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Fünfzehntes Kapitel

Am nächsten Morgen war ich früh auf und ritt allein nach Kheif zu Faisals Truppen hinaus, um ihre Stimmung in gleicher Weise auszukundschaften, wie am Abend vorher die ihrer Führer. Vor allem mußte ich die Zeit richtig ausnutzen, denn es war notwendig, in zehn Tagen Eindrücke zu gewinnen, die ich in meiner gewohnten Art sonst nur hätte in Wochen der Beobachtung machen können. Normalerweise verbrachte ich den ganzen Tag damit, nur die unmittelbaren Eindrücke zu erfassen, war aber blind für alle Einzelheiten, und wurde nur gewahr, daß es rote Dinge oder graue Dinge oder klare Dinge um mich gab. Heute aber mußten meine Augen direkt an das Gehirn angeschaltet werden, damit ich das eine oder andere um so klarer durch den Gegensatz zu der früheren Verschwommenheit wahrnahm. Solche Beobachtungen betrafen fast immer große Umrisse: Felsen und Bäume, oder menschliche Körper in Ruhe oder Bewegung, nicht aber Kleinigkeiten wie Blumen, oder Eigenschaften wie Farben.

Hier jedoch bedurfte es eines sehr wachen Berichterstatters. In diesem Gelegenheitskrieg wurde das geringste Versagen höheren Orts mit Genugtuung aufgenommen, gewissermaßen als Bestätigung der vorgefaßten Meinung des Generalstabes, der sich McMahon starrsinnig anpaßte. Ich aber glaubte an die arabische Bewegung und war, schon bevor ich hierherkam, der Überzeugung, daß sie den wirksamen Hebel bilden würde zur Aufteilung des türkischen Reiches. Doch bei den Herren in Ägypten fehlte meist das rechte Vertrauen, und man hatte ihnen eine falsche oder mangelhafte Kenntnis des arabischen Krieges beigebracht. Gab ich nun eine lebendige Schilderung vom Geiste dieser Romantiker in den Bergen rings um die Heiligen Städte, so gelang es mir vielleicht, Kairo für die weiteren notwendigen Hilfsmaßnahmen zu gewinnen.

Die Leute begrüßten mich sehr fröhlich. Unter jedem größeren Feld oder Busch räkelten sich die braunen Gestalten gleich trägen Skorpionen und genossen, vor der Hitze verkrochen, die morgendliche Kühle des beschatteten Gesteins. Meiner Khakiuniform wegen hielten sie mich für einen übergegangenen türkischen Offizier und sparten nicht mit scherzhaften, aber grauslichen Drohungen, wie sie mit mir verfahren wollten. Die meisten waren noch jung, obwohl man unter »Kriegern« jeden Mann zwischen zwölf und sechzig versteht, wenn er nur zu schießen vermag. Sie sahen sehr zäh aus, waren dunkelfarbig, einige negerhaft. Ihre Körper waren schmächtig, aber vorzüglich gebaut und bewegten sich mit geschmeidiger Lebhaftigkeit, die schön anzusehen war. Es mochte kaum herzhaftere und härtere Menschen geben. Sie würden im Sattel Tag für Tag ungeheure Entfernungen zurücklegen können, in der Hitze stundenlang ohne Beschwernis durch Sand und über Felsgestein eilen und wie Ziegen ihre Berge erklettern. Ihre Kleidung bestand hauptsächlich aus einem losen Hemd, dazu manchmal kurze Leinenhosen, dann das Kopftuch, meist aus rotem Stoff, das je nachdem als Halstuch, Taschentuch oder auch Tasche diente. Sie waren kreuz und quer mit Patronengürteln bedeckt und feuerten Freudenschüsse ab, sooft sie konnten.

siehe Bildunterschrift

Mohammed el Scheheri.
Pastellzeichnung von Kennington

Sie waren voll grimmiger Begeisterung und schrien, der Krieg könne von ihnen aus noch zehn Jahre dauern. Eine so fette Zeit hatten aber auch die Berge bisher noch nicht erlebt. Der Scherif ernährte außer den Kriegern selbst auch deren Familien und bezahlte monatlich für einen Mann zwei, für ein Kamel vier Pfund. Nur so konnte das Wunder vollbracht werden, eine aus Stämmen bestehende Truppe fünf Monate hindurch im Felde zu halten.

