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Dreißigstes Kapitel

Fakhri-Pascha ließ sich auch weiterhin von uns das Gesetz seines Handelns vorschreiben. Er hielt Medina in einer Verteidigungsstellung besetzt, die gerade weit genug vorgeschoben war, um den Arabern eine Beschießung der Stadt mit Artillerie unmöglich zu machen. (Ein solcher Versuch wurde weder beabsichtigt noch unternommen.) Seine übrigen Truppen hatte er längs der Eisenbahn verteilt; und zwar wurden alle Wasserstationen zwischen Medina und Tebuk mit starken Abteilungen belegt, zwischen denen schwächere Posten standen, so daß durch tägliche Patrouillengänge die Strecke dauernd gesichert werden konnte. Binnen kurzem also hatte sich Fakhri in die denkbar untätigste Defensive drängen lassen. Garland war von Wedsch in südöstlicher und Newcombe in nordöstlicher Richtung aufgebrochen, um die Eisenbahn zu unterbrechen. Gleise und Brücken wurden in die Luft gesprengt und gegen fahrende Züge selbsttätige Minen gelegt.

Die Araber waren vom Kleinmut zum blühendsten Optimismus umgeschlagen und versprachen musterhafte Diensterfüllung. Faisal stellte den größten Teil des Stammes der Billi und der Moahib ein, wodurch er Herr über Arabien zwischen Eisenbahn und Meeresküste wurde. Die Dschuheina sandte er darauf zu Abdulla nach dem Wadi Ajis.

Er hatte nun freie Hand, alle Vorbereitungen zu dem größeren Unternehmen gegen die Hedschasbahn zu treffen. Doch ich bat ihn, vorläufig noch in Wedsch zu bleiben und die Bewegung auch unter den entfernter wohnenden Stämmen mit allem Nachdruck zu betreiben, damit der Aufstand immer mehr Raum gewinne und die Eisenbahn von Tebuk aus (unserer augenblicklichen Einflußgrenze) weiter nordwärts bis Maan hin bedroht würde. Meine eigne Vorstellung vom Wesen des arabischen Krieges war noch unzulänglich. Ich hatte noch nicht erkannt, daß im Predigen der Sieg lag und Kämpfen nur Blendwerk war. Vorläufig suchte ich noch beides zu vereinen; da es Faisal glücklicherweise vorzog, der Menschen Sinn zu wandeln, statt Bahnen zu unterbrechen, gewann das Predigen die Oberhand.

Seine nördlichen Nachbarn, die Howeitat an der Küste, hatte er schon gewonnen. Nun sandte er Boten zu den Beni Atijeh, einem volkreichen Stamm im Nordosten. Ihr Oberherr, Asi ibn Atijeh, erschien vor Faisal und schwor ihm Treue. Sein Hauptbeweggrund war Eifersucht auf seine Brüder, so daß wir von ihm keine tätige Hilfe erwarteten, aber das Bündnis mit ihm gab uns freien Durchzug durch das Gebiet seines Stammes. Weiter nördlich saßen verschiedene Stämme, die alle Nuri Schaalan Gehorsam schuldeten, dem großen Emir der Rualla, und, neben dem Scherif, Ibn Saud und Ibn Raschid, dem vierten unter den etwas zweifelhaften Wüstenherrschern.

Nuri war ein alter Mann, der schon dreißig Jahre über die Stämme von Anaseh herrschte. Er gehörte zu der vornehmsten Familie der Rualla, hatte aber selbst auf keinerlei Vorrang in ihr Anspruch, weder durch Geburt, noch durch Kriegsruhm oder besondere Beliebtheit. Die Oberherrschaft gewann er lediglich durch seine Charakterstärke, nachdem er vorher zwei seiner Brüder umgebracht hatte. Später fügte er seiner Gefolgschaft noch die Scherarat und andere Stämme an, und im ganzen Gebiet seiner Herrschaft galt sein Wort schlechthin als Gesetz. Er besaß nichts von der üblichen diplomatischen Geschmeidigkeit des arabischen Scheiks; ein Wort, und der Widerspruch war erledigt – oder auch der Widersprechende. Alle hielt er in Furcht und Gehorsam; und für den Durchmarsch durch sein Gebiet brauchten wir seine Einwilligung.

