Sophie von La Roche
Rosalie und Cleberg auf dem Lande / 1
Sophie von La Roche

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölfter Brief.

Rosalie an Marianen.

Nun haben wir die Einweihung von Julienberg gefeiert, und waren ungeachtet einer kleinen Wolke von zufälligem Misvergnügen recht wohl und munter. Ich will Ihnen aber das Ganze erzählen, und etwas zurückgehen.

Die Lattens und Julie waren mit Frau Grafe gekommen, und alle brachten den Abend in meinem Hause zu. Bei dem Abschied, da wir die Ottens unter dem offenen Gang von meinem Haus und der Amtsstube hin begleitet hatten, sagte Ott bei dem Anblick des äusserst schön gestirnten Himmels.: »Wir werden morgen einen heitern Tag haben, der mir doppelt lieb ist, da er den Namen meiner Juliane trägt. Sie helfen ihn feiern, meine lieben Freunde! und verleben den mir so theuern Tag mit uns.« Wir willigten, wie Sie wohl glauben, alle ein, und giengen den andern Morgen, nicht kostbar aber artig gekleidet, jedes mit einem hübschen Blumenstrauß in der Hand, zu Otts Hause, umarmten die liebe bescheidene Julie, und wünschten ihr alles Gute, das sie verdient. Sie freute sich unserer Freundschaft, und ihr Mann bat uns, so gefällig zu seyn, mit ihnen auf den Berg zu gehen, wo er, so gut als ein Mann und zwei Bäuerinnen es vermögten, ein ländliches Mittagessen bereitet habe. Dies war uns allen sehr lieb; wir wanderten munter schwätzend bergan, und kamen von der Seite des Hauses, die gegen den Wald steht, an der hübschen Einfassung bei den Stallungen vorbei, zu der Wohnung, wo uns alle Hofleute neugekleidet entgegenkamen, und wir über der mit grünem Reissig und rothen Pavotblumen eingefaßten Hausthüre auf einer Tafel in großen grünen Buchstaben die Aufschrift sahen: Julienhof. Die alte Bäuerinn überreichte Julien auf einem mit Blumen gezierten Teller einen Pack Papier, worauf stand:

»Der Erbpacht Julienberg – zum Angebinde der besten Frau und Mutter.«

Zu gleicher Zeit drangen sich die jungen Bauerleute um sie her – der älteste Sohn mit einer mit Blumen umwundenen Korngarbe; der zweite mit einem Milchkalb, das auch einen Kranz von Pavot um den Hals hatte; die älteste Tochter mit einem Korb voll Gemüs, und einem großen Gebund Flachs; die zweite mit einem Korb voll Hühner an einem Arm, und auf der andern Hand eine mit Blättern belegte Schüssel mit Butter und Eiern; der jüngste Sohn brachte ein Schaaf mit einem Halsband von Jerichrosen. – Sie können nicht glauben, wie das alles, bei der besondern Nettigkeit in allem, so schön und so rührend war. Julie wußte sich nicht mehr zu helfen, und fiel ihrem Mann um den Hals, wo sie das Uebermaas ihrer Freude ausweinte, und schluchzend ihm dankte; dann den guten Bauerleuten die Hände bot, und sie versicherte, daß sie alles zu ihrem Glück beitragen würde, wie sie zu ihrer Freude beigetragen hätten. – Nun wurden wir überall herumgeführt; das Bauernhaus, die Scheune, die Ställe, der Hühnerhof und Gemüsgarten, die Felder und Wiesen, alles wurde betrachtet, und darüber gesprochen. Besonders hielten wir uns bei dem Milchhaus auf, welches in zwei Theilen besteht. Der erste bei dem Eingang hat auf einer Seite eine kleine Küche für den Käs- und Spühlkessel, auf der andern den Raum zum Butterfaß und allem mit schönen kupfernen Reifen besetzten Holzwerk, welches in der besten Ordnung und Reinlichkeit dastand. Von hier geht man ein paar Stufen hinunter in den an allen Wänden mit holländischen weissen Fayancetäfelchen besetzten Milchkeller. Große und kleine Milchtöpfe, hohe und niedre, weite und enge Schüsseln von grün glassirtem Erdengeschirr standen auf weissen Gestellen umher geordnet; nur auf einer Seite waren einige Porcellantassen, in welchen man zierlichen Fremden, wie das Milchmädchen sagte, den süßen Rahm reichen könne. Die ganze Einrichtung war nach der Form der englischen Milchhäuser; nur ist hier in Fayanceplättchen und Erdengeschirr, was die Engländer in Marmor und seinem Porzellan haben – so wie wir die schönen Formen der weissen englischen Kleider in gutem Schweizermusselin tragen, welche die englischen Damen in den feinsten ostindischen haben.

