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Vierundneunzigstes Kapitel

Wir trafen die Inder am nächsten Morgen nahe beim Wadi el Dschins, wo sie unter einem einsamen Baum lagerten. Es schien alles wie damals vor einem Jahr bei jenem hoffnungsvollen und denkwürdigen Marsch gegen die Jarmukbrücken; wie damals ritt ich jetzt neben Hassan Schah, hörte wie damals das Wuchten und Klappern der Vickers-Geschütze in ihren Traggestellen; und wie immer mußten wir den Indern helfen, Lasten neu aufzubinden und verrutschte Sättel zu richten; sie schienen ebenso ungeschickt im Umgang mit Kamelen wie früher. So kamen wir nur langsam weiter und überschritten erst bei Dunkelheit die Bahn.

Dort verließ ich die Inder; denn ich fühlte mich ruhelos, und vielleicht, daß lange Ritte bei Nacht mein Gemüt besänftigen mochten. Also ritten wir fürbaß durch die kühle Dunkelheit auf Odroh zu. Als wir auf die dortige Höhe kamen, sahen wir links von uns Feuerschein, beständiges helles Aufflammen; es konnte aus der Gegend von Dscherdun kommen. Wir hielten an und hörten die dumpfen Schläge von Explosionen; eine breite Flamme erschien, wuchs immer höher und schlug dann in zwei Teile auseinander. Vielleicht, daß die Station brannte. Rasch ritten wir weiter, um uns bei Mastur zu erkundigen.

Doch die Stelle, wo er gestanden hatte, war verlassen, nur ein Schakal streifte über den alten Lagerplatz. Ich beschloß, geradeaus zu Faisal vorzudringen. Wir trabten im schärfsten Tempo, denn die Sonne stand schon hoch am Himmel. Der Weg war besät mit Heuschreckenschwärmen, was uns sehr hinderte – aus der Entfernung freilich sahen diese Tiere sehr hübsch aus, wie sie mit ihren silberschimmernden Flügeln durch die Luft schwirrten. Der Sommer war unerwartet über uns gekommen, mein siebenter bereits ohne Unterbrechung in diesem östlichen Lande.

Als wir uns dem Semna näherten, einem halbkreisförmigen Höhenrücken, der Maan beherrscht, hörten wir Gewehrfeuer vor uns. Einzelne Truppenabteilungen stiegen langsam den Hang zur Höhe hinan, um unterhalb des Kamms haltzumachen. Augenscheinlich hatten wir den Semna genommen, daher ritten wir dieser unserer neuen Stellung zu. Diesseits am Fuß der Höhe begegneten wir einem Kamel mit einer Krankentrage. Der Mann, der das Tier führte, sagte: »Maulud-Pascha« und wies auf seine Last. Ich stürzte hinzu und rief: »Maulud! ist er verwundet?« Er war einer der besten Offiziere der Armee und auch uns gegenüber von einer untadeligen Ehrenhaftigkeit. Der alte Mann erwiderte aus seiner Trage heraus mit schwacher Stimme: »Ja, Lurens-Bej, ich bin verwundet, aber Gott sei gelobt, nichts von Bedeutung. Wir haben den Semna genommen.« Ich sagte, ich wäre auf dem Weg dorthin; Maulud beugte sich in fieberhafter Erregung über den Rand der Bahre, kaum fähig zu sehen oder zu sprechen (sein Oberschenkel war oberhalb des Knies zerschmettert), und zeigte mir Punkt für Punkt, wie die Verteidigung der Höhe einzurichten wäre.

Wir kamen oben an, als eben die Türken begannen, ein schwaches Schrapnellfeuer auf uns zu eröffnen. Nuri Said führte an Stelle von Maulud. Er stand ruhig und kaltblütig auf der Höhe.

Ich fragte, wo Dschaafar wäre. Nuri sagte, daß er den Auftrag erhalten hätte, gegen Mitternacht Dscherdun anzugreifen. Ich erzählte ihm von dem nächtlichen Feuerschein, den wir gesehen hatten, was sicher als ein Zeichen des Erfolges gedeutet werden konnte. Gleich darauf kamen auch die Boten Dschaafars und meldeten, daß viele Gefangene gemacht und Maschinengewehre erbeutet wären; außerdem wäre die Station mit sämtlichen Gleisen zerstört. Durch diesen großen Erfolg war die nördliche Linie für viele Wochen lahmgelegt. Darauf erzählte mir Nuri, daß sie am vergangenen Morgen in der Dämmerung die Station Ghadir el Hadsch überfallen und samt fünf Brücken und vielem Gleismaterial in die Luft gesprengt hatten. Auf diese Weise war also auch die südliche Linie zum Stillstand gebracht.

