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Neunzigstes Kapitel

Am nächsten Morgen war ich fast schneeblind, aber froh und erfrischt. Ich sah mich nach irgendeiner Beschäftigung für die untätigen Tage um, bis der Rest des Goldes eintraf. Am Ende entschloß ich mich, die Wege nach Kerak und das Gelände, über das wir später nach dem Jordan vorrücken wollten, persönlich zu erkunden. Ich bat Seid, die vierundzwanzigtausend Pfund, die Motlog bringen würde, entgegenzunehmen und von dieser Summe die laufenden Ausgaben bis zu meiner Rückkehr zu bestreiten.

Seid erzählte mir, daß noch ein anderer Engländer in Tafileh sei. Diese Nachricht setzte mich in Erstaunen; ich machte mich auf den Weg und begegnete Leutnant Kirkbride, einem jungen, arabisch sprechenden Generalstabsoffizier, den Deedes geschickt hatte, um über die Möglichkeiten des Nachrichtendienstes an der arabischen Front Bericht zu erstatten. Es war der Anfang einer Verbindung, die uns Nutzen und Kirkbride Ehre brachte; er war ein stiller, zäher Mensch, noch ganz jung an Jahren, aber rücksichtslos gegen sich selbst und unermüdlich tätig; acht Monate war er der schweigsame Tischgenosse der arabischen Offiziere.

Die Kälte hatte nachgelassen, und Truppenbewegungen, auch in den Höhen, waren wieder möglich. Wir überquerten Wadi Ghesa und ritten bis an die Hänge des Jordantals, das jetzt von dem Vormarsch Allenbys widerhallte. Man erzählte, daß die Türken noch immer Jericho hielten. Von dort kehrten wir nach Tafileh zurück, nach einem Erkundungsritt, der unsere Aussichten sehr günstig erscheinen ließ. Es war durchaus möglich, den Anschluß an die Engländer zu gewinnen, teilweise waren die Wege sogar gut. Das Wetter war so schön, daß wir zweckmäßigerweise sofort aufbrachen und hoffen konnten, in einem Monat am Ziel zu sein.

Seid hörte mich kühl an. Ich sah Motlog neben ihm, begrüßte ihn sarkastisch und fragte, ob er das Geld nicht etwa unterwegs verloren hätte; dann wiederholte ich meine Vorschläge über das, was jetzt zu unternehmen wäre. Seid unterbrach mich: »Dazu gehört aber eine Menge Geld!« Ich meinte: »Durchaus nicht, unsere Kapitalien werden zur Deckung der Ausgaben reichen und sogar noch darüber hinaus.« Seid erwiderte, daß er nichts mehr habe, und als ich ihn mit offenem Munde anstarrte, murmelte er ziemlich unverschämt, daß er alles ausgegeben habe, was Motlog gebracht hätte. Ich hielt das für einen schlechten Witz, aber er erklärte, daß wir soundso viel Dhiab dem Scheik von Tafileh schuldig gewesen wären, soundso viel den Dorfbewohnern, soundso viel den Dschasi Howeitat, soundso viel den Beni Sakhr.

Für eine Defensive lediglich wären solche Ausgaben verständlich gewesen. Die erwähnten Stämme saßen rings um Tafileh, und ihre Blutfehden machten es uns unmöglich, sie nördlich des Wadi Ghesa zu verwenden. Es stimmte zwar, daß die Scherifs beim Vormarsch alle Waffenfähigen in jedem Bezirk zu einer bestimmten Löhnung anwarben, aber es galt für selbstverständlich, daß diese Löhnung nur fiktiv war und nur ausgezahlt wurde, wenn die Leute auch wirklich zum aktiven Dienst eingezogen wurden. Faisal hatte mehr als vierzigtausend Mann in seinen Listen in Akaba stehen, während seine englischen Hilfsgelder nicht einmal zur Entlohnung von siebzehntausend Mann ausreichten. Der Sold für die anderen war nominell fällig und wurde oft angefordert, aber er stellte keine gesetzliche Verpflichtung dar. Und Seid sagte, daß er ihn ausbezahlt hatte!

Ich war entsetzt, denn das bedeutete den völligen Ruin meiner Pläne und Hoffnungen und den Zusammenbruch unserer Bemühungen, Allenby das gegebene Versprechen zu halten. Seid blieb dabei, daß das Geld weg war. Später ging ich, um die Wahrheit zu erfahren, zu Nasir, der mit Fieber zu Bett lag. Er meinte kleinmütig, daß die Sache ganz anders zusammenhinge und Seid zu jung und zu schwach sei, um seinen unehrlichen, feigen Beratern entgegenzutreten.

