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Meine Andacht

Wir schließen am Abend die Augen ohne Furcht; den kurzen vorübergehenden Tod gewöhnt vom ersten Tage der Geburt an. Manche beten, bevor sie einschlafen, selten ein einziger mit dem Gedanken des Nichtmehrauferwachens. Würde der wirkliche Todesschlaf öfters oder auch nur einige Male das Leben des Menschen abschließen, fürchtete der Todesschläfer ebensowenig den vorübergehenden Tod wie das vom Schlaf unterbrochene Leben! Den Tod als Begleiter betrachten, der wieder heimfindet ins Erwachen. Der Tod aber ist das Endgültige, das Unaufhaltsame. Über seinen »verbotenen« Weg kann man nicht zurück, denn der ist kein grünender Pfad oder eine gepflasterte Straße, er ist der verbotene geistige Weg, der ins ruhende Nichts führt. Die Morgenfrühe erweckt die schlafende Seele im warmen Körper; und beschenkt den Erwachenden mit neuer Spannung. Aber wer erweckt den Entschlummerten und beschenkt ihn mit der unvergleichlichen Gabe ewigen Lebens, dem geheimnisvollen Preise der Erlösung? Immer arbeitet jedes Geschöpf, jedes Ding auf Erden – Faulenzen gibt es nicht – lebendig zu bleiben, da Atmen die keuscheste Urarbeit, ja die Urtugend der Welt bedeutet. Alles was da ist, haftet an der Odemschwinge der Schöpfung. Und der endgültige Tod hieße für das Herzwerk des Urorganismus einen unersetzlichen Verlust, wenn nicht Geborenwerden und Sterbenmüssen Hand in Hand ginge, nur Austausch bedeutete. Odem ist verflossene Gottheit, die wir ein- und ausatmen, die Welt lebendig zu erhalten, in Bewegung zu setzen. Andere Beschäftigungen wie Atmen ist im Gottgrunde überflüssig. Durchdrungen von dieser Wahrheit ergibt sich der indische Priester dem geistigen Trunke. Der Erlöste ruht in der erlösten Gottheit, im Odem und der Überlebende erlebt seinen teuren Entschlafenen viel verschmolzener in sich und mannigfaltiger, da er ihn ein- und ausatmet, immerfort die erlöste ruhende Seele erlebt. Ich habe mich stets befleißigt, nicht nach Gold aber nach Gott zu graben; manchmal stieß ich auf Himmel. Ich habe nach dem Ewigen gegraben, nicht aus verwegener Überhebung, aber aus religiöser Abenteuerlust. Darum schlich ich mich fort aus erstickenden Boudoirs und Ateliers, zwischen deren Wänden man oft zur Unterhaltung Gott in Metaphysik gerahmt herunterholte, wie eines der Gemälde von der Hand des gastlichen Malers. Jahre las ich die Abende einsam in den Büchern, die im Jenseits gedruckt wurden. Nicht wie man Reihe auf Reihe zu lesen pflegt, aber über Wege schreitend mit den Menschen der Urerzählungen, die die Wurzel legten zur Menschheit. Wer so den Stoff der Testamente zu sich nimmt, der hat vom Brot des Lebens gegessen. Mehr vermag der Bibelmensch dem Enkel nicht zu geben, als das Licht im Wort zu reichen. Und als mein unvergeßlicher lieber Junge zu mir sagte: »Morgen oder übermorgen werde ich sterben ...«, nach einer Weile mir mit inniger Stimme beteuerte: »... Du bist stark, das wußte ich immer, aber daß du so stark bist, von mir den Tod Monate fernzuhalten, dafür bin ich dir dankbar ...