Sophie von La Roche
Rosalie und Cleberg auf dem Lande / 1
Sophie von La Roche

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Sieben und zwanzigster Brief.

Rosalie an Mariane.

Dieser Brief von unserer van Guden Pinndorf beweist, daß meine Vorbedeutung von dem schlimmen Eindruck meines etwas gezwungnen Tons richtig war; doch sieht man auch, daß sie anfängt, den rechten Gesichtspunkt ihrer Lage zu fassen, und dies ist nach meines Oncles Urtheil immer der erste Schritt zu Gemüthsruhe und klugem Betragen. Mein Cleberg war über das gänzliche Stillschweigen, welches sie in Ansehung seiner beobachtete, etwas empfindlich, denn ich bemerkte es in dem Ton, mit welchem er sagte: »Die gute Frau zürnt über mich, weil ich der Wahrheit so nahe kam; es ist aber sehr glücklich für sie und die Pinndorfs, daß ihr Vermögen mit ihren Phantasien im Gleichgewicht steht.« – Mein Oncle sagte darüber: Er habe Recht. Ich mußte bei diesem Ausfall etwas lächeln; aber da mein Oncle seit einigen Tagen mehr ernst und stiller ist als gewöhnlich, und nichts hinzusetzte, so führten wir auch das Gespräch über diesen Gegenstand nicht weiter fort, und da heute ohnehin wieder ein Schulzentag war, so mußte Cleberg gleich nach dem Frühstuck in die Amtsstube; mein Oncle, der schreiben wollte, gieng in sein Kabinet, wodurch ich nach meinen Hausgeschäften die Zeit gewann, den Brief der Frau von Pinndorf für Sie abzuschreiben, und also diesen Abend noch mehr Muße für meine eignen Ideen zu finden, womit ich das Angenehme und Wichtige dieses Tages für Sie bezeichnen will.

Die Unterhaltung bei Tisch wurde durch eine Uebersetzung, welche mein Vetter aus dem Französischen gemacht hatte, auf eine sehr gefällige Art für uns alle sehr nützlich. Sie, welche uns und die Landleute lieben, werden die Wiederholung gerne mit mir genießen.

Die Schulzen erzählen immer bei diesen Mittagessen nach der Reihe, wie es bei ihnen mit den Verordnungen geht, oder wie die neuen Anstalten fortrücken. Da war nun die Frage von der eine Stunde von hier neuerrichteten Ziegelhütte; dann von dem in einem andern Ort des Oberamts eröfneten Steinbruch; von der an einem dritten gefundenen Mergelgrube – lange Zeit aber redete man von dem Anpflanzen der meinem Mann so lieben und bei den neuen Bauerhöfen angelegten Quetschenhecken, mit den alle 20 bis 30 Schritte in die Höhe laufenden Quetschenbäumen, weil diese Frucht zum Essen und Dörren, zur Mast der Schweine, und zum Brantweinbrennen so brauchbar ist, sehr artige Hecken bildet, und auch durch diese geschwinder tragbar wird. Unsere Seedorfer haben sie wirklich eingeführt; – aber aus Mistrauen gegen einander zogen sie zwischen die zwei Hecken ihrer kleinen Hausgärten einen Graben – und sind nun, da ihnen unser Gärtner immer aus der Baumschule gutes Obst geben, und sie in dem Beschneiden und Anlage der Bäume unterrichten muß, sehr zufrieden mit dem niedlichen Ansehen ihrer Gärtchen – so wie jetzo alle Clebergs Verordnung zu besserer Verwahrung des so äusserst nöthigen Düngers befolgen, und nicht Einer ist, welcher nicht seine Grube in ein ordentlich Viereck ausgegraben, mit Letten ausgeschlagen, und gegen die Mittagseite mit Bäumen besetzt hätte, um das Ablaufen der fetten Lacke, so wie das durch die Sonne vermehrte Ausdünsten zu verhindern. Gewiß alles Sinnen und Nachdenken von Cleberg für seine Bauern zielet zu dem Beweis ab: Daß Vernünftiger und anhaltender Fleiß die Erde zu doppeltem Ertrage bringe. –

