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Neunundzwanzigstes Kapitel

Das Leben in Wedsch bot viel des Interessanten. Das Lager war nun in die gehörige Ordnung gebracht. Faisal hatte seine Zelte (jetzt eine stattliche Gruppe: Wohnzelte, Empfangszelte, Zelte für den Stab, für die Gäste und für die Dienerschaft) etwa eine Meile von See auf der Höhe eines Korallenriffs aufgestellt, das sanft von der Küste ansteigend nach Osten und Süden zu in jähem Hang abfiel, von dem aus man über die breiten, strahlenförmig vom Hafen auslaufenden Täler blickte. In diesen sandigen Tälern hatten die Soldaten und die Stämme ihre Zelte errichtet, uns die kühle Höhe überlassend. Für uns Nordländer war es köstlich, wenn abends die Brise von der See das Wellenrauschen der Wogen zu uns herübertrug, fern und gedämpft wie das Echo des Verkehrs in einer stillen Seitenstraße Londons.

Unmittelbar unter uns lagen die Zelte der Ageyl in regellosen Gruppen. Südlich davon sah man Rasims Artillerie und nachbarlich neben ihnen die Maschinengewehrabteilung Abdullas, die Zelte in gerader Reihe und die angepflöckten Maultiere so gut ausgerichtet und mit so vorzüglicher Ausnutzung des knappen Raumes, daß es dem Berufsoffizier alle Ehre machte. Weiter nach draußen zu hatte sich der Markt etabliert, ein brodelndes Menschengewimmel rings um die am Boden ausgebreiteten Waren. Und weithin verstreut, da, wo es irgendein geschütztes und windstilles Plätzchen gab, hatten sich die Zelte oder Schutzdächer der Stämme angesiedelt. Dahinter öffnete sich das flache Land, und zwischen dem Lager und den dürftigen Palmen des nächstgelegenen salzigen Brunnens gingen Kamelgruppen ständig hin und her. Den Hintergrund bildeten die Vorberge, in zackiger Steilheit gegen den Horizont des Küstengebirges abgesetzt.

Bei der sehr weitläufigen Lagerweise in Wedsch verbrachte ich meine Zeit mit ständigem Rundgang zwischen Faisals Zelten, den Zelten der Engländer, den Zelten der ägyptischen Truppen, der Stadt, dem Hafen und der Funkstation. Um meinen schon abgehärteten Körper noch widerstandsfähiger zu machen, wanderte ich unermüdlich Tag für Tag in Sandalen oder barfuß über die Korallenkalkpfade und gewöhnte so ganz allmählich meine Füße daran, schmerzlos über steinigen und brennend heißen Boden zu gehen.

Die guten Araber wunderten sich, warum ich kein Pferd hätte; und ich verzichtete darauf, ihnen auseinanderzusetzen, daß ich mich abhärten wollte, oder daß ich um der Schonung der Tiere willen lieber ginge als ritte; sie hätten es doch nicht verstanden, obwohl beides zutraf. Ein unangenehmes Gefühl, etwas meinen Stolz Verletzendes wurde in mir wach beim Anblick dieser niederen Formen des Lebens. Ihr Vorhandensein ließ unserm Menschengeschlecht etwas Knechtisches anhaften – etwa aus der Perspektive eines Gottes gesehen – und daß auch ich sie ausübte und mich ihnen aus einer nicht unbedingt zwingenden Verpflichtung unterzog, darin lag etwas Beschämendes für mich. Es war etwas Ähnliches, wie ich es den Negern gegenüber empfand, wenn sie allnächtlich am Fuß der Klippen sich mit Tam-Tam-Getöse bis zur Rotglut erhitzten: ihre Gesichter, die so ganz anders waren als die unseren, waren noch erträglich; aber daß alle ihre Gliedmaßen das getreue Ebenbild der unseren waren, darin lag etwas Verletzendes.