Glücklicherweise war sie nicht schwer zu bekommen. Faisal hatte sich schon seit Jahren seiner Gunst versichert und sie durch Austausch von Geschenken aus Medina und Janbo sich zu erhalten gewußt. Jetzt wurde von Wedsch aus Fais el Ghusein zu ihm geschickt; und auf dem Weg dorthin begegnete er Ibn Dughmi, einem der Führer der Rualla, der uns die sehr willkommene Gabe von einigen hundert vortrefflichen Lastkamelen brachte. Nuri hielt zur Zeit natürlich noch Freundschaft mit den Türken. Seine Märkte waren Damaskus und Bagdad, und die Türken konnten, falls sie Verdacht schöpften, binnen drei Monaten seine Stämme aushungern. Aber wir wußten, daß wir im entscheidenden Augenblick auf seine Waffenhilfe rechnen konnten; bis dahin galt es, mit allen Mitteln seinen Bruch mit der Türkei zu beschleunigen.

Gewährte er uns seine Gunst, so stand uns der Sirhan offen, eine berühmte Durchgangsstraße mit guten Lagerplätzen und zahlreichen Wasserstellen, die sich in einer Kette von Senkungen von El Dschof im Südosten, der Hauptstadt Nuris, nordwestlich bis nach Asrak nahe Dschebel Drus in Syrien erstreckte. Wir brauchten den freien Durchmarsch durch den Sirhan, um die Zelte der östlichen Howeitat zu erreichen, jener berühmten Abu Taji, deren Oberherr Auda war, der größte Kampfheld Nordarabiens. Nur mit Hilfe Audas abu Taji konnten wir die Stämme zwischen Maan und Akaba so nachdrücklich zu unseren Gunsten in Bewegung bringen, daß sie bei der Eroberung des von den Türken besetzten Akaba und seiner Berge mitwirkten. Und nur mit seiner tätigen Unterstützung durften wir es wagen, von Wedsch aus die lange Strecke bis nach Maan vorzustoßen. Seit den Tagen in Janbo hatten wir ihn umworben und uns bemüht, ihn für unsere Sache zu gewinnen.

In Wedsch taten wir in dieser Beziehung einen großen Schritt vorwärts: Ibn Saal, der Vetter Audas und Anführer der Abu Taji im Kriege, kam am 17. Februar an. Dieser Tag war überhaupt in jeder Hinsicht ein Glückstag. Schon in der Morgenfrühe erschienen fünf Häuptlinge der Scherarat aus der Wüste östlich von Tebuk und brachten als Geschenk Eier des arabischen Straußes, deren es viele gab in ihrem abgelegenen Wüstenstrich. Danach meldeten die Sklaven Dhaif-Allah abu Tijur, einen Vetter von Hamd ibn Dschasi, dem Oberhaupt der mittleren Howeitat auf der Hochfläche von Maan. Sie waren zahlreich und mächtig, vortreffliche Krieger, aber in Blutfehde mit ihren Vettern, den Nomaden Abu Taji, wegen eines uralten Streites zwischen Auda und Hamd. Daß sie von so weither kamen, um uns zu begrüßen, schmeichelte uns natürlich, wenn uns auch nicht viel damit geholfen war, denn sie eigneten sich weit weniger als die Abu Taji für den geplanten Angriff gegen Akaba.

Gleich nach ihm kam ein Vetter von Nawwaf, Nuri Schaalans ältestem Sohn, und brachte von Nawwaf eine schöne Stute als Geschenk für Faisal. Die Schaalan und die Dschasi, die in Feindschaft miteinander lebten, funkelten sich mit bösen Augen an, daher trennten wir die Parteien und richteten schnell ein neues Gastlager ein. Nach den Rualla wurde Abu Tageiga gemeldet, das Oberhaupt der seßhaften Howeitat an der Küste. Er brachte die ehrerbietigen Grüße seines Stammes und die Siegerbeute von Dhaba und Moweilleh, den beiden letzten Ausgängen der Türken zum Roten Meer. Faisal machte ihm auf dem Teppich neben sich Platz und sprach ihm seinen wärmsten Dank aus für die Rührigkeit seines Stammes. Dank ihnen waren uns alle ferneren Zugangsstraßen in das Gebiet von Akaba geöffnet, die, obwohl für Truppenbewegungen zu unwirtlich, doch geeignet waren, um von da den Aufstand weiterzutragen, und mehr noch, um auf diesem Wege rasche Nachrichten zu erhalten.