»Gott lohne Sie für alles, was Sie für uns Landleute thun! – (sagte ein Schulze) Wenn nur auch die Herren, welche die Fürsten umgeben, bedächten, daß der Bauer durch die Hofnung einer friedlichen Erndte, eines freien Verkaufs, und durch die Sicherheit gegen neue Auflagen zu eifrigem Feldbau ermuntert wird.«

Nun folgte die Erzählung von einem äusserst thätigen und edelmüthigen Cavalier in dem Hessen-Casselschen Lande, welcher den allerliebsten Gedanken faßte, in seiner Nachbarschaft bald diesem bald jenem Landmann sein Guth abzupachten, mit dem größten Fleiß in guten Stand zu setzen, und es dann den Leuten wieder mit der freundlichsten Ermahnung zurück zu geben, daß sie es nun so unterhalten möchten. – Unsere Schulzen gaben diesem seltenen Edelmanne, wie sie ihn nannten, ihren herzlichen Segen, und freuten sich, als Cleberg sagte, er würde nächstens mit meinem Vetter, der diese Geschichte erzählte, in das Hessische reisen, um diesen Edelmann und seine Landwirthschaft selbst zu sehen.

Die Leute hatten alle freundlich auf meinen Vetter geblickt, und Einer sagte: »Er wünsche ihm Glück, diese nützliche Reise mit meinem Mann zu machen.« –

Cleberg, der meinen Vetter den Amtsleuten beliebt machen will, sagte: »Ich weis, daß es ihn freut; denn er liebt die Landhaushaltung über alles, sucht auch in meinen Büchern nur dies, was dazu gehört, und ist wirklich Ursache, daß unser Oncle im Frühjahr einen Sohn unsers Müllers und einen von dem Becker nach Frankreich reisen läßt, um das dort so sehr verbesserte Müller- und Beckerhandwerk recht zu lernen.«

Nun nahm einer der Schulzen, welcher nahe bei meinem Vetter faß, ihn bei der Hand, und sagte: »Ei das ist ja gar brav, Herr Amtssecretarius: wie machten Sie denn das?«

Mein Vetter erwiderte: »Ich fand in einem französischen Buch eine gar schöne Beschreibung von der Landarbeit – die übersetzte ich in das Deutsche, und las dann weiter, wo ich die Nachricht von einer Schule über Müller und Beckerkunst fand; da dachte ich: Unsere jungen Leute müssen immer eine gewisse Zeit wandern; wenn nun ein paar brave Pursche nach Frankreich giengen, und dort bei den vortreflichen Brüdern Parmentier ihr Handwerk vollende lernten, so wäre dies ja ein großer Vortheil für Seedorf, nicht nur wegen des viel nützlichern Mehlmachens, welches die Herrn erfanden, sondern auch wegen des bessern Brodbackens, in Ansehung der Nähe der Stadt. – Ich sagte es dem Herrn Oncle, und dieser versprach gleich das Reisegeld und den Unterhalt für die Leute.«

Dies freute die Schulzen ungemein, sie lobten meinen Oncle, und dankten ihm dafür. Er versicherte sie seiner eigenen Freude darüber, und setzte hinzu: »Der Herr Amtssecretair hat nicht alles gesagt, was er that: denn er lehrt jetzt, und den Hinter hindurch, die zwei Pursche das Französische, damit sie gleich alles verstehen und fragen können.«

Da fiel unser Seedorfer Schultheiß ein:

»Ach Herr Resident! was machen Sie alles aus den Leuten?«

»Warum, lieber Schulz?« fragte mein Mann.

»Ei wären Sie nicht selbst ein so braver Beamter, der Tag und Nacht für uns sorgt, so würde der junge Mann da in der kurzen Zeit nicht geworben seyn, was er ist.«

Cleberg unterbrach ihn, indem er meinem Vetter sagte, er solle die Uebersetzung holen, welche er von dem Lob der französischen Landarbeit gemacht habe, besonders weil auch so was Schönes von einem Landpfarrer und einem Oberaufseher darinn stehe. – Mein Vetter brachte diese Auszüge bald, und las uns die Aufsätze vor, welche Ihnen gewiß auch angenehm seyn werden.

