in Dreck und Kälte wohlbehütet schlafen.


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