Unsere gute Julie war wie betäubt, oder vielmehr berauscht, und es war mir beinah vor der letzten Ueberraschung bange; aber es muß wohl wahr seyn, daß Erschütterungen der Freude selten schaden – so wie man behauptet, daß Freudenthränen die Augen nicht röthen. –

Wir giengen, als man uns zum Mittagessen rief, unter dem vorragenden Schweizerdach des neuen Anbaues gegen die vordere Seite des Berges, wo Popens Halle aufgerichtet ist. Am Ende dieses Ganges trift man gerade das neue Gebäude. Julie stutzte und blieb stehen, ihr Mann aber sagte, indem er sie bei der Hand faßte:

»Liebes Kind! der Bauernhof ist dein; diese kleine Halle habe ich mir vorbehalten, weil ich sicher bin, daß du meinen Phantasieen gerne ein Plätzchen gönnst – und wir speisen in meines Popens Halle mit dir zu Mittag.« Mit diesen Worten führte er sie zu der Thüre, welche, wie die zwei Seitenfenster, niedlich verziert war. Stellen Sie sich aber Juliens Erstaunen und Bewegung vor, als sie bei dem Eintritt ihre vier allerliebst gekleidete Kinder auf einem sechs Stufen erhöhten grün bedeckten breiten Gerüste erblickte, wo ihr ältester Sohn an der Aufschrift:

Gute Mutter! lebe lang!

das letzte Wort zu endigen schien, ihre zwei Mädchen aber beschäftiget waren, um ihr schönes in einer ovalen Rahme aufgehängtes Bildnis eine Blumenkette zu befestigen, welche von der ältern oben in einen Kranz gebogen, von der jüngern aber unten zusammengebunden wurde. Das kleinste ihrer Kinder saß auf der breiten obersten Stufe neben einem Vorrath von Blumengewinden, welche es der Schwester zu reichen schien, die für die Schleife besorgt war. – Gewiß ist sich wirklich keine lieblichere und angenehmere Gruppe zu denken, als diese war. Julie lief mit ausgebreiteten Armen gegen sie, konnte aber nichts anders sagen, als: Liebe Kinder! – denn die Thränen der Freude und der Rührung hemmten den Gang der Worte; – ihre Stimme und ihr Anblick machte die Kinder ihre Blumenketten verlassen, und der Mutter um den Hals fallen, welche sie mit einer unaussprechlichen Zärtlichkeit umarmte, und dadurch ihr überfließendes Gefühl ausdrückte. Endlich eilten auf die Ermahnung des Vaters die jungen Leute ihrem Eßtisch zu, welcher ihnen auf der kleinen Terrasse vor der Thüre der Halle bereitet war, und wo die unsern mit Frau Grafens Kinder versammelt standen, wir Aeltern aber bei dem Anblick des großen Tisches uns theils mit dem Ausdruck des Staunens über das Ungewöhnliche, theils mit dem Lächeln ansahen, mit welchem man eine kleine Irrung an einem Freund bemerkt. –

