Sophie von La Roche
Rosalie und Cleberg auf dem Lande / 1
Sophie von La Roche

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Vierter Brief.

Rosalia an van Guden.

Sie haben uns, theure Freundinn! unsere Sorgen über Ihre schnelle Reise, und Ihre weite Entfernung, so viel es möglich war, durch Ihren lieben offenherzigen Brief vermindert; aber dies mußte auch seyn, um unsere Unruhen zu stillen, denn der Ton Ihrer kleinen Briefe war nicht befriedigend. Dem Himmel und den Bergen der lieben Schweiz sey Dank, wenn sich die starke große Seele unserer Mutter van Guden durch sie geheilt findet; und gerne wollen wir die ganze Kurzeit abwarten, wenn Sie am Ende gesund und vergnügt in die Arme der Freundschaft zurückkommen. Schreiben Sie uns nur oft, meine unschätzbare Freundinn! Sie wissen, was Sie und Mariane mir sind, und daß ich jetzt auf einmal Ihrer Beiden beraubt leben muß. Ich will aber, da Sie meine erzählenden Briefe lieben, die Beschäftigungen mit meinem Hauswesen und meiner Kinderstube so eintheilen, wie ich es machte, als Sie mir in der Nähe waren, damit ich immer eine Stunde Unterhaltung genießen konnte, und ich werde Ihnen schreiben, wie ich, mich neben Sie setzend, gesprochen hätte.

Sie wollen Clebergs Gedanken über Ihre Reise und Ihren Brief. Sie kennen ihn und seine Freimütigkeit; Sie kennen meine Wahrheitsliebe, und meine zärtliche Achtung für Sie; so wie ich Ihre edelmütige über alles Kleine erhabene Güte kenne: also werde ich, ohne Abändrung, und so viel mein Gedächtnis mir hilft, auch ohne abzukürzen, Ihnen das Gespräch mittheilen, welches Ihr Brief veranlaßte.

Cleberg sagte: »Dieses offene Geständnis der Verirrung eines der besten Weiberköpfe verdient meine doppelte Verehrung in eben dem Grade, als ich die seltene Dauer ihrer Liebe bewunderte. Aber schon lang war ich überzeugt, daß Pinndorf nicht mit ihr stimmte. Er fühlte nur die Macht ihrer unwiderstehlichen Anmuth, wenn er sie sah; er hatte eine Art von Liebe, aber nicht die, welche van Guden für ihn nährte: es war keine Sympathie der Seelen. Nun sieht sie es selbst, und das mußte seyn; denn wer hätte sie davon überzeugen können? Schreibe ihr, Salie! ich wolle sie in einem Triumphwagen abholen, und auf einem der schönsten Berge der Schweiz, als auf einem Altar, dem Genius des Landes ein Dankopfer bringen, wenn er sie gesund macht, und uns wiedergiebt.«

Dieser freundschaftliche Eifer freute mich sehr. Aber ich fragte. Ob er mich nicht zur Einholung mitnehmen wollte?

»Gewiß! denn ich muß ja Jemand zum Aufhängen der Blumenkränze, und zum Singen der Danklieder, bei mir haben.«

Ich danke für diese Hofnung, und für die Freundschaft, welche Du unserer van Guden zeigst. Cleberg erwiderte:

»Ich liebte sie warlich von der ersten Stunde, da ich ihre Briefe las, und sie kennen lernte. Oft sagte ich mir: Es ist Jammerschade, daß die einzige Unvollkommenheit dieses Weibes gerade in der schwächsten Leidenschaft sich zeigen mußte! Was würde sie in dem Gebiet der Wahrheit gewirkt, und in Kenntnissen geleistet haben, wenn sie diesen so lange nachgestrebt, und sie von allen Seiten so umfaßt hätte, wie die Ideen für Pinndorf!«

Lieber Mann! zählst du die vielen Wohlthaten nicht, welche sie in unsern Gegenden über so Viele ergoß? Gehören sie nicht in die Klasse verdienstlicher Wahrheiten?

»O ja! Aber ich möchte sie lieber aus einer andern Quelle entspringen sehen.«

Warum dieses? Würde sie mehr Gutes gethan haben?

»Vielleicht weniger! Aber ihre Wohlthätigkeit würde reine Tugend gewesen seyn – –«

O Cleberg! (sagte ich) wäre ich nicht überzeugt, daß jetzo ein wenig Muthwillen gegen mich in Dir ist, so würde mich diese Gattung theologischer Unterscheidung grämen. –

»Warum das? Meine Rosalie kennt doch den Unterschied der Beweggründe zu dieser und jener Tugend, und weis, daß einige weniger rein sind, als andre?«

O ja; aber ich kenne auch den Unterschied der Grundsätze des Tadelns, wenn Ihr Herren Juristen philosophische oder theologische Ausdrücke gebraucht!

