Sophie von La Roche
Rosalie und Cleberg auf dem Lande / 1
Sophie von La Roche

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Dritter Brief.

Rosalie an Marianen.

Es regnet auch heute noch, aber nun müssen Sie angelangt seyn, und ich erwarte jetzo die Rückkehr schöner Tage mit aller Gelassenheit. Frau Grafe ist noch hier, und wir haben Briefe von van Guden, welche, wie die Erste sagt, meinem Cleberg den Stolz eines Drachen geben, indem der Inhalt dieses Briefs in allem beweist, daß er die wahre Ursache von Gudens Reise durchsah. Doch Sie müssen den Brief selbst lesen, und haben die Güte, ihn mit der ersten Post zurückzusenden.

Van Guden an Rosalie – Lausanne.

»Ich konnte bisher, meine lieben Freunde! keine große Briefe schreiben; mein Fuß und meine Ideen waren nirgend fest genug; aber hier, wo ich ein artig Landhaus gemiethet habe, und, liebe Rosalia verzeihen Sie mir! wo ich den ganzen Sommer zu bleiben gedenke, hier kann ich viel schreiben, und will es auch um Ihrer und meinetwillen thun: um Sie mit mir zufrieden, und mich selbst auf dem Weg der besten Absicht stärker zu machen. Aber dieses mag bis auf den Augenblick ein Räthsel für Sie seyn, und ich will es erklären. Ich werde bei Ihnen verlieren, weil Sie oft meine Weisheit zu sehen glaubten, und mächtige Ueberreste einer nie ganz gedämpften Leidenschaft entdecken werden! Aber Wahrheit und fester Vorsatz einer völligen Aenderung sollen die noch mangelnde Klugheit ersetzen.

Sie wissen, daß Herr von Pinndorf seit vier Jahren nicht mehr auf seinem Guth bei W. wohnte, aber mir doch, während seinen Wandrungen mit seiner Frau und seiner Schwester, immer schrieb. Ich hörten wohl auch, daß diese Reisen viel Geld kosteten; aber ich dachte: Der arme Mann hat wegen Gelds eine ihm so ungleiche Frau genommen, da will er wenigstens Etwas genießen. Zu Hause mag er dieser Gesellschaft müde seyn; auswärts trift er tausend Zerstreuungen an, und die Familie seiner Frau muß doch überzeugt bleiben, daß er seine Gattinn liebt, weil er sie immer bei sich hat – –. Ich legte so viel ich konnte auf die Waagschale der Gewalt der Umstände, und gönnte ihm den edeln einzigen Ersatz des Schadens, welchen er seinem wahren Glück zugefügt hatte. Ich wollte dieses Jahr wieder auf einige Monate nach Wollinghof, und hörte, daß Herr von Pinndorf mit seiner Familie und einer fremdem Dame zurückgekommen sey, und gleich den ersten Abend sein Haus und die Terrasse erleuchten ließ, vor wenigen Tagen aber einen großen Ball gegeben habe. Diese Nachrichten, ich bekenne es, führten mich bälder nach Wollinghof, als ich anfangs nicht dachte. Die fremde Dame und die Feste gaben mir Neugierde und Unruhe; auch, Liebe! war dies wohl natürlicher, als Gleichgültigkeit es gewesen wäre. Pinndorf hatte die einmal durch Verdienste erhaltene Stelle in meinem Herzen behauptet. Lange hatte ich ihn nicht gesehen; lange nichts von ihm gehört. Nun kam ich in seine Nachbarschaft; meine Wollinge, die Mooß, der Pfarrer zu Grünburg, alles sprach von sonderbaren Auftritten in dieser Familie. Ich schwieg, und fragte gar nicht mehr nach Neuigkeiten, konnte aber einmal selbst, von der Höhe bei dem alten Schloß, das Feuerwerk sehen, welches er, bei dem Geburtsfest der fremden Dame, gab. Man sagte auch, seine Untertanen hätten keinen guten Herrn mehr an ihm. – – Alles dies grämte mich sehr, und ich wurde unschlüssig, ob ich den Sommer auf dem Berg ausdauren würde oder nicht. Der Pfarrer von Grünburg, welcher auf einige Tage in der Stadt war, schrieb mir so viel Umstände, daß es mich bewog, alle Zeichnungen aus den Zimmern des alten Schlosses wegzunehmen, und daß ich keinen Fuß mehr hinsetzte: denn Ihre weise van Guden konnte diese Nachrichten auf keine Art tragen, wie Sie sehen.

