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Einundzwanzigstes Kapitel

Am nächsten Tag war die Krise vorbei; die Türken hatten einen klaren Fehlschlag erlitten. Die Dschuheina beunruhigten sie von ihrer Flankenstellung vom Wadi Janbo aus. Garlands architektonische Bemühungen um diese Stadt wurden immer eindrucksvoller. Sir Archibald Murray, den Faisal zur Verhinderung weiterer Verschickungen türkischer Truppen nach dem Kriegsschauplatz von Medina um einen Vorstoß im Sinai gebeten hatte, sandte ermutigende Antwort; und alles atmete erleichtert auf. Ein paar Tage danach ließ Boyle seine Schiffe wieder auslaufen, versprach aber, sie auf einen neuen Hilferuf hin sofort wieder zusammenzuziehen. Ich nahm die Gelegenheit wahr, um nach Rabegh zu fahren, wo ich mit Oberst Bremond zusammentraf, dem großmächtigen Chef der französischen Militärmission und dem einzigen wirklichen Soldaten im Hedschas. Er war noch immer dabei, seine französische Abteilung in Suez als Hebel für die Entsendung einer englischen Brigade nach Rabegh zu benutzen; und da er argwöhnte, daß ich nicht ganz mit ihm übereinstimmte, bemühte er sich, mich zu seiner Ansicht zu bekehren.

Im Verlauf unserer Auseinandersetzung sprach ich von der Notwendigkeit eines baldigen Angriffs auf Medina; denn wie alle übrigen Briten war ich der Überzeugung, daß der Fall von Medina die unerläßliche Voraussetzung für eine wirksame Weiterführung des arabischen Aufstands sei. Er widersprach mir entschieden und erklärte, daß es in keiner Weise angebracht wäre, für die Araber Medina zu nehmen. Nach seiner Ansicht hätte die arabische Bewegung ihr Höchstmaß an Nutzen rein durch den Aufstand in Mekka erreicht; und die militärischen Operationen gegen die Türkei würden besser von Großbritannien und Frankreich ganz allein durchgeführt. Er wünschte alliierte Truppen in Rabegh zu landen, weil das den Scherif in den Augen der Stämme verdächtig machen und ihren Eifer dämpfen würde. Dann würden die fremden Truppen die Hauptstütze des Scherifs bilden, und seine Erhaltung würde unser Wille und Werk sein; bis dann am Ende des Krieges, wenn die Türken geschlagen, die siegreichen Mächte im Friedensvertrag Medina dem Sultan abnehmen und es mitsamt der rechtlichen Souveränität über den Hedschas dem Scherif Hussein als Lohn für treue Dienste übergeben könnten.

Ich teilte seine leichtherzige Zuversicht nicht, daß wir stark genug wären, um auch kleine Bundesgenossen entbehren zu können. Daher erwiderte ich kurz, daß ich durchaus anderer Ansicht wäre. Ich legte den größten Wert auf eine sofortige Eroberung Medinas und hätte Faisal den Rat gegeben, Wedsch zu besetzen, um die Bedrohung der Bahnlinie noch wirksamer zu machen. Alles in allem würde meines Erachtens die arabische Bewegung nicht ihr Inszenesetzen rechtfertigen, wenn die Begeisterung dafür die Araber nicht bis Damaskus bringen würde.

Das war ihm wenig willkommen; denn der Sykes-Picot-Vertrag zwischen Frankreich und England vom Jahre 1916 war gerade für diesen Fall von Sykes entworfen worden; und, um ihm zu entsprechen, setzte er die Errichtung unabhängiger arabischer Staaten in Damaskus, Aleppo und Mosul fest, Gebiete, die sonst unter die uneingeschränkte Kontrolle Frankreichs gekommen wären. Weder Sykes noch Picot haben an eine solche Möglichkeit wirklich geglaubt; doch ich wußte, daß sie vorhanden war, und glaubte, daß dann die Kraft der arabischen Bewegung die Schaffung unangebrachter »kolonialer« Ausbeutungssysteme – durch uns oder durch andere – verhindern würde.

Bremond zog sich auf sein Fachgebiet zurück und versicherte mir bei seiner Ehre als Generalstabsoffizier, daß es für Faisal militärischen Selbstmord bedeute, Janbo zu verlassen und nach Wedsch zu gehen. Aber ich fand seine Beweise, die er mir wortreich vorexerzierte, nicht stichhaltig und sagte ihm das. Eine recht merkwürdige Unterredung war das, zwischen einem alten Soldaten und einem jungen Menschen in phantastischer Kleidung, und sie ließ mir einen bitteren Geschmack auf der Zunge zurück. Wie alle seine Landsleute war der Oberst ein Realist in der Liebe wie in der Kriegführung. Selbst in poetischen Situationen bleiben die Franzosen unverbesserliche Prosaiker; sie sehen alles im direkten Scheinwerferlicht der Vernunft und des Verstandes, nicht mit halb geschlossenem Auge gleichsam durch Nebel die Dinge in ihrem eignen Licht, wie die phantasievollen Engländer; daher arbeiten die beiden Völker auch nicht gut zusammen bei einem großen Unternehmen. Ich enthielt mich jedoch, zu irgendeinem Araber ein Wort von der Unterredung verlauten zu lassen, sandte aber einen ausführlichen Bericht darüber an Oberst Wilson, der binnen kurzem heraufkommen sollte, um mit Faisal das Wedsch-Projekt in all seiner Tragweite zu erörtern.