»Die im Freien sich übende Landwirtschaft beschäftigt sich im Feld mit Anpflanzung der großen Feldfrüchte des Waizens und Roggens, der Gerste und des Habers; dann auch mit denen, welche man die kleinere nennt, Bohnen, Erbsen, Linsen, Hirsen, Buchwaizen, Heidekorn, mit Reben und öhligten Pflanzen, – Rüben, Hanf, Flachs, Mohnsaamen und Reps, dann mit fruchttragenden Bäumen und Gesträuchen, wie auch mit den angenehmen und nährenden Gemüspflanzen. Die häusliche Wirthschaft aber ist auf die Mittel bedacht, dieß, was die im freien Felde sich übende aussäete und einerntete, zu bewahren und nützlich zu verwenden. Sie besorgt die Speicher für die Feldfrüchte und den Hopfen; die Keller und Fässer für das Obst und den Wein, dessen Saft von der Natur bestimmt wurde, die Kräfte des Menschen zu stärken und zu erfrischen; sie kennt auch die verschiedenen Arten, Aepfel- und Birnweine zu machen, und sie erfand die Kunst, aus dem gährenden Satz des Obstes noch die süßen und geistigen Theile auszuziehen, und als viele Jahre daurenden Brantewein zu benutzen; sie trocknet auch Obst, wodurch es zu Nahrung und Verkauf dient. Unter Pressen von verschiedener Erfindung läuft das Oehl der Oliven und Nüsse, des Leins und Mohnsaamens, des Reps und der Bücheln. Dort verfertigt die gute Landwirthinn Käse und Butter; eine andre besorgt die Zubereitung des Hanfes und Leines; eine dritte den Ertrag des Wachses und Honigs, wie die arbeitsame Biene, welche auch den geringsten Tropfen des Saftes der Blumen, so wie den kleinen wachshaltenden Saamenstaub, in ihr Gehäuse trägt und verwendet. Die Besorgung der Seidenwürmer, welche uns den der Prachtliebe so kostbaren Faden liefern; die Zucht der Schaafe, die so gern ihre Wolle allen Ständen zu einer warmen und gesunden Kleidung hergeben; der Wiesenbau und die Viehzucht, mit dem Hühnerhof, erfüllen den verdienstvollen Cirkel der Beschäftigungen des Landmanns – wer kann sie alle erzählen? – Wie schlecht, wie träge und unglücklich muß der Mensch seyn, dessen kalte Seele diese auf so vielfache Weise nützlichen Arbeiten mit Geringschätzung oder mit Gleichgültigkeit betrachtet! – Mein Herz verehrt jede Hand, welche sich damit beschäftigt, und segnet die Brüder Parmentiers, welche die Kunst des Müllers so verbesserten, daß man nun aus dem nämlichen Maaß Korn ein Drittel Mehl mehr erhält, als vorher. Und wie verehrungswürdig ist mir der Bischof von Amiens, der mit dem Oberbeamten und den jungen Geistlichen seines Kirchspiels, die zu Landpfarrern bestimmt waren, den Lehrstunden über die Kenntnis des Korns, des guten Mahlens und Backens, beiwohnte, damit diese jungen Geistlichen von der für gesunde Nahrung des Volks so nöthigen Kenntnis wohl unterrichtet würden, und auch die Entdeckung benutzen möchten, welche gemacht wurde, auf was für Art man im Fall der Noth geringes und schlechtes Gesäme, ja selbst schon gekeimtes Korn zu gutem Mehl und Brod gebrauchen könne.«

