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Sechsundneunzigstes Kapitel

Nasir griff die Station Ghesa auf seine alte Art an: er unterbrach in der Nacht vorher die Strecke nach Norden und Süden und eröffnete, sobald es hell genug war, ein heftiges Artilleriefeuer auf die Gebäude. Rasim war unser Kanonier und unsere Kanone die Kruppsche Antiquität von Medina, Wedsch und Tafileh. Als der Widerstand der Türken nachließ, stürmten die Araber die Station, wobei die Beni Sakhr und die Howeitat um die Führung wetteiferten.

Wir hatten natürlich keine ernstlichen Verluste, wie es bei dieser Taktik meist der Fall war. Hornby und Peake verwandelten die Station in einen Trümmerhaufen; sie sprengten den Brunnen, die Tanks, Lokomotiven, Pumpen, Gebäude, drei Brücken, das Wagenmaterial und etwa vier Meilen Gleise. Am nächsten Tag rückte Nasir nach Norden und zerstörte die Station Faraifra. Peake und Hornby setzten die Arbeit an diesem Tag und dem folgenden fort. Alles in allem mochte es wohl unser größtes Zerstörungswerk sein. Ich beschloß, hinzureiten und mir selbst die Sache anzusehen.

Ein Dutzend meiner Leute begleiteten mich. Unterhalb des Bergrückens von Raschidija kamen wir zu dem einsam stehenden Baum, genannt Schedscherat el Tajar. Unter seinen dornigen Ästen, die behangen waren mit Fetzen von Kleidungsstücken, dargebracht als Opfergabe von vorübergehenden Wanderern, machten meine Haurani halt. Mohammed sagte: »Es geschehe, o Mustafa!« Mustafa glitt widerstrebend aus dem Sattel und zog seine Kleider Stück für Stück aus, bis er beinahe nackt war; dann legte er sich in gekrümmter Stellung über die verfallene Steinpyramide. Die anderen Haurani stiegen ab. Jeder von ihnen riß einen Dorn ab (sie waren hart und scharf wie Stahl), ging in feierlichem Aufzug an Mustafa vorbei, trieb ihm die Dornen tief ins Fleisch und ließ sie darin stecken. Die Ageyl schauten mit offenem Munde dieser Zeremonie zu, doch noch bevor sie zu Ende war, schwangen sie sich mit affenartiger Behendigkeit aus dem Sattel und stachen nun auch ihrerseits mit sinnlichem Grinsen Dornen in die Stellen von Mustafas Körper, wo es am meisten schmerzen mußte. Mustafa zitterte, blieb aber ruhig liegen, bis Mohammed sagte: »Steh auf!« (Er gebrauchte dabei die weibliche Form der Anrede.) Dann zog er sich traurig die Dornen heraus, kleidete sich an und stieg wieder in den Sattel. Abdulla wußte nicht den Grund für diese Strafe, und die Haurani ließen erkennen, daß sie nicht danach gefragt zu werden wünschten. In Ghesa angelangt, fanden wir Nasir mit sechshundert Mann unter Felsen und Gebüschen verborgen, da sie feindliche Luftangriffe fürchteten, durch die sie schon viel gelitten hatten. Eine Bombe war in einen Wassertümpel gefallen, gerade als elf Kamele daraus tranken, und hatte sie rings um das Ufer unter abgerissenen Oleanderblüten tot niedergestreckt. Wir schrieben an den Vizeluftmarschall Salmond und baten ihn, durch einen wirksamen Gegenschlag Vergeltung zu üben.

Nasir hatte noch immer die Bahnlinie in der Hand, und sooft Peake und Hornby über Sprengstoff verfügten, machten sie sich an der Strecke zu tun. Sie hatten eine Überführung gesprengt und entwickelten jetzt eine neue Technik in der Zerstörung der Gleise, indem sie jeden Abschnitt, sobald er gesprengt war, dauernd besetzt hielten. Diese zerstörte Strecke reichte vierzehn Meilen weit, von Sultani im Norden bis nach Dschurf im Süden. Nasir hatte vollkommen begriffen, wie wichtig es war, daß er seine Tätigkeit fortsetzte, und wir konnten hoffen, daß er damit durchhielt. Er hatte zwischen zwei Kalksteinfelsen, die sich scharf wie Zähne von den grünen Berghängen abhoben, eine geräumige und bombensichere Höhle gefunden. Die Hitze im Tal und die Fliegenplage waren jetzt noch nicht sonderlich schlimm; das Tal führte Wasser und hatte fruchtbare Weiden. Gleich dahinter lag Tafileh, und wenn Nasir in Bedrängnis geriet, brauchte er nur eine Nachricht zu schicken, und die berittene Bauernschaft aus den Dörfern kam auf ihren struppigen kleinen Pferden über die Berge angehetzt, um ihm zu helfen.

