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Freundschaft und Liebe

Wenn man keine Mutter mehr hat, in deren Liebe sich Himmel und Erde verklären, wünscht man sich sehnlichst einen guten Freund, eine gute Freundin. Man weiß allerdings, »ist man sich Freund«, wen man hat! An Eigentreue erlebt man selten eine Enttäuschung; kann man sich auch manche Dummheit nicht verzeihen. Trotzdem meine Dummheiten an Wert meine Klugheiten weit übertreffen. Ich bin sogar stolz auf meine Dummheiten: »Eine Seele und – kein Gedanke, ein Herz und ein Bienenschlag.« Ein bißchen langweilig wird man sich ja mit der Zeit, aber wer nähme mit »Sich« nicht schon vorlieb? Doch die Erfüllung aller Sehnsucht nach Freundschaft bedeutet, die Begegnung seines zweiten Gesichts. Den Freund verlangt es immer, im Freund sein Ebenbild zu sehen, wie der Liebende in der Herzallerliebsten seine Vollendung. Erinnern Sie sich noch, wenn auf dem Schulplatz der Schulgefährte keine Lust zeigte, an Ihrem Spiel teilzunehmen? Nicht umsonst ärgerte man sich über den »Spielverderber«! Man schließt im Leben öfters, sogar – »ewige« Freundschaft, und ich glaube auch nicht an die besungene »einmalige« Liebe. Allerdings bewegt sich jede neuaufgegangene in ihrer eigenen Farbe, doch stets in gleicher Hingabe und Himmelhochjauchzen. Jedesmal, wenn ich dem Señor Paolo, dem Konsul von Mexiko, am Lago Maggiore begegnete, schlossen sich, geblendet von seiner olivengoldenen Ausstrahlung, meine ihn bewundernden Augen. So liebte ich auch einmal einen »himmelblauen« Menschen. Ich kenne auch einen heiligen Dichter, der mitten in meinem Zimmer auf meinem Teppichplatz steht: ein lila Fliederstrauch. Sind oder wirken nicht oft Töne rosa, braun und altsilber oder wie orangefarben? Wie ist das zu erklären? Eines weiß ich, man sollte die Liebe königlicher beherbergen, die Freundschaft indianischer. Jede Liebe, jede Freundschaft, die bestanden wird, dient zum Vorbild der Welt. Die Liebe vor allen Dingen, da sie nicht von dieser Welt ist, ihr Verbleiben nicht in unserer Macht liegt. Die Flamme der Freundschaft hingegen wir noch zu schüren vermögen. Wie eine Sturmbraut naht die Liebe von Liebwest oder wie Palmensäuseln aus der Morgenlandferne. Ein Komet ist sie mit allen Verheißungen, steht man von ihr umarmt ganz im Lichte. Eine Sternschnuppe, überraschend, taucht die Liebe unsichtbar in das willenlos verzauberte Herz. Eine Himmelsschnuppe! Der Tropfen eines zerborstenen Himmels versüßt unser Blut und färbt unser Herz blau. Die Liebe ist ein Zustand, in den man durch himmlische Geschehnisse versetzt wird. Ein Zustand vor oder nach dem Tode: beglückende, in Herz sich senkende Atmosphäre. Ein Engel, zweier sich verschmolzener Blicke. Die Freundschaft aber ist: von dieser Welt. Wir sind ihr gewachsen; in unserer Macht liegt es, sie aufblühen oder verwelken, sie glühen oder erkalten zu lassen. Ihre Lebensdauer richtet sich nach dem Zeiger des gegenseitigen Vertrauens. Die Liebe hingegen wird vom Jenseits betreut. Sie hindern oder eigenmächtig anlocken zu wollen, vergebliche Müh'! Die Liebe ist ein von allerhöchsten Höhen geweihter Zustand, den man wie Duft über sich kommen lassen sollte. Man rühre an die Liebe nicht ... Den Freunden aber rate ich, sich ganz und gar ihrer Freundschaft zu bemächtigen, ihr ist, wie man sagt, beizukommen! Freundschaft läßt sich gewinnen, Freunde haben es in der Hand, ihre Freundschaft zu befestigen durch Beweise gegenseitiger Treue. Ein altbewährtes Sprichwort meint außerdem: »Geschenke erhalten die Freundschaft.« Aber die Liebe läßt sich selbst nicht mit dem Rubin des Herzens erkaufen. Und ich verspotte den Kavalier, der – handelt es sich um den Erfolg reiner Liebe–durch Juwelen das Herz seiner Dame zu erobern gedenkt. Die Liebende oder der Liebende sehnt sich, im liebreichsten Rahmen die Seele des Andern verkörpert zu besitzen. Für die Kamelie über dem Herzen des Señors hätte ich die Hälfte meines Lebens gegeben. Und nicht willkürlich heißt es: »Ehen werden im Himmel geschlossen.