Am späten Nachmittag wurde es in der Feuerlinie still. Beide Seiten hörten mit der zwecklosen Artillerieschießerei auf. Man sagte mir, Faisal wäre zur Zeit in Uheida. Wir setzten über den kleinen angeschwollenen Bach nahe bei einem Feldlazarett, wo Maulud lag. Mahmud, der rotbärtige Arzt, glaubte, daß Maulud ohne Amputation des Beines davonkommen würde. Faisal stand oben gerade auf der Spitze des Hügels, schwarz gegen die Sonne, deren abendliches Licht seine schlanke Gestalt mit einem seltsam schimmernden Dunst umwob und seinen Kopf durch die dünne Seide seines Kopftuchs hindurch wie mit Gold umleuchtete. Ich ließ mein Kamel niedergehen. Faisal streckte mir seine beiden Hände entgegen und rief: »So Gott will, gut?« Ich erwiderte: »Ehre und Sieg stehen bei Gott.« Dann führte er mich in sein Zelt, um Neuigkeiten mit mir auszutauschen.

Faisal hatte durch Dawnay, mehr als ich selbst wußte, über das Mißgeschick der Engländer vor Amman gehört, von der Ungunst des Wetters und der allgemeinen Verwirrung, und wie dann Allenby General Shea antelephoniert und wie Allenby eine seiner blitzartigen Entscheidungen getroffen hatte, um dem Unheil Einhalt zu tun, eine kluge und wohlüberlegte Entscheidung, obgleich sie uns schwere Sorgen bereitete. Joyce war im Lazarett, aber auf dem Wege der Besserung; und Dawnay stand in Guweira bereit, um mit allen Panzerwagen gegen Mudewwere vorzustoßen.

Faisal fragte mich über Semna und Dschaafar, und ich erzählte, was ich wußte, auch über Nuris Ansichten und die getroffenen Maßnahmen. Nuri hatte sich darüber beklagt, daß die Abu Taji den ganzen Tag über so gut wie nichts getan hätten. Auda stritt das entschieden ab; und ich erinnerte ihn an die Geschichte unserer ersten Einnahme des Plateaus und an meine spöttische Bemerkung, durch die ich die Abu Taji zu dem Angriff auf Aba el Lissan aufgestachelt hatte. Die Geschichte war neu für Faisal. Der alte Auda war tiefverletzt darüber, daß ich sie wieder aufwärmte. Er schwor mit allen Eiden, daß er heute sein Bestes getan habe, nur wären die Verhältnisse nicht günstig gewesen für eine Gefechtstätigkeit der Stämme; und als ich ihm auch weiterhin widersprach, stand er erbittert auf und verließ das Zelt.

Maynard und ich verbrachten die nächsten Tage damit, die vorgesehenen Unternehmungen zu überwachen. Die Abu Taji eroberten zwei Außenposten östlich der Eisenbahnstation, während Saleh ibn Schefia eine kleine vorgeschobene Stellung nahm, zwanzig Gefangene machte und ein Maschinengewehr erbeutete. Diese Erfolge gaben uns völlige Bewegungsfreiheit rund um Maan. Und dann am dritten Tag zog Dschaafar seine ganze Artillerie auf dem südlichen Rücken gegenüber Maan zusammen, indes Nuri Said eine Sturmabteilung zum Angriff gegen die Schuppen der Eisenbahnstation vorführte. Als er die letzte Deckung vor dem Sturm erreicht hatte, schwieg unser Artilleriefeuer. Wir kamen gerade mit einem Fordwagen vorbei, in dem wir die verschiedenen Phasen des Angriffs verfolgten, als Nuri, in tadellosem Anzug und Handschuhen, seine Briarpfeife rauchend, an uns herantrat und uns bat, zurück, zu Hauptmann Pisani, dem Artilleriekommandeur, zu fahren mit der dringenden Bitte um sofortige Unterstützung. Wir trafen Pisani händeringend und in Verzweiflung, da er alle verfügbare Munition verschossen hatte. Er sagte, er habe Nuri beschworen, nicht gerade in diesem Augenblick, wo es ihm gänzlich an Munition fehle, anzugreifen. Da war nun nichts zu machen, und wir mußten zusehen, wie unsere Leute wieder aus dem Bereich der Station zurückgeworfen wurden. Die Straße war bedeckt mit zusammengekrümmten Gestalten in Khakiuniform, und die von Schmerz geweiteten Augen der Verwundeten starrten uns vorwurfsvoll an. Sie hatten die Herrschaft über ihre verstümmelten Leiber verloren, und ihre zerfetzten Glieder zuckten hilflos. Wir sahen das alles an, aber es ging uns nicht ein; denn unsere Sinne waren nur von dem einzigen Gedanken erfüllt, daß wir einen Fehlschlag erlitten hatten.