Am Tage unserer Ankunft sandten die Türken eine Abteilung von Kamelreitern, Kavallerie und Infanterie aus, um als ersten Gegenschlag Faraifra wieder zu besetzen. Nasir war sofort auf den Beinen und rückte ihnen auf den Leib. Während seine Maschinengewehre die Türken zwangen, die Köpfe einzuziehen, galoppierten die Abu Taji bis auf hundert Yard an die zerbröckelnde Mauer heran, die die einzige Deckung war, und trieben alle Kamele und ein paar Pferde davon, die der Feind dort abgestellt hatte. Reittiere den Beduinen zu zeigen ist die sicherste Art, sie zu verlieren.

Als ich später mit Auda unten bei der Gabelung des Tales war, hörten wir über uns das Knattern und Brummen von Mercedesmaschinen. Die Natur verstummte unter diesem alles beherrschenden Geräusch, sogar Vögel und Insekten. Wir verkrochen uns zwischen herabgefallenem Geröll; die erste Bombe hörten wir weiter unten im Tal explodieren, wo Peakes Lager in einem zwölf Fuß tiefen Oleanderdickicht versteckt lag. Die Maschinen flogen offenbar auf uns zu, denn die nächsten Bomben klangen schon näher; die letzte kam gerade vor uns, in der Nähe der erbeuteten Kamele, mit einem schmetternden, staubaufwirbelnden Krachen herunter.

Als der Rauch sich verzog, lagen zwei Kamele, im Todeskampf um sich schlagend, am Boden. Ein Mann, dem das Gesicht weggeschossen war und das Blut aus den roten Fleischfetzen um den Hals herausspritzte, kam strauchelnd und schreiend auf unseren Felsen zugerannt. Er stürzte blind über ein paar Leute, glitt aus und griff mit ausgestreckten Armen rasend vor Schmerz um sich. Einen Augenblick später schon lag er still auf der Erde, und wir, die wir vor ihm auseinandergestoben waren, wagten uns an ihn heran. Aber er war tot.

Ich ging zu Nasir zurück, der in seiner Höhle in Sicherheit war; bei ihm war Nawaf el Fais, der Bruder Mithgals, des Häuptlings der Beni Sakhr. Nawaf, ein unsteter Mensch, war so erfüllt von Stolz und so besorgt um seine Ehre, daß er sich insgeheim zu jeder Gemeinheit herbeiließ, um sich vor der Öffentlichkeit nichts zu vergeben; außerdem war er unberechenbar – wie alle Männer des Faisclans –, wankelmütig wie sie, redselig und hatte unruhig flackernde Augen.

Unsere Bekanntschaft aus der Zeit vor dem Kriege war insgeheim ein Jahr vorher erneuert worden, als drei von uns eines Abends zu den Zelten seiner reichen Familie bei Sisa geschlichen waren. Fawas, der älteste Fais, war ein achtbarer Araber, führendes Mitglied der Damaskusgruppe und ein hervorragender Anhänger der Unabhängigkeitspartei. Er empfing mich mit vielen schönen Worten, nahm uns als seine Gäste auf, bewirtete uns reichlich und brachte uns, nachdem wir verschiedenes besprochen hatten, seine kostbarsten Bettdecken.

Ich hatte ein oder zwei Stunden geschlafen, als eine unterdrückte Stimme mir etwas durch einen nach Rauch riechenden Bart ins Ohr flüsterte. Es war Nawaf, der Bruder; er erzählte, daß Fawas, während er Freundlichkeit heuchelte, Reiter nach Sisa geschickt habe, und bald würden Truppen hier sein, um mich gefangenzunehmen. Wir saßen in der Falle. Meine Araber drängten sich zusammen, bereit zu kämpfen wie in die Enge getriebene Tiere, und wenigstens ein paar Feinde zu töten, bevor sie selber starben. Ich verabscheute diese Art des Kampfes. Wenn es zum Handgemenge kam, zum nackten Faustkampf, dann war ich erledigt. Der Ekel vor der fremden Berührung war schlimmer als der Gedanke an Tod und Niederlage; vielleicht weil einmal in meiner Jugend ein fürchterlicher Kampf dieser Art mir einen bleibenden Abscheu vor Berührung eingejagt hatte oder weil ich meinen Geist so sehr verehrte und meinen Körper so sehr verachtete, daß ich diesem nicht um jenes willen verpflichtet sein wollte.

Ich bat flüsternd Nawaf um Rat. Er kroch nach dem Zelteingang zurück, und wir folgten ihm, meine paar Sachen in der leichten Satteltasche zog ich hinter mir her. Hinter dem nächsten Zelt (seinem eigenen) knieten die Kamele angehalftert und gesattelt. Wir bestiegen sie behutsam. Nawaf holte seine Stute, und führte uns, das geladene Gewehr an der Hüfte, zur Bahn und darüber hinaus in die Wüste. Dort wies er uns mit einem Blick auf die Sterne die Richtung nach unserem vorgeblichen Ziel in Bair. Ein paar Tage später war Scheik Fawas tot.


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