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Elftes Kapitel

Während er sprach, durcheilten wir die blendende, fast baumlose Ebene, deren Boden nach und nach weicher wurde. Anfangs war es graues Geröll gewesen, dichtgelagert wie Kies. Allmählich nahm der Sand mehr und mehr zu und die Steine wurden seltener, so daß man sie schließlich einzeln nach Farbe und Art unterscheiden konnte: Porphyr, Basalt, grüner Schiefer. Zuletzt war es nahezu reiner weißer Sand, mit einer härteren Gesteinsschicht darunter, über den man wie über weichen Teppich ritt. Die einzelnen Sandkörnchen waren blank geschliffen und fingen wie kleine Diamanten die Sonnenstrahlen in so blendenden Reflexen auf, daß ich es nach einer Weile nicht mehr aushalten konnte. Ich kniff die Augen zusammen und zog mir das Kopftuch wie ein Visier bis tief über die Nase, um mich so vor der Hitze zu schützen, die mir in glasigen Wellen vom Boden herauf ins Gesicht schlug. Etwa achtzig Meilen vor uns tauchte hinter Janbo der massige Gipfel des Rudhwa auf und schwand wieder in dem flimmernden Dunst, der seinen Fuß verhüllte. Ganz nahe in der Ebene erhoben sich die niedrigen formlosen Höhen von Hesna, die den Weg zu sperren schienen. Zu unserer Rechten zog sich der steile Rücken des Beni Ajub dahin, scharf und kantig wie eine Säge, die erste der Bergketten zwischen der Tihamma und der steilen Brüstung des Hochlands um Medina, nordwärts sich abdachend zu einer blauen, sanften Hügelgirlande. Hinter dieser aber stiegen mächtige Gebirgszüge, jetzt von der Abendsonne rot beleuchtet, gleich einer hochgestuften Treppe langsam hinan zum ragenden Hauptmassiv des Dschebel Subh mit seinen phantastischen Granitkegeln.

Ein wenig später bogen wir von der Pilgerstraße rechts ab und ritten von nun ab quer über einen sanft ansteigenden Basaltrücken, so von Sand überdeckt, daß nur die obersten Grate daraus hervorragten. Er hielt genügend Feuchtigkeit, daß kurzes, hartes Gras und Strauchwerk reichlich seine Hänge bedeckten, wo ein paar Schafe und Ziegen weideten. Dort wies Tafas auf einen Stein, der die Grenze des Gebietes der Masruh bezeichnete, und erklärte mit grimmiger Freude, daß er nun daheim auf dem Eigentum seines Stammes wäre und seiner Wache ledig sein könnte.

Vielfach hält man die Wüste für leeres Land, Freigut für jeden Beliebigen; aber in Wirklichkeit hat jeder Berg und jedes Tal einen anerkannten Besitzer, der das Recht seiner Familie oder seines Stammes sofort gegen jeden Eindringling geltend machen würde. Sogar die Brunnen und Bäume haben ihre Eigentümer, die gestatten, daß man sich Wasser von dem einen, Brennholz von den anderen nimmt, soviel man braucht für den eigenen Bedarf; doch sie würden jeden vertreiben, der versuchte, aus ihrem Eigentum Nutzen zu ziehen oder es zu seinem privaten Vorteil auszubeuten. Es herrscht eine sonderbare Art von Kommunismus in der Wüste, der die Natur und was sie bietet, jedem, den man als freundlich gesinnt kennt, zu freiem Gebrauch, aber nur für eigne Zwecke überläßt. Die logische Auswirkung ist die Beschränkung dieses Vorrechts auf die Menschen der Wüste und ihre schroffe Ablehnung gegen jeden Außenstehenden, der keinerlei Einführung oder Bürgschaft aufzuweisen hat; denn die gemeinsame Sicherheit liegt in der gemeinsamen Verantwortlichkeit der Blutsgemeinschaft. Für Tafas wurde in seinem eigenen Lande die Sorge um meine Sicherheit zu einer leichten Bürde.