Kurz hernach kam eines Tags Herr von Pinndorf mit seiner Frau gefahren, um mich und die Kinder zu besuchen. Sie war angezogen wie eine verabschiedete Komödiantinn. Er – ach Rosalia! – sein Eintritt, seine Blicke auf mich, auf seine Kinder, o mir schaudert noch darüber! – Sonderbar wirkte die Darstellung der Kinder auf die Leute! Sie wissen, daß ich immer sehr sorgsam für Henriettens schöne Haare, für ihre Gestalt und ihre Gesichtsfarbe war; daß sie, um sie äusserst reinlich zu gewöhnen, immer weiß gekleidet ist, und nur farbige Leibbinden trägt; und daß ich ihre Haare selbst in Locken lege. Sie erinnern sich wohl auch, daß der Tanzmeister von ihr und Gustav sagte: Sie würden die edelsten Tänzer werden. Nun waren sie auch in vier Jahren sehr gewachsen; sassen bei der Ankunft des Vaters bei mir, und schrieben Auszüge. Die Mutter, die arme Frau! bückte sich vor Henrietten, welche sich auch mit vortreflichem Anstand zeigt, wenn sie gegen Jemand geht, oder in ein Zimmer kommt. – Pinndorf staunte seine Kinder an, und seine Frau fragte: ob sie französisch reden könnten? Henriette sprach gleich fertig mit ihr. Es gefiel mir, daß Pinndorf nicht zu reden vermochte, und wollte ihn eben mit Heiterkeit aus der Verlegenheit ziehen, in welche ich ihn versunken sah, als den nämlichen Augenblick seine Schwester und die berühmte fremde Dame mit lautem Lachen in das Zimmer stürzten, und ihm zuschrieen: So heimlich wollten Sie weg, und eine Wallfahrt auf den romantischen Berg machen! – Dies sagte die romantisch gekleidete Dame zu Pinndorf, wobei sie einen Seitenblick nach mir warf, und er völlig aus aller Fassung war. Ob er schon lächelte, so erröthete er doch auch, und vermied meine Blicke. Seine Schwester umarmte ihre Nichte und ihren Neffen, und führte sie dann der sogenannten Marquise zu.

Bei der Benennung: Marquise! betrachtete ich sie, mit Vorsatz, vom Kopf bis zu den Füßen; heftete dann einen Blick auf Pinndorf, wandte mich ab, und näherte mich meinen Pflegkindern und ihrer Mutter, welche nicht anders als französisch sprach, um zu zeigen, daß sie lang in Frankreich war. Doch stammelte sie eine Danksagung für die Sorge her, welche ich für die Kinder getragen hatte. Ich antwortete nicht. Sie fragte die Kleinen: ob sie noch ferner bei mir bleiben wollten? – Gerne, sehr gerne! sagten Beide zugleich, und Gustav dazu. Sie können mir, gnädige Mama, keine größere Freude machen! – Du mußt den Papa fragen – sagte sie, denn ich sorge nicht für die Buben. – Nun gieng er zum Vater, faßte eine seiner Hände, und mit Furcht und Wehmuth im Auge fragte er: Gnädiger Papa! Sie lassen mich doch auch bei Mama van Guden, da Henriette da bleibt?

Er jammerte mich, der ehmals so edle entschlossene Pinndorf, da er Mühe hatte, seinem jungen Sohn anständig: Ja! zu sagen, und er stockte, ehe der Ausdruck. Wenn Madame van Guden euch behalten will! – deutlich gesagt wurde, indem er zugleich eine halbe wirklich ungeschickte Verbeugung gegen mich machte.

Freund Wolling rettete uns alle aus dem Gedränge, da er in das Zimmer kam, und uns zu einem ländlichen Frühstück bei seiner Hütte bat. – Die artige Marquise faßte Pinndorfs Arm; und er hatte das Ansehen eines verschämten Studenten, den eine lustige Dirne in ihr Gelage zieht. Meine Kinder mußten ihrer Mutter folgen, und ich konnte und wollte nicht zurückbleiben.