Wir waren gewohnt, auf den Hang zum Gelde bei den orientalischen Soldaten etwas verächtlich herabzusehen; aber der Feldzug im Hedschas war ein Beweis dafür, daß das nur begrenzt zutraf. Die Türken wandten hohe Bestechungssummen auf und erhielten wenig dafür, jedenfalls keinen aktiven Dienst. Die Araber nahmen ihr Geld und gaben dafür befriedigende Versicherungen ab; aber die gleichen Stämme blieben inzwischen mit Faisal in Verbindung, in dessen Dienst sie gegen Bezahlung traten. Die Türken schnitten ihren Gefangenen die Kehle durch mit dem Messer, als ob sie Schafe schlachteten. Faisal setzte als Belohnung für jeden Gefangenen ein Pfund aus, viele wurden unverletzt zu ihm gebracht. Ebenso zahlte er für erbeutete Maultiere und Gewehre.

Entsprechend ihrer Sippenordnung war in den einzelnen Kontingenten ein beständiger Wechsel. Eine Familie besaß meist nur eine Flinte, und jeder der Söhne diente der Reihe nach einige Tage. Ein Verheirateter blieb eine Weile im Lager, eine Weile bei seinem Weib, und manchmal hatte es ein ganzer Clan satt und nahm sich Urlaub. Infolgedessen gab es mehr Besoldete als unter den Waffen Stehende; und aus politischen Gründen erhielten oft auch die großen Scheiks hohe Besoldungen, mehr eine höfliche Form der Bestechung für freundschaftliche Haltung. Faisals achttausend Mann waren eine geschlossene Truppe, in zehn Kamelreiterkorps eingeteilt, das übrige Bergvölker. Diese dienten nur unter ihren eigenen Scheiks und nahe ihrer Heimat und besorgten Verpflegung und Transporte selbst. Nominell gebot jeder Scheik über hundert Gefolgsleute. Die Scherifs dienten als Gruppenführer kraft ihrer bevorzugten Stellung, die sie über die Zänkereien und Eifersüchteleien zwischen den Stämmen erhob.

Blutfehden waren dem Namen nach aufgehoben und in dem Bereich der Scherifs tatsächlich beigelegt: Billi und Dschuheina, Ateiba und Ageyl lebten und kämpften Seite an Seite in Faisals Armee. Dennoch waren die einzelnen Stämme argwöhnisch gegeneinander, und auch innerhalb des Stammes traute keiner dem Nachbarn. Wohl war jeder einzelne wahrscheinlich oder sicherlich beseelt vom Haß gegen die Türken, aber vielleicht doch nicht bis zu dem Grade, um einer bestehenden Familienfehde auch im Felde vollständig zu entsagen. Infolgedessen waren sie zum Angriff ungeeignet. Eine Kompanie Türken, gut verschanzt im freien Felde, hätte ihrem ganzen Heer Trotz bieten können; und eine empfindliche Niederlage mit schweren Verlusten würde den Krieg rein aus Schrecken beendet haben. Die Stämme waren also nur für die Verteidigung zu brauchen. Ihre skrupellose Habgier machte sie erpicht auf Beute und spornte sie an, Bahngleise aufzureißen, Karawanen zu plündern und Kamele zu stehlen; doch waren sie zu unabhängigen Sinnes, um sich einem Kommando zu beugen oder in Masse zu fechten. Ein Mann, der auf eigene Faust gut zu kämpfen versteht, gibt meist einen schlechten Soldaten ab, und diese Champions schienen mir ein wenig geeignetes Material für unsere Art Drill. Doch wenn wir ihnen zur Rückenstärkung Maschinengewehre von dem leichten Lewis-Typ gaben, die sie selbst bedienen konnten, so stand zu hoffen, daß sie ihre Berge halten und als sicherer Schutzschild dienen würden, hinter dem wir dann, vielleicht in Rabegh, eine bewegliche Kolonne aus arabischen Regulären zusammenstellen konnten, die fähig war, einer türkischen Truppe (durch den Guerillakrieg auseinandergezogen) entgegenzutreten und sie Stück für Stück zu schlagen. Für ein solches Korps regelrechter Soldaten würde der Hedschas keine Rekruten liefern können. Es mußte aus den Städtern Syriens und Mesopotamiens gebildet werden, über die wir bereits verfügten, geführt von arabischsprechenden, in der türkischen Armee ausgebildeten Offizieren, Männern von der Art und der Vergangenheit eines Asis al Masri oder eines Maulud. Sie würden den Krieg durch wirksame Schläge beenden, während die Stämme scharmützelten und durch die fortgesetzten Nadelstiche ihrer überraschenden Überfälle die Türken behinderten und ablenkten.