« Allerdings nur die vom Himmel zur Erde herbeigeführten. Zwei sich küssende Augen bringen den Engel der Liebe zur Welt, den beseligenden Zustand über zwei Herzen. Wie aber erklärt man sich eine einseitige, sogenannte »unglückliche« Liebe? Eine Liebe, die unerwidert bleibt. Vereitelt ein Unglücksfall, ein himmlischer natürlich, das hohe Geschehnis? Bleibt ja auch in unzähligen Fällen Irdisches unvollendet. Unterbricht etwa eine Gegenkraft den zauberhaften Liebesstrom vom auserwählten Menschen zum auserwählten Menschen? Brachen dem Liebesengel die Schwingen, oder wer hemmte das Glück, bevor es sich vollendete? Mit Vorliebe spielt nicht selten der Bote der Liebe Zweibeiden einen Streich. Kupido nannten die Griechen ihren kleinen Liebesgott, verkörperten den Schützen des Herzens. Wir geben uns keine Mühe heutzutage mehr, ihn den Schelm unverkörpert uns zu erklären und zu begreifen. Und doch verdankt man ihm manchmal einen sogenannten Treffer. Wer hätte nicht schon einige Menschen zu gleicher Zeit geliebt? Sterben läßt sichs »natürlichen Todes« an der Massenliebe so leicht nicht, noch selig werden. Soviel Herzzerbrechen sich Liebende über die Liebe, soviel Kopfzerbrechen pflegen sich Freunde über das Problem ihrer Freundschaft zu machen. In Gefahren üben sie sich, einander beizustehen, im Spiel des Gesprächs mit Worten geschickt zu gaukeln. Sie suchen sich nicht allein in ihren Handlungen zu gleichen, auch immer wieder in ihren Wünschen, treue Indianer, auf ein Kupferhaar, auf ein Schwarzhaar, aber in der Pointe gleiche Farbe bekennen: Der blaue Jaguar! Der blonde Tiger! Der Freund erblickt den Freund im Rost der Einigkeit, die Liebenden schauen sich gegenseitig im Spiegel des Bachs. – Der Liebe, der keine Ouvertüre vorausspielt, mangelt die Verbeugung. Weiß dennoch zu hochachten, wenn sich zwei Menschen, von der Kraft des Rausches überwältigt, in die Arme sinken. Gibt es noch so etwas Elementares? Auch noch in leichtester Form? Wer macht heut noch Fensterpromenade? Ich habe es mir nie abgewöhnen können, aber – es sitzt niemand am Fenster. Geläufiger sind die Fassadenkletterer! An gemeinsamer Gefahr und am Spiel zweier Freunde stärkt sich die Freundschaft, aber nicht ein Jota mindert oder erhöht den Grad der Liebe jedwedes Bemühen. Außerdem gebricht es der heutigen Zeit an Zeit für Ouvertüren oder Vorspielen der Liebe. Was hat im Grunde die Liebe mit dem Fortkommen zu tun; längst überwundene Träumereien! Handelte es sich noch um die große Freundschaft, um Freunde, die sich gegenseitig fördern. Und ich kann es doch nicht lassen, auch von der Liebe zu sprechen, ist sie inbrünstig, welcher Art auch, hört!! so krönt sie die Welt. Man sollte sich bewußt werden, der Wunderblume, – die am Rande oder inmitten des Herzens aufgegangen, ihr Hauch betäubt den Alltag und entwertet alle unsere anderen Neigungen. Aus sich schöpft die Liebe ihre Lebensfähigkeit, wie der Stern sein Licht, die Sonne ihre Wärme. Gerade diese große Reinheit und Einheit erhebt die wirkliche Liebe über jedes andere Empfinden, sie geht nicht auf Raub von Reizen aus. Man wundert sich ja des öfteren, wie gerade dieser, jene lieben kann? Und umgekehrt. Die Liebe ist eine Himmelsschnuppe, ein Stückchen zerborstener Himmel, das unversehens ins Zweiherze fällt und himmelhochjauchzenden Zustand verströmt. Furchtbare Krisen aber hinterläßt der Liebe Verfall. Dem an Liebe verarmten Menschen schlägt das Herz über dem Kopf zusammen. Er dünkte sich gestern noch für den wahren Krösus dieser Welt, und der Bankrott der Liebe trifft ihn schwer. Die Frau, die man himmlisch geliebt und mit erlösten Augen, von Erdenschwere befreit, bis dahin anbetete, präsentiert sich nun in ihrer Sterblichkeit jäh! Solche Liebesschläge gleichen Operationen, die große Narben hinterlassen. Ganz anders, wenn sich das Band der Liebe nach höherem Willen löst, organisch wie Beete, die sich vom Sommer trennen, zerfallen; die feiern mit dem verlustigen Herzen des Sommertags liebenden Abschied. Ursache geht nie einer erkaltenden Liebe voraus. Alle die hervorgebrachten Gründe sind Vorwände. Die Liebe moralisiert ja nicht. Laster wird zur Tugend im Bereich der Liebenden. Von der Liebe entblößt, die sich zur Königin erhob – wer bist du jetzt und wer ist er in seinem Alltagsnebel, der noch vor kurzem wetterleuchtete? Die Freundschaft aber ist aufzurichten. Zwei sich verlorengegangene, sich wiederfindende Freunde bauen über den Spalt ihrer Freundschaft eiserne Brücken. Meinungsverschiedenheiten, die nicht Launen verursachten, stärken das Rückgrat der Freundschaft. Die Laune aber ist der Freundschaft laues Laster, Großzügigkeit des Bündnisses Tugend. Freunde bekommen sich, wie man sagt, über! Falls sie keine gemeinsamen Interessen zur Unterhaltung finden. Den Liebenden hingegen fallen Mond und Sterne in den Schoß und schweigen ... Die Liebe gedeiht am besten unter der Knospe des ungesprochenen Wortes. Die Freunde müssen sich hörbarer mitteilen und sehnen sich täglich ähnlicher zu werden. Die Liebenden unähnlicher; gegenseitiges Bewundern; der Paragraph der Liebe! Ihn sollten die Liebenden beherzigen. Immer wieder neu erschaffene Perspektiven schaffen! Den Flügeln der Liebe den Raum noch erweitern. Stundenlang saß ich schweigend mit dem »blauen Wundermenschen« – am Brunnen »vor dem Tore« – und Verschmelzung traute unserer beiden Liebesherzen.