Aber noch vor Wilsons Eintreffen verlegten die Türken plötzlich das Schwergewicht ihrer Kriegführung. Fakhri-Pascha hatte die Aussichtslosigkeit eingesehen, Janbo anzugreifen oder den nie zu fassenden Dschuheina in Kheif Hussein nachzusetzen. Er war außerdem in Nakhl Mubarak selbst durch zwei englische Seeflugzeuge heftig bombardiert worden, die kühne Flüge über die Wüste unternahmen und bei zwei Gelegenheiten trotz des Schrapnellfeuers gut an den Feind herankamen.

Er beschloß daher, sich eilig auf Bir Said zurückzuziehen, dort nur schwache Kräfte zu belassen, um die Dschuheina in Schach zu halten, und mit seiner Hauptmacht die Sultanistraße hinunter gegen Rabegh vorzurücken. Diese Abänderungen waren zweifellos zum Teil durch die ungewöhnliche Stärke Alis bei Rabegh verursacht. Sobald Ali von Seids Niederlage hörte, hatte er ihm Verstärkungen und Geschütze geschickt; und als dann Faisal selbst zusammenbrach, entschloß sich Ali, mit seinem ganzen Heer nach Norden vorzurücken, um die Türken im Wadi Safra anzugreifen und sie von Janbo abzuziehen. Ali hatte fast siebentausend Mann bei sich; und Faisal erkannte, daß Fakhri-Paschas Truppen in den Bergen aufgerieben werden könnten, wenn er seine Bewegungen mit denen Alis in Übereinstimmung brachte. Er telegraphierte diesen Vorschlag an Ali und bat um ein paar Tage Aufschub, bis seine etwas mitgenommenen Leute bereit wären.

Ali aber war tatendurstig und wollte nicht warten. Faisal schickte daher eilig Seid nach Masahali im Wadi Janbo voraus, um Vorbereitungen zu treffen. Nachdem sie beendet waren, gab er Seid Weisung, Bir Said in Besitz zu nehmen, was erfolgreich durchgeführt wurde. Dann ließ er die Dschuheina zur Unterstützung vorrücken. Diese aber zögerten; denn Ibn Beidawi war auf Faisals wachsende Macht über die Stämme eifersüchtig und wollte weiter seine Unentbehrlichkeit dartun. Faisal ritt ohne Begleitung nach Nakhl Mubarak hinaus und machte den Dschuheina im Verlauf einer Nacht klar, daß er ihr Führer war. Am nächsten Morgen waren alle auf dem Marsch, während Faisal daran ging, die nördlichen Harb am Tascha-Paß zu sammeln, um den Türken den Rückzug ins Wadi Safra abzuschneiden. Er verfügte über fast sechstausend Mann; und wenn Ali den Südrand des Tales besetzte, würden die an Zahl schwächeren Türken zwischen zwei Feuer genommen werden.

Leider kam die Sache anders. Während Faisal schon in voller Bewegung war, kam Nachricht von Ali, daß, nach kampfloser Wiedereroberung von Bir ibn Hassani, seinen Leuten durch falsche Nachrichten von Treulosigkeit unter den Subh der Mut geschwunden wäre und sie sich in überstürzter Hast nach Rabegh verzogen hätten.

Während dieses kritischen Zwischenakts kam Oberst Wilson nach Janbo, um uns von der Notwendigkeit eines sofortigen Unternehmens gegen Wedsch zu überzeugen. Ein verbesserter Plan war aufgestellt worden, wonach Faisal die Gesamtmacht der Dschuheina und seine regulären Bataillone, unter weitgehender Mitwirkung der Flotte, gegen Wedsch führen sollte. Damit konnte der Erfolg wohl als einigermaßen sicher angesehen werden, nur würde Janbo dann schutzlos und ohne Verteidigung bleiben. Für den Augenblick schreckte Faisal davor zurück, ein solches Wagnis auf sich zu nehmen. Er wies, nicht mit Unrecht, darauf hin, daß die Türken in der Umgebung von Janbo ihm noch zu schaffen machten; daß Alis Truppen sich als unzuverlässig erwiesen hätten und wahrscheinlich nicht einmal Rabegh gegen einen ernsten Angriff verteidigen könnten; und daß er eher Janbo aufgeben würde als Rabegh, das Bollwerk Mekkas, zu verlieren, und sich mit seinen Leuten nach Rabegh werfen müsse, um dort an der Küste kämpfend zu fallen.

