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Im Rosenholzkästchen

 

Zu Goethes 100jährigem Gedenktag

 

Meine, von mir bewunderte Mama besaß neben ihrer Napoleonsammlung auch eine schwärmerische Verehrung für Goethe. Er und sie aus ein und derselben Stadt, in Frankfurt zur Welt gekommen, begegneten sich unter dem Himmel der Erinnerung, auf den Wegen ihrer liebenswürdigen Heimat. Dichtete der Dichter auch längst schon seine göttlichen Verse weiter im Olymp, so lebte dennoch auf Erden im blühenden Herzen meiner Mutter der Ewigverehrte. Ohne meine Mutter hätte ich mir den Goethe nicht vorstellen können. Ob in ihn oder in Bonaparte dem großen Kaiser meine schwärmerische jugendliche Mama verliebt, weiß ich mir bis heute nicht zu enträtseln. Aber sicher wußte ich schon als Kind, daß Goethe der Dichter ihres reinen Herzens gewesen ist. Das bezeugten schon die vielen Gedichte in dem großen Poesiealbum in feiernder Handschrift niedergeschrieben. Meiner Mutter Handschrift war tropisch, die Buchstaben begannen zu blühen. Die Zeilen der goetheschen Dichtungen wurden zu prangenden Alleen. Eben noch blätterte ich in dem teueren Buch und erinnerte mich an einen Brief des jungen Goethe, den er weiland an Friedericke schrieb. Das kostbare Gedenkblatt, nie veröffentlicht, lag aufbewahrt in einem geschnitzten Rosenholzkästchen im Wandschrank hinter Schloß und Riegel. Für mich als Kind erhöhte sich sein Wert, im Glauben, Goethe habe ihn an sie geschrieben. Das bewog mich, die Kopie, die für jedes meiner Geschwister angefertigt wurde, in Ehren zu halten.

Zärtlich geliebte Friedericke.

Der Winter dräut uns einzuhüllen mit Sternenflocken und sehnsüchtiger denkt ihr Goethe an die unvergeßlichen, holden Stunden mit ihr, der Göttlichen, (einige Worte unleserlich verblichen) gebettet in ihrem kindhaften Schoße, placierten sich leider um uns Verliebte ungeratene Gäste mitten auf der Wiesen. In Bälde erhält sie meine großherzige Freundin die Abschrift meiner: »Dorothea«. In ihr dürfte sie Ähnlichkeit mit ihrem Gemüthe entdecken. Indes ich erwarte von meiner vielgeliebten Friedericke ein aufrichtiges Lob nach der Lectüre Spannung. Ihr kostbares Present trägt ihr Goethe sehr beglückt im Halstuch. Der köstliche Granat blinzelt den Frauenzimmern verführerisch entgegen. Nicht eifersüchtig werden, meine Liebe (einige Worte unleserlich verblichen) Goethe, ihr (einige Worte unleserlich verblichen) ein treuer Liebhaber und beileibe kein garstiger Frauenjäger, wie ihn die bösen Freunde so gern zu titulieren pflegen.

Wer mit dem Leben spielt,
Kommt nie zurecht.
Wer sich nicht selbst befiehlt,
Bleibt immer Knecht.

Ihr treusamer Goethe.

 

Manche zweifelten damals an die Echtheit dieses Schreibens an Friedericke; andere wollten behaupten, der Vierreiher zum Schluß stamme aus seiner älteren Periode; aber immerhin war es Paul Lindau, der meiner herrlichen Mama das kostbare Dokument dedizierte. – Einmal jede Woche am Abend war Lesekränzchen bei uns. Mein Papa bekam die Schreirollen! Meine Mama las das Gretchen im Faust, wenn nicht gerade eine der beiden Sängerinnen, die Lucca oder die Eimenreich, die gastfreundliche Stimmung unseres Hauses versüßten. Am runden großen Tisch versammelten sich die literarischen Menschen der Stadt: Elberfeld. Meine beiden lieblichen Schwestern, die 15jährige Martha Theresia und die 14jährige Annemarie, saßen nebeneinander in einer Nische hinter einem bunten Glasfenster und lauschten gespannt. Ich durfte auf dem Kanapee im kleinen Nebenzimmer schlafen; ich hatte so Angst, alleine in der obersten Etage unseres weiten unheimlichen Hauses. Männer kamen vom Wald, Metzgergesellen, den steilen Hang herab und sangen so scharf, vielstimmig. Das Lesekränzchen stockte beleidigt, noch wenn just von der ... Liebe gelesen wurde. Nur die zum Choral anschwellende Stimme meines Papas, sein wetterndes Organ, ein wahrer Orkan war nicht zu ersticken. Er deklamierte den Mephisto genau in der Exstase, wie er Schillers »Franz die Canaille« zu betonen pflegte. Das Lesekränzchen hörte ich durch den Türspalt der leicht angelehnten Türe, die in mein provisorisches Schlafzimmer führte, platzen vor Lachen. Selbst meine wohlerzogenen Schwestern vermochten sich nicht zu beherrschen, namentlich wenn in humorvollster Ironie der tägliche Gast meiner Eltern, der Paul Lindau, meinem Papa eine Erfrischung reichte und mit faustischen Worten meinen Vater ernüchterte: »Habe nun auch Philosophie durchaus studiert mit heißem Bemühen« –. Aber wenn meine Mamas Rolle drankam, herrschte Mäuschenstille. Sie glaubte mich lange schon im tiefen Schlaf. Ich war 8 Jahre alt und oft noch saß ich auf ihrem Schoß zwischen den kleinen Medaillonbildern ihrer Eltern in Koralle geschnitten. Und sie erzählte mir, daß die Großmama und der Großpapa den Johann Wolfgang von Goethe noch gesehen haben Schlittschuhlaufen.


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