Die Schulzen hörten da sehr aufmerksam zu, und zeigten ihre Bewunderung und ihren Beifall mit lebhaften Mienen. Am Ende sagte einer von ihnen, mir recht herzlichem Ton: »Ich danke, Herr Secretarius! für die Mühe des Lesens – aber es freut mich, daß man in dem kostbaren Paris, wo lauter lustige und vornehme Herrn wohnen, die Arbeit der Landleute lobt, und ich sehe auch, daß da in Frankreich ein braver Bischof ist, wie unser Herr Pfarrer in Seedorf, und ein Oberaufseher, gerad wie der Herr Resident bei uns – die auf alles Acht geben, was uns nützlich seyn kann.«

In diesem Augenblick wurde aber der junge Schreiner gemeldet, welchen mein Cleberg hatte reisen lassen, und ihn nun seit mehreren Wochen auf Clebergshof hielt, damit er Proben ausarbeite, die er auf der Messe in der Stadt und der Nachbarschaft zeigen, und sich Kundschaft erwerben könne. Mein Mann möchte gar zu gerne in allem schöne Formen haben, und diesen Wunsch wollte er mit den Produkten des Landes und dem Vermögen der Leute vereint ausführen, damit man das Nützliche und Gemächliche mit dem Angenehmen ohne viele Kosten genießen könnte; deswegen ward der junge Mann verbunden, allein die vollkommne Bearbeitung des Tannen- Eichen- Nuß- und Quetschenbaumholzes sich eigen zu machen, weil diese Gattungen in hiesigen Gegenden sehr schön und häufig wachsen, wohlfeil sind, und auch durch Cleberg sorgsam nachgepflanzt werden. – Seine Absicht wurde vollkommen erreicht, denn Sie können nicht glauben, was der junge Mann für Geschicklichkeit hat, die Zeichnungen, welche er bekommt, auszuführen. Er hatte meinen halben Saal vollgestellt, um seinem Wohlthäter alles zu weisen, ehe es nach der Stadt geführt würde. Diese zufällige Bekanntwerdung der auf allen Seiten wohltätigen Absichten ihres Beamten machte meinen Mann bei seinen Schulzen neu beliebt und Segenswerth. Sie sehen darinn, liebe Freundinn! wie verehrungswürdig die Beschäftigung eines edeln und eifrigen Landbeamten mir werden muß, und wie gerne ich auf meiner Seite ihm nachahmen werde. Ich sagte auch Cleberg, nachdem die Schulzen weg waren, mit einer Umarmung: Daß ich wirklich keinen andern Wunsch mehr für meine Söhne habe, als daß sie nach dem Beispiel ihres Vaters sich bilden möchten. Mein Oncle faßte dieses auf, lobte mich darüber, und setzte hinzu. »Rosalie! diese Gedanken kommen oft in meine Seele, wenn ich Clebergs anhaltende gemeinnützige Thätigkeit, und das Aufkeimen des Verstandes und Charakters deiner Söhne betrachte. – Kinder! (fuhr er fort) kommt noch auf eine halbe Stunde in den Garten zu Marianens Bank, ich will Euch etwas lesen, das ich für Karl und Wilhelm aufsetzte; die Kleinen können dabei ihre Felder jäten, oder auf dem Grasplatz ihre Abendspiele halten.«

Wir folgten ihm den Augenblick, da er die Papiere aus seiner Stube, und Cleberg unsere Buben bei dem Vetter geholt hatte, welcher sie, ohne Grammatik, lateinische Worte im Gedächtnis behalten und schreiben lehrt; Nanny wurde durch mich gerufen, und so wanderten wir zu der lieben Ruhebank, die von jeher zum Genuß der Weisheit, Güte und Freundschaft bestimmt war. Ich hatte mein Strickzeug; mein Oncle setzte sich mit seinem Heft Papier in Ihre Ecke; ich nahm meinen Platz zu einer, Cleberg zur andern Seite, wobei er einige seiner Nelkenstöcke vor sich stellte, um sie auszuputzen, die er aber bald zurücksetzte, als der Oncle anfieng:

» Zufällige Gedanken über die Erziehung der Knaben meiner geliebten Kinder Cleberg.