Die ganze Nacht lang überlegte ich, was zu tun sei, fand aber keinen Ausweg. Als es Morgen war, ließ ich Seid sagen, daß ich fortgehen müsse, wenn er mir das Geld nicht zurückgäbe. Er schickte mir die angebliche Abrechnung über das ausgegebene Geld. Als wir beim Packen waren, erschienen Joyce und Marshall. Sie waren von Guweira hergeritten, um mir eine angenehme Überraschung zu bereiten. Ich erzählte ihnen, wie es gekommen war, daß ich nun zu Allenby zurückginge, um den Entscheid über meine weitere Verwendung in seine Hände zu legen. Joyce appellierte vergeblich an Seid und versprach, Faisal die nötigen Aufklärungen zu geben.

Er wollte auch meine Angelegenheiten abschließend regeln und meine Leibgarde entlassen. So war es mir möglich, mit nur vier Begleitern spät am Nachmittag nach Bersaba aufzubrechen, auf dem kürzesten Wege zum englischen Hauptquartier. Bei dem anbrechenden Frühling war der erste Teil des Rittes längs der breiten Senke des Wadi Araba überwältigend schön, und meine Abschiedsstimmung brachte mir diese Herrlichkeiten schmerzlich zum Bewußtsein. Die Gründe tief unter uns waren dicht mit Bäumen bestanden; aber mehr nach der Höhe zu uns hin waren die steilen Hänge, von oben gesehen, bedeckt mit einem Mosaik kleiner Grasflächen, unterbrochen von kahlen Felsabstürzen in mannigfachen Färbungen. Manche dieser Farben waren die natürlichen des Gesteins, andere waren zufällig durch das Schmelzwasser entstanden, das die Wände herabfloß, teils in kleinen sprühenden Bächen, teils wie in einem Diamantregen über die niederhängenden Zweige grüner Farnkräuter hinweg.

In Buseira, dem kleinen Dorf auf einem Felsvorsprung über dem Abgrund, bestanden meine Leute darauf, daß wir zum Essen haltmachten. Ich willigte ein, denn wenn wir hier unsere Kamele mit ein wenig Gerste fütterten, konnten wir die ganze Nacht durchreiten und schon am Morgen Bersaba erreichen. Aber um eine Verzögerung zu vermeiden, weigerte ich mich, die Häuser des Dorfes zu betreten, und aß statt dessen auf dem kleinen Friedhof, als Tisch einen Grabstein, in dessen Fugen Haarflechten einzementiert waren – der von den Trauernden geopferte Kopfschmuck. Später ritten wir die Zickzackwege des großen Passes hinunter in den heißen Grund des Wadi Dhalal, über dem Berge und Felsriffe so dicht zusammenstießen, daß die Sterne kaum in die Pechfinsternis des Tales hineinleuchteten. Wir machten einen Augenblick halt, bis die Kamele das nervöse Zittern in den Vorderbeinen, eine Folge des schweren und steilen Abstiegs, verloren hatten. Dann wateten wir, unsere Tiere bis über die Fesseln im Wasser, das überflutete Wadibett hinab, unter einem langen Bogengang von raschelndem Bambus, der so dicht über unseren Köpfen zusammenstieß, daß die Wedel unsere Gesichter streiften. Das ungewohnte Echo dieses überwölbten Durchgangs erschreckte unsere Kamele, und sie setzten sich in Trab.

Bald waren wir aus diesem Bambusweg und aus den Windungen des Tales heraus und trabten quer über den weiten, offenen Grund des Wadi Araba. Wir gelangten an das Strombett in der Mitte und entdeckten, daß wir vom Wege abgekommen waren – kein Wunder, denn wir richteten uns nur nach meiner drei Jahre alten Erinnerung an Newcombes Landkarte. Eine halbe Stunde verloren wir mit der Suche nach einem Aufstieg für die Kamele über den steilen Uferrand.

Schließlich fanden wir einen geeigneten Ausgang und schlängelten uns jenseits durch die Windungen des mergeligen Labyrinths. Es bot einen seltsamen Anblick; der salzhaltige Boden war völlig unfruchtbar, und das Ganze glich fast einem plötzlich zu hartem, faserigem Gestein erstarrten wildbewegten Meer, in grauer Öde daliegend unter dem fahlen Schein des halben Mondes. Später wandten wir uns nach Westen, bis der langastige Baum von Husb sich gegen den Himmel abzeichnete und wir das Murmeln des großen Baches hörten, der unter seinen Wurzeln entquoll. Unsere Kamele tranken daraus ein wenig. Sie waren fünftausend Fuß von den Bergen von Tafileh heruntergekommen und mußten jetzt wieder dreitausend Fuß nach Palästina hinaufklettern.