Die Täler begannen sich schroff abzuzeichnen, ihr Bett bestand aus sauberem Sand und Kies, unterbrochen hie und da von einem mächtigen, von der Flut herabgetragenen Felsblock. Überall standen Ginsterbüsche, mit ihrem Grün und Grau dem Auge wohltuend, gut für Brennholz, aber zum Abweiden ungeeignet. Es ging stetig bergan, bis wir den Hauptweg der Pilgerstraße erreichten. Wir folgten ihr, bis bei Sonnenuntergang der Weiler Bir el Scheik in Sicht kam. Bei Dunkelwerden, als eben die Feuer der Abendmahlzeit angezündet wurden, ritten wir durch die breite Straße ein und machten halt. Tafas trat in eine der zwanzig elenden Hütten, und unter Geflüster, unterbrochen von langen Pausen des Schweigens, erhandelte er Mehl, woraus er mit Wasser einen Teigkuchen knetete, zwei Zoll 1 Zoll = 2,54 cm. (A. d. Ü.) dick und acht Zoll im Durchmesser. Diesen vergrub er in die Asche eines Reisigfeuers, das ihm eine Frau der Subh, die ihn zu kennen schien, angefacht hatte. Als der Kuchen durchwärmt war, zog er ihn vom Feuer fort und klopfte die Asche ab, worauf wir ihn untereinander teilten. Abdulla ging dann, um sich Tabak zu kaufen.

siehe Bildunterschrift

Straße in Dschidda.
Photographie

Man sagte mir, der Ort habe zwei steingemauerte Brunnen am Fuß des südlichen Abhanges; aber ich spürte keine Lust, sie zu besichtigen, denn ich war müde von dem langen ungewohnten Ritt des Tages, und die Hitze in der Ebene hatte mir stark zugesetzt. Meine Haut war voller Blasen, und meine Augen schmerzten von dem scharfen Lichtreflex des silbrigen Sandes und der glänzenden Kiesel. Die letzten zwei Jahre hatte ich in Kairo verbracht, Tag für Tag am Schreibtisch hockend, in einem kleinen überfüllten Büro, mit hunderterlei eiligen Sachen beschäftigt, die inmitten ablenkenden Getriebes durchdacht und besprochen werden mußten, aber ohne jede körperliche Betätigung, außer dem täglichen Gang zwischen Büro und Hotel. Daher wurde mir dieser plötzliche Wechsel einigermaßen schwer, denn ich hatte keine Zeit gehabt, mich erst nach und nach an die pestilenzialische Glut der arabischen Sonne und die Eintönigkeit langer Kamelritte zu gewöhnen. Wir mußten in derselben Nacht noch eine zweite Station erreichen, und am anderen Tage stand bis zum Lager Faisals noch eine lange Reise bevor.

Karte 3

Karte 3

So war mir das Abkochen und Einkaufen sehr willkommen, womit eine Stunde verging; wir kamen überein, noch eine weitere Stunde zu rasten, und als diese zu Ende war, stieg ich ungern wieder in den Sattel. Wir ritten in pechschwarzer Finsternis immer talauf und talab, abwechselnd durch heiße oder kühlere Luftschichten, je nachdem wir offenes Feld oder geschützte Senkungen passierten. Nach der Lautlosigkeit unseres Rittes zu urteilen, die dem gespannt lauschenden Ohr förmlich weh tat, muß der Boden sandig gewesen sein und weich wie ein Teppich, denn ich schlief ständig im Sattel ein, um alle paar Sekunden aus dem Halbschlaf wieder aufzuschrecken, wenn ich, durch einen unregelmäßigen Schritt des Tieres aus dem Gleichgewicht gekommen, instinktiv nach dem Sattelknopf griff. Bei der Dunkelheit und der Einförmigkeit des Geländes war es mir unmöglich, die schweren Lider über den stierenden Augen offenzuhalten. Lange nach Mitternacht machten wir endlich Rast; und ich war, in den Mantel gehüllt, in einer höchst komfortablen kleinen Sandkuhle eingeschlafen, ehe noch Abdulla mein Kamel niedergehalftert hatte.

Drei Stunden später waren wir wieder im Sattel, und jetzt beleuchtete der späte Mond unseren Weg. Wir ritten das Wadi Mared hinab – sein ausgetrocknetes Bett tot, heiß, schweigend, und rechts und links scharfzackige Höhen, schwarzweiß ragend in der ermatteten Luft. Viele Bäume. Endlich graute der Tag, als wir just aus der Enge herauskamen in eine weite Ebene, über deren Fläche ein unruhiger Wind launische Staubwirbel drehte. Es wurde immer heller, und nun zeigte sich hart rechts von uns Bir ibn Hassani. Die saubere Ansiedlung von rührend unwahrscheinlichen Häuschen, braun und weiß, wie Schutz suchend aneinandergedrängt, nahm sich puppenhaft aus und erschien noch verlassener als die Wüste selbst unter dem riesigen Schatten der finster dahinter aufragenden Wand des Subh. Während wir hinschauten, in der Hoffnung, Leben vor den Türen zu entdecken, brach die Sonne hervor; und die zackige Klippenwand, tausende von Fuß über unseren Köpfen, setzte sich plötzlich in hart zurückgeworfenem Glanze weißen Lichts gegen den in schwindender Dämmerung noch matten Himmel ab.