»Die Erziehung soll das wahre Glück der Kinder zur Absicht haben, und sie also dieß lehren, was sie jetzt und in Zukunft glücklich machen kann. Da wir nun während unserm Erdeleben von zwei immer auf uns wirkenden Kräften abhangen, so ist es nöthig, daß sie diese kennen, und daß man sie bei der Bildung ihres Geistes und ihrer Empfindungen gebrauche.

Die erste dieser so sehr wichtigen Kräfte liegt in der physischen Welt, welche die Bedürfnisse für unsern Körper schaft, und auf allen Seiten immer in Luft und Wasser, im Licht, in dem wärmenden Feuer, und in der uns tragenden Erde auf uns wirkt. –

Die zweite ist physisch und moralisch zugleich, denn sie liegt in unsern Nebenmenschen, und ihrer Verbindung mit uns. Die Geschichte der Menschheit lehrt diese, und die Naturgeschichte die erste kennen. Unser Aufenthalt in Seedorf führt uns glücklich zu dem, was den Kindern am leichtesten und angemessensten ist; denn da die Sinne der Jugend von der Natur die größte Feinheit erhielten, und ihr Gedächtnis die erste Stärke hat, aber ihre Urtheilskraft noch nicht gebildet seyn kann, so muß man sie nichts lehren, was vieles Nachdenken erfordert, so wie Grammatik und Sprachen, welche, nach mir, erst in die zweite Klasse des nützlichen Wissens gehören, und sie auch in der zweiten Jugend wenig Mühe kosten werden. Da ist nun das beste, sie vieles von dem sehen zu machen, was für ihre Fassungskraft taugt, und ihnen am ersten nöthig ist. – Dieses sind die Werke der Natur. – Es wird keine ermüdende Arbeit, sondern, da sie immer neue Sachen sehen werden, ein immer neues Vergnügen für sie seyn, wenn ihre Freunde und Lehrer die Mühe nehmen wollen, die Neugierde der Kinder auch durch die gute Art, ihnen die Sachen zu zeigen, rege zu halten. Da wird ein Insekt, eine Pflanze, ein Stein, ein Stück aus dem Mineralreich, – – ihnen eben so viel Freude machen, als die Spielsachen der ersten Jahre, und sie werden die verschiedenen Gestalten und Eigenschaften dieser Gegenstände bemerken, und in ihr Gedächtnis einprägen. Von dem äussern Ansehen leitet man sie dann zu dem innern Bau, und Verbindung der Theile; zeigt ihnen auch da vieles durch microscopische Beobachtungen – und durch öftere Wiederholung wird ihr Blick so sicher werden, daß sie sich nie mehr betrügen.

Nachdem lehrt man sie, und zeigt ihnen den Gebrauch, welchen Künstler und Handwerker von den Thieren, den Steinen, Pflanzen und Metallen machen; denn die Geschichte der Künste fordert mehrentheils auch nichts als ein gutes Auge, ist deswegen der Fassungskraft der ersten Jugend angemessen, und sicher nach Kenntnis der Natur eine der nützlichsten Wissenschaften.

Nun folgte die Geometrie, und Stückweise die Experimentalphysik und Chymie. Diese werden sie unterrichten, ohne sie zu ermüden; sie werden damit zu der glücklichen Gewohnheit nützlicher Beschäftigung geführt, und der Zeitpunkt des Zeichnens tritt ein. Abends lenkt sich das Auge so leicht gegen den Himmel, und es ist kein Kind, welches nicht die Sterne zählen möchte. Diese Begierde kann zu der Anfeurung des geometrischen Fleißes, und zu den ersten Ideen der Sternkunde benutzt werden, und mit Hülfe kleiner Erdkugeln und Himmelscharten sollten sie bald die Planeten, ihren Lauf und Verbindungen, neben den wichtigsten Sternbildern kennen, und auch mit den Sehrohren und Teleskopen schicklich bekannt werden.

Nach diesem kommt Menschenkenntnis. Diese erlangen sie durch die Geschichte, welche eine neue Quelle von Vergnügen für sie wird. Die Geschichte der Griechen und Römer lieben die jungen Leute alle; man muß aber dabei die Landcharten hinlegen, und ihnen die Länder bekannt machen, wo alte und neue große Menschen wohnten, und in Krieg und Frieden handelten und wandelten – welches man bei der Geschichte aller Völker durchsetzen, ihnen dadurch eine beseelte Geographie geben, und die Sprachen alter Völker lehren muß.