Später mußten wir uns eingestehen, daß wir unserer Infanterie nie eine so vorzügliche Haltung zugetraut hätten; sie hatte sich, auch unter Maschinengewehrfeuer, prachtvoll geschlagen und das Gelände geschickt ausgenutzt. In so geringem Maße hatte sie der Führung bedurft, daß wir nur drei Offiziere verloren hatten. Maan bewies uns, daß die Araber sich selbst genug waren und den englischen Rückhalt nicht brauchten. Das gab uns für später größere Handlungsfreiheit, und so war der Fehlschlag doch nicht ganz ergebnislos.

Am nächsten Morgen, dem 18. April, zog sich Dschaafar, da er keine weiteren Verluste ertragen zu können meinte, in die Stellung auf dem Semna zurück, wo die Truppen blieben. Da er ein alter Schulfreund des türkischen Kommandanten war, sandte er ihm einen weißbeflaggten Brief mit der Aufforderung, sich zu ergeben. Der Kommandant antwortete, das würden sie sehr gern tun, hätten aber Befehl, bis zur letzten Patrone auszuhalten. Dschaafar bot eine Frist an, innerhalb derer sie ihren Munitionsbestand verfeuern könnten. Aber die Türken zögerten, bis es Dschemal-Pascha gelang, von Amman Truppen heranzuziehen, Dscherdun zurückzuerobern und eine Kolonne mit Lebensmitteln und Munition in die belagerte Stadt zu schicken. Die Eisenbahn blieb für Wochen unbenutzbar.

Gleich darnach beschloß ich, zu Dawnay zu gehen. Ich war etwas in Sorge, wie sich dieser nur an reguläre Kämpfe Gewöhnte mit seinem ersten Versuch im Guerillakrieg abfinden würde, zumal dabei erstmalig eine so schwierig zu handhabende und empfindliche Waffe wie Tanks Verwendung finden sollte. Außerdem sprach Dawnay kein Arabisch; auch Peake, sein Kamelsachverständiger, und Marshall, sein Arzt, waren darin sehr wenig geübt. Seine Truppen waren eine bunte Mischung aus Engländern, Ägyptern und Beduinen, und die beiden letzteren waren sich durchaus nicht gewogen. Daher machte ich mich gegen Mitternacht nach seinem Lager oberhalb Tell Schahm auf und bot mich ihm in möglichst unaufdringlicher Weise als Dolmetscher an.

Zum Glück empfing er mich freundlich und zeigte mir gleich die Aufstellung seiner Truppen. Es war das schönste militärische Bild, das man sich denken konnte. Hier stand geometrisch ausgerichtet der ganze Wagenpark, drüben in gleich peinlicher Ordnung die Tanks, an den geeigneten Stellen vorgeschoben die Feldwachen und Doppelposten mit schußbereiten Maschinengewehren. Sogar die Araber standen an einem gefechtsmäßig gewählten Platz in Deckung hinter einem Hügel, als Reserve, und man sah oder hörte nicht das geringste von ihnen. Durch irgendein Zauberkunststück hatten er und Scherif Hasaa es zuwege gebracht, diese unruhigen Geister regungslos an ihrem Platz zu halten. Ich mußte mir auf die Zunge beißen, um die Bemerkung zu unterdrücken, nur eins fehle an dieser Vollkommenheit, nämlich der Feind.