O Rosalia! was können Marquisinnen für Verwandlungen hervorbringen! Ich mag sie nicht mehr denken, diese Stunde; sie war mir schrecklich. Alles vorhergegangene war nichts dagegen. Ich hatte die Hochachtung meines Freundes, und er die meinige: und dieses sind mächtige Stützen auf rauhen dunklen Wegen des Schicksals. Beide scheinen mir gebrochen und zerstört!

Sie wissen, daß Henriette, neben dem Klavier, auch die Cither sehr artig spielt – weil ich ihre Finger nach und nach zu der Laute gewöhnen will. Die liebe Kleine verstand einen meiner Winke so gut, daß sie, als die Damen sich bei dem alten Schloß zu dem Frühstück gesetzt hatten, davon eilte, und, mit dem Gedanken einer Ueberraschung beschäftigt, den Rückweg um die Ruinen nahm; sich oben in die Ecke der Moosbänke setzte, und sehr schön auf ihrer Cither spielte. Gustav, der mit ihr gegangen war, hatte die Noten, welche er, eine Stufe niedriger sitzend, seiner Schwester vorhielt, wodurch das Ganze eine allerliebste malerische Gestalt erhielte. Denn es war in der That ein Bild von Wateau, welches ich auch wirklich ausarbeite, aber anstatt des Herrn v. Pinndorf und seiner Damen sitzt Wollings Familie bei dem Frühstück am ländlichen Tisch. Frau von Pinndorf und ihre Schwägerinn sprachen viel von dem angenehmen Anblick der zwei Kinder; die Marquise wenig; Hr. von Pinndorf gar nichts, so wie er auch nichts mehr aß und trank, und endlich den Herrn Wolling bat: ihn auf den alten Thurm zu führen. Aber vielleicht, setzte er hinzu, haben Sie den Schlüssel nicht bei sich? und da will ich Sie nicht bemühen. Wollings Antwort gab mir eine Art Schadenfreude; denn Sie können nicht glauben, wie zerstört Pinndorf aussah, als er hörte: wir brauchen keinen Schlüssel mehr, denn die Thüren sind weg.

Ich hatte meinen Kopf abgewandt, als Pinndorf, mit so wenig Delikatesse in meiner Gegenwart, der Marquise sagte: daß die Einrichtung der Zimmer in den Ruinen so schön sey. Er, der wußte, wie oft sein Bild, von meiner Hand gezeichnet, da aufgehängt war – er hatte also die ehmals in ihm ruhende Edelmüthigkeit so weit verloren, daß er nicht einmal meiner Leidenschaft schonte! – Es war mir sehr schmerzhaft; aber Geringschätzung seiner Schwäche erhob mich zu innerm Muth. Wolling sagte mir aber nachher: Es wäre ein Lächeln und Blicke bei mir entstanden, welche er nie mehr sehen möchte, indem er es schrecklich fände, Sonnenstralen und Blitze vereint zu sehen.

Die schöne Dame und der galante Herr giengen doch zu den Ruinen, und Wolling folgte aus Neugierde nach. – Still und scheu (sagte er) blickte Herr von Pinndorf um sich. – Mein Freund Wolling wurde rachgierig für mich; denn als die Marquise den schmalen Gang zu der Altane allein vorausging, und er mit Pinndorf noch in meinem ehmaligen Kabinet stand, dieser aber seine Blicke auf die Wand heftete, wo sonst seine Bilder waren, so streifte Wolling mit seinem Arm über die Wand hin, und sagte: Alles, alles ist fort! – Auch Sie selbst sind nicht mehr da! – Er glaubt, Pinndorf habe den Doppelsinn verstanden, welchen er hineinlegte, denn er erröthete, und eilte der Marquise nach, redete aber kein Wort mehr mit Wolling, den ich bat, die Gesellschaft ja nicht zu dem Denkmal zu führen, welches er mir errichtet hatte, und mich auch bei dem Herumgehen nicht mehr zu nennen. Die Frau von Pinndorf bemerkte, daß ich den Kindern ganz leise etwas auf englisch sagte, und bat mich sogleich, mit einer gezwungnen Parisermiene, alles zurückzulassen, nur daß ihre Kinder recht gut Französisch lernten. – Seyen Sie ruhig: (sagte ich) Ihre Kinder werden alles Schöne und Gute lernen. –