Am Nachmittag erschien dann Ibn Saal, in Begleitung von zehn weiteren Gefolgsmännern Audas. Er küßte Faisal die Hand, einmal für Auda und dann einmal für sich selbst, setzte sich und erklärte, daß er von Auda komme, um dessen Grüße zu bestellen und nach Befehlen zu fragen. Faisal, bei aller Höflichkeit, ließ nichts von seiner Freude merken und stellte ihn feierlich seinen Blutsfeinden, den Dschasi Howeitat vor. Ibn Saal grüßte sie sehr gemessen. Später hatten wir mit ihm eine längere Privatunterhaltung; und Faisal entließ ihn mit reichen Geschenken, noch reicheren Versprechungen und der persönlichen Botschaft an Auda, daß sein Verlangen nicht eher gestillt wäre, als bis er ihn Auge in Auge in Wedsch begrüßt hätte. Die Ritterlichkeit Audas war hochberühmt, doch für uns war er eine unbekannte Größe, und in der letzthin entscheidenden Unternehmung gegen Akaba durften wir uns nicht den geringsten Fehlgriff leisten. Er mußte persönlich kommen, damit wir uns über ihn klar werden und in seiner Gegenwart, unter seiner Mitwirkung den zukünftigen Plan entwerfen konnten.

Abgesehen von all diesen erfreulichen Zwischenfällen verbrachte Faisal seinen Tag nicht viel anders als sonst. Mein Tagebuch schwoll an von der Fülle der Neuigkeiten. Auf der Straße nach Wedsch wimmelte es von Freiwilligen, Gesandtschaften und großen Scheiks, die kamen, um Treue zu schwören. Durch den Anblick dieses ständigen Zustroms wurden auch die lauen Billi zu größerem Eifer für unsere Sache angespornt. Faisal ließ alle neuen Anhänger feierlich auf den Koran in seinen Händen schwören: »Zu verweilen, wenn er verweilte, zu marschieren, wenn er marschierte, keinem Türken Gehorsam zu leisten, freundlich zu verfahren mit jedem Arabischsprechenden (sei er Bagdader, Aleppiner, Syrier oder reinen Blutes) und über Leben, Familie und Besitz die Freiheit zu stellen.«

Auch unternahm es Faisal, die einander feindlichen Stämme vor sich kommen zu lassen und ihre Fehden zu schlichten. Zwischen den Parteien wurde eine Gewinn- und Verlustrechnung aufgestellt. Faisal sorgte für einen maßvollen Ausgleich; und oft bezahlte er den verbleibenden Rest oder steuerte doch aus seinem Vermögen dazu bei, um den Streit möglichst bald aus der Welt zu schaffen. Während zweier Jahre arbeitete Faisal so daran, all die zahllosen Partikelchen, aus denen das arabische Volk bestand, in ihrer natürlichen Ordnung aneinanderzufügen und die Vereinigten mit seiner Idee des Kampfes gegen die Türkei zu beseelen. In keinem der Gebiete, das er durchzogen hatte, blieb eine Blutfehde zurück; er selbst galt in ganz Westarabien als oberste Instanz, letzthin gültig und unanfechtbar.

Und er zeigte sich würdig dieses Ruhmestitels. Niemals fällte er eine Entscheidung nur teilweise oder mit so unpraktischer Gerechtigkeit, daß daraus wohl oder übel neue Zwistigkeiten entstehen mußten. Nie, daß ein Araber sein Urteil anfocht oder seine Weisheit und richterliche Kompetenz in Stammesangelegenheiten anzweifelte. Durch sein geduldiges Abwägen von Recht und Unrecht, durch seinen Takt, sein erstaunliches Gedächtnis gewann er Gewalt über die Nomaden von Medina bis Damaskus und weiter. Man sah in ihm eine Macht jenseits des Stammes, höher als das Stammeshaupt und erhaben über Neid und Mißgunst. Die arabische Bewegung wurde im besten Sinne national, seitdem alle Araber in ihr geeinigt waren und jederlei Sonderinteresse um ihretwillen schweigen mußte. Und zum Haupt dieser Bewegung hatte sich kraft seiner Eignung und Fähigkeit rechtmäßig der Mann aufgeschwungen, der sich diesem Platz gewachsen zeigte in den wenigen Wochen des Triumphs, wie in den langen Monaten der Enttäuschung nach der Befreiung von Damaskus.


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