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Das Gebet

Wenn ein Mensch inbrünstig betet, tritt seine Seele an die Pforte des Körpers. Im Gebet zu sterben, erspart der entkörperten Seele den Abschied, nicht nur vom eigenen Leibe, auch den endgültigen vom Mutterleibe der Welt. Dem zu entsteigen, heißt: Sterben. Und doch handelt es sich nach himmlischen Gesetzen um ein neues Geborenwerden. Die Hülle zerreißt, aber die ewige Odemknospe lebt ein ewiges Leben, überlebt ewiglich den Tod. Denn aus der Schöpfung der Welt entspringt die Quelle des Geborenwerdens! Die abfallende, verfallende persönliche Körperwelt entäußert ihrer weiterlebenden göttlichen Kleinodie, nicht das persönliche Daseinsbewußtsein. Aber umgekehrt. Die Seele, die ihren Körper verläßt, löscht jedes Bewußtsein ihrer Hülle aus. Hingegen der Schlaf den Körper vorübergehend zu betäuben pflegt; und die Seele des Geschöpfes sich zu entfernen vermag, schon aus lebzeitlicher Leibesumhüllung. Der Traum ist der Seele zerronnenes Bildnis, das sie beim vorübergehenden Verlassen himmlischer Abenteuerlust ihrer schlummernden Heimat zurückläßt. Des Schlafes Dunkel also gibt der Seele Gelegenheit zu entkommen, immer wieder ihre Ferien anzutreten. Wachbleibender Körper verhindert ihre Reise. Die Seele aber fordert gewaltsam ihr Recht. Ihre Nimmerwiederkehr büßt der Körper mit dem Verfall. Aber den verbotenen Weg, der Himmel und Erde verbindet, betrat noch nie, ohne den Willen Gottes, je eine Seele. – Der Mensch, der lau sein Gebet gewohnheitsgemäß verrichtet, betet, um gebetet zu haben, wird nie ein Herzbreit von sich zurücklegen, und nimmermehr werden ihm die engelhaften Vorboten der Unendlichkeit schon auf Erden begegnen. Das Gebet bedeutete den Propheten die höchste Zeremonie; die ihnen begegnenden Wunder des Himmels weihten sie zu Heiligen. Allem Beweisbaren geht Unbeweisbares voraus und umgekehrt. Wehe aber dem hungernden Herzen, das bewirtet wird von eines schmalen Verstandes geizigen Truchseß. Auf dem Erzplan der Schöpfung bewegt sich jedes Ding in der Welt auf des Zifferblatts kreisender Urthese nach dem Ruf des Urkuckucks aus dem Universum. Aber ein Ohr, das nicht lauscht dem Weltticktack der methodischen Welt, kommt entweder zu früh oder zu spät.

Gott weiß immer, wieviel Uhr es geschlagen hat. Seinem Freytag zu begegnen, der mit einem gemeinsam betet, gräbt zwischen den Straßen der Zeit in den Dschungeln der Ewigkeit, bedeutet das Glück eines gottsuchenden Menschen. Mit diesem auf göttliche Miene zu stoßen, krönt das Ziel der mutigen, religiösen Robinsonade. Unsere Erde wie jede, die wir leider nur von ferne, verschleiert von Feuer, betrachten können, sind ebenfalls vom Körper, wie wir Geschöpfe es sind, umschlossene Ewigkeiten. Ewigkeit in Zeit gespannt.

