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Karl Sonnenschein

 

Dem großen Armenapostel und Dichter

 

Es will mir nicht so recht in den Sinn,
Daß unser Herrgott ein Schulmeister sein soll.

Peter Hille

 

Ich sage einfach ehrerbietig: Karl Sonnenschein. Keine Auszeichnung vermag seinen Namen zu erhöhen. Selbst seine etwaige Heiligsprechung diene nur als gerechte Kundgebung an die Welt, die hören und sehen will. Er war ja heilig. Seine Seele, eine fromme dreifarbige Fahne; ihr weißes Linnen, ein Symbol seines makellosen Wandels, der rote Streif hielt sein Leben wach und lebendig für den aufopfernden Dienst an der Menschheit; doch das zarte Blau führte ihn ungehemmt in die höhere Welt. Dr. Karl Sonnenschein und ich sind aus einer Vaterstadt, und wenn wir sprachen, floß die liebe alte Wupper so oft noch ungetrübt, wie an ihrer Quelle, durch unsere kurzen, munteren Gespräche. Manchmal nur erhob sich einer der Wuppertaler Hügel, eine jähe Meinungsverschiedenheit, eine religiöse. »Sie mag doch den Paulus nicht leiden!« Ich hätte ihm widersprechen können, aber seine heitere Entrüstung stand ihm so gut, ja, sie erfrischte ihn. Denn er war glühend gütig. Und zu allen Menschen gleich gastlich. Jeder, der anklopfte, wurde der Gast seines feinen Herzens, er öffnete jedem sein pochendes Tor. Vergaß nie eine Angelegenheit, die man ihm vertrauend vortrug. In seinem kleinen bescheidenen Konferenzzimmer in der Georgenstraße traten täglich unzählige Bittende für sich und für andere ein. Er war es, der großzügige Geistliche, der Gefangene befreite, keine Mühe scheute, für die, die für die Ärmsten des Staates gekämpft hatten und büßten; Märtyrer hinter Schloß und Riegel und Fenstergittern. Ob es sich um Christen oder Judenmönche handelte, die ihr Leben für ein Abertausendleben dem Wohlleben zur Wehr setzten. Und doch trugen Unschuld und Schuld eigentlich, von seinem weiten Sinne aus erkannt, beide Märtyrerkutten; die durften nur nicht eng sein. Aus gleichem Grunde, wie schon Jesus der Nazarener sagte: »Die Lauen aber speie ich aus meinem Munde!« Oder wie in unserem heiligen Sohar, dem 1. Buch der Kabbala, steht (nur inhaltlich wiedergegeben): »Die Zügel des Bösen sollen nicht brüchige, willkürliche Zügel sein.« Gemeint ist damit, daß das Böse gelenkt, nicht Schlechtes anrichtet. Darum hüllte Karl Sonnenschein kein Ausnahmegewand um den Menschen – am wenigsten um sich, und der doch geboren war, das Gute zu lenken. Ein religiöser Menschenlenker, er spannte sich meist selbst vor den Karren, sich zu Tode erschöpfend. – Es war beruhigend, wenn wir eine Meinung hatten. Kam es doch selten leider zu einer längeren Unterhaltung. Bald pochte immer die kleine Sekretärin, einen neuen Besucher oder eine Besucherin meldend. Doch wenn der geistliche Doktor und ich uns in öffentlichen Veranstaltungen trafen, so verband uns immer heimlich das ewige Dichtertum. Karl Sonnenschein war einer der ganz großen Dichter gewesen. Himmlische Blumen leuchteten aus seinen dichterischen Verträgen und seine Predigten waren lebendigen Odems und hatten Duft. Ja, Tau hing an jedem seiner Worte. Den Einsegnungspsalm seiner von ihm gegründeten katholischen Lesehalle hätte man in silberne Horizonte fassen müssen. Ich spreche von einer katholischen Lesehalle, die jedem Menschen geöffnet ist, sie wäre sonst nicht von Karl Sonnenschein ins Leben gerufen worden. Lob pflegte er zu ironisieren. Ich glaube aus Bescheidenheit; auch mundete es seinem Schelm nicht, der aus dem Winkel seines Auges zu gucken pflegte. Darum traute ich mich auch, ihn einmal mit einer Liebesgeschichte zu belästigen, die mich zwar nicht, aber meiner jüngsten, schönen Freundin anging. Des Doktors knappe Zeit vergessend, die ich sie bat, zu berücksichtigen, unterbrach er sie lächelnd: »Ich bin im Bilde, – es handelt sich also um Ihren Verlobten, dessen Mutter sich weigert, einer evangelischen Schwiegertochter ihren Segen zu geben. Ist es so, mein liebes Kind?« »Sie droht ihm sogar mit dem Fegefeuer, falls er mich heiratet, und vor allem käme sie selbst hinein (seine Mutter), und das überlebe sie nicht. Und schließlich zwang sie ihn, auf mich zu verzichten.« »Und tat er das?« »Ja!« Doktor Sonnenschein (voll Entrüstung): »Waschlappen!« Gab aber doch meiner kleinen Freundin den Rat, die Flinte nicht ins Korn zu werfen. In kürzester Zeit komme er durch die Gegend. Ja, ihm wäre es so, als ob er den F. unterrichtet habe in seinen süddeutschen Wirkungsjahren, und er werde ihm gründlich die Leviten lesen. Seiner liebenswürdigen Sekretärin diktierte er dann einen Brief an die Mutter F.'s, in dem er ihr klarmachte, daß, wenn sie weiter zwei Liebende auseinander zu reißen versuche, die Teufelchen berechtigt wären, mit allen Schikanen das Fegefeuer für ihre Seele zu schüren. Ich glaube, daß dieser kleine komische Einakter, der ein gutes Ende nahm, durch Karl Sonnenscheins kräftigen Einspruch, Labsal, sein kleines Gemach durchheiterte, wo alle Betrübnis ihre grauen Kleider ablegte. Wie allen Heiligen tat ihm der herzliche Vorfall, hereingeschneit, so gut. Wir nannten ihn alle, meine Freunde und Freundinnen, ob Juden oder Christen, heimlich, den Bischof von Berlin. Von dieser Auszeichnung, die ungewollt über unseren Lippen dankbar und liebevoll klang, hat er nie etwas erfahren. Leid tut es mir, daß er unseren Dichterpropheten Peter Hille nicht persönlich gekannt hat. Stammten beide aus Rheinland-Westfalen. Aber Karl Sonnenschein war gerade dabei, ein großes Werk über St. Peter Hille zu schreiben. Ich mußte ihm nach Lugano alle Petronbücher senden, auch mein kleines, doch blaues Peter-Hille-Buch, das ihn, Peter Hille, in Mythen feiert. Ebenfalls die Briefe Peter Hilles, die er mir einst geschrieben hatte, im Buch zusammengereiht. Diese beiden Großmenschen hätten eine Dichterschaft gefeiert, sondergleichen. Überhaupt befaßte sich Karl Sonnenschein in den letzten Jahren mit: Peter Hille. Das beweist beider Dichtertum. Sie waren, kurz gesagt, beide keine Spießer, nicht ernsthaft, aber ernst, nicht lustig, aber heiter. Wenn ich ihm von Peter Hille erzählte, zeigte er immer wieder auf das junge, tiefe, asketische Antlitz im Rahmen hinter ihm an der Wand: – »Sah er so aus?« – Ein stigmatisierter Mönch, von dem nur sein Freund und er wisse. Einmal fragte mich Karl Sonnenschein in allem Ernste, ob mir eigentlich das Christentum sympathisch sei? »Glauben Sie aber nur nicht,« fügte er hinzu, »daß ich beabsichtige, Sie zu bekehren. Auch bin ich zu sehr überzeugt von Ihrer Treue zu Ihrem alten Volk.« Ich sagte ihm: »Ich liebe und verehre das Urchristentum, das in seiner Schläfe das blutende Ebenbild des gottgeborenen Juden trug. Und die Apostel liebe und verehre ich, die Jünger und die ersten Anhänger, die verfolgt wurden und nicht verfolgten! Heute sympathisiere ich nur mit einzelnen Menschen, welcher Religion auch. Die Kultur wie die Wildnis heilt die Unebenheiten religiöser Gefühle zueinander. Übrigens liebe ich alle Menschen, die nichts galten im Vaterlande, wie es uns Dichtern allen ergeht – man braucht nicht erst ein Prophet sein.« Das waren eigentlich die letzten Worte unseres letzten Gespräches, und es ehrt mich des großen, geistlichen Doktors Wunsch auf seiner letzten Karte, ob ich nicht nach Lugano kommen wolle? Er hätte so gern von mir über Peter Hille – so vom Herzen abgepflückt – gehört. Das macht mich stolz, und ich danke Karl Sonnenschein dafür im Geiste.