Indes wir durch die Talebene weiterritten, kam ein alter geschwätziger Kamelreiter von den Häusern her zu uns herübergetrabt, in der Absicht, sich uns anzuschließen. Er nannte sich Khallaf und schien von übergroßer Freundlichkeit. Seine Vorstellung erfolgte inmitten eines Stromes abgedroschener Redensarten, und als sie erwidert war, suchte er uns in ein Gespräch zu verwickeln. Doch Tafas zeigte sich abgeneigt gegen seine Gesellschaft und gab nur lakonische Antworten. Khallaf ließ sich nicht abschrecken, und um sich beliebt zu machen, beugte er sich zu guter Letzt herunter und kramte in seiner Satteltasche, bis er einen kleinen verschlossenen Emailletopf hervorzog, der eine ansehnliche Portion des im Hedschas üblichen Reiseproviants enthielt. Es war der gleiche ungesäuerte Teig von gestern, nur, bevor er ausgekühlt war, in den Fingern zerkrümelt und mit flüssiger Butter durchfeuchtet, so daß das Ganze breiig zusammenpappte. Zum Essen süßte man ihn mit gemahlenem Zucker, griff dann mit den Fingern hinein und formte, wie aus feuchtem Sägemehl, kleine Kugeln.

Ich aß nur wenig bei dieser ersten Kostprobe; Tafas und Abdulla aber langten kräftig zu, so daß Khallaf zum Dank für seine Freigebigkeit halb hungrig blieb: wohlverdientermaßen, denn es gilt bei den Arabern für weibisch, auf einer kleinen Reise von hundert Meilen Proviant mitzuführen. Wir waren nun Kameraden, und der Schwatz begann von neuem. Khallaf erzählte uns von den letzten Kämpfen und von einer Schlappe, die Faisal am Tage vorher erlitten hatte. Er schien aus seiner Stellung bei den Quellen des Wadi Safra zurückgeworfen worden zu sein und jetzt bei Hamra zu stehen, das nur eine kurze Wegstrecke von uns entfernt war; oder Khallaf glaubte wenigstens, daß er dort stände: wir würden das sicher im nächsten Dorf auf unserem Wege erfahren. Der Kampf schien nicht schwer gewesen zu sein; doch hatten die wenigen Verluste gerade den Stamm von Tafas und Khallaf betroffen, und die Namen wie Verwundung eines jeden wurden der Reihe nach aufgezählt.

Inzwischen blickte ich umher und fand mich zu meinem Erstaunen in einer ganz veränderten Landschaft. Sand und Geröllschutt wie in der vergangenen Nacht und in Bir el Scheik waren verschwunden. Wir ritten ein Tal hinauf, etwa zwei- bis fünfhundert Yard 1 Yard = 0,914 m (A. d. Ü.) breit, bedeckt mit Kies und leichtem, ziemlich festem Boden, aus dem hie und da kleine Hügel aus einem verwitterten grünen Gestein aufragten. Viele Dornbäume standen umher, darunter langstämmige Akazien, wohl dreißig Fuß hoch und mehr, von herrlichem Grün, und dazwischen Tamarisken und dichtes Buschwerk, so daß das Ganze in den langen weichen Schatten dieses frühen Morgens fast einem anmutigen, wohlgepflegten Parke glich. Der ganz ebene und wie rein gefegte Boden, die vielfältigen Kiesel mit ihren heiter erstrahlenden Farben gaben der Landschaft etwas wie von einer Zeichnung; und der Eindruck wurde noch verstärkt durch die klaren, scharf abgesetzten Linien der Berge. Sie erhoben sich gleichmäßig zu beiden Seiten, Steilhänge von tausend Fuß Höhe, aus granitbraunem und dunklem, porphyrfarbenem Fels mit rosa Flecken; und zu alledem noch ruhten diese rotleuchtenden Gipfel auf einem hundert Fuß hohen Sockel quergemaserten Gesteins, das mit seiner seltsamen Färbung wie von einer feinen Moosschicht überdeckt schien.