« – gedachte ich, wenn auch tief beschämt über das Lob meines heldenmütigen leidenden Kindes, des heiligen Mannas, das ich gegessen habe. Mein Junge hatte sich in den letzten Wochen seines Lebens vertieft im Fallen des Laubes, und oft begleitete er leise die scheidende Sonne, ihr Gold schien ihm das wertvollste der Welt. Ein mächtiger Baum stand vor dem Fenster. Sein Laub formte sich im Sommer zu einer Kuppel. »Zehnfamilienbaum«, scherzte ich manchmal. Die Vögel kamen und flogen wieder fort, Würmer zu suchen für ihre jungen Vögel. Einmal blieben sie alle gebannt auf den Ästen sitzen. Eine Anzahl blaubekleideter Sommerkinder zogen singend an dem lauschenden Baum vorbei und die älteren Vögel belehrten die jungen, ein Stück Himmel sei zur Erde gefallen. Am Abend guckten viele, viele kleine Augen oft durch unser Fenster, direkt in den elektrischen Mond, den hielten sie für einen besonderen Stern, der zwischen den warmen Wänden unseres Treibhauses gedeihen müsse. Als es Oktober wurde, sahen wir sie selten noch auf den Zweigen sitzen; die Krumen, die wir streuten, blieben liegen und wurden hart über Nacht. Mein armer schöner Junge maß seine abgemagerten Glieder an den entlaubten Ästen – in der Dunkelheit trug ich seine wehen Blicke in meinen Augen durch die Nacht. Am Abend, bevor er starb, empfand ich ihn wieder zweijährig. Ich hätte ihn tragen können, einsingen können in den Todesschlaf, so leicht war sein großgewachsener Körper geworden. Ich dachte doch so viel an Gott, nun pflückte er den schönsten Stern vom Feiertag meines Herzens. Ich rief Ihn in Erwartung einer Antwort; sprach Er mit den ersten Menschen, mit den Erzvätern, aber die besaßen noch ungetrübtes Gehör. Wenn ein Kind stirbt, weiß man, daß Raum und Zeit Zustand ist, und man vermag nur zu knien, sein Kind im Sterben zu erreichen. Der Himmel ist es eben, die blaue Verklärung, die den Sterbenden mit dem Zurückgebliebenen trennt. Dunkel sind wir Lebenden, so dunkel, wir finden uns selbst nicht. In der Kabbala steht, daß die Gottheit sich entdunkelte, bevor sie die Welt erschuf. Es ist nicht anders zu verstehen, als daß Gott einst einen Körper besaß wie wir, sich selbst erlöste, was wir Sterben nennen, und, ungehemmt der Schale, den Chaos durchlichtete. Es ist so leicht zu behaupten, es gibt keinen Gott. Und die Logik geht doch nur so weit, bei den meisten Menschen, beweisen zu können, daß sie Hunger haben und dafür ein Bissen zu kaufen ist. Wir, die wir Hunger haben, sind zwar nicht imstande, zu kaufen, oder wo abzupflücken, Frucht vom Baume. Aber wir stehen in weißer Erwartung mit Sternen besetzt. So war im Anfang eigentlich nicht das Wort, aber die Tat: Gott vom Sichtbaren zum unsichtbaren Gott sich verklärte. Das heißt: die Gefangenschaft des Körpers verließ und geistig betreut den Weltraum. So bin ich wenigstens nur imstande, den Körper des Menschen zu verstehen, den Gott schuf nach seinem Urebenbilde. Und ich frage mich, warum man dieses Urebenbild verachten soll, das fleischliche, die Hülle der Seele, zumal wir uns doch auch am Laube, üppig gedrängt, des Waldes freuen und jedes einzelnen Baumes, warum an der Schönheit des körperlichen Tempels nicht, der eine Kostbarkeit, das Allerheiligste, die Seele in sich bewahrt. Ich baue auf Gott, denn wie oft legte ich meinen Schmerz und meine Freude in seine Hand und nun mein Kind, mein Schmerz und meine Freude. Man spricht nichts in den Wind, was nicht weitgetragen wird ins Unsichtbare. Es wird aus Sommer Herbst und aus Winter Frühling und Leben aus Tod, und Sterben steigt aus jüngstem Leben. Es muß einen Gott geben angesichts der umsichtigen Weltordnung, aber auch dann, wenn die Sterne über die Erde wandeln würden und die Bäume am Himmel wachsen würden. Und doch erleben wir alles blind durch Milchweisheit, die Weltweisheit. Wir können nicht gewaltsam Stufen überspringen, aber wir wollten entdecken, nach Gott graben, bis wir auf Ihn stoßen.


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