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Achtzehntes Kapitel

So brach ich unter gutem Vorzeichen auf, zusammen mit meinem Reisegefährten Scherif Abd el Kerim el Beidawi, einem Halbbruder Mohammeds, des Emirs der Dschuheina, aber zu meinem Erstaunen ein rein abessinischer Typ. Ich hörte später, daß seine Mutter eine junge Sklavin gewesen war, die der alte Emir gegen Ende seines Lebens geheiratet hatte. Abd el Kerim war mittelgroß, mager und kohlschwarz, sechsundzwanzig Jahre alt, aber jünger aussehend, um das spitze Kinn nur einen dünnen Knebelbart. Er war von sehr umgänglichem Wesen, lebhaft, beweglich und von etwas lockerer, genußfreudiger Natur. Er haßte die Türken, die ihn seiner Hautfarbe wegen verachteten (die Araber kannten Afrikanern gegenüber keine Rassenvorurteile, dagegen hatten sie gegen die Inder eine blutmäßige Abneigung), und war mir gegenüber sehr freundlich und zutunlich. Er war begleitet von drei oder vier seiner Leute, alle gut beritten. Unsere Reise ging rasch vonstatten, denn Abd el Kerim, ein berühmter Reiter, setzte seinen Ehrgeiz darein, die Etappen in einem Drittel der üblichen Zeit zurückzulegen. Da es nicht mein eigenes Kamel und das Wetter kühl und regenverheißend war, hatte ich nichts dagegen.

Wir ritten drei Stunden ununterbrochen in scharfem Trab. Der hatte unsere vollen Wänste so gründlich durchgerüttelt, daß wir wieder etwas hineinstopfen konnten. Also hielten wir an und labten uns an Brot und Kaffee, während Abd el Kerim sich auf seinem Teppich in einer Art Hundekampf mit einem seiner Leute umherwälzte. Als er außer Atem war, setzte er sich auf, und nun erzählten sie sich Geschichten und trieben Possen, bis sie genügend verschnauft hatten, um aufzustehen und zu tanzen. Das geschah alles auf eine ungezwungene, gutgelaunte Art und keineswegs würdevoll. Dann, nach erneutem Aufbruch, brachte uns eine einstündige tolle Hetzjagd in der Dämmerung an das Ende der Tihamma und an den Fuß einer niedrigen Bergkette aus Fels und Sand. Einen Monat vorher, als wir von Hamra kamen, waren wir südlich daran vorbeigeritten; jetzt überquerten wir sie, das Wadi Agida hinaufreitend, ein enges, gewundenes und sandiges Tal. Da es einige Tage vorher Wasser geführt hatte, war der sandige Boden fest; doch der steile Anstieg zwang die schnaufenden Kamele, im Schritt zu gehen. Mir war das willkommen, aber Abd el Kerim war wütend; und als wir nach einer knappen Stunde die Höhe erreicht hatten, riß er sein Tier wieder vorwärts, und nun ging es eine halbe Stunde in halsbrecherischer Jagd durch die Finsternis den Berg hinab (zum Glück war der mit Sand und Kieseln bedeckte Boden gut gangbar). Dann ebnete sich das Land und wir gelangten zu den Außenplantagen von Nakhl Mubarak, den Hauptdattelkulturen der südlichen Dschuheina.

Als wir näher kamen, sahen wir Flammenschein zwischen den Palmen hindurch und dann das Licht zahlloser Feuer, während das weite Tal widerhallte vom Brüllen Tausender aufgeregter Kamele, von krachenden Schüssen und dem Rufen von Leuten, die in der Dunkelheit nach ihren verlorenen Kameraden suchten. Da wir in Janbo erfahren hatten, daß Nakhl geräumt war, so schien uns dieser Lärm verdächtig. Wir schlichen uns also am Rand einer der Anpflanzungen entlang und durch eine enge, von mannshohen Lehmmauern umsäumte Straße bis zu einer abseitigen Häusergruppe. Beim ersten dieser Häuser zur Linken drückte Abd el Kerim das Hoftor ein, führte die Kamele in den Hof und fesselte die niedergegangenen Tiere nahe der Wand, damit sie nicht gesehen wurden. Dann lud er eine Patrone in seine Flinte, und vorsichtig auf Zehenspitzen stahl er sich die Straße hinunter, um festzustellen, was los war. Wir blieben wartend sitzen in der kühlen Nacht, während unsere vom Schweiß des scharfen Rittes durchfeuchteten Kleider allmählich trockneten.