Um ihm Vertrauen einzuflößen, gab Wilson eine sehr lebendige Schilderung der Widerstandskraft von Rabegh. Faisal unterbrach ihn und fragte, ob er sich persönlich dafür verpflichten könnte, daß die Garnison von Rabegh mit englischer Unterstützung von See her jedem feindlichen Angriff standhalten würde bis zum Falle von Wedsch. Wilson blickte sich auf dem Deck des »Dufferin« (wo wir verhandelten) nach Hilfe um und gab dann aus freien Stücken die verlangte Zusicherung – was klug getan war, da Faisal sonst nicht vorgerückt wäre; und dieses Unternehmen gegen Wedsch, die einzige in der Macht der Araber liegende Offensive, war ihre letzte Aussicht, nicht so sehr um eine wirkungsvolle Belagerung von Medina zu ermöglichen, als um eine Einnahme Mekkas durch die Türken zu verhindern. Einige Tage danach konnte sich Wilson noch den Rücken dadurch decken, daß er Faisal den direkten Befehl seines Vaters, des Scherifs, sandte, sogleich mit allen verfügbaren Truppen gegen Wedsch vorzurücken.

Inzwischen wurde die Lage von Rabegh immer bedenklicher. Der Feind im Wadi Safra und auf der Sultanistraße wurde auf fast fünftausend Mann geschätzt. Die nördlichen Harb unterstützten ihn, um ihre Palmenpflanzungen zu retten. Die südlichen Harb unter Hussein Mabeirig warteten offensichtlich seinen Vormarsch ab, um den Anhängern des Scherifs in den Rücken zu fallen. Bei einer Besprechung zwischen Wilson, Bremond, Joyce, Ross und anderen am Heiligabend in Rabegh wurde beschlossen, an der Küste beim Flughafen eine kleine Stellung anzulegen, die, unterstützt von dem Feuer der Schiffsgeschütze, von den Ägyptern, dem Fliegerkorps und einer Abteilung Matrosen von der »Minerva« für die paar Stunden gehalten werden konnte, während die Magazine geräumt oder die Vorräte vernichtet wurden. Die Türken rückten Schritt für Schritt vor; und Rabegh war nicht in der Lage, auch nur einem gut geführten Bataillon, von Feldartillerie unterstützt, Widerstand zu leisten.

Doch Fakhri war zu langsam. Er rückte erst gegen Ende der ersten Januarwoche über Bir el Scheik hinaus vor, und sieben Tage später war er noch nicht in der Lage, Khoreba anzugreifen, das Ali durch einen vorgeschobenen Posten von einigen hundert Mann hatte besetzen lassen. Die Patrouillen stießen aufeinander; jeden Tag wurde ein Angriff erwartet und ebenso regelmäßig blieb er aus.

In Wirklichkeit hatten die Türken mit unerwarteten Schwierigkeiten zu kämpfen. Ihre Reihen wurden durch eine hohe Zahl von Krankheitsfällen gelichtet, und auch die Tiere wurden immer hinfälliger: beides Zeichen von Überanstrengung und unzureichender Ernährung. Außerdem wurden sie ständig durch die Tätigkeit der Stämme in ihrem Rücken beunruhigt und gehemmt. Die Clans mochten vereinzelt von der arabischen Sache abfallen, aber deshalb wurden sie noch längst nicht zuverlässige Anhänger der Türken, die bald gewahr wurden, daß sie sich in einem feindlichen Lande befanden. In den ersten beiden Januarwochen kosteten ihnen die Überfälle durch die Stämme im Durchschnitt täglich vierzig Kamele, zwanzig Verwundete und Tote und entsprechende Materialverluste.

Diese Überfälle zeigten so recht die Hemmnisse, die sich der neugeschaffenen türkischen Armee mit ihrer komplizierten Organisation nach überwiegend deutschem Muster entgegenstellten, wenn sie versuchte, von einem weit entfernten Eisenbahnendpunkt ohne feste Straßen durch ein außerordentlich schwieriges und feindseliges Land vorzudringen. Der umständliche Apparat einer methodischen Kriegführung hatte ihre Beweglichkeit erschwert und ihre Stoßkraft gelähmt; und die Schwierigkeiten wuchsen eher noch in geometrischer als in arithmetischer Progression mit jeder Meile, mit der sich ihre Führer von Medina, ihrer schlechtausgestatteten, unsicheren und unbequemen Basis entfernten.

Die Lage schien für die Türken so wenig aussichtsvoll, daß Fakhri-Pascha vielleicht ganz froh war, als die überraschend einsetzenden Bewegungen Abdullas und Faisals in den letzten Tagen des Jahres 1916 die strategischen Voraussetzungen des Hedschas-Krieges völlig änderten und ihn zwangen, sich mit seinem ursprünglich für Mekka angesetzten Expeditionskorps (nach dem 18. Januar 1917) vom Wadi Safra und den Sultani-, Fara- und Gaha-Straßen zurückzuziehen und sich auf die rein passive Verteidigung einer Grabenstellung vor den Mauern Medinas zu beschränken – eine unverändert bleibende Lage, die andauerte, bis der Waffenstillstand den Krieg beendete und die geschlagene Türkei zur Übergabe der Heiligen Stadt und ihrer nur ohnmächtigen Garnison zwang.


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