Bis dahin aber würde der Feldzug im Hedschas gewissermaßen ein Krieg von Derwischen gegen reguläre Truppen sein. Dieser Hedschas-Krieg war sozusagen der Kampf eines felsigen öden Berglandes selber (dem die wilden Horden seiner Bewohner nur zu Hilfe kamen) gegen einen Feind, der von den Deutschen so überreich ausgerüstet war, daß ihm fast die Fähigkeit verlorenging zu einem derartigen regellosen Kleinkrieg Der Verfasser überschätzt denn doch beträchtlich die deutschen Hilfsquellen. Bekanntlich war Deutschland infolge der Blockade im Kriege so arm an Rohstoffen, daß kaum für die eigenen Armeen genügend Material und Ausrüstung beschafft werden konnte. Daneben noch die türkischen Heere »überreich auszustatten« war schlechthin unmöglich, ganz abgesehen davon, daß die einzige zur Verfügung stehende, sehr lange Eisenbahnverbindung durch den Balkan Transporte nur in beschränktem Maße gestattete. Was zu jener Zeit dem türkischen Heer von Deutschland an Material und technischen Hilfsmitteln zur Verfügung gestellt werden konnte, war außerordentlich gering. (A. d. Ü.). Die Bergketten waren ein Paradies für Hinterhalte, und im Auflauern waren die Araber Meister. Zwei- oder dreihundert entschlossene Männer, die mit der Gegend vertraut waren, würden jeden Abschnitt in den Bergen halten können, da die Hänge zu steil zum Aufstieg waren. Die Täler, auf Hunderte von Meilen die einzig gangbaren Straßen, waren nicht so sehr Täler als vielmehr Schluchten und Klüfte, bisweilen zweihundert, bisweilen nur zwanzig Yard breit, mit zahllosen Windungen und Ecken, eintausend bis viertausend Fuß tief und völlig öde. Die Seitenwände bestanden aus kahlem Granit, Basalt oder Porphyr, nicht in glatten Hängen, sondern zersägt, zerspalten und aufgeschichtet zu Tausenden von zackigen Blockhaufen, hart und fast so scharf geschliffen wie Metall.

Meinen gewiß nicht sachkundigen Augen erschien es unmöglich, daß die Türken ohne Verrat von seiten der Bergstämme hier den Durchbruch wagen konnten. Aber auch wenn Verrat im Spiel war, würde es dennoch gefährlich sein, das Gebirge zu überschreiten. Der Feind könnte nie sicher sein, daß sich die wankelmütige Bevölkerung nicht plötzlich gegen ihn wandte; und es war bedenklicher, ein solches Labyrinth von Engpässen im Rücken als es vor sich zu haben. Ohne die Freundschaft der Stämme würden die Türken nur im Besitz des Bodens sein, den ihre Soldaten besetzt hielten; und rückwärtige Verbindungslinien von solcher Länge und Schwierigkeit würden binnen zwei Wochen Tausende von Mannschaften beansprucht haben und wenig für die Kampffront übriglassen.

Das einzig Beunruhigende war nur, daß es den Türken tatsächlich gelang, die Araber durch ihre Artillerie in Schrecken zu setzen. Asis el Masri hatte beim Türkisch-Italienischen Krieg in Tripolis den gleichen Schrecken erlebt, aber auch gefunden, daß er sich abnutzte. Wir hofften, daß es bei uns ebenso gehen würde; aber vorläufig jagte noch der Knall eines Kanonenschusses alle bis außer Hörweite in Deckung. Sie glaubten, die Wirkungskraft einer Waffe entspräche ihrem Lärm. Nicht, daß sie sich vor Kugeln oder auch übermäßig vor dem Sterben fürchteten, aber gerade der Tod durch Granatfeuer war ihnen unerträglich. Ich gewann den Eindruck, daß ihr moralischer Halt nur dadurch wiederhergestellt werden konnte, daß sie selber Kanonen bei sich hatten, ganz gleich, ob verwendbar oder nicht, wenn sie nur Lärm machten. Vom glanzvollen Faisal bis herab zum nacktesten Burschen in der Armee gab es nur ein Schlagwort: Artillerie, Artillerie und wieder Artillerie.