Diesem System in der Schöpfung des Ewigen verdanken wir, gemischt mit Traurigkeit über den Verlust unserer erleuchteten paradiesischen Welt, das Dasein unserer Welt. Frisch von der Ewigkeit gepflückt, leuchtend in der Blüte, hieß sie: Paradies. Ich sagte schon einmal in einer Dichtung, daß ich den Weltenkörper und den Körper der Geschöpfe, überhaupt alles Körperliche, für eine Illusion der Seele halte, eine Kristallisierung der sich heimsehnenden Seele nach dem Geborgensein in Gottvaters Hand. Denn jede Seele ist Ewigkeit und möchte, losgebunden von der Urewigkeit, sich bergend in einen Rahmen stellen. Des Tieres Seele hingegen hängt irgend noch blind in seiner Körperillusion am Kosmos, noch nicht irdischer Verantwortung übergeben. Der Dichter im Zustand des Dichtens erlebt illuminiert den Halbschlummer des Tieres, aber auch der Pflanze und des Steins. Die Dichtung bettet sich neben Gott. Wie könnten sonst die von der Dichtung vergewaltigten Auserwählten die unmenschliche Verantwortung der Weisheit auf sich nehmen? Der Prophet, des Dichters ältester Bruder, erbte die Zucht des Gewissens direkt vom Schöpfer. Die Zucht des Gewissens aber adelt auch den Dichter, und der geringste Fehltritt rächt sich naturgemäß in der Glaubwürdigkeit seines Verses. Die Dichtung ergibt also, vom erwählten Dichter niedergeschrieben: den Extrakt höherer Wahrheit. Die Dichtung ist eine Gunst, die der Dichter auf sich nimmt. Und selbst das mit Gott hadernde Gedicht kniet vor Ihm. Der Dichter weiß wohl, es dauert ein Leben der Vertiefung und vorangegangener Vertiefung Leben, bis er zwischen den Weiten der Welt nur ein noch »leuchtendes Liebeswort« findet, das seine Seele vorübergehend schon auf Erden vom Star erlöst. Aber dieses Wunder der Erleuchtung weht über jedes Menschenherz, der Liebe Sturm über seinem Blute, und treibt vom Grund den Rest seines Urblutes Gold an seinen Strand. Urblut ist noch erhaltenes Gold, das, wenn es sich mit dem Urblut des liebenden Menschen begegnet, einen Glückszustand hervorzaubert. Urblut und Urblut ergeben: Paradies. Leuchtend und erleuchtend erkennen sich nur Menschen im Rausch der Liebe. – Den großen Vögeln sehe ich nach – sie können uns nichts erzählen aus dem grünen ewigen Bilderbuch, zwischen dessen Laub sie schweben; aber durch ihren Gesang erwachen die Blumen an den Zweigen und die Keime wollen hervor. So erfaßt der Mensch das Tier, da es mit einem seiner Pole noch dumpf in der Urwelt ruht mit all seinen Begierden und Leidenschaften, niemals ganz und gar! Der Rest heißt Geheimnis!

Denn der Mensch lebt abgelöst vom Kosmos, vom Umriß der Urwelt in der Umwelt: Zeit. Der Mensch lebt in der Zeit, das Tier in der Natur und die Pflanzenseele in ihrer einheitlich grünen Blattillusion. Wie oft geschieht es, daß eine Baumart eingeht im fernsten Osten, zur selben Zeit dieselbe Gattung Baum in jenseitiger Himmelsrichtung zu welken beginnt. Das zeugt von der Säfteverbundenheit der Pflanze, die über Hecke und Hecke sich weiterschlingt. Nur selten ahnt der Mensch des Nebenmenschen Lage, jedenfalls zwingt ihn die Hellseherei nicht mit zum Verfall. Eher noch das Tier; es lebt in der Vegetation, der Mensch in der Atmosphäre. Tausendfältig verzwiefachte der Schöpfer das Tier und die Pflanze schon auf dem Plan der Schöpfung. Den Menschen aber brach er, geschaffen, ins leuchtende Welteden gestellt, in zwei Hälften. Und so drängt es den Menschen, sich immer zu teilen, um sich wiederzufinden.

Ich wollte, ein Schmerzen rege sich
Und stürze mich grausam nieder
Und riss' mich jäh an mich.

So kam's, da die Menschen sich schließlich zu Völkern verschnitten, getrenntes Menschtum sich wieder in Liebe gesetzmäßig dem Buche der Schöpfung vereint.