Sie wissen, daß man bei Ott nie eine Suppe bekommt, sondern gleich mit dem Gemüs bedient wird, und daß er die Porcellanschüsseln und Teller nicht leiden kann, als bei dem Desert. Nun sahen wir seine schön geformte und wie Silber blinkende zinnerne Teller, und Juliens niedliches weisses Tischzeug dabei, aber auch in der Mitte des ziemlich schmalen Tisches zwischen vier Blumenkörbchen eine große mit einem hohen Fuß versehene Schüssel, welche in der Mitte der ganzen ovalen Länge hindurch eine Scheidwand hatte, und uns auf einer Seite das Gemüs, auf der andern aber die dazu bestimmten Schinkenstücke zeigte. Auf der rechten Seite in der nämlichen Linie stand eine große länglichte eben so durchzogene Schüssel, wo auf einer Seite gebratne Hühner, auf der andern aber Wildprett war, und dieser Platte gegenüber zur Linken eine eben so geformte, welche diesseits der Scheidwand kleine Kuchen, und jenseits den Salat faßte. Es sah an sich recht artig, sehr reichhaltig, und doch einfach aus, nur war die Sache so neu, so unerwartet, daß wir alle still drauf hinlächelten, besonders da Ott mit der Hand eine Bewegung über den Tisch hin machte, und dabei sagte: »Nicht mehr als drei Schüsseln, ist das Gesetz auf Julienberg.« – Unsere lebhafte Frau Grafe fiel aber äusserst schnell ein: »Ein hübsches Gesetz mit diesen Abtheilungen!« Diese Anmerkung wäre genug gewesen, und wir hätten alle mitsprechen können, aber sie setzte eben so schnell hinzu, indem sie rings auf uns blickte: »Sollten wir wohl von dem feinen moralischen Ott ein Modell erwartet haben, wie man neue und alte Gesetze umgehen könne?« – Sie ist seine Verwandtin, er sollte ihre Art schon lange kennen, aber diese Anmerkung traf ihn empfindlich, er wurde über und über roth, und wir alle sehr verlegen, die gute Julie aber schmerzhaft bewegt, sie, die den Augenblick vorher so freundlich zufrieden auf ihren Mann und auf diese Schüsseln geblickt hatte. Mein lieber Cleberg trat ein, und half uns allen zurecht, indem er lebhaft sagte:

»Es ist ein sehr böser Muthwille von der Frau Baase Grafe, daß sie diese Erfindung tadelt; ich achtete sie von dem ersten Anblick an, indem ich sehr glücklich finde, daß man dadurch bei der Entfernung von dem Wohnhaus und allem Vorrath, den man dort an der Hand hat, hier, ohne daß etwas mangle, und ohne daß die Dienstboten mit Hin- und Herschicken gequält werden, eine gute reichliche Mahlzeit genießen kann. – Und (setzte er hinzu, sich gegen mich wendend) Salie! das ist für unsern Waldgarten mehr werth, als die Feldküche; wir wollen auch solche Schüsseln, mit dem Zusatz von einem Deckel und einer Handhabe in der Scheidewand, machen lassen.« –

Nun war der etwas zerstörte Ott und die betretene Frau Grafe wieder in Ordnung gekommen, sie fieng auch zu unserer aller Freude recht artig an zu sagen:

»Sie haben recht, Herr Resident! meine Anmerkung war zu voreilig; ich sehe, daß es wirklich auch deswegen sehr gut ist, weil der Tisch um so viel kleiner seyn darf, und man sich alle freundliche Dienste mit Gemächlichkeit erlauben und begehren kann. Vergeben Sie mir, guter Ott! und setzen Sie sich auf die Seite des Schinkens; ich will das Gemüse vorlegen.«

Zugleich setzte sie sich, und nahm den Löffel ganz munter zur Hand – Ott, noch mit einer etwas mürrischen Miene, die Gabel, um jedem Teller in dem nämlichen Augenblick seine Zulage zu geben. Julie war, ihre Empfindung zu verbergen, zu dem Tisch der Kinder gegangen, wo sie zwei dergleichen Schüsseln, nur etwas kleiner, die eine mit Gemüs und gebackenem Brod, die andre mit Kuchen und einer Milchspeise, fand, welche zu beiden Seiten eines mit Blumen gefüllten Körbchens gestellt waren. Sie setzte sich dann oben zwischen Cleberg und meinen Oncle, denn sie wollte, wie sie sagte, nicht zu ihrem Mann sitzen, weil sie Ihr Portrait ansehen müßte: aber sie bekannte mir nachher, daß es aus Unmuth gegen Madame Grafe geschah, welche sie nicht gegen sich über leiden konnte, weil ihr diese Frau den so schönen Tag verdarb. »Ich (setzte sie hinzu) möchte nie um des feinsten Gedankens willen irgend jemand weh thun, und hasse dieses Wesen wie die fein geschliffenen Taschenspiegel, mit welchen man Sonnenstralen auffängt, und damit auf einmal eine Person, welche etwas eifrig oder mit Vergnügen betrachtet, schmerzhaft verblendet.« Doch wurden wir alle nach und nach heiter und unbefangen, um so mehr, als Frau Grafe, die im Grunde eine recht gute liebe Frau ist, zu Ott sagte:

»Lieber Vetter! Sie haben mir wohl meine unbesonnene Kritik vergeben, sagen Sie mir aber jetzo doch, wie kamen Sie zu dem Gedanken mit diesen zwiefachen Schüsseln?«

Er sagte ziemlich ruhig:

»Durch Unzufriedenheit und Rückerinnerung.«

»Wie das?« erwiederte sie.