»Und was siehst Du bei diesem Unterschied?«

In dem Einen sanften Ernst – in dem Andern etwas Spott.

»Rosalie! beurtheilst Du mich oft nach diesem Maasstab, und bist Du sicher, immer gerecht zu seyn?«

Ja, so oft es eine dritte Person angeht; denn da hält uns die Eigenliebe kein gefärbtes Glas vor. –

»Ich bin auf der nämlichen Stelle, denn van Guden ist da die dritte Person unter uns, von welcher ich rede.«

Aber die Arme ist ein Weib, und mich dünkt, Ihr Männer schätzt in uns weder die Liebe noch die Tugenden, welche ohne Eure Wünsche und ohne Eure vorgeschriebenen Modelle entstanden: und das ist doch ungerecht! –

»Dies ist mein Fall gar nicht, denn ich urtheile wirklich, wie man soll: ohne Ansehen der Person – sonst würde ich gewiß van Guden geschont haben, weil ich das edle Weib unendlich liebe.«

Nun, Bester! so vergiß nicht, daß sie einen Mann liebte, um ihn so viel Kummer litte, um seinetwillen so viel Schönes that, und zeige Dich nicht undankbar, wie meist alle Männer.

»Nein, das will ich nicht, Salie! und bin es nicht, weil ich wahr und gerecht sage: Daß kein Mann lebt, der von einem solchen Weibe so viele Achtung und Liebe verdiente. Ich verurtheile also nur das Uebermaas, wie es die vortrefliche Frau nun selbst einsieht. Sage ihr, daß ihre Genesung mich freue, so wie ihre Freundschaft und ihr Geist mir werth sind. Das Wechseln der Fieberstunden sey wirklich von guter Bedeutung; aber ich glaubte, sie solle alles Schwärmerische vermeiden, wie körperliche Fieberkranke alles Unverdauliche.«

Ich weis nicht, was er damit wollte, denn seine Miene setzte noch etwas hinzu; aber als ich ihn darüber fragen wollte, trat Latten in die Stube, um uns sogleich nach seiner Zurückkunft von Mariane zu erzählen. Ich war überrascht, sprang von meinem Stuhl auf, war aber so bewegt, daß ich gleich wieder zurücksank, und nur sagen konnte: Ist Mariane wohl? War sie es?

»Ja, meine würdige Freundinn! sie ist wohl, und so glücklich, als ausübende Tugend ein edles Herz machen kann, welches von Ihnen sich losreissen mußte.«

Ich erholte mich nun, und dankte ihm für die Sorge, welche er für unsere geliebte Mariane getragen, und für den Dienst, welchen er dadurch besonders mir erzeigte; indem ich mit Ruhe an Marianens Reisetage gedenken konnte.

»Ich freue mich, sagte er, Ihnen einen Dienst erwiesen zu haben. Aber in Wahrheit, ich habe unter der Menge meiner großen und kleinen Wanderungen keine schönere Reise gemacht, als diese: – denn, überall der neuaufblühenden Natur entgegenzusehen; Klugheit, Kenntnis und wahre Güte zur Seite zu haben – ist ein Loos, das wenig Reisenden zu Theil wird. Mich dünkt auch, ich habe den Geist und den Charakter unserer Freundinn besser kennen gelernt, als da sie bei uns lebte. Wissen Sie wohl, daß ihr die Astronomie eben so bekannt ist, als die Litteratur? Und gewiß hat Niemand aufgeklärtere Begriffe von Gott und Menschen, als die edle Mariane! Die Tage flogen mir nur zu schnell vorüber. In den ersten zwei Stunden war sie still und traurend; endlich, als gerade die Sonne uns ganz beleuchtete, sagte sie:

»Herr Latten! Sie vergeben mir gewiß meinen Tiefsinn; Sie kennen den Werth des Glücks, welches ich in Clebergs Hause zurücklasse. So viele Jahre hat die edelste Freundschaft mich an die Beste meines Geschlechts gebunden; Rosalie, die immer den hohen Werth des Vertrauens und der Liebe auf mein Herz legte, Rosalie schätzte mich, kannte mich, als alle die Meinigen Unrecht und Misverständnis um mich häuften; sie nahm mich auf, als die nächsten Verwandten und das Schicksal mich verlassen wollten. Sie waren Zeuge, Herr Latten! der schönen, nur zu bald vorüber geflohenen sechs Jahren! – Und nun, zu wem gehe ich? Sie sind mir alle fremd geworden! Aber sie baten mich um Versöhnung, um einen letzten Besuch; war es möglich, Nein! zu sagen; mich dadurch rächen zu wollen? Meine Tante krank, und meinen Bruder in Kummer zu wissen, und zu antworten: Ihr habt Mariane mishandelt, lebt nun ohne sie fort! – – Mein Glück würde nicht mehr Glück gewesen seyn; ich habe es nun geopfert! Möge dieses Opfer die Grundlage des Wohls der leidenden Verwandten werden, welchen ich zueile! Und möge meine Belohnung mich in Rosaliens Hause erwarten, so wie der Geist dieser Familie mir Herrn Latten zum Beschützer gab! Helfen Sie mit der Frühlingssonne zu meiner Erheitrung; man kann den beschwerlichsten Weg mit leichtem Schritt zurücklegen, wenn der Geist heiter ist.«