Pinndorf gieng dann mit den Damen spazieren, und kam erst wieder, als der Postillion sein Horn ertönen ließ. Er setzte sich mit der Marquise in den niedlichen Phaeton; seine Frau und Schwester kehrten in dem andern Wagen zurück. Wolling blieb noch lange nachdenkend an der Thüre stehen, und ich eilte, mich einige Minuten in mein Kabinet einzuschließen, um mich wegen der Empörung zu sammeln, welche diese Erscheinung hervorgebracht hatte; und auch, weil dieses eine Ecke des Hauses war, wo mich nichts an Pinndorf erinnerte: denn sein Andenken machte mir weh. –

Abends gieng ich spazieren, aber nicht zu dem alten Schloß. Wolling sagte: Mein Gott! was ist aus dem Mann geworden? Ich antwortete: Alles, was aus ihm werden konnte; denn wäre die Anlage nicht da gewesen, so könnte die Verwandlung nicht entstanden seyn. Möge er sein Glück auf diesem Wege finden! – Aber wir reden nie mehr von ihm, lieber Freund! nie mehr. –

Der gute Wolling! wie er mich da anblickte und meine Hand küßte, indem er sagte: Edle gütige Frau! Gott segne Ihren Muth mit Frieden der Seele! – Amen, lieber Wolling, Amen! – sagte ich, und dann durchwanderten wir das ganze Gebiet von Wollinghof. – Es war, glaube ich, schon eine Ahndung in mir, daß ich die sonst so liebe Gegend bald nicht mehr sehen würde. Ich wollte da nur müde werden, um des Schlafes sicher zu seyn; aber er floh mich, der balsamische Schlaf. Unruhe über mich selbst hielt mich wach, und Widerwille gegen mein Zimmer, in welchem ich die verwünschte Marquise gesehen, stand mit mir aus meinem Bette auf. Mit Pinndorfs Frau, mit der zweiten Mutter seiner Kinder, konnte ich reden, hätte wohl auch freundlich mit ihr leben können; aber mit der aufgefundenen Marquise unmöglich: – und in dieser Gesellschaft war er und sein Andenken mir unerträglich. Diese Stimmung kam in alles, und am Ende auch das Gespenst vor meine Seele: Pinndorf könnte durch diese Frau dahin gebracht werden, die Kinder zu fordern, an welche mein ganzes Herz gefesselt ist. Da stieg der Gedanke des Entfliehens auf. Wohin? In die Stadt – Im Sommer unmöglich, da ich so viel vom Landleben halte, und so sehr nach Wollinghof eilte. – Zu Rosalien nach Seedorf? Nein! Ich kann niemand sehen, der mich und Pinndorf kennt. Ich fühlte mich klein und schwach – meine vortreflichen Freunde sollten mich nicht so sehen. Ich wollte von Allem weg, und einen Aufenthalt suchen, der dem Zustand meiner Seele angemessener war. Verzeihen Sie mir, liebe würdige Freunde! es war nicht verminderte Achtung und Liebe für Sie, die mich ferne von Ihnen führte: aber ganz eigen das Gefühl einer unangenehmen Krankheit, die mich besorgen machte, mehr Widerwillen als Mitleiden zu erwecken. Ich wollte Ihnen und mir dieses Misvergnügen vermeiden, und gieng in die Schweiz, um die Luft und die Berge um Stärke zu bitten. – Ich hofte gleichsam, das physische Erheben meines Körpers und meiner Blicke sollte auch die Erhebung meiner Seele befördern, und daß die Entfernung von dem Einfluß niederer Dünste im reinern Luftkreis mich auch alles Moralisch-Niedre und Kleine übersteigen und übersehen machen werde. – – Ich weis nun nicht, Liebe! ob der Geist dieses Landes mir sagte: Dein Glaube hat dir geholfen! – oder ob eine andre innere oder äussere Kraft wirkte: aber mich dünkt, ich bin heil; kein Wundfieber meldet sich mehr; ich sehe auch kaum die Spur einer Narbe; die ganze Welt ist mir neu: ich genieße alles, wie im Frühling des Lebens. Wenn irgend noch etwas verborgen sich findet, so liegt es in der Ecke des Unmuths gegen alles Glänzende und Schöngeordnete, ja beinah gegen Formen und Ausdrücke des Edeln. Ich will nichts, als Tag und Stärke; letztere soll, weil ich doch von Fieber sprach, mir die Dienste leisten, wie Essig oder sonst eine Speise dem Fieberkranken hilft, wenn er seine Begierde darnach befriedigen kann. Wirklich, Rosalia! dieses Land thut mehr für mich, als quinquina jemals bei körperlichem Fieber that. Ich bin zu meiner ursprünglichen Gesundheit zurückgebracht; habe den guten Gesichtspunkt wieder, der ehmals mein Glück machte; ich kann Pinndorf bei einem Dutzend Marquisen denken – meine Ruh und mein Wohl bleiben ungestört. Aber ich will die Kur bis in den Herbst fortsetzen, und hoffe dabei, Alpenrosen zu sammeln, und Bemerkungen über das gesellschaftliche Leben zu machen, welches hier mehr gesucht und genossen wird, als bei uns; so wie mich deucht, daß wir mehr lesen, und uns mit fremdem Geist aufhalten, hier aber wird ein lobwürdiges Selbstvertrauen des eigenen Kopfs mehr geschätzt und benützt. – Ich denke diesen Augenblick: Ob es wohl unsere Kaufleute auch so machen, daß sie mit fremdem Geld ihren Handel in größere und schnellere Aufnahme zu bringen hoffen? – Geht es wirklich schneller, als wenn das eigene Kapital oft, wie man sagt: umgesetzt, und eigenes Produkt des Vaterlandes bearbeitet wird, wie mich dünkt, daß andre thun! –

