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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Mit Faisal war ein prächtiges Arbeiten; hatte er einmal einer Sache zugestimmt, so setzte er sich auch mit ganzem Herzen dafür ein. Er gab sein Wort, daß er baldigst nach Wedsch marschieren werde; und am Neujahrstage kamen wir daher beide zusammen, um uns über die Einzelheiten des Unternehmens und seine Bedeutung für uns wie für die Türken zu besprechen.

Rings um uns her, kilometerweit das Wadi Janbo hinauf und hinab, in kleinen Gruppen rund um die Palmengärten, unter dichten Bäumen und in allen Seitentälern, wo immer sie Schutz vor Sonne und Regen und guten Weidegrund für die Kamele fanden, lagerten die Soldaten unseres Heeres. Von den Bergvölkern, halbnackten Fußsoldaten, waren nur noch wenige vorhanden. Die meisten der gegenwärtigen sechstausend Mann waren Berittene aus eigenen Mitteln. Ihre Kaffeeherde zeichneten sich schon von weitem durch die Kamelsättel ab, die rings um das Feuer aufgestellt waren als Armstütze für die Ruhenden. Die Araber waren körperlich so durchgebildet, daß sie völlig entspannt gleich Eidechsen auf dem steinigen Boden ausgestreckt liegen konnten und sich in einer fast totenähnlichen Gelöstheit den Unebenheiten anpaßten.

Ihre Stimmung war gelassen, aber vertrauensvoll. Viele, die schon sechs Monate und länger im Dienste Faisals waren, hatten ihren hitzigen Feuereifer verloren, der mir in Hamra so aufgefallen war; dafür aber hatten sie an Erfahrung gewonnen, und Ausdauer im Kampf für ihr Ideal war vorteilhafter und wichtiger für uns als ihr früherer Überschwang. Ihre Hingabe war bewußt geworden; und ihre Anwesenheit bei der Truppe war im gleichen Maß regelmäßiger geworden, als sich die Entfernung von ihren Heimstätten vergrößerte. Die bei den Stämmen übliche Unabhängigkeit von jeder Ordnung bestand noch weiter; aber sie hatten sich doch an gewisse militärische Formen auf dem Marsch und im Lager gewöhnt. Wenn der Scherif nahte, bauten sie sich in wackeliger Reihe auf, verbeugten sich gemeinsam und führten die Hand an die Lippen – ihr offizieller Gruß. Ihre Gewehre ölten sie nicht, da sie sonst, wie sie sagten, von Sand verstopft würden; außerdem besaßen sie kaum Öl und benutzten es lieber, um ihre vom Wind zerschundene Haut einzufetten. Aber dabei hielten sie doch ihre Gewehre in gutem Stand und einige konnten damit auch aufweite Entfernung gut treffen.

Als Masse war mit ihnen nicht viel anzufangen, denn sie besaßen keinen Korpsgeist, keine Disziplin und hatten kein Vertrauen zueinander. Je kleiner die Einheit, um so höher war ihre Leistung. Tausend von ihnen waren eine Herde, wirkungslos gegen eine Kompanie geschulter Türken; aber drei oder vier Araber in ihren Bergen konnten ein Dutzend Türken in Schach halten. Napoleon hat von den Mameluken das gleiche gesagt. Wir waren noch nicht genügend zu Atem gekommen, um unsere hastig am Wege gepflückten Erfahrungen in Regeln umzugießen; unsere Taktik bestand nur aus gelegentlichen Aushilfsmitteln, um einer aufkommenden Schwierigkeit zu begegnen. Aber auch wir lernten, wie unsere Leute.

