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Vierzehntes Kapitel

Es war eine recht bunte Gesellschaft: Scherifs, Mekkaner, Scheiks der Dschuheina und Ateiba, Mesopotamier und Ageyl; und so benutzte ich gleich die Gelegenheit, um durch allerlei zündende Gesprächsstoffe, die ich unter sie warf, wie Zankäpfel, ihre Gemüter zu erhitzen und so auszuforschen, was an Glauben und Entschlossenheit in ihnen steckte. Faisal, zahllose Zigaretten rauchend, blieb immer Herr der Diskussion, so heftig sie auch werden mochte; es war ein Genuß, ihn dabei zu beobachten. Er besaß vollendeten Takt und zugleich auch die natürliche Macht, der Menschen Fühlen nach seinem Willen zu leiten. Storrs verstand das nicht minder gut; aber Storrs paradierte mit seiner Fähigkeit, stellte seine Geschicklichkeit und die ganze Maschinerie zur Schau, ließ die Bewegungen seiner Hände sehen, durch die er seine Figuren lenkte. Faisal schien seine Menschen unbewußt zu beherrschen, kaum ahnend, auf welche Weise er ihnen seinen Geist einprägte, kaum sich darum kümmernd, ob sie ihm auch wirklich folgten. Seine Kunst war ebenso groß wie die Storrs', nur verbarg sie sich, denn Faisal war sie angeboren.

Die Araber liebten ihn offensichtlich; und wirklich ließen diese gelegentlichen Zusammenkünfte erkennen, in wie hohem Ansehen der Scherif und seine Söhne bei den Stämmen standen. Scherif Hussein (Sayidna, wie sie ihn nannten) war äußerlich so glatt und höflich, daß er fast schwach erscheinen mochte; aber dahinter verbarg sich staatsmännische Klugheit, brennender Ehrgeiz, dazu Weitblick, Charakterstärke und Zähigkeit, die ganz unarabisch waren. Sein Interesse für Naturgeschichte stärkte seinen Sportgeist und machte ihn (wenn er wollte) zum vollendeten Abbild eines Beduinenfürsten; seine tscherkessische Mutter hatte ihm Eigenschaften vererbt, die Türken wie Arabern fremd waren, und er kehrte mit bemerkenswerter Schlauheit bald die eine, bald die andere seiner ererbten Anlagen hervor, wie es der Vorteil erheischte.

Doch niemand, auch der Beste nicht, konnte die unwürdige Schule der türkischen Staatskunst durchmachen, ohne von ihr beeinflußt zu werden. Hussein war in seiner Jugend ehrlich und offen gewesen … er lernte nicht nur, sich der Worte zu enthalten, sondern auch die Worte zu benutzen, um seine ehrliche Absicht zu verbergen. Diese Kunst, allzugern geübt, wurde zu einem Laster, von dem er sich nicht mehr freimachen konnte. Im Alter war jede seiner Äußerungen von einer Zweideutigkeit überdeckt; gleich einer Wolke verhüllte sie die Entschiedenheit seines Charakters, seine Weltklugheit, seine heitere Sicherheit. Viele haben ihm diese Eigenschaften abgesprochen, aber Tatsachen bewiesen sie.

Ein Beispiel für die Weltklugheit war die Heranbildung seiner Söhne. Auf Veranlassung des Sultans mußten sie in Konstantinopel leben, um eine türkische Erziehung zu erhalten. Scherif Hussein sorgte dafür, daß die Erziehung umfassend und gut wurde. Als sie dann als junge Effendis in europäischer Kleidung mit türkischen Sitten nach dem Hedschas zurückkehrten, befahl ihnen der Vater, arabische Kleider anzulegen, gab ihnen, um sie wieder zu Arabern zu machen, Gefährten aus Mekka und schickte sie mit dem Kamelreiterkorps zur Überwachung der Pilgerstraßen in die Wüste hinaus.

