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Neunundachtzigstes Kapitel

Am nächsten Morgen marschierten wir erfrischt weiter; aber das Wetter war feucht und naß, und aus dem grauen Dunst ragten die mit vergilbtem Wermutkraut bewachsenen Höhen. An ihren Hängen ragten die verwitterten Kalksteinrippen dieses uralten Bodens heraus. In den aufgeweichten Talgründen begannen unsere Schwierigkeiten von neuem. Jedes dieser nebelerfüllten Täler war ein einziger träger Strom schmelzenden Schnees; und schließlich begannen wieder neue dichte Schauer nasser Flocken zu fallen. Zu Mittag, es herrschte ein Zwielicht wie bei Anbruch des Abends, erreichten wir die trostlosen Ruinen von Odroh. Ein ab und zu Atem holender Wind blies, und träge dahinziehende Wolkenmassen und ein nebliger Sprühregen schlossen uns ringsum ein.

Ich wollte rechts abbiegen, um die Beduinen zwischen uns und Schobek zu vermeiden, denn die uns begleitenden Howeitat führten uns geradeswegs auf ihr Lager zu. Wir waren sechs Meilen in sieben Stunden geritten, und sie waren erschöpft. Die beiden Ateiba waren nicht allein erschöpft, sondern demoralisiert und schworen, sie würden sich um keinen Preis der Welt davon abhalten lassen, nach den Zelten zu reiten.

Ich meinerseits fühlte mich noch ziemlich frisch und nicht geneigt, durch die Gastfreundschaft der Stämme unnütz Zeit zu vergeuden. Die Geldnot Seids gab vortrefflichen Vorwand, um es auf eine Kraftprobe mit dem edomitischen. Winter ankommen zu lassen. Schobek war nur noch zehn Meilen entfernt, und ich hatte noch fünf Stunden Tageslicht. Daher beschloß ich, allein meinen Weg fortzusetzen. Gefahr war dabei nicht, denn in solchem Wetter war kein Türke oder Araber draußen, und ich war freier Herr aller Wege. Also nahm ich Serdsch und Rameid ihre vier Beutel Gold ab, und während sie durch das Tal hindurch noch an meiner Seite ritten, fluchte ich sie zur Hölle als erbärmliche Feiglinge, die sie wirklich nicht waren. Rameid rang in tiefen Schluchzern nach Atem, und Serdsch, überreizt von Schmerz, brach bei jedem Stoß seines Kamels in ein langgezogenes Stöhnen aus. Sie tobten vor kläglicher Wut, als ich sie entließ und fortritt.

Die Wahrheit zu sagen: ich hatte das beste Kamel. Die treffliche Wodheiha kämpfte sich tapfer weiter, nun unter dem dreifachen Gewicht des Goldes. Auf ebenen Stellen blieb ich im Sattel; bei Steigungen und Hängen krochen oder rutschten wir beide Seite an Seite, oft unter komischen Zwischenfällen, an denen auch sie offenbar ihren Spaß hatte.

Bei Sonnenuntergang hörte der Schneefall auf. Ich stieg zum Schobekfluß hinunter, drüben entdeckte ich eine bräunliche Spur, die, sich über die Hügel hinwegwindend, nach dem Dorfe hinführte. Ich gedachte den Weg abzukürzen; doch die hartgefrorene Kruste über dem schlammigen Ufer täuschte mich: ich brach durch die Eisdecke durch (sie war scharf wie Messer) und saß so fest im zähen Modder, daß ich schon fürchtete, ich müßte hier die ganze Nacht verbringen, halb im Schlamme steckend oder ganz darin versinkend, was den Tod wenigstens beschleunigt hätte.

Wodheiha, ein kluges Tier, hatte sich geweigert, in den Morast hineinzugehen; jetzt stand sie verlegen am festen Uferrand und blickte ernsthaft auf meine Scherze da im Schlamm. Doch mit Hilfe des langen Kopfhalfters, den ich noch in der Hand hatte, gelang es mir, sie zu einigem Näherkommen zu bewegen. Dann warf ich mich plötzlich mit meinem ganzen Körper rückwärts in den aufplatschenden Schlamm, und, mit der Hand rasch über den Kopf greifend, bekam ich ihr Fesselgelenk zu fassen. Sie scheute und drängte zurück und zog mich so heraus. Dann krochen wir flußabwärts bis zur sicheren Furt und gingen hinüber; erst hatte ich mich, freilich etwas zögernd, mitten in den Fluß gesetzt, um den stinkenden Schlamm abzuspülen.

