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Der Schmetterling

Eine wahre Geschichte

Klaus sagte, er sei tot. Aber ich hob den kleinen verirrten Schmetterling von der Düne auf und legte ihn zwischen meine Hände, ein warmes Häuschen. Ab und zu hauchte ich durch die Fingerspalten etwas Juliwind hinein, aber die armen Schmetterlingsflügel blieben verdorrt, die einmal, von der Farbe der Zitrone, wetteiferten mit den Strahlen der Sonne. Und mein Freund Klaus fragte mich, ob ich etwa beabsichtige, das tote Tierchen zum Leben zu erwecken. Ich nahm es wortlos mit mir nach Hause in den Garten, wo mein Begleiter und ich zu speisen pflegten, nahe der Ostsee; man hörte sie rauschen bis in ihrer kleinsten Muschel. »Wenn sie doch eine Weile aufhören möge zu rauschen« und mein Schmetterling in Frieden erwachen könne auf dem Rosenblatt, das ich ihm glättete, bevor ich ihn darauf niederlegte neben meinem Teller des gedeckten Tisches. Ab und zu hauchte ich über sein verendetes Körperchen ihm Odem ein, ihn aufzuerwecken. Außerdem hatte die Sonne heute Geburtstag und erwartete sie im Goldkleide und Silberschuhen. Überall hin glitzerte es festlich. Ihr kleinster Verehrer, ja, ob sie eine Ahnung davon hatte, daß er, zu ihr im Freudeneifer strebend, verunglückte und, von einer Fußsohle gequetscht wurde? »Freilich will ich den lieben Gott spielen«, betonte ich ernsthaftig meines Tischgenossen spöttelnde Frage; »wie vermag ich sonst meinen gestorbenen Schmetterling zum Leben aufzuerwecken?« Ich fühlte tatsächlich aus allen meinen Poren, die dem kleinen Toten Odem einflößten, Gott strömen. So müßte ein Mensch dem anderen den lieben Gott schon auf Erden zu ersetzen trachten, das hieße, sich ganz ausgeben, sich, vollenden, Gott Ehre machen, sein Ebenbild leuchtend bestrahlen und es nicht verzerren – an eigener Seele. Und verantwortlich sind wir für sein Tier und Blühen und Verwelken seiner Blume, die man nicht in den Kehricht zwischen Lumpen und Scherben werfen, aber sie hinter dem Zaun dem Erdreich wiedergeben sollte. Selbst den Stein müßten wir preisen, der unseren Schritt aufrecht erhält und uns trägt von Ort zu Ort. Ich atmete wieder ganz behutsam, und Klaus stellte mir, wenn auch zunächst lächelnd, seinen Odem zur Verfügung, dann hauchte er leise über den Schmetterling, nachdem er aus schlanker Finger Rittersporn eine schützende Hecke um unseren heiligen Falter flocht. Und wir erwarteten beide auf Knien das Erwachen des kleinsten Lazarus vor dem Rosengewölbe sich biegenden Blumenblatts. Der Klaus gestand mir, daß das ABC der Schulstunde einst ihm dieselbe Schwierigkeit zu lernen verursachte; die Grundlage der Verständigung, wie der Odem der Schöpfungsstunde das Wunder der Lebendigkeit, die Atmung, die, nicht eingehalten, Ungehorsam gegen das Urgesetz bedeute und die einzige Sünde sei gegen Gottvater! – Der Tod! – »Er hat sich bewegt ...« Unsichtbar noch, nun ganz deutlich, seine Fühler kosteten träumerisch vorerst noch vom Rosa des Rosensaftes. Wir guckten uns, der Klaus und ich, zagend in die Augen einen Wunderaugenblick, der sich stets der ewigen Treue erinnern möge. Ich atmete einen langen, warmen Atemzug über mein Schmetterlingsgeschöpf, der noch an seiner Lebendigwerdung fehlte. Ich liebte ja den gelben Gaukler schon leidenschaftlich als Kind, spielte mit ihm durch die Luft dahinfliegend, wo ich ihn gewahrte. Er war ja mein Ebenbild und heute das Vorwunder des jüngsten Tages, an dem wir unter Gottes Geduld von ihm wieder zum Leben erweckt werden auf dem blauen Tisch der Ewigkeit. Auf einmal erhob sich unser Schmetterling im Nu – seine Flügel begannen sich zu entfalten, übten sich, zwei herrliche Gelbschleier; er war ja ein Zitronenling –, hob sich odemleicht, mein Odem schwebte ... heilig, selig ... höher wie eine geweihte große Kerze schon über dem weißen Mahle, wahrhaftig Strahlengrade zum goldenen Geburtstag – unser Schmetterling – in den Himmel hinein.


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