Die jungen Leute glaubten, daß es eine vergnügliche Abwechslung werden würde, waren aber einigermaßen enttäuscht, als ihr Vater ihnen jegliche Extranahrung, bequeme Nachtlager oder weichgepolsterte Sättel untersagte. Sie durften nicht nach Mekka zurück, sondern mußten draußen monatelang in jeder Jahreszeit die Straßen bei Tag und Nacht bewachen, lernten dabei mit jeder Gattung Menschen umgehen und neue Arten des Reitens und Fechtens. Bald wurden sie abgehärtet und bekamen Selbstvertrauen, in jener Mischung von angeborener Intelligenz und persönlicher Wirkungskraft, wie man sie oft bei Kreuzungsprodukten findet. Ihr machtvoller Familienzweig besaß hohes Ansehen und Einfluß, blieb aber in eigenartiger Weise losgelöst von ihrer Welt. Sie gehörten keinem Lande wirklich an, waren persönlich mit keinem Fleckchen Boden verwurzelt. Sie besaßen keine wahren Vertrauten oder Gehilfen; und keiner von ihnen schien dem anderen oder dem Vater gegenüber offen zu sein, dem sie in Ehrfurcht begegneten.

Die Debatte nach dem Essen wurde sehr lebhaft. In meiner Rolle als Syrier äußerte ich Mitgefühl mit den arabischen Führern, die in Damaskus von Dschemal-Pascha hingerichtet worden waren. Man wandte sich scharf gegen mich; die veröffentlichten Dokumente hätten bewiesen, daß diese Leute mit fremden Regierungen in Verbindung gestanden hätten und bereit gewesen wären, als Preis für die Hilfe sich der französischen oder englischen Oberherrschaft zu unterwerfen. Das wäre ein Verbrechen gegen die arabische Nation gewesen, und Dschemal habe ein gerechtes Urteil vollstreckt. Faisal lächelte und blinzelte mir fast zu. »Wir sind«, erklärte er, »jetzt notgedrungen mit den Engländern verbündet. Wir sind froh, ihre Freunde zu sein, dankbar für ihre Hilfe, von der wir zukünftigen Gewinn erwarten. Aber wir sind nicht englische Untertanen. Wir würden uns wohler fühlen, wenn sie nicht so mächtige Bundesgenossen wären.«

Ich erzählte ein Erlebnis mit Abdulla el Raschid auf dem Wege nach Hamra. Er hatte sich darüber beklagt, daß die englischen Matrosen in Rabegh täglich an Land gingen: »Sie werden bald die Nächte über dableiben und schließlich für immer dort wohnen und uns das Land wegnehmen.« Um ihn zu beruhigen, hatte ich ihm von den vielen Millionen Engländern erzählt, die jetzt in Frankreich gelandet waren, ohne daß die Franzosen darüber besorgt wären. Worauf er sich voller Verachtung mir zugewandt und mich gefragt hatte, ob ich etwa Frankreich mit dem Hedschas vergleichen wollte!

Faisal dachte ein wenig nach und meinte: »Ich bin kein Hedschasi meiner ganzen Erziehung nach, und doch, bei Gott, fürchte ich für das Land. Ich weiß, daß die Engländer es nicht brauchen, aber was heißt das, sie haben ja auch den Sudan genommen und brauchten ihn nicht. Sie hungern nach ödem Land, um es zu erschließen, und so wird ihnen vielleicht eines Tages auch Arabien wertvoll erscheinen. Euer Gutes und mein Gutes, das sind vielleicht verschiedene Dinge; aber jedes aufgezwungene Gute oder aufgezwungene Böse läßt ein Volk aufschreien vor Schmerz. Bewundert das Erz die Flamme, die es umschmilzt? Es ist kein Grund, Ärgernis zu nehmen, aber ein zu schwaches Volk klammert sich an sein bißchen Eigentum. Unser Volk wird eines Krüppels Gemütsart haben, bis es endlich seine Füße gefunden hat.«

Die zerlumpten, verlausten Stammesgrößen, die mit uns gegessen hatten, überraschten mich durch ihr umfassendes Verständnis für den politischen Nationalismus, eine abstrakte Idee, die sie kaum von den gebildeten Städtern des Hedschas übernommen haben konnten, von jenen Hindus, Javanern, Bucharern, Sudanesen und Türken, die den arabischen Idealen fernstanden und gerade damals unter der Gewalt des Patriotismus zu leiden hatten, der nach der plötzlichen Befreiung vom türkischen Joch etwas allzu hohe Wellen schlug. Scherif Hussein hatte die Klugheit besessen, seine Lehren auf den instinktiven Glauben der Araber zu begründen, daß sie das Salz der Erde und sich selbst genug seien. Und nun durch das Bündnis mit uns in die Lage versetzt, seine Lehre mit Waffen und Geld zu unterstützen, war er des Erfolges sicher.