So leitet sie bis zum dreizehnten Jahre, wo ihre Urteilskraft anfangen wird, gründlich und richtig zu werden; – dann führt sie zu der Mathematik. Die Gegenstände dieser in das Innere der Wesen dringenden Wissenschaft sind immer vor uns; die Gewißheit und die Ueberzeugung begleiten sie, und gewöhnen die jungen Leute zur Liebe und zu dem Gefühl des Wahren. Optik und Mechanik, so wie alle Zweige der gemischten Mathematik, verbinden sich mit den ersten Grundsätzen – und so werden sie bis zu fünfzehn, sechszehn Jahren, aus einem angenehmen und sichern Weg, zu einem unerschöpflichen Vorrath von so viel Kenntnissen und Thatsachen gebracht seyn, daß sie wissen können, was ihnen nützlich ist, und gewiß werden sie dann, wenn sie sich zu einer Wissenschaft entschließen, schnelle und große Fortschritte machen. – Rosalie kann ihnen dann auch große Dienste thun, wenn sie sich alle Tage etwas, als eine Gefälligkeit für die Mutter, in dem Plutarch und andern historischen Lebensbeschreibungen verdienter Männer, und Auszüge von ihren merkwürdigen Gedanken vorlesen läßt, weil die Kinder ohnehin das Französische bei ihr lernen.

Mit dem siebenzehenten Jahr führt sie in das Heiligthum der ganzen Moral. Ihre Herzen werden noch das unverdorbene Gefühl edler Seelen haben. Zeigt ihnen, was sie Andern schuldig sind, und was sie von ihnen fordern können. Legt ihnen die Rechte des Standes der Natur, und die der gesellschaftlichen Verbindungen, neben den Pflichten dieser Gesellschaften gegen einander, vor Augen. Ich hoffe, das rechtschaffene Herz unserer Kinder, die Geschichte, und unser Beispiel, sollen sie schon lang darüber unterrichtet, und vorbereitet haben.

Dann laßt sie die Höhen der Philosophie besteigen, wozu ihnen diese Reihe von Vorkenntnissen den Weg erleichtern werden – und Ihr zwei Lieben werdet den Trost fühlen, Eure Söhne glücklich zum neunzehnten Jahre geführt zu haben, ohne daß die guten Jungen die schönste Zeit ihres Lebens in Zwang und Trauer, bei Erlernung tausend unnützer Dinge, verloren. – Die selige Gewohnheit in nützliche Beschäftigung und edle Freuden eingetheilter Stunden wird ihnen zum Bedürfnis geworden seyn, und sie vor schädlicher hinreissender Leidenschaft bewahren, welche vielmehr für Wirkung des Mangels nützlicher Arbeit, als eines feurigen Temperaments und jugendlicher Bewegung des Herzens angesehen werden muß.« –

O Mariane! was für eine Wirkung machte das Vorlesen dieser Blätter auf Cleberg und mich, da wir unsere Knaben zur Seite spielend, vor uns aber den treuen weisen Oncle, von dem Wiederschein der niedergehenden Sonne beleuchtet, an dem anfangenden Abend seines verdienst- und gütevollen Lebens, für die glückliche Zukunft dieser Kinder so besorgt sahen. Kennen Sie etwas Simpleres, der Natur der Kinder und dem wahren Geist angemesseners, als diesen Plan? Cleberg hat auch die ganz treue Befolgung angelobt, indem er in voller Bewegung der Seele hingieng, unsere Knaben holte, sie zum Oncle führte, und ihn bat, die gute Kinder in diesem schönen seligen Augenblick zu küssen und zu segnen, auch ihn zu segnen, da er gewiß diesen Plan getreu befolgen wolle. Ich weinte, mit einem Blick zum Himmel, die süssesten Thränen, indem ich die Hände meines Oncles und meine Buben küßte. –


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