Seit der Schlacht bei Nakhl Mubarak vermieden wir es, ägyptische Truppen und Irreguläre zu Einheiten zusammenzustellen. Die ägyptischen Offiziere und Mannschaften wurden verladen, nachdem wir ihre gesamte Ausrüstung an Rasim, Faisals Artilleriesachverständigen, und Abdulla el Deleimi, seinen Maschinengewehroffizier, übergeben hatten. Sie stellten Kompanien aus einheimischen Arabern auf, versteift durch syrische und mesopotamische, im türkischen Heer ausgebildete Überläufer. Maulud, der draufgängerische Adjutant, erbat sich von mir fünfzig Maultiere, setzte fünfzig seiner ausgebildeten Infanteristen darauf und erklärte ihnen, daß sie nun Kavallerie wären. Er war der geborene Reiteroffizier und ein scharfer Drillmeister, und dank seinen spartanischen Übungen wurden aus den vielgeplagten Maultierreitern unter Mühen und Schmerzen ganz vorzügliche Soldaten, die aufs Wort gehorchten und zu einem regelrechten Angriff fähig waren – geradezu ein Wunder im arabischen Heer. Wir bestellten telegraphisch noch weitere fünfzig Maultiere, um die Dosis dieser berittenen Infanterie zu verdoppeln; denn der Wert einer so gut geschulten Truppe für Erkundungsunternehmungen lag auf der Hand.

Faisal schlug vor, die Dschuheina annähernd vollzählig mitzunehmen und ihnen Teile der Harb, der Billi, Ateiba und Ageyl anzugliedern, um möglichst viele Stämme an dem Unternehmen zu beteiligen. Denn dieser Vorstoß, der dem Krieg im nördlichen Hedschas einen gewissen Abschluß geben würde, sollte uns dazu verhelfen, das ganze westliche Arabien in Bewegung zu bringen Es sollte die größte Kriegsoperation im Gedächtnis der Araber werden; und die Entlassenen würden zu Hause davon reden und das Gefühl verbreiten, daß sich ihre Welt von Grund auf gewandelt hatte; dann würde es keine kleinlichen Stammeseifersüchteleien und Treulosigkeiten in unserem Rücken mehr geben und keine Familienpolitik mehr würde uns mitten in unserem Kampf in die Quere kommen.

Nicht daß wir sofortigen Widerstand erwarteten. Wir bemühten uns, die schwer lenkbaren Schwärme gegen alle Erfahrung und Zweckmäßigkeit nach Wedsch zu führen, gerade weil wir nicht mit einem Kampf rechneten. Dafür hatten wir zweifellos Aktivposten für uns; vor allem waren zur Zeit die türkischen Hauptkräfte vollauf beschäftigt, Rabegh anzugreifen oder vielmehr das von ihnen besetzte Gebiet zur Vorbereitung dieses Angriffs weiter auszudehnen. Es würde Tage in Anspruch nehmen, um sie wieder nach Norden zu verschieben. Ferner waren die Türken stumpf und wir rechneten damit, daß sie unseren Vormarsch nicht sofort in seinem ganzen Umfang erfahren, den ersten Meldungen darüber keinen Glauben schenken und erst später erkennen würden, welche Möglichkeiten er ihnen in die Hand gegeben hatte. Wenn wir den Marsch in drei Wochen durchführten, so würden wir Wedsch wahrscheinlich durch Überraschung nehmen können. Schließlich konnten wir die nur gelegentliche Überfallstätigkeit der Harb zu planmäßigem Vorgehen ausbauen, um Beute zu machen und notfalls ohne Nachschub auszukommen, vor allem aber, um eine möglichst große Anzahl Türken in Verteidigungsstellungen festzunageln. Seid erklärte sich bereit, nach Rabegh hinunterzugehen und ähnlichen Kleinkrieg im Rücken der Türken zu organisieren. Ich gab ihm Empfehlungsbriefe an den Kapitän der »Dufferin« mit, des Wachschiffs von Janbo, um ihm eine rasche Überfahrt zu verschaffen; denn alle, die von dem Wedsch-Plan wußten, waren voller Eifer, daran mitzuhelfen.