Gewiß, dieser Erfolg war nicht überall gleichmäßig. Die große Mehrzahl der Scherifs verstanden seine nationalistische Lehre und waren seine Werber, erfolgreiche Werber dank ihrer ehrwürdigen Abstammung vom Propheten selbst, was ihnen die Macht gab, der Menschen Sinn zu lenken und sie auf den Weg eines bereitwilligen Gehorsams zu führen.

Die Stämme waren der Feuersäule ihres rassischen Fanatismus gefolgt. Die Städte mochten sich nach der satten Tatenlosigkeit der türkischen Herrschaft zurücksehnen: die Stämme waren überzeugt, daß sie eine freie und arabische Regierung gegründet hatten, und daß jeder einzelne von ihnen diese Regierung war. Sie waren unabhängig und wollten das voll genießen – eine Überzeugung und ein Vorsatz, die zur Anarchie hätten führen können, wenn sie nicht die Bande der Familie und der gegenseitigen Sippenverantwortlichkeit noch fester angezogen hätten. Das aber brachte die Verneinung einer Zentralgewalt mit sich. Der Scherif mochte nach außen hin volle Souveränität in Anspruch nehmen, wenn er prunkvollen Tand liebte; im Innern aber war er an die Stammesgesetze gebunden. Das Problem ausländischer Theoretiker: »Soll Damaskus den Hedschas oder kann der Hedschas Damaskus beherrschen?« kümmerte sie nicht, denn sie würden die Frage überhaupt nicht gestellt haben. Die semitische Idee des Nationalismus hieß: Unabhängigkeit der Clans und Dörfer, und ihr Ideal der nationalen Einheit war nur der vorübergehende Zusammenschluß zum Widerstand gegen einen Eindringling. Aufbauende Politik, staatliche Organisation, ein umfassendes Reich waren nicht so sehr außerhalb ihrer Sicht, als hassenswert an sich. Sie kämpften, von einem Reich freizukommen, nicht um eins zu gewinnen.

Das Denken der Syrier und Mesopotamier im arabischen Heer war anderer Art. Wenn sie in den einheimischen Aufgeboten, sogar hier im Hedschas, dienten, so meinten sie für das Recht aller Araber auf nationales Dasein zu kämpfen; dabei aber dachten sie nicht an einen einzigen Staat oder auch nur an einen Staatenbund, sondern hielten ihren Blick ausschließlich nach Norden gerichtet und wünschten ein selbständiges Damaskus und Bagdad der arabischen Völkerfamilie anzufügen. Sie waren arm an materiellen Hilfsquellen; und auch nach einem Erfolg würden sie, da ihr Dasein auf Ackerbau und Viehzucht beruhte, über keine Bodenschätze verfügen und sich niemals eine starke moderne Rüstung schaffen können. Wäre es anders gewesen, dann hätten wir doch Bedenken tragen müssen, im strategischen Mittelpunkt des Nahen Ostens neue nationale Bewegungen von so überströmender Energie ins Leben zu rufen.

Von religiösem Fanatismus war kaum eine Spur zu entdecken. Der Scherif lehnte es rundweg ab, seinem Aufstand eine religiöse Wendung zu geben. Der Glaube, für den er kämpfte, war der Nationalismus. Die Stämme wußten, daß die Türken Moslemin waren, und hielten wahrscheinlich die Deutschen für aufrichtige Freunde des Islams. Sie wußten, daß die Engländer Christen und daß sie ihre Bundesgenossen waren. Unter diesen Umständen würde ihre Religion ihnen nicht von sonderlichem Nutzen gewesen sein, und sie ließen sie daher aus dem Spiel. »Christen kämpfen gegen Christen, warum sollen also Mohammedaner nicht dasselbe tun? Was wir brauchen, ist eine Regierung, die unsere arabische Sprache spricht und uns in Frieden leben läßt. Außerdem hassen wir die Türken.«


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