Plötzlich sahen wir in den niedrigen Vorbergen vor dem Wadi Murra ein Feuer aus großen Scheiten, frisch aufgeschichtet und noch in heller Glut. Kein Mensch war zu sehen, ein Beweis, daß Leute irgendeiner Streifabteilung das Feuer entzündet hatten; es war jedoch nicht nach Nomadenart angelegt. Da es noch hell brannte, mußten sie sich in der Nähe befinden, und da es sehr groß war, mußten es viele sein. So machten wir uns der Vorsicht halber eilig davon. Tatsächlich war es das Lagerfeuer einer englischen Fordwagenabteilung unter den beiden berühmten Macs gewesen, die einen Autoweg vom Sinai nach Akaba ausfindig machen sollte. Sie lagen im Schatten versteckt und hatten ihre Maschinengewehre auf uns gerichtet.

Wir erklommen den Paß, als der Tag anbrach. Es regnete ein wenig, angenehm milde nach den Unwettern oben in Tafileh. Fetzen hauchdünner Wolken hingen unwahrscheinlich regungslos in den Bergen, als wir gegen Mittag über die flache Ebene nach Bersaba ritten. Es war eine gute Leistung, beinahe achtzig Meilen die Berge hinunter und wieder hinauf.

Man erzählte, daß Jericho gerade eingenommen worden war. Ich ging gleich zu Allenbys Hauptquartier. Ich traf Hogarth an, und ihm berichtete ich, daß ich alles verdorben hätte und gekommen sei, um Allenby um eine weniger verantwortungsreiche Verwendung zu bitten. Ich hätte mich mit meiner ganzen Person für die arabische Sache eingesetzt und infolge meiner mangelhaften Urteilsfähigkeit Schiffbruch erlitten. Den Anstoß dazu hätte Seid gegeben, Faisals eigener Bruder, ein junger Mensch, den ich wirklich gern hätte. Ich wüßte nun keine Kunststücke mehr, womit man sich auf dem Marktplatz Arabiens sein Brot verdienen könnte, und sehnte mich nach der Sicherheit des Herkömmlichen. Mich verlangte, geleitet zu werden, mich auf Pflicht und Gehorsam stützen zu können und keine Verantwortung zu tragen.

Ich beklagte mich darüber, daß man mir seit meiner Landung in Arabien immer freie Wahl gelassen hätte und mir immer nur mit Ansuchen statt mit Befehlen gekommen wäre. Aber ich wäre sterbensmüde vom ewigen freien Willen und hätte auch noch manches andere satt. Anderthalb Jahre wäre ich immer in Bewegung gewesen, hätte jeden Monat tausend Meilen auf dem Kamelrücken zurückgelegt, und dazu kämen noch nervenaufreibende Stunden in schlechten Flugzeugen oder Gerase quer durch das Land in abgenutzten Kraftwagen. Ich wäre in den letzten fünf Gefechten jedesmal verwundet worden, und mein Körper fürchtete jeden weiteren Schmerz in solchem Maße, daß ich mich jetzt zwingen müßte, ins Feuer zu gehen. Meist hätte ich gehungert, in letzter Zeit auch stets gefroren; und Frost und Schmutz hätten meine Wunden zu einer Masse eiternder Schwären gemacht.

Indessen hätten diese Scherereien bei meiner Verachtung für den Körper und insbesondere für meinen eigenen verschmutzten Körper den ihnen gebührenden untergeordneten Platz eingenommen. Aber dazu käme ja die zermürbende Betrügerei, die mein Geist sich zur Gewohnheit machen müßte, das Vorgeben, Führer der nationalen Erhebung eines fremden Volkes zu sein, die tägliche Verstellung in einer fremden Tracht, das Predigen in einer fremden Sprache – und hinter allem stände das Bewußtsein, daß die »Versprechungen«, auf die sich die Araber verließen, so viel wert waren, wie ihre bewaffnete Macht wert sein würde, wenn der Tag der Erfüllung gekommen wäre.

Wir hätten uns vorgetäuscht, daß bei Friedensschluß die Araber, allein gelassen und ohne Erfahrung, imstande wären, ihre Sache mit papierenen Werkzeugen zu verteidigen. Inzwischen bemäntelten wir unseren Betrug, indem wir ihren notwendigen Krieg auf eine wohlfeile und uns vorteilhafte Weise leiteten. Aber jetzt wäre dieser trügerische Schein von mir genommen. Und die zweck- und sinnlosen Morde von Ghesa empfände ich als Anklage gegen meinen Dünkel. Mein Wille wäre dahin, und ich fürchtete mich davor, allein zu sein, damit nicht meine ausgeleerte Seele gänzlich zum Teufel ginge.


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