Nach einer halben Stunde kam er zurück und berichtete, daß Faisal mit seinem Kamelreiterkorps soeben eingetroffen sei und wir zu ihm hinabkommen sollten. So führten wir die Kamele heraus, saßen auf und ritten hintereinander eine schmale, dammartige Gasse hinab, von einzelnen Häusern besetzt und rechts begrenzt von einem tiefgelegenen Palmenhain. Dem Ende zu war sie vollgepfropft von einem Gewimmel von Arabern und Kamelen, das Ganze ein wüstes, brüllendes und schreiendes Durcheinander. Wir drängten uns hindurch, stiegen einen Hang hinab und sahen uns plötzlich im Flußbett des Wadi Janbo, einem weiten offenen Tal, dessen Ausdehnung man nur aus den zahllosen Wachtfeuern erraten konnte, die in wirren Linien weithin aufleuchteten. Auch war der Boden feucht und das Geröll mit Schlamm überzogen, Rückstände einer kurzen Überschwemmung zwei Tage zuvor. Unsere Kamele bewegten sich vorsichtig und unsicher auf dem schlüpfrigen Grund.

Doch waren wir jetzt nicht in der Lage, dies oder sonst etwas zu bemerken, außer den Massen von Faisals Armee, die das Tal von Uferrand zu Uferrand erfüllten. An Hunderten von kleinen Feuern aus Dornreisig und mitten zwischen dem Durcheinander der Kamele lagerten Araber, machten sich Kaffee, aßen oder schliefen gleich Toten, in ihre Mäntel gehüllt. Eine derartig große Anhäufung von Kamelen verursachte eine unbeschreibliche Wirrnis; über das ganze weite Biwakfeld lagen sie, auf die Knie gegangen, wo sie gerade gestanden hatten, oder durch Fesseln niedergehalten; immer neue strömten hinzu, und die Gefesselten, auf drei Beinen sich aufrichtend, strebten brüllend vor Hunger und Aufregung zu ihnen hin. Patrouillen zogen ab, Karawanen wurden entladen, und im Mittelpunkt der Szene jagten Dutzende von ägyptischen Mauleseln wild bockend umher.

Wir ackerten uns mühsam einen Weg durch das Gewoge hindurch, und gerade in der Mitte des Talbettes, auf einem Eiland der Ruhe, fanden wir Scherif Faisal. Wir stiegen ab und banden unsere Kamele in der Nähe fest. Faisal saß auf seinem über die nackten Steine gebreiteten Teppich; rechts und links von ihm sein Vetter Scherif Scharraf, Kaimakam von Imaret und Taif, und sein Adjutant Maulud, der feurige alte Patriot aus Mesopotamien. Vor ihm kniete ein Sekretär, einen Befehl niederschreibend, während hinter ihm ein zweiter laut eine Meldung vorlas beim Schein einer silbernen, von einem Sklaven gehaltenen Lampe. Die Nacht war windstill, und die offene Flamme stand kerzengerade in der schweren Luft.

Faisal, ruhig wie immer, bewillkommnete mich mit einem Lächeln, während er das Diktat beendete. Dann entschuldigte er sich wegen des formlosen Empfangs und winkte seinen Sklaven, uns allein zu lassen. Als sie sich eben samt allen Umstehenden zurückgezogen hatten, stürmte ein scheu gewordenes Kamel bockend und trompetend auf den Platz vor uns. Maulud sprang auf und ergriff das Kopfhalfter des Tieres, um es wegzuziehen; statt dessen zerrte ihn das Kamel mit fort. Dabei lösten sich die Seile der Futterlast auf seinem Rücken, und eine Lawine von Heu überschüttete den schweigsamen Scherif, seine Lampe und mich. »Gott sei gelobt«, sagte Faisal würdevoll, »daß es keine Butter war oder etwa Goldsäcke.« Dann erzählte er mir, was sich Unerwartetes an der Kampffront in den letzten vierundzwanzig Stunden ereignet hatte.

Die Türken hatten die Vortruppen der arabischen Sperrstellung im Wadi Safra mittels eines Seitenpfades in den Bergen umgangen und ihnen dadurch den Rückzug abgeschnitten. Die von einer Panik ergriffenen Harb hatten sich in die Schluchten zu beiden Seiten verkrümelt und sich in Gruppen zu zweit oder zu dritt durch die Türken hindurchgeschlichen. Die türkische Reiterei strömte das nunmehr ungedeckte Tal hinab und stieß über den Dhifran-Paß gegen Bir Said vor, wo Ghalib-Bej, ihr Kommandeur, beinahe den nichtsahnenden Seid in seinem Zelt schlafend gegriffen hätte. Aber er wurde gerade noch rechtzeitig gewarnt. Mit Hilfe des Scherifs Abdulla ibn Thawab, eines alten Harith-Kämpfers, hielt Emir Seid den Angriff lange genug auf, bis ein Teil seiner Zelte und sein Gepäck auf die Kamele verladen und fortgeschafft werden konnte. Dann entwich er selbst, aber seine Truppe zerstob in lose Haufen, die in wilder Flucht durch die Nacht auf Janbo jagten.