Es leben Rand an Rand einträchtig Land und Seeen –
Wie kommt es, daß der Mensch vom Menschtum bricht,
Sich wieder sammeln muß in höheren Geschehen?

Teilbar ist nur ein Geschöpf entbunden vom Koloß der Materie. Es bleibt dem Menschen nicht erspart, Rechenschaft: abzulegen vor Gott. Das Tier, noch zur Hälfte ungeboren im blinden Urbewußtsein, verhält sich verantwortungslos. Darum ist der Mensch wohl, seiner restlosen Abtrennung wegen, die vollendetste Schöpfung Gottes, aber demzufolge auch seelisch-geographisch am entferntesten gelegen von Gottwegigkeit; jedoch durch der Perspektive Übersicht er sich ganz und gar die himmlische Sphäre erobern kann. Das Tier wie die Pflanze, auch der Stein, noch gewissermaßen an der Schnur der Schöpfung hangend, zählen zu den noch nicht ausgetragenen Schöpfungen zwischen himmlischen und irdischen Ozonen. Unsere Welt leuchtete auf dem Globus Gottes im Urlicht. Und erst ihre Verfinsterung gebar die Sünde, die Folge großer Verwirrungen. Den »Sünder« verantwortlich zu machen seiner Sünde, ist also unlogisch – und gerade die Propheten nahmen sich der »Verirrten« an.

Paradies wurde Erdball, aber unsere blindgewordenen Gedanken und Handlungen bewegen sich in den Welttapfen Jahrhunderttausender. Die Kabbala lehrt von der »ruhenden Gottheit«. Nur Gott allein besitzt die Kraft, den gleichmäßigen wie stürmenden Gang der Welt zu lenken. Man denke an wetternde Landschaften großer Künstler, in methodischem Umriß gehalten. Das kennzeichnet ja der Bilder Wert! Des Menschen vollständige Abtrennung von der Ewigkeit, ausgetragen vom Universum, unterscheidet ihn vom Tier und von der Pflanze und vom Gestein und macht ihn zum Herrn der Welt. Des Heiden Vergötterung zum Tier beruht auf des Tieres Mystifikation. Begreifliches und Unbegreifliches zum Anbeten vereint. Noch lallend kindhaft spielt dieser Urvölker Glaube: Bangemachen. Man denke an die Sphinx und an den geheimnisvollen Götzen mit dem Vogelkopf: Osiris. Wie alt und stark unterschied sich das Volk Jehovas, des Unsichtbaren Einigen Gottes: Volk, schon von allen anderen Völkern in ihrer jenseitlichen unsichtbaren Religion. Die Götzen sind ein Greuel dem Gotte, der sagte: »ICH BIN, DER ICH SEIN WERDE.« Im Rausch der Dichtung wird wohl jeder Dichter einmal zum Heiden – auch ich, als ich mein Gedicht »Jakob« dichtete:

Jakob war der Büffel seiner Herde,
Wenn er stampfte mit den Hufen,
Sprühte unter ihm die Erde.

Brüllend ließ er die gescheckten Brüder,
Rannte in den Urwald, an die Flüsse,
Stillte dort das Blut der Affenbisse.

Durch die müden Schmerzen in den Knöcheln
Sank er fiebernd vor dem Himmel nieder.
– Und sein Ochsgesicht erschuf das Lächeln.