Als er mir dann seinen Operationsplan auseinandersetzte, stieg meine Bewunderung zu schwindelnder Höhe. Alle Gefechtsbefehle waren bis ins kleinste ausgearbeitet: ein vollständiges, streng auf die Minute festgesetztes Programm mit genau geregeltem Ablauf aller Bewegungen. Jede Einheit hatte ihre ganz bestimmte und fest umgrenzte Aufgabe: Mit Morgengrauen sollte von der Deckung des Hügels aus der »Talstützpunkt« angegriffen werden (Tanks). Die Wagen, mit geschlossenen Blenden, sollten vor Anbruch des Tageslichts »Bereitstellung« nehmen und überraschend in die feindlichen Gräben einbrechen. Dann sollten Gerätewagen 1 und 3 die Brücken A und B der Operationsskizze (Maßstab 1:250 000) um Punkt 1 Uhr 30 zerstören, währenddessen sollten die Tanks gegen den »Berg-Stützpunkt« vorfahren und ihn mit Unterstützung von Hasaa und seinen Arabern überrennen (Punkt 2 Uhr 15).

Hornby mit dem Sprengmaterial in Talbotwagen Nr. 40 531 und 41 226 sollte ihnen folgen und Brücken D, E und F zerstören, während die Truppen Eßpause machten. Nach dem Essen, wenn die tiefstehende Sonne freie Sicht durch die Luftspiegelung gestattete, um Punkt 8 Uhr auf die Sekunde, sollten die vereinigten Kräfte den »Südstützpunkt« angreifen: die Ägypter von Osten, die Araber von Norden, unterstützt durch Maschinengewehrschnellfeuer der Tanks und durch Brodies Zehnzöller, hinter dem »Beobachtungshügel« aufgestellt. Der Stützpunkt würde fallen, und die Angriffstruppen hatten sich dann gegen die Station Tell Schahm zu wenden, die von Brodie mit Schrapnellfeuer belegt und durch die Flugzeuge (Aufstieg Punkt 10 Uhr von der Lehmfläche der Rumm) bombardiert werden sollte; die Tanks hatten von Westen her gegen sie vorzufahren. Die Araber sollten den Tanks folgen, Peake mit dem Kamelreiterkorps von dem genommenen »Südstützpunkt« aus hangabwärts vorstoßen. »Um Punkt 11 Uhr 30 wird die Station genommen sein«, hieß es im Plan, der so mit Humor schloß. Doch hierin versagte er; denn die Türken, die doch von diesem Plan nichts wußten und es sehr eilig hatten, übergaben die Station zehn Minuten zu früh, der einzige Klecks auf dem blut- und fleckenlosen Programm dieses Tages.

Mit einer vor Bewunderung sanften Stimme fragte ich, ob denn Hasaa das auch begreifen würde. Ich wurde belehrt: da er keine Uhr habe, um die genaue Zeit festzustellen (dabei fiel mir schwer aufs Gewissen, daß ich doch endlich auch einmal meine Uhr richtig stellen müßte), so hätte er seine erste Bewegung zu machen, sobald die Tanks nordwärts schwenkten; seine spätere Tätigkeit würde durch direkten Befehl geregelt werden. Ich schlich hinweg und legte mich eine Stunde schlafen.

Bei Morgengrauen sahen wir die Tanks auf die sandigen Schützengräben zurollen, wo alles noch im Schlaf lag. Die verblüfften Türken kamen heraus und hoben die Hände hoch. Es war wie ein lustiges Kirschenpflücken. Darauf zog Hornby mit seinen beiden Rolls-Lastwagen los, legte ganze hundert Pfund Schießbaumwolle unter Brücke A und zerpulverte sie buchstäblich zu Staub. Der Luftdruck hätte uns beinahe aus unserm dritten Lastwagen herausgeschleudert, von dem aus wir das Gefecht großartig leiteten. Wir eilten hin, um Hornby das entschieden sparsamere Verfahren zu zeigen, nämlich mit Benutzung der Regenabzugslöcher als Minenkammern. Von da ab kamen die Brücken nur mit je zehnpfündiger Ladung herunter.

Als wir bei Brücke B waren, konzentrierten die Tanks ihr Maschinengewehrfeuer auf den »Bergstützpunkt«, einen Halbkreis hoher steinerner Brustwehren (deutlich sichtbar mit ihren langen Morgenschatten), auf einer Höhe, die zu steil war, als daß man hätte hinauffahren können. Hasaa stand schon bereit, unruhig vor Eifer; und die Türken waren so verdonnert durch das Geknatter und Gespritze aus vier Maschinengewehren, daß die Araber fast im Marschieren die Stellung nahmen. Kirschenpflücken Nummer zwei.