Ich möchte ewig schweigen
Einen Tod und ein Leben lang,
Wie in den Saiten der Geigen
Noch ungespielter Gesang.
Ich liebe die blauen Blumen
Im hohen Zittergras
Und deine blaue Seele
Unter blauem Glas.

Aber an meinen Freund, mit dem man sozusagen eingequasselt ist, schreibe ich ähnliches in folgender Fassung:

Ich möcht' mich unterhalten
Mit dir von abends bis früh.
Komm! alles ist wieder beim alten;
Ich langweil' mich nämlich wie nie.
Ich liebe das Meer, das nasse,
In seinem Paradebett,
Und bist du nicht bei Kasse,
Ich pumpe dir das Billett.

Auch Ihrer Freundschaft verschreibe ich, sie auf die Probe zu stellen, eine gemeinsame Reise. Was man im gewohnten Tempo des Lebens nicht erfährt, kommt oft im losgelösten Dahinsausen der Welt, das die Eisenbahn bedeutet, ans Licht. Oder – der große Flug gelingt! Reiseverwandt kehren sie beide heim. – Überdauernde Freundschaften, selten die tiefsten, entstammen den Kinderjahren. Erinnerungsgolden hämmern mannigfache Geschehnisse zwei zu Menschen gewordene Kinder zusammen. Die Folgen verschiedenartiger Milieu- und Lebensführungen vermögen die Jugendfreunde nicht zu trennen, im Gegenteil, des Gereifteren Freundschaft verwandelt sich seinem Spielgefährten gegenüber in Brüderlichkeit. Hingegen sich zwei Menschen oft, die sich inbrünstig liebten, nach Jahren verständnislos zu begegnen pflegen. Die Liebe bedeutet ihnen in der Erinnerung nur ein überstandenes »Erlebnis«. Wir aber, die wir die Liebe als das Paradies erkannten, fühlen, daß uns selbst noch seine Finsternis, das Erlöschen der Liebe, – himmlisch verbindet. Die Liebesfinsternis des Herzens erlebt jeder Mensch einmal im Leben. Daß man nicht an der Folge stirbt, begreife ich bis heute noch nicht. Eben noch von der Liebe besessen, grundlos schon von ihr vergessen! Augen, die mir Heimat waren, verschließen sich für ewig. Der bleierne Morgen der Gleichgültigkeit geht rücksichtslos über meinem Leben auf. Wir trennten uns, da es kühl in unserem Herzen wurde und dunkel ... Diese Ursache allein erklärt eine natürliche Trennung. Darum schon ist die Liebesehe, ob wildblühend oder umzäunt, die eigentliche Vernunftsehe. Wer vermag noch zu lieben mit der Liebe, wie sie vom Himmel fällt? Und wer kann noch Freund dem Freund sein?


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