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Der kleine Friedrich Nietzsche

Als ich vor einiger Zeit durch Thüringen fuhr, stieg in Weimar eine ältere Dame in mein Coupé, an die ich mein ganzes Leben dankerfüllt denken werde. Sie war die Freundin des kleinen Friedrich Nietzsche gewesen. Und ich hätte mich wohl beherrscht und stillschweigend das Naphthalin und den Kampfer oder den Kampfer naphthalinartig in mich eingesogen, der noch dem Umhang der Achtzigerjahre entströmte, den die Frau Legationsrätin a. D. aus ihrer gestickten Reisetasche holte, wenn ich – auch nur geahnt hätte – –. So aber bespritzte ich mich und die wollene Antiquität mit Maiglöckchen, die Dralle zierlich in seiner Heimat Odeur gepflückt, – dennoch, meinte die liebenswürdige Dame mokant, bleibt Parfüm, so gut es auch sein mag, immer anfechtbarer als eine nützliche Chemikalie; allerdings Eau de Cologne ließe sie gelten. Ich gab ihr recht! Übrigens im Zuge muß man sich vertragen. Ich liebe es sogar im Zuge restlos im Zuge zu sein. Mein Geplauder fand Wohlgefallen in den Augen der Frau Legationsrätin a. D. So kam's dann, daß sie mir die süße, heldenmütige Jugendgeschichte Friedrich Nietzsches anvertraute, die ich – die Schweigezeit ist um – der gesamten Menschheit großzügig überliefere. Wie arm bedeutet dagegen eine Schenkung in Form einer Stiftung oder eines Museums oder gar eines Schloßparks an eine Heimat. Ein Schwarm Vögel zog am kalten Himmel silberspielend mit unserer Eisenbahn in die weite Welt. Ich sagte unwillkürlich den Anfang des einsamsten Gedichts, das vielleicht je geschrieben wurde: »Die Krähen schreien und ziehen schnellen Flugs zur Stadt, bald wird es schneien, wohl dem, der eine Heimat hat –.« »Das verbindet uns, Liebste«, unterbrach mich die entzückte Dame tiefergriffen, »ich bin nämlich die kleine Freundin des kleinen Friedrich Nietzsche gewesen. Elf Jahre waren wir beide, seine Schwester Elisabeth zählte ein paar Jahre älter; aber wir spielten alle drei einträchtig zusammen und«, betonte sie, »der kleine Friedrich war der Vater meiner kleinen Johanna gewesen.« Ob sie auch noch lebe, erkundigte ich mich überrascht, ob sie dichte, ob sie Friedrich Nietzsche ähnele? Als Antwort drehte die Legationsrätin a. D. immer nur verneinend den Kopf. Aber dann erzählte sie mir mit lodernden Augen, wie eines Tages ihr Elternhaus in der Abendstunde brannte, sie jedoch und ihre Eltern und ihre älteren Geschwister, die Magd, der Hahn und die Hühner, selbst die Eier, die noch im Neste lagen, gerettet wurden. Angesichts der halben Weimarer Einwohnerschaft, die sich in ihrem Doktorgarten zum Zugucken versammelt hatte: »Und der kleine Friedrich Nietzsche mit seiner Schwester Elisabeth kamen gejagt und wir Kinder halfen den Feuerwehrmännern mit dem Legen der Schläuche und machten uns heimlich an die Pumpe und waren naß bis auf die Haut. Plötzlich schrie der kleine Friedrich Nietzsche: »Wo ist Johanna?« Kreidebleich schob er uns Spielgefährten beiseite. »Johanna! Johanna! Johanna verbrennt!« Keiner der Feuerwehrmänner vermochte den tapferen Jungen zurückzuhalten. Todesverachtend lief er über die brennenden Stufen der Treppen: »Johanna verbrennt!« und noch einmal hörten wir bebend vor Angst: »Johanna verbrennt!« Hinter der Scheibe des zweiten Stockwerks gewahrten wir ihn plötzlich – Elisabeth und ich hielten uns jammernd umschlungen. Nun hatte er mein Kämmerlein erreicht, Feuer speite es und Qualm auf die Straße. Alles geschah im Sturm und der bezwang auch sicherlich den Brand und hielt ihn von des kleinen Friedrichs Leibe. So erklärten sich und begründeten die Einwohner Weimars die überstandene Heldentat des kleinen Friedrich Nietzsche. Er aber brachte Johanna lebendig in meine Arme, nur die blonden Flachszöpfe waren verkohlt, von unserer geliebten Johanna, unserer geliebten Puppe.«

 

Dem verehrungswürdigen feinen Herrn Reichskanzler Heinrich Brüning gewidmet


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