Lange, lange zog sich der Trauerzug hin zwischen all den grauen Straßen, an den morschen, schwarzen, alten Häusern vorbei, deren Hinterhäuser »der gute Gestorbene«, erzählten seufzend die Ärmsten in der Reihe neben mir, fast täglich besuchte. »Ja, wir wissen alle, er tat nur Gutes im Leben, das wußten wir alle.« Es klingt kalt, von einem unersetzlichen Verlust zu sprechen, denn wenn Karl Sonnenschein sich auch nicht mehr betätigen kann, so lebt doch immer noch gleichwertig in unserer Erinnerung Karl Sonnenschein. Ich glaube, stundenlang schritten wir alle hinter dem Wagen, der ihn zur Himmelsruhe brachte. Unzählige Menschen gaben ihm das Geleit, rührende kleine Waisenkinder und große, einsame, reiche und arme Menschen, die ihn liebten. Wir wandelten wie unter einem Mond am Tage unwahrscheinlich dahingezogen. Bevor ich meinen weißen Flieder in sein noch geöffnetes Grab warf, auf den Lippen unser gottaltes hebräisches Gebet, sah ich Gott-Vater verwundert vom Himmel schauen, da nicht die erlösten Menschen seiner Erde, blond- oder schwarzhaarige, hell- und dunkelhäutige, nebeneinander ruhen auf einem Gottesacker, gleich welchen Erdenglaubens – unter einem Himmel doch. Zerrinnender Schnee weinte über unsere trauernden Gesichte.

Ein Engel schreitet unsichtbar durch unsere Stadt,
Zu sammeln Liebe für den Heimgekehrten,
Der noch den Nächsten – über sich – geliebet hat. –

Schon eine Träne für den Liebeswerten,
Ein Auge, das für seine Seele leuchtet,
Ein reines Wort, von deines Mundes rotem Blatt –

Für ihn, dem alle Sorgen ihr gebeichtet;
In seinem herben Troste lag schon seine Tat.


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