Am gewaltigsten wirkt das Gedicht auf urwüchsige Leser oder Zuhörer. Allerdings auch auf Ägyptologen. Der Götze wirkt, Gott will walten. Es steht in der Kabbala ... »Wenn der Stier lächelt, wird das Lamm geboren.« Diese Offenbarung vergewaltigte mich in Vers. Eitelkeit kommt hier nicht in Frage, und ich beteure, nie im Leben vor meiner hebräischen Ballade »Jakob« je in der Kabbala gelesen zu haben, noch von ihrem Inhalt gewußt durch Hörensagen. Ich beuge mich demütig vor meiner heiligen Erleuchtung. – Das Tier und die Pflanze, werden sie einmal abgelöst von der Ewigkeit sein und ihrer vollbewußt zwischen uns Menschen ein Leben führen? Der große Tierheiligenmaler, der blaue Reiter, der Messias der Tiere, Franz Marc, liebte die Tiere so, daß er ihrer wissend wurde; vom keuschen Totschlag sprach, wenn der Tiger sich die Gazell' vom Fels holt. Das Tier tötet aus unkompliziertem Hunger, der Mensch bringt den Menschen um. Des Tieres Trieb, noch ungewürzt, aber auch von Rücksicht nichts ahnend, wälzt noch mit den Elementen der Schöpfung den Koloß der Welt. Das Bewußtsein des Tieres ist der Trieb, ihn zähmen zu wollen, so paradox es klingen mag, geschmackloser Frevel. Des Tieres elementaren Weltenschlummer zwischen Zeit und Ewigkeit versuche man nicht zu kitzeln, immer bleiben es schmerzliche, jämmerliche Frühgeburten, störende Einmischungen im Willen des Schöpfers. Dressiere nicht! Aber sei gut zu den Tieren!! Gott ist ihr Zeuge.

Gott rollt ruhend durch die Welt, Gott ist der Wegweiser und die Schwelle. Immer müssen wir über Ihn und die Bewegung im Menschen bewegt sich nach dem Bewegen des Schöpfers. Der abweichende Mensch, der im Takte des Weltalls ungleich mitschreitende, verirrt sich im System der Schöpfung und gerät aus dem Gleichgewicht. Jede Störung im Weltall ist eine Folge des Nachbleibens oder Voreilens im Takte Gottes. Eine Gleichgewichtsstörung die Folge des abweichenden Geschehens der Methode der Welt. Das vorbildliche Tempo, nach dem sich der Mensch seit seiner Geburt richten soll, bewege wieder die Menschheit! Dieses Tempo zu erlangen, vertiefe man sich in Gott, in diese – – Ewigkeitspolitik. Leben bedeutet Wohlstand. Vor allem im Weizen der Seele, aber auch im Gemeingut der Früchte und des Brotes. Denn jedes Geschöpf barg ein mütterlicher Schoß, der den von ihr geborenen Leib vertrauend in den Allmutterschoß der Welt legte. Aus drei Hüllen besteht das irdische Leben, die wir durchbrechen müssen, um wieder ins Freie zu kommen, zu Gott. So ereignet sich unser Leben zweifach umhüllt in zeitlichen Ewigkeitsschößen. Umschlossen und geborgen noch in äußerster körperlicher Weltillusion: Verborgen wickelt sich das Erdenleben ab. Und doch sind wir Menschen Gottes freie Ableger. Jedes wahre Gebet ist eine Konzentration ... Ich und Ich. Und aus dieser Selbstverbindung entsteht doppelte Kraft. Ja die Propheten rissen an Gott! wie sie die Wahrheiten donnerten in die Herzen der Völker. Und so oft verströmten göttlich den heiligen Paragraphen in unzähligen Versen. Die gewaltigen Falken Gottes stießen schreiend auf Ihn und erlebten schon in ihrer Leibes-Illusion Echo gefangener Ewigkeit, Gott die Nichtumfaßbare. Ich möchte dem Leser eine ruhige Stunde schenken mit meinem Gebet, in das ich wie in eine Girlande ab und zu eine seltene Blume stecke. Ihr Duft soll ihn nicht betäuben, aber erwecken. Wach sein zieht Gewissen nach sich. Gott ist der Wache! Wir Menschen aber verschütten unser Bewußtsein gegenseitig bis zur Entartung und besitzen doch den Demant der mannigfaltigsten klarsten Bewußtmöglichkeit. Gott ist eine »ruhende Gottheit«. Alle Leidenschaften ruhen in Seiner heiligen Siesta.


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