Damit lag für die Türken der Weg nach Janbo frei, und Faisal hatte sich, gerade eine Stunde vor unserer Ankunft, mit seinen fünftausend Mann hierher geworfen, um zunächst seine rückwärtige Verbindung zu decken, bis man geeignete Verteidigungsmaßnahmen getroffen hätte. Sein Späherdienst versagte; die Harb, in der Dunkelheit völlig kopflos geworden, brachten wilde und widersprechende Meldungen, bald von dieser, bald von jener Seite über die Stärke der Türken, ihre Bewegungen und Absichten. Er konnte sich kein Bild davon machen, ob die Türken nach Janbo vorstoßen oder sich begnügen würden, die vom Wadi Janbo in das Wadi Safra führenden Pässe zu halten, während sie ihre Hauptmacht die Küste hinunter gegen Rabegh und Mekka vorwarfen. Die Lage war in beiden Fällen ernst; das Günstigste noch würde sein, wenn Faisals Anwesenheit die Türken heranlockte und sie bei dem Versuch, Faisals Armee abzufangen, mehrere Tage verloren, während der wir Zeit hatten, Janbo zu verstärken.

Inzwischen tat Faisal in heiterer Ruhe sein möglichstes, und ich saß bei ihm und hörte zu, wie Meldungen kamen oder Gesuche, Klagen und Beschwerden vorgebracht wurden, die er summarisch erledigte.

Scharraf, neben mir, geschäftig mit einem Zahnstocher in seinem leuchtenden Gebiß hin- und herfuhrwerkend, äußerte nur ein- oder zweimal innerhalb einer Stunde etwas, um überzudringliche Bittsteller zurechtzuweisen. Manchmal beugte er sich hinter Faisals neutralem Rücken zu mir herüber und wiederholte zu unser beider Nutzen eifrig jedes Wort einer Meldung, die zugunsten eines sofortigen und regelrechten Gegenangriffs sprechen mochte.

Das dauerte so bis gegen halb vier Uhr morgens. Es war sehr kalt geworden, und die Feuchtigkeit des Tales drang durch den Teppich hindurch in unsere Kleider. Allmählich wurde es still im Lager, da Menschen und Tiere nach und nach ermüdet in Schlaf fielen; ein weißlicher Nebel lagerte sich weich darüber, und die Feuer wurden zu trägen Rauchsäulen. Unmittelbar hinter uns erhob sich aus einem Nebelbett der Dschebel Rudhwa steiler und zerklüfteter denn je, im milden Schein des Mondes uns so nahe gerückt, daß er über unseren Köpfen zu hängen schien.

Endlich hatte Faisal die dringendste Arbeit beendet. Wir aßen ein halb Dutzend Datteln, eine magere Stärkung, und streckten uns auf dem feuchten Teppich aus. Als ich noch fröstelnd dalag, bemerkte ich, wie sich die Biascha-Posten heranschlichen und ihre Mäntel sanft über Faisal breiteten, nachdem sie sich vergewissert hatten, daß er schlief.

Eine Stunde später, in der feuchtkalten Dämmerung (zu kühl, als daß wir noch länger zu schlafen versuchen konnten) erhoben wir uns mit steifen Gliedern. Die Sklaven zündeten ein wärmendes Feuer aus Palmstrünken an, während Scharraf und ich uns nach ein wenig Atzung und Brennmaterial umsahen. Von allen Seiten trafen Boten ein mit schlimmen Meldungen über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff, und im Lager drohte eine Panik. Faisal entschloß sich daher zu einem Stellungswechsel, teils, weil wir durch einen zufälligen Regenguß in den Bergen aus unserer jetzigen Stellung herausgeschwemmt werden konnten, teils, um die Gemüter seiner Leute zu beschäftigen.

Als die Trommeln zum erstenmal wirbelten, wurden die Kamele in Eile beladen. Auf ein zweites Signal stieg jeder in den Sattel und wich nach rechts oder links aus, um eine breite Gasse freizumachen. Durch diese ritt Faisal auf seiner Stute, einen Schritt hinter ihm Scharraf, und gleich danach kam Ali aus Nedschd, der Bannerträger, eine prachtvolle Erscheinung, dessen Falkenantlitz umrahmt war von jettschwarzen, seitlich der Schläfen herabfallenden Haarflechten. Ali war prächtig gekleidet und ritt ein besonders stattliches Kamel. Dahinter folgte der ganze Schwärm von Scherifs und Scheiks und Sklaven – und meine Wenigkeit – bunt durcheinander. Die Leibwache zählte an diesem Morgen achthundert Mann.

Faisal ritt hin und her auf der Suche nach einem Lagerplatz und hielt schließlich auf der anderen Seite eines kleinen offenen Tals, gerade nördlich von Nakhl Mubarak; die Häuser des Dorfes lagen so versteckt unter den Bäumen, daß sie von außen kaum zu sehen waren. Am südlichen Talrand, unter einigen Felskuppen, ließ Faisal seine beiden schlichten Zelte aufschlagen. Auch Scharraf hatte ein Zelt für sich, und noch einige andere der Führer gesellten sich zu uns. Die Leibwache errichtete ihre Hütten und Schutzdächer; und die ägyptischen Artilleristen schlugen weiter unterhalb auf unserer Talseite ihre zwanzig Zelte in schnurgerader Reihe auf, was einen schönen Anblick abgab. So waren wir denn binnen kurzem stark an Zahl, wenn auch nicht sehr eindrucksvoll bei genauerem Zusehen.


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