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Das Theater

 

Dem herrlichen Professor Max Reinhardt in Indianerliebe

 

Zunächst vergesse das Theater seine Jugend nicht! Es war auch einmal ganz klein, spielte mit seinem ersten Balken. Das kann ich so nachfühlen, gewissermaßen bin ich nämlich ebenfalls ein Theater, das sich immer auf demselben Niveau gehalten hat. Wo ein Balken auf der Wiese lag, bekletterte ich ihn oder ich sprang mit Herzensfreude auf das Brett, das der Tischler vergessen hatte, kleine Bodenerhöhung vor den Fenstern unseres Wohnzimmers, von deren Sitz man durch einen Spion das Schauspiel der Straßen besser beobachten konnte, dieser Tritt, wie man diese winzige Bühne zu nennen beliebt, war mir das liebste Möbel im Hause. Wenn der Abend nahte, ich meine teure Mutter erhaschte, entfaltete sie sich zu einem vollzähligen Publikum, die meinem Karl von Moor, Feder am Hute, Serviette über die Schulter geschwungen, andächtig lauschte.

Sie war sehr stolz auf mich. Die Aversion meiner teuren Mutter gegen das Theater milderte sich. Ich wuchs heran, auch meine Liebhaberei für die Bretter. Wenn ich, eine lebendige Bühne, – versteckt hinter einem Vorhang – meine Mutter überraschte, wußte sie schon: Heute ist Premiere, in der ich sämtliche Rollen meines selbstverfaßten Dramas aufführte. Meine entzückte Mutter schob den Riegel vor die Türe, pries meine Stimme in Begeisterung! Theater hab' ich von meinem Vater geerbt, er saß meist in der ersten Reihe im Parterre und sprach einfach mit. Das heißt, er deklamierte die Rollen zum Gaudium der Schauspieler und Schauspielerinnen, die sich nach der Aufführung besonders in unserem Hause wohlfühlten. Mein Vater sprach sofort einen ganzen Chor; ein Ton seines Baritons reichte bis zum andern Ende der Stadt aus. Darum erhielt er auch immer die sogenannten Schreirollen des Lesekränzchens zuerteilt, das meine Mutter gegründet hatte. Seine Häuser und seine Türme vergaß mein Vater; kein Pferd brachte ihn in sein Bureau, wenn er »den Franz« zu lesen hatte. Mit dem Buche »Die Räuber« in der Hand (oft hielt er es umgekehrt) eilte er mordschreiend durch seine Räume. Sein Regiment blankgeputzter Stiefel flog nur so in alle Ecken, und das Haus bebte in seiner starken Wurzel. Seine Stimme machte direkt Tonkunststücke; darum gaukelt sie auch bei mir auf der Zungenspitze. Ich war nur zu schüchtern bei der Annahme meiner Wupper, das Deutsche Theater zu bitten, »meck dän Amadeus med däm gläsernen Herzen speelen tu loten. Die Würze hot dorömm gefehlt, die ›Magie‹ in dar Bouillon.« Als mich Paul Lindau nach der Premiere beglückwünschte, und erkannte, daß ich, die Tochter seines alten schelmischen Freundes Schüler und seiner verehrten Freundin Jeanetta Schüler jüngstes Kind, leibhaftig vor ihm stand, weinte er tatsächlich (nicht etwa gerührte Theatertränen). Wie er jedesmal meinen Vater erinnern mußte, oft gewaltsam, wenn er bei einer Schreirolle Tisch und Stühle zu zertrümmern drohte, »daß er auf keiner Bühne stände; sich im artigen Wohngemach befände.« Ich liebe das Theater, hätte ich nur eine kleine Proszeniumsloge, wenigstens – als Wohnung erhalten. Hätte mich schon einzurichten gewußt. »Wenn ich schon eine Bühne sehe!! Es müßte immer auf ihr echtes Theater gespielt werden!« In den Budiken der Schauspielhäuser, wo sich meine Schauspielerfreunde so gerne nach der Aufführung beisammen einfinden, wurde oft echteres Theater gespielt, wie vorher auf der Bühne. Wo hört man noch Rossegetrampel, Donner und Blitz, Hagel und Aufstand? An diesen Spielen erfrischt man sich; und ich liebe die Kulisse! Die kahle Wand für die Katz. Die ästhetischen ledernen Bühnen erzeugen: Gähnen. Theater ist Theater!! Theater ist kein Hörsaal der Medizin, noch einer andern Fakultät. Auch mit der Symbolik hat es eine Bewandtnis – die Symbolik aufzuführen als Motiv, als Inhalt des Schauspiels wirkt dilettantisch. Aber dem Publikum soll ein gutes Schauspiel zum Symbol werden. Strindberg allerdings, dessen Urbuchstabe die Symbolik war, durfte sich schon, wie er uns so oft überzeugte, die Symbolik zum Inhalt seiner Dichtungen leisten. Luft und Perspektive und Schweifen, Gefühlsstrich – bereiten den Odem des Schauspiels, erwirken erst seine Lebendigkeit. Denkt man an die Schmiere, auch dort vermengt sich des öfteren zwischen dem grandiosen Schillerspiel – Ewigkeit. Nicht betrübt oder erläutert wollen wir aus der Vorstellung heimwärts wandern, aber erschüttert vor Glück der – Trauer oder gar der Freude. Theater soll Theater bleiben.


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