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Als die Bäume mich wiedersahen

Ich kam vom Meer. Als die Bäume mich wiedersahen, hob ein weiches Wehen in der Luft ihre Zweige, mich zu grüßen. Wind und Sturm ermöglichen den großen und kleinen Bäumen, den Sträuchern und Büschen, allen Kräutern und den zartesten Stengeln der Blumen, sie nach ihrem Gutdünken zu bewegen. Sich zu äußern bedient die Pflanze sich der Atmosphäre; ja sie entwickelt selbst, indem sie die Substanz ihres Temperaments mit den Stoffen der Luft vermischt, ein Wehen oder ein Stürmen, Blitzen und Donnern in der Natur. Wie auch des Menschen Willen bewegt wird zu gottgefälligen Handlungen durch die Bescheinigung Gottes. Je temperamentvoller des Baumes Wunsch ihn durchglüht, sich auszudrücken, desto kräftiger rüsten sich die Lüfte zum Sturm. Die glühenden Stürme, wie sie die Wüste erlebt, verursachen die sich noch erhaltenen, starken Urleidenschaften der gottalten Asienbäume des Morgenlandes. Aber auch der Melancholie spätes Säuseln entweht der Palme lässigem müden Fächeln. Und wisse, wenn du dich unter die Weide legst, ihre langen laubbehaarten Äste singen mit den Lüften der Ferne das Lied der bangen Sehnsucht. Reize nicht den träumenden Wacholderbaum oder den Vogelbeerenstrauch! Schone die Nester der Vögel in ihren gastlichen, kühlen Armen.

Denn jedes Vogelei beträumen die Bäume;
Und ihre Blüte entzwitschert dem Keime.

Zuguterletzt bitte ich dich von Herzen, die von mir so bewunderte Kiefernadeltanne nicht zu beleidigen, sie, die Indianerin aller Bäume! Die Gottheit selbst tauchte ihr gefiedertes Kleid in Waldsmaragd.

Im Grunde äußern sich die Pflanzen im Pflanzenreich wie wir Menschen uns im Menschenreich, durch uns unbekannte, aber verwandte Vorgänge. Diese Naturgeschichte lehrt das grünbroschierte Bilderbuch der Welt. Oft liegt es auf meinem Schoß, und ich schlage es feierlich auf. Darum weiß ich, wir versündigen uns an der Pflanze, namentlich an ihrer Blume; sie ist die Seele jedes Laubgeschöpfes, die sich, ich überzeuge mich immer wieder im Spätsommer, mit dem Körper der Frucht umhüllt; und den Pfirsich wie den robusten Apfel duftend durchdringt. Seitdem ich mich von dieser süßen Weisheit überzeugte, esse ich den Leib der Pflanzenseele nur noch mit großer Andacht. Die schwarze und die goldene Beere der Traube schauen mich an. – Die Ausdrucksmöglichkeiten der Bäume und ihr Gerank beeinflussen die Witterungen, deren Wechsel wir von mathematischen und astronomischen Gesetzen abhängig zu machen pflegen. Warum schweifen wir so gerne in die Ferne; und alles geschieht doch inmitten uns? Die großen, ehrwürdigen Laubriesen säuseln uns das ja täglich ins Ohr. Seit dem ungeheuerlichen Blutbeben, das alle Liebe verschlang, das Urgebot mit Blut bespritzte, löschte das letzte Aufglimmen des Lichtes. An diesen unersetzlichen Verlust müssen selbst noch die betreuenden gottalten Paradiesbäume glauben. Um wieviel grausamer aber die kindlichen Wiesenschaumkrautwiesen und Vergißmeinnichtteppiche und Gehänge voll des schlichten Klees und Schafgarbe. Kein wirklicher Sommer, kein richtiger Winter kommt mehr zustande in den Ländern der Feindseligkeiten. Wälder wurden geopfert wie ein Haupt, aber es schrie zum Himmel. Und doch, wie bereitwillig sich die Birke fällen ließ für meinen Tisch, an dem ich dichte; für deinen Baldachin, unter dem du träumst von mir. – Die heiße Auseinandersetzung im Pflanzenreich beweist uns die kranke Glut der Tage im verflossenen Sommer, der uns keineswegs vergoldete, in dessen Sonne nicht der Krokus wuchs, aber in dessen Fieber wir verdorrten zum neuen Tode. Und wie wenig wiederum gleichen sich die Winter mit den Wintern der Schneemänner, über deren Rücken wir von der Schule nach Hause zu schlittern pflegten. Es sind die Folgen der gleichgültigen Haltung, die namentlich die Bäume, die entlaubten, gegenüber der unversöhnlichen Welt einzunehmen sich gewöhnten. Und wie sie ihren Winterhermelin geliebt haben! Die ersten Schneesterne schüttelten sich geschickte Äste selbst vom grauen Busch der Winterwolke. So haben wir es uns also mit der Natur verdorben, mit dem grünmunteren Laubvolk, das uns den Ozon und den Atem des Lebens kredenzte. Die Unberechenbarkeit vom Allzuheiß bis zum Allzukalt ist die Folge der Klage der aus den Fugen geratenen Pflanzenwelt. Wir haben sie tödlich verwirrt und getroffen. Denn die Natur ist nicht der Menschen Schemel, den sie rücken oder gar durchsägen können nach Belieben. Der Mond verzauberte einmal meine Zweige; ich träumte früh am Morgen, ich sei ein Baum. Und begreife, warum heute die nie Böses ahnenden Blumen ihre Gesichter zur Seite in der Pracht ihrer Buntheit legen oder die junge Eiche ihr grünlockiges Haupt neigt. Dann verdursten wir an der Lauheit der Lüfte, und unsere Herzen werden alt und ersticken. Die ruhende Stimmung der Natur, ihre Friedfertigkeit schaffen das wahre Bild, das Original der Schöpfung. Das heißt nicht etwa, daß der Baum nicht rauschen soll nach seiner Laubeslust oder die Welle, seine Freundin, nicht aufbrausen soll. Jedes Kunstwerk, ob es sich um eine Dichtung, ein Gemälde oder um ein Lied handelt, erhebt zur wirklichen Schöpfung der ruhende Umriß. Die Kabbala spricht von der »Ruhenden Gottheit«. Die Luftströmung erhält von der Pflanze ihren Charakter und – umgekehrt. Wir könnten noch heute im Paradiese leben, wenn wir Menschen einig wären untereinander.


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