Meine jungen Leute befinden sich vortreflich bei meinen Bergreisen; und ich könnte die Schätze von Holland erschöpfen, wenn ich überall Häuser baute, und Gärten anlegte, wo sie wohnen wollen; – und alle Feen hätten zu thun, Wollinghof hin und her zu tragen, wo sie es schon hinwünschten. – Frau von Pinndorf wird aber sehr zufrieden seyn, weil die Kinder nichts als Französisch hören. Mir blüht eigene edle Freude im Lesen der Geschichte eines jeden Cantons, auf der Stelle selbst, möchte ich sagen, wo ihr Schicksal und ihre Verfassung entschieden wurde; ich diktire meinen Kindern kleine Auszüge davon, und lehre sie dabei loben und tadeln, je nachdem die eigenen Bemerkungen zu Tag kommen. Selbstständigkeit, dünkt mich, wohnt in dem Innern des Landes; an den Grenzen bemerkt man, daß fremdes Denken mit eingemischt wurde – so wie es scheint, daß die schätzbaren Bewohner der Waat zwischen dem Alten und Neuen eine schwankende Biegsamkeit erhielten, durch welche sie bald zu alter, bald zu neuer Sitte sich neigen. Schön ist das Lob, welches der Geist der Regierung von Bern erhält; denn es muß wahrhaft verdient werden, wenn es von überwundenem und mit Gewalt unterjochtem Volk gegeben wird. Aber das Nachdenken findet bei jedem Schritt, welchen man am Genfer See macht, redende Beweise der bessern Gesetze und des bessern Schutzes, welche für Berner Unterthanen sorgen, als die sind, welche der Scepter von Sardinien giebt. – Diese haben jenseits der See schöneres und fruchtbareres Erdreich, weniger Mühe bei dem Anbau, und doch ist das herrliche Stück Land weniger bevölkert, und die Leute arm und träge. Hingegen wird die steinigte Saat bald einem vollkommnen Garten gleichen, in welchem Männer voll wahrer Philosophie, Weiber voll heiterer Weisheit, und muntere geistvolle Söhne und Töchter, Anhöhen, Einsiedeleien, Städte und Dörfer beseelen.