Danach gab es für die Truppen die vorgesehene Pause, für Hornby aber und mich (nun als Hilfssprenger) reichliche Tätigkeit. In den beiden Rolls-Royces, beladen mit zwei Tonnen Schießbaumwolle, fuhren wir die Bahnlinie entlang, und wo es uns gerade gut schien, flogen Brücken und Geleise in die Luft. Die Besatzung der Tanks deckte uns und mußte manchmal selbst unter ihren Wagen Deckung suchen, wenn Sprengstücke mit tönendem Gesang durch die raucherfüllte Luft gesegelt kamen. Ein zwanzig Pfund schwerer Feldstein fiel krachend auf das Panzerdeck eines der Wagen, machte aber nur eine harmlose Beule. In den Pausen wurden die gelungenen Zerstörungen photographiert. Das Ganze war schon mehr ein Jux, eine »bataille de luxe«. Nach dem im Stehen eingenommenen »Lunch« machten wir uns auf, um bei der Einnahme des »Südstützpunktes« zuzuschauen. Er fiel genau auf die festgesetzte Minute, nur nicht ganz programmäßig. Hasaa und seine Amran sollten sich sprungweise fein säuberlich heranarbeiten, wie es Peake und die Ägypter machten. Statt dessen dachten sie, es handelte sich hier um ein Hindernisrennen, und der ganze Haufe jagte im Galopp den Hang hinauf über Brustwehren und Gräben hinweg. Die kriegsmüden Türken gaben die Sache als zwecklos auf.

Nun kam der Hauptpunkt des Programms: der Sturm auf die Station. Peake ging von Norden dagegen vor und setzte sich dabei oft dem Feuer aus, um seine Leute, die nicht eben allzu wild waren auf Schlachtenruhm, vorwärts zu treiben. Brodie eröffnete in seiner üblichen Bedachtsamkeit das Artilleriefeuer, und die Flugzeuge kreisten dicht über den feindlichen Gräben, um pfeifende Bomben abzuwerfen. Die Tanks rollten rauchspeiend vor, und in dem Pulvernebel säumte sich der obere Rand des Hauptgrabens mit Türken in bejammernswertem Zustand, weiße Fetzen in Händen schwenkend.

Wir kurbelten unsern Rolls-Royce an; die Araber sprangen auf die Kamele. Peakes nun kühn gewordene Leute setzten sich in Lauf und alles eilte aus Leibeskräften konzentrisch auf die Station los. Unser Rolls machte das Rennen; und ich gewann die Stationsglocke, ein schönes Stück damaszenischer Kupferarbeit. Der nächste bekam den Fahrkartenlocher und der dritte den Amtsstempel. Die verdutzten Türken blickten mit steigender Entrüstung auf uns, weil wir sie so offensichtlich als Nebensache behandelten.

Eine Minute später kamen die Beduinen mit Geheul herangestürzt, und nun ging die wildeste Plünderung los. In der Station befanden sich zweihundert Gewehre, achtzigtausend gefüllte Patronenrahmen, eine Anzahl Bomben, große Vorräte an Kleidern und Lebensmitteln und jeder raffte und grapste, was er gerade kriegen konnte. In der allgemeinen Verwirrung trat ein unglückseliges Kamel nahe beim Eingang auf eine der vielen türkischen Flatterminen und brachte sie zur Auslösung. Die Explosion riß dem Tier den Hintern weg und verursachte eine Panik. Man dachte, Brodie habe das Feuer wieder eröffnet.

Während dieser kurzen Unterbrechung der Plünderung fand der ägyptische Offizier einen noch unerbrochenen Schuppen mit Lebensmitteln und stellte eine Wache aus seinen Leuten davor, da sie mit der Verpflegung knapp dran waren. Hasaas Wölfe, noch nicht gesättigt, wollten das Recht der Ägypter auf Teilung gleich und gleich nicht anerkennen. Eine Schießerei begann; aber schließlich erreichten wir durch Verhandlungen, daß sich die Ägypter zuerst von den Vorräten nehmen durften, was sie notwendig brauchten; dann erfolgte eine allgemeine Balgerei um den Rest, daß die Wände barsten.