»Dieses war (fuhr er fort) der Eingang zu Unterredungen, die mir unvergeßlich bleiben werden. Ich sollte sie gemeinsam mit der Sonne erheitern, sagte sie; aber ihr Geist war für mich Sinnbild der Lichtstralen, denn ihre Bemerkungen beleuchteten die Gegenstände auf unserm Weg, über welche ich hundertmal hinweggesehen hätte. – In Wahrheit, lieber Cleberg! diese von ohngefähr einfallenden Stralen sind es, welche ganze Landschaften in abändernder Schönheit zeigen, und nach Sturmregen die Granaten im öden Felde blinken machen: – man sollte den Geist der Damen nie einen Kleinigkeitsgeist nennen!«

»Das wird auch niemals geschehen, wenn er sich als Sonnenstral zeigt; aber wie oft sehen wir diesen Geist nur wie das Flämmchen eines dünnen schön gefärbten und niedlich gerollten Wachsfadens!« –

Ich war über diese Ausschweifung und den Vergleich unzufrieden, und sagte: Ach Cleberg! bei Euren Stralen und Lämpchen verliert sich doch der Faden von Lattens Erzählung. – Sie lachten, und ich hörte dann von guten und schlimmen Wegen, von Aussichten, und dem Andenken an mich, viel Schönes und Gutes, am Ende aber auch von dem Zittern und der Aengstlichkeit unserer Freundinn bei der Annäherung gegen den schon lange im Auge gelegenen Wohnsitz ihres Bruders.

»Hier werde ich ohne Rosalie, ohne einen vertrauten Freund seyn! – sagte sie, und schwieg dann eine Zeitlang, um sich schauend – »Aber die Natur ist reizend in dieser Gegend, die wird mich unterstützen.«

Damit waren sie an dem Thorweg. Als der Wagen hielt, lief das Hausgesinde beiderlei Geschlechts herbei, und ein paar alte Leute weinten für Freude über den Anblick der edeln gütevollen Dulderinn, welche sie einst durch mich erretten halfen, und nun als Engel des allgemeinen Trostes wieder erscheinen sahen. Sie grüßte Alle liebreich, besonders die zwei Alten, welchen sie die Hände drückte, und zugleich fragte. Was macht meine Tante? Wie lebt mein Bruder? – Indem gieng eine Thüre auf, die sehr nahe bei ihnen war, und eine bewegte männliche Stimme sagte: »O Du fragst nach mir, Mariane!« Zugleich eilte der ansehnliche Mann, sie zu umarmen. Sie konnte nicht reden; der Mann schwieg auch eine Zeitlang, sah dann auf Latten, und fragte: »Liebe! ist dieser Herr Dein Begleiter?« »Ja, mein Bruder! und er verdient allen meinen Dank.«

Nun erhielt Latten eine sehr höfliche Verbeugung, mit der Anrede: »Sind Sie vielleicht Herr Resident Cleberg? – »Nein, sagte Mariane, aber sein bester würdigster Freund.« Und hierauf wurde Mariane in das Zimmer geleitet. Latten wollte zurückbleiben, aber der Herr sagte: »O Sie müssen mit hereinkommen, und sehen, was Marianens Ankunft für Freude macht.«

Sie schwieg immer, und Latten folgte ihnen in das zweite Zimmer, wo die Tante zu Bett lag, ihre Arme ausbreitete, und rief: »Ach gute, gute Mariane!« – Mehr erlaubten ihr Thränen und Seufzer nicht auszudrücken. Unsere edle Freundinn küßte dem nun gezähmten Ungeheuer die Hand, und wünschte, etwas zu ihrer Genesung beitragen zu können. – »Das kannst Du, Liebe!« schluchzte die Kranke, »wenn Du alles Vergangne vergißt, und bei uns bleibst.«

