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Brief an Jeßner

Hochzuverehrender Herr Intendant Leopold Jeßner! Gestatten Sie mir, noch ein paar Worte vor der Aufführung meiner »Wupper« zu sagen:

Mein Schauspiel »Die Wupper« ist eine echte Gabe, eine kleine Welt. Ich glaube, wenn Sie von der Tatsache nicht auch überzeugt wären, Herr Intendant, würden Sie sich nicht die Mühe machen, meine »Wupper« wieder ins Fließen zu bringen. Nun habe ich sie doch nun einmal erschaffen, bin ihre Schöpferin und erblicke sie aus der Wasserperspektive. Jedes Schauspiel ist wahrscheinlich eine Welt, ein Ebenbild des Dichters. Wenn ich das meine so von allen Seiten betrachte, von oben und unten, erkenne ich deutlich seine Ähnlichkeit mit mir, fiel mein Drama auch blond und helläugig aus. Auch sprach ich dazumal Elberfelder Platt auf meines Herzens Bühne, anders könnt' ich mich mit den Leuten des Wuppertales nicht verständigen; die kamen und gingen, haste nicht gesehen! Manche von ihnen mußte ich erst selber kennenlernen. Den Amadeus, den tiefsten der drei Herumtreiber, habe ich verdeckt liebgewonnen. Ja, wenn ich nicht die Else Lasker-Schüler leider, – aber im vierten Hinterhof – des siebenten Himmels – geboren worden, ich stände als Amadeus, vereint mit den Kollegen, im Winkel der Nacht. Also wer soll den spielen? Ich möchte Sie, Herr Intendant, durch die breiten Straßen und engen Gassen meines Schauspiels selbst geleiten, Ihnen die Geheimnisse der Stadt offenbaren, Sie von der schwarzen Wupper kosten lassen, und Sie werden einsehen, daß man meine Wupper nicht kurzweg ein Märchen oder ein Schauspiel oder ein Drama nennen kann, höchstens eine Stadtballade mit rauchenden Schornsteinen und Signalen. Die Wupper der Stadt Elberfeld ist die Schlagader der Arbeiter. Dieser Zentralpuls darf auch in der Dekoration nicht fehlen: – der Hauptakzent, das Leben! Das Gedicht, die Lyrik, das Schwebende, der Mond in der blauen oder schwarzen Wolke des Theaterstücks. Künstliche Stimmung, natürliche Verstimmung: Stille ohne Rauschen, Lärm ohne Methode. Zur Regie gehört die Gabe des Feldherrn! Max Reinhardt brachte sie ins Fließen. Er hatte bis dahin am jenseitigen Ufer gestanden, sich in mir eine Lyzeumdame vorgestellt, dem Roswita-Saal entschwebet. Ein Schauspiel ist ein Geschöpf, ein Geschöpf kann eine Welt sein, »tum tingelingeling«, meine »Wupper« ist ein Geschöpf, eine Kreatur, eine Welt, mir selbst nicht ganz sympathisch, offen gesagt. Ich kann aber darum nicht ableugnen, meine »Wupper« ist eine Welt – um bescheiden zu sein – für den, der noch nicht allzuweit gereist ist. Ich trage Sorge um meine Welt, sie kommt zum zweitenmale über den Theaterhimmel. Et modd schon een Regisseur die Astrologie der Regie verstehen, ond van meck eenen Troppen Blut in sing Basseng hann. Namentlich op dem Jahrmarkt sind manche Türen gefährlich. Eck versteh meck op de Messersteckerei und die Weiters, die Karussell fahren; auch die Riesendame Rosa modd ook der Regisseur underkriegen. Der Lärm und das Gekeife! Auf der Bühne wird wat, auf Tummelplätzen is allet schon: Eine ganz geregelte, wenn auch wilde Symphonie. Op de Bühne »will« man eben, un da kann et eenem leicht aus de Pfoten fallen, wat dem Leben immer gelingt. On nun noch wat: Der Vorhang! Der Vorhang darf nur in seltensten Fällen fallen; oft sogar zum Schluß nicht. Das Leben ist doch auch nicht aus, bevor die Welt untergeht, und dann bleibt noch immer das Chaos. Das Herabfallen des Vorhanges bringt aus dem Sachverhalt, aus der Situation, es macht müde, betäubt den Zuschauer. Ich kann wenigstens gar nicht mehr so recht auf die Bühne zurück. Und bin doch gar nicht so außergewöhnlich dumm. Da nun das Theaterstück eine kleine, runde Welt ist – namentlich, wenn die Leute sich kugeln vor Lachen – ist es unorganisch, fortwährend hell und dunkel werden zu lassen. Auf unserer Erde wird es doch auch nur einmal Tag und Nacht, und erinnere mich nicht, daß mal ein Dichter eine Sonnenfinsternis in seiner Produktion vorkommen ließ. Nach der Beleuchtung der großen Welt sollte sich der Regisseur vertrauensvoll richten. Unser aller Menschen Gehirne wäre noch viel nervöser, unsere Augen blind, wenn der Weltenvorhang mehr als einmal auf- und niederging per Tag. Es bringt – einfach gesagt – aus der Situation. Ebenfalls das Kunstgewerbliche auf der Bühne mißbillige ich: Zwischen süßen oder abgetönten Fetzen: Die ehrwürdige Kulisse? Die Kulisse ist so mit dem Schauspieler und seinem Publikum verwachsen, daß sie nicht einfach abzureißen ist. Der Schauspieler erholt sich im Papierwald, in dem er Jahrzehnte ein- und ausatmete. Angehaucht von Karl v. Moor lebt der Papierwald und ist nicht nur von Pappe. Den auferstandenen Königen Shakespeares diente er zur Wiederkehr aus der Geisterwelt. Es ist eine Mesalliance, den Stoff mit der Kulisse zu verbinden. Die Ästhetik mit der Genialität geben kein verträgliches Paar. Die Welt baut sich nicht aus Zeug auf, allenfalls – aus Kartenhäusern. Ich wäre imstande, als Theaterbesitzer einen Vorhang anfertigen zu lassen aus schwerer Pappe, oder aus einem Löschblatt, oder aus einem Seidenpapier – hinter dem geht's ja weiter, vor dem phantasiere der Zuhörer.

Hochzuverehrender Herr Intendant! Ich bin überzeugt, diesesmal steigt meine Wupper! Bei mir wenigstens: Wupper!! Sie darf nicht durchfallen, damit uns nachher die Leute kommen und sagen, »wären wir doch lieber in'n Kientopp gegangen.« Herr Intendant, gehorsamst

Prinz Jussuf von Theben

P.C. Der Nachwelt:

Der hochverehrte Direktor Heinz Herald entdeckte 1910 meine Welt: Die Wupper, und seinem energischen Willen und seiner Mitinszenierung verdanke ich innigst ihr Erscheinen am Theaterhimmel.


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