»Ich war unzufrieden mit mir selbst, so gar ernsthaft gesagt zu haben, daß ich hier nicht mehr als drei Schüsseln geben wolle, denn ich bemerkte sogleich, daß Alle dachten, es sey unmöglich, unsere Gäste satt zu machen; und als ich die kleinen Anstalten für Juliens Fest ordnen wollte, so wurde ich davon überzeugt, wollte aber doch bei meinem Vorsatz bleiben, und erinnerte mich an die Erfindung der Dänen: Als ihnen bei ihren Festen nur eine gewisse Anzahl Schüsseln erlaubt wurde, liessen sie große Platten mit Abtheilungen verfertigen, in welchen verschiedene Speisen unvermischt erscheinen konnten, und doch nur die vorgeschriebene Zahl der Schüsseln auf dem Tisch waren. Diese Idee dünkte mich zugleich neu und artig in unserm Cirkel; der Tisch konnte schmaler seyn, versperrte also weniger Raum in meiner Halle, und, wie Herr Cleberg sagt, es paßte auch zu der geringen Zahl meiner Dienstboten, und zu den Pflichten der Schonung ihrer Kräfte. – Indessen ist es wahr, es ist ein schiefer Bug in meinen selbstgegebenen Gesetzen, und ein Beweis, daß die Behauptung eines irrigen Gedankens zu weitern Irrungen führt: aber ich bin von meiner liebenswerten Baase so ernsthaft dafür gestraft worden, daß ich mir nun auch bei meinem offenherzigen Bekenntnis allgemeine Entschuldigung verspreche.« Er bückte sich dabei gegen uns alle. Madame Grafe wurde sehr bewegt, und sagte: »Lieber Ott! mich dünkt, ich allein habe Vergebung nöthig, denn ich störte Ihre liebreichen artigen Entwürfe der Feier des schönen Tags; nehmen Sie auch dieses Geständnis als Genugtuung an. – Herr Cleberg hat mich im Namen der ganzen Gesellschaft ausgemachte weil Ihre Unzufriedenheit Allen eine Art von Schmerz gab, und so, hoffe ich, (sagte sie, einen drolligen Knicks machend) ist meine Rechnung im Reinen.«

So endete der unvorgesehene Zwist, durch Klugheit und Güte der streitenden Theile. Doch werden Sie einsehen, daß meines Clebergs Geist dem Ganzen die gute Sendung gab, welche es bekam; aber unsere Frau Grafe hat bei Allen etwas verloren. Mein Oncle sagte ihr auch: »Sie hätte mit ihrem zu feurigen Geist Allen einen elektrischen Schlag gegeben, weil die Freundschaft uns so verbinde, daß Freude und Schmerz von Allen in gleichem Maaß gefühlt würde.

»Nun, lieber Oncle! (erwiederte sie) ich will nicht mehr mit dem himmlischen Feuer spielen, besonders da ich am Ende meine eigenen Finger verbrannte«

Dieses alles wurde auf der artigen Terrasse vor der Halle gesagt, auf welche man drei Stufen absteigt, und die gegen den Abhang des Bergs mit einem starken Geländer verwahrt ist. Wir tranken da Caffee. Indessen wurde der Tisch und alles aus der Halle geräumt; eine Harfe und zwei Violinen stimmten zum Tanzen, welches bis an Abend dauerte, wo man Lattens und Grafe zu mir begleitete, noch einen warmen Wein trank, und Alle mit Zufriedenheit schlafen giengen. Heute nach dem Mittagessen aber sind meine Gäste wieder nach der Stadt, und ich, mit tausend Wünschen für Mariane beladen, an meinem Schreibtisch.


 << zurück weiter >>