Nach einem Ritt von sieben Meilen gelangten wir auf eine niedrige Wasserscheide, gekrönt von einer Mauer aus behauenen Granitsteinen, jetzt nur noch lose Trümmerhaufen, aber einst ohne Zweifel ein Grenzwall. Sie lief von Fels zu Fels und stieg selbst ein beträchtliches Stück die Bergwände hinan, da, wo die Hänge nicht allzu steil waren. In der Mitte, wo die Straße durchlief, hatten zwei Einfriedigungen gelegen, vielleicht frühere Viehhegen. Ich fragte Khallaf nach der Bedeutung der Mauer. Er antwortete, er wäre in Damaskus, Konstantinopel und Kairo gewesen und hätte viel Freunde unter den Großen Ägyptens. Ob mir dort einer der Engländer bekannt wäre? Khallaf schien sich sehr für meine Persönlichkeit und meinen Reisezweck zu interessieren. Er versuchte mich zu fangen, indem er anfing, ägyptisch zu reden. Als ich ihm im Dialekt von Aleppo antwortete, sprach er von seinen Bekanntschaften unter den Vornehmen Syriens. Ich kannte sie ebenfalls; worauf er auf die Landespolitik übersprang und vorsichtig verschleierte Fragen stellte über den Scherif und seine Söhne, und was ich wohl glaubte, was Faisal jetzt tun werde. Ich wußte das noch weniger als er und wich ihm durch zusammenhanglose Antworten aus. Schließlich kam mir Tafas zu Hilfe und wechselte das Gesprächsthema. Nachher erfuhren wir, daß Khallaf im Sold der Türken stand und ihnen ständig Berichte schickte über alles, was über Bir ibn Hassani zur arabischen Front wollte.

Jenseits der Mauer gelangten wir in einen Seitenzweig des Wadi Safra, ein öderes und steinigeres Tal mit weniger glanzvollen Bergen. Es verlief in ein anderes, in dem weit hinten nach Westen zu eine Gruppe dunkler Palmen lag; es war Dschedida, wie die Araber sagten, eins der Sklavendörfer im Wadi Safra. Wir wandten uns nach rechts, überquerten einen zweiten Sattel und stiegen einige Meilen bergab bis zu einem hohen Felsvorsprung. Als wir um ihn herumbogen, befanden wir uns plötzlich im Tal des Wadi Safra, dem Ziel unserer Reise, und mitten in Wasta, seinem größten Dorf. Wasta bestand aus lauter einzelnen kleinen Weilern, die teils auf Sandbänken an den Steilhängen zu beiden Seiten des Flußbettes lagen, teils auf Geröllinseln zwischen den zahlreichen, tief ausgewaschenen Kanälen, die in ihrer Gesamtheit die Talsohle bildeten.

Wir wandten uns an zwei oder drei dieser angestauten Inseln vorbei dem oberen Teil des Tales zu. Unser Weg führte uns an dem Hauptbett der Winterfluten hin, das mit weißem Geröll und Blöcken angefüllt und ganz flach war. In seiner Mitte, zwischen zwei Palmenhainen am oberen und unteren Ende, floß eine Strecke klaren Wassers, etwa zweihundert Yards lang und zwölf Fuß breit, mit sandigem Grund und auf beiden Seiten gesäumt mit einem zehn Fuß breiten Streifen von fettem Gras und Blumen. Hier hielten wir einen Augenblick an, um unsere Kamele von dem frischen Wasser saufen zu lassen. Der Anblick des Rasens nach dem tagelangen harten Kieselglanz war eine so plötzliche Entspannung für unsere Augen, daß ich unwillkürlich aufblickte, um zu sehen, ob nicht eine Wolke die Sonne verdunkelt hätte.

Wir folgten diesem Wasserlauf aufwärts bis zu dem Palmenhain, von dem er, in einer steingefaßten Rinne sprudelnd, seinen Ausgang nahm, und ritten im Schatten der Palmen an der verwitterten Gartenmauer hin bis wieder zu einem der abgesonderten Weiler. Tafas lenkte in die schmale Straße ein (die Häuser waren so niedrig, daß man vom Sattel aus auf ihre Lehmdächer herabsehen konnte), hielt vor einem der größeren Häuser und klopfte an das Tor. Ein Diener öffnete uns, und wir stiegen im Innern des Hofes ab. Tafas halfterte die Kamele nieder, lockerte die Sattelgurte und warf ihnen von einem Haufen, der neben dem Tor lag, würzig duftendes Grünfutter vor. Dann führte er mich in das Gastzimmer des Hauses, einen dämmerigen, sauberen kleinen Raum aus Lehmziegeln, gedeckt mit halbgeteilten Palmstämmen und festgestampfter Erde darüber. Wir ließen uns auf den Palmblattmatten nieder, die den erhöhten Sitz rings um den Raum bedeckten. Der Tag in dem stickigen Tal war glühend heiß gewesen: einer nach dem anderen sanken wir, Seite an Seite, zurück; und das Summen der Bienen in den Gärten draußen und der Fliegen drinnen, die unsere verhüllten Gesichter umkreisten, lullte uns in Schlaf.


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