Am ganzen Körper vor Kälte zitternd, saß ich wieder auf. Über einen Bergrücken hinweg gelangten wir an den Fuß des symmetrischen Bergkegels, dessen Höhe gekrönt war von der Ringmauer des alten Kastells von Monreale, die sich in edlen Formen vom Nachthimmel abhob. Der Kreideboden war hart, und es fror; fußtiefe Schneewehen lagen zu beiden Seiten des gewundenen Pfades, der zur Höhe hinaufführte. Das weißschimmernde Eis krachte laut unter meinen nackten Füßen, als ich mich dem Tor näherte. Um würdigen Einzug zu halten, stieg ich über die geduldige Schulter Wodheihas in den Sattel. Doch bereute ich das bald: das Tier scheute, beängstigt von diesem seltsamen Ort, und hastete eilig unter den Kragsteinen der breiten niedrigen Toreinfahrt hindurch, so daß ich ihnen nur mit knapper Not ausweichen konnte, indem ich mich seitwärts am Nacken Wodheihas niederbeugte.

Ich wußte, daß Abd el Majin noch in Schobek war, und ritt unbesorgt die nachtstille Straße hinauf im flimmernden Lichte der Sterne, das sein phantastisches Spiel mit den weißen Eiszapfen und ihren Schatten an den Mauern, auf den schneebedeckten Dächern und auf der Erde trieb. Wodheiha stolperte bedenklich über steinerne Stufen, die unter der dicken Schneedecke verborgen lagen; doch ich achtete nicht darauf, denn ich hatte mein Ziel für diese Nacht erreicht und brauchte überdies einen Sturz auf die pulvrige Schneedecke nicht zu fürchten. An einer Straßenkreuzung rief ich laut den nächtlichen Segensgruß; eine Minute darauf hörte ich eine heisere Stimme im Namen Gottes protestieren; sie kam hinter der dicken Sackleinwand hervor, mit der das viereckige Guckloch an dem schäbigen Hause rechts von mir verstopft war. Ich fragte nach Abd el Majin und bekam die Antwort: »im Regierungshaus«; es lag am anderen Ende nahe der alten Ringmauer.

Dort angelangt, rief ich wiederum. Eine Tür wurde aufgestoßen, und eine Wolke Lichtes fiel heraus, wirbelnd von Staub und Rauch, durch die ich schwarze Gesichter spähend nach mir auslugen sah. Ich rief sie freundlich bei Namen an und sagte, daß ich gekommen sei, um mit ihrem Herrn ein Schaf zu essen, worauf drei Sklaven lärmend und erstaunt herausgeeilt kamen. Sie nahmen meine Wodheiha in Empfang, die sie in den dunstigen Stall einstellten, wo sie selbst hausten. Einer leuchtete mir mit einem flammenden Span die steinerne Außentreppe zur Haustür hinauf und, an anderen Dienern vorbei, durch einen gewundenen Gang hin, dessen schadhaftes Dach von Wasser tropfte, bis zu einem winzigen Raum. Dort lag Abd el Majin auf einem Teppich, mit dem Gesicht nach unten, um möglichst wenig von dem Rauch in der Luft einzuatmen.

Meine Beine zitterten vor Müdigkeit; ich warf mich neben ihn auf den Teppich in gleicher Stellung wie er, um den erstickenden Dünsten eines offenen Beckens mit flammendem Holzfeuer zu entgehen, das in einer tiefen Fensternische der mächtigen Außenwand stand. Mein Gastfreund brachte trockene Kleidung für mich herbei, während ich mein nasses Zeug auszog und es zum Trocknen neben das Feuer hing, das jetzt, nur noch rotglühend, weniger beißend war für Augen und Kehle. Abd el Majin klatschte in die Hände, um das Abendessen zu beschleunigen und ließ »Fausan« (Tee im Harithdialekt, so benannt nach seinem Vetter, dem Gouverneur ihres Dorfes) servieren, heiß, würzig und reichlich; dann wurde der in Fett und Rosinen gedämpfte Hammel hereingebracht.

Nachdem er das Mahl gesegnet hatte, erklärte er, daß sie morgen entweder Hungers sterben oder auf Raub ausgehen müßten, da er hier zweihundert Mann hätte und weder Nahrung noch Geld. Die zu Faisal entsandten Boten wären im Schnee steckengeblieben. Daraufhin klatschte ich nun meinerseits in die Hände, ließ meine Satteltaschen herbeibringen und übergab ihm fünfhundert Pfund als Anzahlung. Das war gute Bezahlung für das Essen, und wir waren recht vergnügt über meinen verrückten Einfall, zur Winterzeit ganz allein durch die Welt zu reiten mit sechs Säcken voll Gold als Gepäck. Ich wiederholte, daß auch Seid, wie er, in schwieriger Lage wäre, und erzählte von Serdsch und Rameid nebst den Howeitat. Des Scherifs Augen verdunkelten sich vor Zorn, und er hieb mit der Reitgerte durch die Luft. Ich erklärte ihm, um ihr Verhalten in milderem Licht erscheinen zu lassen, daß mir die Kälte nichts anhaben könne, da das englische Klima fast das ganze Jahr so wäre wie jetzt hier. »Gott behüte!« sagte Abd el Majin.

