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Paradiese

Überall hängt noch ein Fetzen Paradies. Gehst du auch daran vorüber – nur einige Menschen erkennen wieder das schimmernd erhaltene Beet allererster Heimat. Die ganze Welt war einmal ... Paradies, eine glühende Melone am Zweig der Ewigkeit und fiel Gott in den Schoß. Bis die Angst das erste Menschenpaar erfaßte, sich unsere paradiesische Welt verfinsterte und aus dem Gleichgewicht kam. Angst dunkelt und Gleichgewichtverlieren erzeugt angstvolle Finsternis. So erlosch die noch zarte Erlichtung im Kelch der Paradieswelt. Blauangedeutet hing der Himmel über die junge Erde, auf der Gott das Wasser vom Land getrennt. Aus einer Handvoll Erde schuf Er nach Seinem Bilde den ersten Menschen. Hellsieht wohl jeder einmal im Traum, gar im Wachen, jene Landschaft, die ihm vorbekannt erscheint. Aber sie selbst ist es ja gar nicht, die den Träumenden oder den Wanderer überrascht. Es blendet uns immer nur ihre ungetrübte paradiesische Beleuchtung, die unser Auge verlernt hat zu ergreifen, das Urlicht, das innige Gesicht des Ursprungs. Früher zogen wir manchmal durch den Wald. Einmal brach einer von uns jäh zusammen mit dem Ausruf: »Hier war ich ja schon einmal vor dem Leben!! ...« Beinahe wäre er uns in den kleinen plätschernden Bach gefallen; kein Hysteriker etwa, der ohnmächtig wurde, aber ein aus seines Herzens kühlstem Grunde hervorgeholter und erwachter Skeptiker. Gerade den überwältigte lähmend der Urblitz der Erkenntnis. Vom Einband der Welt holen sich diese Menschen ihre Weltanschauung. Es sind die Menschen mit der Weltanschauung. Aber die Welt schaut uns an. Wie unkindlich sind eigentlich diese gelehrten Menschen mit der Festlegung ihrer Welt. Nicht wahr? Nur der sich öffnet den Möglichkeiten, zu dem kommen die Möglichkeiten, die Wandlungen der Zeit: Gottvaterlandschaften. Ich will dir noch was erzählen. Eine Indianersage. Kann sein, daß sie wahr ist. Der unwirsche Hirschkäfer bemerkte einmal einen Baum zwischen anderen Bäumen stehen; sie waren eigentlich allgleich und der Wind vermittelte ihre Unterhaltung untereinander. Und als der Indianer dabei war, sich auf dem Gras unter den Ästen des einen Baumes auszustrecken, schlängelte sich eine Flamme über seinen Körper, wie er nie weißer und weiser eine vorher gesehen hatte. Da erkannte er, wie recht seine kupferrote Freundin, »die beflaggte Windeseile«, hat, wenn sie meint: »Es gibt noch was, wovon wir keinen Schimmer haben.« Wie gesagt, fast jeder Mensch erlebt einmal das Gesicht des Paradieses. Ich meine, er erkennt das liebende Licht ungetrübt über unserer Welt. Unser aller Korn war ja schon gesäet am sonnigen Abhang der ersten Menschen und eine Begegnung mit dem Paradiesfetzen bedeutet ein Wiedersehen der Heimat. Überall hängt noch ein Überbleibsel Edens, selbst am Lärm der Stadt. Ein lichtes Wort, ein magisches Blatt, die silberne Wolke hoch, in der Kleinodie Liebender, im Kusse der Lippe liebentlang. Die noch lichte Welt war die gestaltgewordene Liebe, die junge Gottheit selbst. Wir alle suchen nach dem Fetzen Paradies mit der Inbrunst unserer ganzen Kraft. Sein verfinstertes Licht ist Gottesgeheimnis. Aber das Licht ist die Liebe, die nicht ganz auszulöschen ist. Darum hängt überall noch ein Strahl zauberisch, der deinen Fuß küßt. Hüte sich der Skeptische, daß sein Fetzen Paradies nicht einschrumpft oder bittert auf seiner Wage. Liebe ist nicht zu erwägen.