Ich bin in verschiedene Cirkel aufgenommen, und genieße, seit der Rückkehr meiner Ruhe und Vernunft, die edelsten Freuden; sollte ich auch nur diese berechnen, welche ich in Betrachtung der Modelle aller Art höchstliebenswerthen Alten fand: Frauen in den Sechszigen vortrefliche Gesellschafterinnen! – Und einen verehrungswerthen Greis von 85 Jahren, Mons. Polier de St. Germain, welcher vor vier Jahren noch ein Werk ausarbeitete, das ihm die Bürgerkrone erworben hätte, wenn sie noch ausgetheilt würde; denn er behandelte die Regierung der Sitten, als einen der wichtigsten Gegenstände der gesetzgebenden Macht und der Pflichten einer Magistratsperson. – O Rosalia! es ist gewiß ein liebes Land, wo der Umgang alter Frauen noch anmuthsvoll, und Greise mit ihrem Geist noch so thätig sind. Ich sprach einmal an einem Fenster von diesem auszeichnenden Charakterzug der Stadt Lausanne, gerade in der Abendstunde, als die niedergehende Sonne noch die Spitzen der Schneegebirge beleuchtete; die ganze Gesellschaft beobachtete das herrliche Schauspiel mit Entzücken, und in meiner Seele entstand der Gedanke: Sind diese Berge nicht in diesem Zeitpunkt das Sinnbild von den edeln Bewohnern, von welchen wir eben sprachen! Alle Menschen interessiren sich für die von den Sonnenstralen vergoldeten Schneeberge: und gewiß eben so werden Menschen in grauen Haaren geliebt und gesucht, wenn heitre Weisheit und Güte ihre Stirne umglänzen! Die geistreiche Lausannerinn S—i sagte: Sie sind eine glückliche Frau, die zwei schätzbarsten Eigenschaften der Einbildungskraft zu besitzen! – Wie verstehen Sie dieses? fragte ich. – Ganz natürlich nach dem Geist, wie Sie sprechen, und den Beweis geben, daß Sie fremde Bilder schnell auffassen, und eigene leicht erschaffen. – Dies war artig, meine Liebe, nicht wahr? Es freute mich dabei nicht allein das Kompliment, sondern auch der neuerlangte Schwung meiner Bilderliebe; denn diese Uebung hat oft meiner Seele erquickende Zerstreuung gegeben. Und da die Schwingen meiner Ideen sich wieder in die heitre Region erheben, so wird es in allem besser werden. Und dann, Rosalia! müßte ich wohl zu der Klasse schlechter Zöglinge der Vorsicht herabgesetzt werden, wenn nicht edles Lob eines guten Betragens, oder wohl gehaltener Lektion des Schicksals, etwas auf mich wirkte, und meinen Fleiß in Aufsuchung der Wahrheit und Vernunft verdoppelte! Und dann: Was hab' ich verloren? Ein halb vorgefundenes und die andre Hälfte durch mich hinzu gesetztes Bild einer Traumgestalt, welche der Hauch einer Marquise zerstörte! Verdiente ich wohl, Freunde zu haben, wie Sie – und lassen Sie mich hinzusetzen: verdiente ich meine Kenntnisse und den Anblick dieser Gebirge, wenn ich um einen Traum forttrauerte? Nein! van Guden will Ihre Achtung verdienen! Mariane ist mir Vorbild geworden; jünger als ich, überwand sie jedes Gefühl von erlittenem Unrecht, und eilt, ihren Verfolgern Liebe zu zeigen! Gieng auch von Rosalien hinweg, aber warlich ihr Beweggrund war edler, als der, so mich leitete! Cleberg soll mir doch sagen: Ob es nicht ein Zeichen naher Genesung sey, wenn das Fieber aussetzt, die Stunden später nimmt, wenig Wallung bei Wärme, und ruhigen nicht zitternden Frost giebt? Ich bitte in Ernst, Liebe! mir zu melden, was er sagt. Ich glaube, ich werde Sie rufen, mich abzuholen, und meine Schweizer kennen zu lernen! Doch dies hat noch Zeit. Adieu an Alle – und Nachricht von Cleberg: freimüthig!«

 

Mariane! ich kann nichts hinzusetzen; wir haben Fremde bekommen, und der Bote geht – –.


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