Nach einer Stunde entschuldigte er sich: er habe gerade eine Schobekfrau geheiratet. Wir sprachen von ihren Heiraten, deren Ziel es wäre, Kinder zu bekommen. Ich widersprach und zitierte den alten Dionysus von Tarsus.

Man fand es anstößig, daß er seine sechzig Jahre lang unverheiratet geblieben war, da sie die Zeugung für eine so unumgängliche körperliche Notwendigkeit hielten, wie die Verdauung. Sie wiederholten ihre Hälfte des vierten Gebots. Ich fragte sie, wie sie sich denn an ihren Kindern freuen könnten, den verkörperten Beweisen der Wollust, und forderte sie auf, sich vorzustellen, wie es in dem Geist von Kindern aussehen müsse, wenn sie dieses blutige, blinde Etwas, das sie selber wären, wie Würmer aus dem Leib der Mütter herauskriechen sähen. Er hielt das für einen ausgezeichneten Witz. Und darauf wickelten wir uns in unsere Decken und schliefen warm und fest. Der Flöhe gab es zahllose, aber meine Nacktheit, der arabische Schutz gegen ein verseuchtes Lager, linderte die Plage; und von den Bissen und Beulen spürte ich infolge meiner großen Ermüdung nicht viel.

Am Morgen erwachte ich mit schauderhaftem Kopfschmerz und erklärte, daß ich weiterziehen müßte. Zwei Männer fanden sich bereit, mich zu begleiten, obgleich alle erklärten, wir könnten Tafileh nicht in dieser Nacht erreichen. Nun, ich dachte, schlimmer als gestern wird es auch nicht kommen, und so stiegen wir vorsichtig den steilen, glatten Pfad des Bergkegels zur Ebene hinab, durch die noch heute die alte Römerstraße läuft, begleitet von umgestürzten Meilensteinen mit Inschriften ruhmvoller Kaiser.

Hier in dieser Ebene liefen mir die beiden Hasenfüße davon, zurück zu ihren Gefährten im Dorf. Ich arbeitete mich allein weiter, bald auf meinem Kamel, bald daneben herlaufend, denn der Weg war überall sehr glatt, ausgenommen auf der antiken Pflasterung, der letzten Spur des kaiserlichen Roms, das vor Zeiten mit soviel mehr Erfolg die Rolle des Türken gegenüber dem Wüstenbewohner gespielt hatte. Solange ich auf dieser Straße war, konnte ich reiten; nur den eingebrochenen Boden mußte ich zu Fuß durchwaten, wo die Fluten von vierzehn Jahrhunderten den Unterbau fortgewaschen hatten. Regen kam und durchnäßte mich; dann, mit leichtem Wind, kam wieder Frost; ich knackte in meiner Rüstung aus weißer Seide wie ein Theaterritter.

Nach drei Stunden hatten Wodheiha und ich in prachtvollem Ritt die Ebene hinter uns. Nun aber fing die Mühsal wieder an. Der Schnee lag sehr hoch, wie es meine Führer gesagt hatten, und kein Weg war mehr zu erkennen. Es ging jetzt in großen Windungen bergauf, zwischen Hügeln und wirren Steinhaufen hindurch. Es kostete mich schon ein Übermaß von Anstrengung, nur um die beiden ersten Biegungen herumzukommen. Wodheiha, erschöpft durch das ewige knietiefe Waten in diesem sinnlosen weißen Zeug, begann sichtlich zu erschlaffen. Doch stapste sie weiter, um gleich darauf bei einer abschüssigen Stelle am Rand des Pfades fehlzutreten. Wir kollerten beide zusammen einige achtzehn Fuß tief den Hang hinunter und landeten in einer hohen, verharschten Schneewehe. Nach dem Sturz richtete sie sich wimmernd wieder hoch und stand zitternd still.