Wer nicht an einen Menschen sein Paradies verschenken kann, wird seine Liebe auch nur notdürftig der Menge reichen. Darum prahle mir niemand mit seiner Weltenliebe, mag auch der einzelne Mensch nur ein Blutsternlein sein; oft zwar repräsentiert er ein ganzes Volk. Wer vom Paradies lernen will, setze sich unter die Bäume, unter einem einzigen paradiesischen Blatt läßt sich schon säumen. Sein ganzer Zweig sehnt sich nach dem Ewigkeitslichte. Seiner Ehrwürden Pflanzlichkeit dem Ahorn bin ich zum höchsten Dank verpflichtet für seine Paradiesweisheit: das winzigste Leben der Welt sehnt sich zu entdunkeln. Der Fisch erhellt den Fluß, der Berg strebt nach der blauen Wolke Umarmung. Der Plan zur Welt trug schon im Umriß der Liebe erkennendes Licht als Exlibris. Wir alle suchen nach dem Fetzen Paradies, er birgt den ungetrübten Glanz der Welt der Liebe. Alle möchten wir wie Weihnachtsbäume angezündet werden. Wenn schon ein Lichtchen brennt, gar wenn wir ganz im Lichte stehen!! Im Keller aber lagern schon die meisten Menschen, die Armen!! Selbst die Dirne sehnt sich im Unterbewußtsein nach dem Paradiesüberbleibsel. Ihr Gewerbe ist nur Vorwand. Die Liebe ist immer ein psychischer Besitz, die Sexualität ihr Kelch. Die Sexualität zu verwerfen also, hieße den Leib nicht achten, der die Seele beherbergt. Irrig geschieht dies des öfteren. Aber zu verdammen dünkt mich die Sexualität, die nicht nach der Liebe Paradies sucht, ebenso der Körper, der seine Seele ungastlich birgt und verkommen läßt. Die romantisch angehauchte Jungfrau, sollte es noch ein paar geben, verachte nicht die nächtliche Draufgängerin; die zweite schon jagt im Grunde nur dem Paradiesfetzen nach. Ich lobe mir den Don Juan, der durch alle Herzen hindurch nur die eine Paradiesische sucht! Selbstverständlich gibt es eine Liebe, zubereitet im Liebeslichte Gottostens, die des Kelches nicht bedarf. Sie entsteht im Gespräch, das zum Konzert wird. Solcher Engelwerdung war ich selbst Zeugin. Aus dem Worte der Gottheit prangten die großen Erzengel. Der Paradiesfetzen jeder Lichtnuance hinterläßt dem Offenbarten bedeutsame Spur. Die Folge aber unserer verfinsterten Paradieswelt ist: Kurzsichtigkeit bis zur Blindheit, Fehde, Herrschsucht, Haß und Krieg, und das Erkennen der Liebe scheint nur mager durch die Herzen der Menschen. Aber das Paradies lebt, wenn auch heimlich, in der Ampel der Welt. Nur sein ungetrübter Strahl vermag die Welt wieder zu erlösen, seine Liebe die Menschheit. »In deinem Auge lebt mein Paradies.« Ja, wenn wir alle bemüht wären, den kleinen übriggebliebenen Fetzen Paradies wieder zur Entfaltung zu bringen, spielten wir bald im Paradies. Aber wir Menschen würden uns sicher schon gegenseitig umgestoßen haben, wenn wir nicht wie die Sterne ein astrologisches Gesetz befolgen müssen. Wir müssen doch wohl schon von ehemals her ein Juwel zu bewahren haben, den Rubin der Liebe des Paradieses! Ich kenne Freunde, die an Paradiesangst leiden, einer Angst, die sich nur von der Verfinsterung der Welt ableiten läßt. Dumpfe Gewohnheit unterschlägt der Mehrzahl der Menschen diese Urqual. Gelingt es dem Gequälten, sich umzublättern in die Gegenwart, so genügt das Auflehnen einer kleinen Blutwelle seines Herzens, die vergilbte Seite vom Vorerinnern wieder aufzuschlagen. Und wie es unserer verfinsterten Welt geschah, gerät auch der von Angst verdunkelte Mensch aus dem Gleichgewicht. Wer diese Urqual erlebte, weiß, wie die Erde litt, als ihr der Paradiesschein – die Liebe! – vom Haupte glitt.


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