Um mich selber in dieser Überfalltaktik zu üben, ritt ich am 2. Januar 1917 mit fünfunddreißig auserlesenen Mahamid von Nakhl Mubarak nach dem alten Blockhausbrunnen meiner ersten Reise von Rabegh nach Janbo. Bei Dunkelwerden saßen wir ab und ließen unsere Kamele mit zehn Mann Bewachung gegen mögliche türkische Patrouillen zurück. Wir übrigen erstiegen den Dhifran. Es war ein mühseliger Aufstieg, denn die Berge bestanden aus messerscharfen kantigen Steinschichten, die in schrägen Linien vom Kamm zum Fuß verliefen. Die Oberfläche war vielfach zerklüftet, bot aber keinen sicheren Halt; das Gestein war derart bröckelig, daß jedes Teilchen sich beim Zugriff ablöste.

Auf dem Gipfel des Dhifran war es kalt und neblig; langsam verging die Zeit bis zur Morgendämmerung. Wir verteilten uns hinter Felsen und entdeckten schließlich, dreihundert Yard unter uns, zur Rechten hinter einem Vorsprung die Kuppen von Spitzzelten. Da wir sie nicht voll in Sicht bekommen konnten, begnügten wir uns damit, ein paar Kugeln durch den oberen Teil der Leinwand zu jagen. Eine Anzahl Türken stürzten heraus und sprangen wie die Hasen in ihre Gräben. Sie boten gute Ziele und hatten wohl einige Verluste. Als Erwiderung eröffneten sie Schnellfeuer nach allen Richtungen und machten einen Mordslärm, anscheinend um die bei Hamra stehenden Truppen zu alarmieren, daß sie zur Hilfe herbeieilten. Da uns der Feind bereits mehr als zehnfach überlegen war, hätten die Verstärkungen uns den Rückzug abschneiden können. Daher krochen wir vorsichtig zurück, bis wir in das erste Tal hinuntereilen konnten, wo wir auf zwei verstörte Türken stießen, die gerade bei ihrer Morgenverrichtung waren. Viel Staat war mit den zerlumpten Kerlen nicht zu machen; aber wir hatten doch etwas vorzuzeigen und nahmen sie mit nach Hause, wo sich ihre Aussagen als nützlich erwiesen.

Faisal trug Bedenken, Janbo, den zweiten Hafen vom Hedschas und bisher seine unentbehrliche Basis, ungedeckt zu lassen; und während wir über Maßnahmen nachdachten, die die Türken von einer Besetzung Janbos ablenken konnten, fiel uns plötzlich Sidi Abdulla in Henakiyeh ein. Er hatte etwa fünftausend Irreguläre nebst einigen Geschützen und Maschinengewehren und besaß dazu den Ruhm seiner erfolgreichen (wenn auch zu langwierigen) Belagerung von Taif. Es schien eine Torheit, ihn ungenutzt mitten in der Wüste zu belassen. Mein erster Gedanke war, ihn nach Kheiber kommen zu lassen zur Bedrohung der Bahnlinie nördlich von Medina. Aber Faisal verbesserte meinen Plan und schlug vor, er solle nach dem Wadi Ajis gehen, dem historischen Quellental mit Palmdörfern, das durch die unzugänglichen Dschuheina-Berge von der Gegend bei Rudhwa an bis nach dem Hamdhtal nahe bei Hedieh lief. Es lag gerade hundert Kilometer nördlich von Medina und stellte eine unmittelbare Bedrohung von Fakhris Eisenbahnverbindung mit Damaskus dar. Von da aus konnte Abdulla die von ihm eingeleitete Blockade Medinas von Osten her gegen die Karawanen vom Persischen Golf aufrechterhalten. Auch lag es nahe bei Janbo, von wo er leicht Munition und Nachschub erhalten konnte.

Das war entschieden eine glückliche Eingebung, und wir schickten sogleich Radscha el Khuluwi ab, um Abdulla für den Plan zu gewinnen. So sicher waren wir seiner Zustimmung, daß ich Faisal drängte, ohne die Antwort abzuwarten, vom Wadi Janbo nordwärts einen Tagemarsch gegen Wedsch vorzurücken.


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