Die Beute der Schahm war so reichlich, daß von zehn Arabern immerhin acht sich als befriedigt erklärten. Am nächsten Morgen war von Hasaas Leuten nur noch eine kleine Schar übriggeblieben. Auf Dawnays Programm stand als Nächstes die Station Ramleh; doch war sein Eroberungsplan dafür erst in den Anfängen, da die Stellung noch nicht erkundet war. Daher entsandte er Wade in einem Panzerwagen nach Ramleh, ein zweiter wurde ihm als Unterstützung beigegeben. Er fuhr bedachtsam los, näherte sich von Deckung zu Deckung – nichts regte sich. Zuletzt, ohne daß ein Schuß gefallen war, fuhr er – sehr vorsichtig, da überall Tretzündungen und Flatterminen lagen – in den Stationshof hinein.

Das Stationsgebäude war verschlossen. Er steckte sein Seitengewehr durch die Läden, und da sich nichts rührte, brach er das Gebäude auf und durchsuchte es. Er fand nicht eine Seele, dafür aber so viele und brauchbare Dinge, daß Hasaa und die, die bei ihm ausgeharrt hatten, für ihre Tugend reichlich belohnt werden konnten. Der Rest des Tages wurde mit Zerstörungen an der Bahn verbracht, bis wir so viel Schaden angerichtet hatten, daß die Wiederherstellung bei Anspannung aller Kräfte mindestens vierzehn Tage in Anspruch nehmen mußte.

Der dritte Tag war für Mudewwere bestimmt, aber wir setzten wenig Hoffnung darauf und hatten kaum genügend Kräfte. Die Araber waren fort, und auf Peakes Leute war kein rechter Verlaß. Immerhin konnte ja auch in Mudewwere eine Panik ausgebrochen sein wie in Ramleh, und so lagerten wir zur Nacht bei unserer letzten Eroberung. Der unermüdliche Dawnay stellte Posten aus, die ihrem so vortrefflichen Führer nacheifern wollten und einen wahren Buckingham-Paradeschritt auf und ab neben unsern schlafmüden Köpfen aufführten, bis ich dann aufstand und ihnen beibrachte, wie man in der Wüste Wache stünde.

Am Morgen brachen wir auf, um uns Mudewwere näher anzusehen, und fuhren prächtig wie Fürsten in unsern knatternden Wagen über den weichen kiesigen Sandboden, im Rücken den fahlen Schein der frühen Sonne. Dieses Licht hinter uns schützte uns vor Sicht, bis wir dicht heran waren und sahen, daß ein langer Zug in der Station stand. Verstärkung oder Räumung? Einen Augenblick später funkten sie mit vier Geschützen nach uns, von denen zwei vorzügliche kleine österreichische Gebirgshaubitzen waren. Sie schossen haarscharf auf siebentausend Yard, und wir verzogen uns schleunigst mit wenig fürstlicher Hast in die nächste Deckung. Von da fuhren wir in weitem Bogen zu der Stelle, wo ich mit Saal unsern ersten fahrenden Zug erledigt hatte. Die lange Brücke, unter der damals die türkische Patrouille in der brennenden Hitze ihren Mittagsschlaf gehalten hatte, wurde in die Luft gesprengt. Dann kehrten wir nach Ramleh zurück und vollendeten die Zerstörungen so gründlich, daß Fakhri an eine Wiederherstellung nicht mehr denken konnte.

Inzwischen hatte Faisal Mohammed el Dheilan gegen die noch im Betrieb befindlichen Stationen zwischen uns und Maan entsandt. Einen Tag später langte Dawnay mit seinen Zerstörungen bei denen Dheilans an: so fiel die ganze achtzig Meilen lange Strecke von Maan bis Mudewwere uns in die Hände. Eine wirksame Verteidigung von Medina war durch diese Operation endgültig unmöglich gemacht.

Zur Verstärkung unseres Stabes traf aus Mesopotamien ein neuer Offizier bei uns ein mit Namen Young, ein Berufssoldat von außergewöhnlichen Fähigkeiten, der fließend Arabisch sprach und eine lange und vielfältige Kriegserfahrung besaß. Seine Tätigkeit sollte hauptsächlich darin bestehen, mich bei den Stämmen zu unterstützen, um so ihre Mitwirkung auf eine breitere und noch besser fundierte Basis zu stellen. Um ihm Gelegenheit zu geben, sich in unsere andersgearteten Verhältnisse einzuarbeiten, übertrug ich ihm die Aufgabe, in Zusammenarbeit mit Seid, Nasir und Mirsuk, eine achtzig Meilen lange Bahnstrecke nördlich von Maan zu unterbrechen. Ich selbst ging währenddessen nach Akaba und nahm ein Schiff nach Suez, um mich mit Allenby über seine weiteren Absichten zu besprechen.


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