Sie freuten sich, als ich ihnen von der Landung der fünfzölligen Haubitzen in Rabegh erzählte. Solche Nachrichten glichen bei ihnen den ungünstigen Eindruck ihres letzten Rückzugs im Wadi Safra fast wieder aus. Die Geschütze mochten vielleicht von keinem wirklichen Nutzen für sie sein, es schien mir eher, daß sie für die Araber sogar nachteilig sein könnten. Denn deren Vorzüge lagen in ihrer Beweglichkeit und Selbständigkeit, und wenn wir ihnen Geschütze gaben, hemmten wir ihre Bewegungen und ihre Wirksamkeit. Nur wenn wir ihnen keine gaben, würden sie völlig sie selbst sein.

Diese nahe Fühlungnahme brachte mir die Gewalt des Aufstandes recht eigentlich zum Bewußtsein. Eine dichtbevölkerte Landschaft hatte mit einem Schlage ihr Aussehen verändert; aus losen Zusammenrottungen nomadisierender Gelegenheitsdiebe war eine geschlossene Front gegen die Türkei geworden und kämpfte gegen sie, zwar nicht auf unsere Weise, aber doch mit aller Wildheit, und das trotz der religiösen Idee, die drauf und dran war, den ganzen Osten zum Heiligen Krieg gegen uns zu entflammen. Ohne daß es sich in Ziffern irgendwie berechnen ließ, hatten wir einen leidenschaftlichen Türkenhaß entfesselt, der, vertieft noch durch eine generationenlange Unterjochung, nicht so leicht wieder dahinschwinden mochte. Bei den Stämmen in der Kampfzone zeigte sich eine fast überreizte Begeisterung, wie sie sicherlich allen nationalen Erhebungen zu eigen ist. Sie hatte aber etwas seltsam Beunruhigendes für den Angehörigen eines schon so lange Zeit freien Landes, dem der Begriff nationaler Freiheit wie das Wasser geworden war, das man trinkt: man schmeckt es nicht.

Später sah ich Faisal nochmals und versprach ihm, mein Bestes für ihn zu tun. Meine Oberen in Kairo würden eine Operationsbasis in Janbo errichten und dort Vorräte und allen nötigen Nachschub für seinen ausschließlichen Gebrauch aufstapeln lassen: Wir würden versuchen, aus den in Mesopotamien oder am Kanal gefangenen türkischen Offizieren Freiwillige für ihn zu gewinnen. Ferner würden wir Unteroffiziere und Mannschaften der Internierungslager als Geschützbedienung ausbilden und sie mit Gebirgsgeschützen und Maschinengewehren ausrüsten, soviel davon in Ägypten aufzutreiben wären. Schließlich würde ich vorschlagen, aktive britische Offiziere herunterzusenden, die ihm als Ratgeber und Verbindungsoffiziere beigegeben werden sollten.

Unsere Unterhaltung, die diesmal sehr freundschaftlichen Charakter angenommen hatte, endete mit wärmstem Dank seinerseits und der Einladung, so bald als möglich wiederzukommen. Ich erklärte ihm, daß meine Pflichten in Kairo den Dienst im Felde für mich ausschlossen, daß mir aber meine Vorgesetzten einen erneuten Besuch bei ihm vielleicht später gestatten würden, wenn seine augenblicklichen Wünsche erfüllt wären und die Bewegung glücklich vorwärtsginge. Inzwischen möchte ich ihn für meine Reise nach der Küste um seine gütige Unterstützung bitten.

Faisals Fürsorge verschaffte mir eine Eskorte von vierzehn Scherifs der Dschuheina, sämtlich Verwandte von Mohammed Ali ibn Beidawi, dem Emir der Dschuheina. Sie sollten mich wohlbehalten nach Janbo zum Scheik Abd el Kadir el Abdo, dem Gouverneur der Stadt, bringen.


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