siehe Bildunterschrift

Nawwaf Schaalan.
Pastellzeichnung von Kennington

Faisal, drinnen im Zelt, beschäftigte sich Tag und Nacht mit den politischen Angelegenheiten, wobei wir ihm nur wenig helfen konnten. Draußen unterhielten sich die Truppen mit Paraden, Freudenschießereien und Siegesmärschen. Auch Unfälle ereigneten sich. Einmal spielten einige Leute hinter unseren Zelten mit einer Flugzeugbombe, einem Überbleibsel von der Einnahme der Stadt durch Boyle. Die Bombe explodierte, die Glieder der Leute flogen im Lager herum, und die Leinwand unserer Zelte wurde mit Blutspritzern bedeckt, die sich bald bräunlich verfärbten und allmählich verblaßten. Faisal bezog andere Zelte und gab Befehl, die blutbespritzten Zelte zu vernichten; doch die sparsamen Sklaven wuschen sie nur aus. Ein anderes Mal fing eines der Zelte Feuer, und drei von unseren Gästen wurden dabei angeröstet. Das ganze Lager lief zusammen und brüllte vor Freude, bis das Feuer erstarb; erst dann nahm man sich, mit einigermaßen blöden Gesichtern, der Verletzten an. Ein drittes Mal wurde durch einen vorzeitig krepierenden Freudenböller eine Stute verwundet und viele Zelte durchlöchert.

Eines Abends begannen die Ageyl gegen ihren Befehlshaber, Ibn Dakhil, zu meutern, weil er ihnen zu häufig Geldbußen auferlegte und sie allzu grausam durchprügeln ließ. Mit Geschrei und Geschieße kamen sie angelaufen, stürzten sein Zelt um, warfen alles umher und verbläuten seine Sklaven. Aber damit hatte ihre Wut noch nicht ausgetobt: sie erinnerten sich plötzlich der Vorfälle von Janbo und machten sich auf, um die Ateiba niederzumachen. Faisal sah von der Uferhöhe aus ihre Fackeln, rannte, barfuß wie er war, hinunter, fuhr wie eine Windsbraut zwischen sie und hieb mit flacher Klinge auf sie ein.

Sein Eingreifen brachte sie zum Stehen, indes die herbeigerufenen Sklaven und Reiter den Hügel hinabstürmten und mit Geschrei und flachen Säbelhieben auf sie eindrangen. Man gab Faisal ein Pferd, auf dem er die Rädelsführer niederritt, und die Haufen wurden auseinandergetrieben, indem man ihnen Leuchtraketen auf die Kleider schoß. Es gab nur zwei Tote und dreißig Verwundete. Ibn Dakhil dankte am nächsten Tage ab.

Murray hatte uns zwei Rolls-Royce-Panzerwagen überlassen, die beim Feldzug in Ostafrika freigeworden waren. Sie hatten britische Besatzung; Gilman und Wade befehligten sie. Ihre Anwesenheit in Wedsch brachte mancherlei Erschwernisse, denn das Essen, das wir gegessen, und das Wasser, das wir getrunken hatten, wurde sofort als gesundheitsschädlich erklärt; aber das wurde aufgewogen durch die Annehmlichkeit, Gesellschaft von Engländern zu haben; und es gab viel Arbeit damit, Wagen und Motorräder durch den heillosen Sand um Wedsch zu bringen. Die Araber waren begeistert von dem neuen Spielzeug. Die Räder nannten sie Teufelspferde und Kinder der Autos, die wiederum Söhne und Töchter der Eisenbahnen waren. So hatten wir also drei Generationen mechanischer Transportmittel.

Die Flotte unterstützte uns in großzügiger Weise in Wedsch. Boyle sandte die »Espiegle« als Stationsschiff, mit dem freundlichen Befehl, »alles zu tun, was in ihrer Macht stand, um die mannigfachen, von Oberst Newcombe an sie gerichteten Ansinnen zu unterstützen, aber dabei deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß das Gefälligkeiten wären«. Kapitän Fitzmaurice (der Name hatte einen guten Klang in der Türkei) war der Inbegriff der Gastfreundschaft, und unsere Arbeit an Land machte ihm viel Spaß. Er half uns in jeder Weise, vor allem aber in der Nachrichtenübermittelung, denn er war ein erfahrener Funker. Eines Tages gegen Mittag lief die »Northbrook« ein und brachte für uns ein Armeefunkgerät, auf einen leichten Wagen montiert, an Land. Da sich niemand darauf verstand, saßen wir da; aber Fitzmaurice kam sofort mit seiner halben Mannschaft an Land, stellte den Wagen an geeigneter Stelle auf, richtete die Masten hoch und brachte den Apparat so gut in Gang, daß wir bereits vor Sonnenuntergang die »Northbrook« anriefen und ein langes Gespräch mit dem erstaunten Funker führen konnten. Die Anlage vergrößerte erheblich den Wert unserer Basis in Wedsch; sie war Tag und Nacht in Betrieb und sandte über das Rote Meer hin Nachrichten in drei Sprachen und zwanzig verschiedenen Geheimschlüsseln.


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