Wenn Kamelhengste nicht mehr vom Fleck wollen, gehen sie gewöhnlich auf der gleichen Stelle, nach Tagen, ein; und ich mußte fürchten, daß ich nun auch an der Grenze der Leistungsfähigkeit einer Kamelstute angelangt war. Ich stellte mich vor sie hin, stemmte mich gegen den Schnee und versuchte sie herauszuziehen, vergebens. Dann verbrachte ich viel Zeit mit dem Versuch, sie von hinten vorzuschieben. Dann stieg ich auf, sie ging nieder; ich sprang ab, half ihr wieder hoch und überlegte, daß ihr vielleicht die Schneewehe zu mächtig sein könnte. So höhlte ich ihr einen prächtigen, kleinen Weg aus, einen Fuß breit, drei tief und achtzehn Schritt lang, meine bloßen Füße und Hände als Werkzeuge benutzend. Der Schnee war auf der Oberfläche so hart gefroren, daß ich meine ganze Kraft brauchte, um ihn erst durchzubrechen und dann auszuhöhlen. Die Kruste war scharf und riß mir Handgelenk und Fußknöchel auf, so daß das Blut herunterlief und der Wegrand mit rosa Kristallen gesäumt war, die aussahen wie blasses, sehr blasses Fleisch von Wassermelonen.

Darauf ging ich zu Wodheiha zurück, die geduldig noch auf dem gleichen Fleck stand, und stieg in den Sattel. Sie ging leicht an. Ich setzte sie in Trab, und im Schwung des Anlaufes kamen wir gleich den Hang wieder hinauf bis zum Weg. Jetzt gingen wir sehr vorsichtig weiter; ich, zu Fuß voraus, tastete mit dem Stock vorsichtig den Boden ab oder grub schmale Pfade, wenn die Schneeverwehung zu tief war. In drei Stunden hatte ich den Gipfel; seine westliche Seite war vom Winde freigefegt. Wir verließen daher den eigentlichen Weg und kletterten den zerklüfteten Grat entlang. Zur Linken sah ich über die schachbrettartigen Häuser des Dorfes Bana hinweg in das sonnige Araba, grün und frisch, Tausende von Fuß unter mir.

Später mußten wir von dem Grat abbiegen, und schwere Arbeit begann von neuem. Zuletzt blieb Wodheiha wieder unbeweglich stehen. Jetzt wurde die Sache ernst, denn der Abend war nahe. Wir waren ganz allein hier oben auf der Höhe, und wenn uns die Nacht hier fand und keine Hilfe kam, so mußte Wodheiha, dieses edle Tier, sterben. Zudem hatten wir noch die schweren Goldsäcke, und ich war mir doch nicht ganz sicher, ob man, selbst in Arabien, sechstausend Sovereigns, nur mit dem Siegel des Eigentümers versehen, so einfach am Wege deponieren und eine Nacht liegen lassen könnte. So blieb mir nichts anderes übrig, als das Tier hundert Yard weit auf unserer eigenen Spur wieder zurückzuführen. Ich stieg auf und trieb sie gegen den Hang zu. Sie ging willig an, und wir kamen in einem Zug bis auf den nördlichen Höhenrand, von dem aus man unten im Tal Rascheidiya, das Senussidorf, sehen konnte.

Auf dieser Seite des Berges, windgeschützt und von der Nachmittagssonne beschienen, war der Boden getaut. Unter dünner Schneeschicht war feuchter und schlammiger Grund, und als Wodheiha eilig darüber hintrabte, glitt sie aus und setzte sich auf den Boden, alle vier Füße vorgestreckt. Auf ihrem Schwanz, mich noch im Sattel, schlitterte sie, sich ein paarmal umdrehend, an die hundert Fuß flott hinunter. Sie mochte sich vielleicht den Schwanz dabei verletzt haben (unter dem Schnee waren Steine), denn unten angekommen, sprang sie hastig auf die Beine, stöhnte und schlug mit dem Schwanz aus wie ein Skorpion. Dann begann sie loszulegen und rannte mit einer Stundengeschwindigkeit von zehn Meilen, gleitend und rutschend, auf dem lehmigen Pfad Rascheidiya zu, während ich, in ständiger Furcht vor Sturz und gebrochenen Knochen, am Sattelknauf festgeklammert hing.

Einige von Seids Leuten, die hier auf ihrem Weg zu Faisal durch das Wetter festgehalten waren, kamen, als sie das laute Getrampel hörten, herbeigelaufen und schrien vor Vergnügen über einen so feierlichen Einzug in das Dorf. Ich fragte, was es Neues gäbe, und sie sagten, alles stände gut. Dann ritt ich noch die letzten acht Meilen bis nach Tafileh, übergab Seid seine Briefe und etwas Geld und legte mich erleichtert zu Bett … flohunempfindlich für eine weitere Nacht.


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