Indessen war der Bruder weggegangen und kam mit vier in tiefe Trauer gekleideten Kindern zurück, die er seiner Schwester, nach dem Verlangen seiner verstorbenen Frau, zur Liebe und Aufsicht empfahl. – Sie umarmte Alle, mit einer stillen Thräne der Erinnerung an die selige Aufgelößte, welche von ihrem Mann und ihrer Mutter so viel ertragen hatte, Marianen immer liebte, und selbst an mich schrieb: »Daß, obschon sie den süßesten Trost ihres eignen Herzens verlöre, so bitte sie mich doch, Marianen einzuladen, und sie dann bei mir zu behalten.« Diese Scene rührte unsern Latten ungemein, besonders aber die Ergießung der Zärtlichkeit der ältern Tochter von zehen Jahren, welche sich gleichsam an ihre Tante anklammerte, schluchzte, und beinah ohnmächtig wurde, als sie mit abgebrochner Stimme sagte: »Ach Tante! die Mama hat versichert, Sie blieben gewiß bei uns, und würden uns lieben! Und das solle ich Ihnen geben.« Es war ein Medaillon mit dem Portrait der Verstorbenen, und dem Billet:

»Du kamest nie aus meinem Herzen: Nimm meine Kinder in Deines auf, und erfülle die letzte Bitte von Emilien.«

Mariane küßte das Bild und das Billet, öffnete ihre Arme gegen die Kinder, und sagte mit einem begeisterten Ton: »Kommt ihr Lieben an das Herz, in welches ein Engel so viel Vertrauen setzte! Ich will seyn, was möglich ist.« Und so umfaßte sie sie, so weit sie konnte, in einer Hand das Bild, in der andern das Billet haltend, ihre Augen zum Himmel erhoben. In dem Augenblick kam der Bruder, der sonst so harte rauhe Mann, nahm eine von Marianens Händen, küßte sie, und sagte sanft: »Nicht wahr, liebe Schwester! um Emiliens willen, um ihrer unschuldigen Kinder willen, vergißt Du alles Vergangne?« Mit bescheidener Würde, die aus dem Andenken des Verflossenen und dem Zeugnis ihres Herzens entstand, antwortete sie: »Ja, mein Bruder! ich will es um ihrentwillen, aber auch für Dich.«

Ach mir schauerte bei diesem Theil von Lattens Erzählung; ich verliere Mariane auf lange Zeit! Aber dann folgte auch die Betrachtung: Daß doch die größten Bösewichter, welche bei der Befriedigung ihrer Leidenschaften den Kummer und die Leiden der Unschuld und Tugend nie achten, doch immer, wenn sie selbst leiden, und etwas zu bitten haben, sehr ernst um der Unschuld ihrer Kinder, um der Tugend einer guten Gattinn willen etwas zu erhalten hoffen, und also eingestehen, wie sie es fühlen: Daß nur der Gute und Schuldlose Gutes verdient.

Latten und Cleberg sind überzeugt, daß Marianens Bruder entweder in sehr unglücklichem Familien- oder Gemüthszustande ist, weil er so weit von seinem Stolz und der Art von Antipathie gegen seine Schwester zurückkam, und es sogar bei einem Fremden zeigte. Ich glaube aber, der Tod seiner Frau, und das langsame Hinsterben seiner Tante, haben, neben seinem eigenen Uebelseyn, mechanisch auf ihn gewirkt; denn Leute, die ihre Bosheit auf eine niederträchtige Art zeigen, haben bei der Güte kein anderes Modell; ihre Seele ist keiner edeln Erhebung zu Gott, keiner anständigen Würde gegen Nebenmenschen fähig; sie fordern in glücklichen Tagen von den Andern niedres Bücken, und handeln dann in den Stunden ihrer Niedergeschlagenheit auf die nämliche Art gegen Gott und Menschen. –

Latten mußte bei dem Abendessen bleiben, und im Hause übernachten. Den andern Tag reisete er wieder ab, weil er in der nächsten Stadt einige Geschäfte hatte.

Mariane, welche bei dem Frühstück den Kindern alle Sorgfalt und Liebe einer Pflegemutter bewies, gieng nachdem mit Latten in dem Hof des Hauses auf und ab, damit sie sicher vor aller Art des Behorchens, welches vormals ein großes Talent ihres Bruders war, mit Latten sprechen konnte. – »Sie haben, theurer würdiger Freund meiner Cleberge! (sagte sie) meine Aufnahme, und die Bedürfnisse meiner Tante und meines Bruders, gesehen. Ich bin froh, dem Rufe, sie zu besuchen, gefolgt zu haben, und will alles thun, was in meinen Kräften steht, die Ordnung des Hauses, die Pflege der Kranken, und die Ruhe der Gemüther zu besorgen. Emilie war die Tochter meinem Tante, aber ihr Herz war so verschieden gestimmt, daß sie mit ihrer Mutter und ihrem Manne in ewigem Kampf war – und darinn erlag. Sie hat oft mich unterstützt, und Kummer darüber gelitten; nun will ich ihr vergelten, und ihre Kinder unterstützen. Ich sehe es als einen Wink der Vorsehung an, mein Leben nützlich zu machen. Sagen Sie meiner geliebten Rosalie: Daß ich von ihrem edeln Herzen und guten Geist erwarte, daß es sie freue, ihre Freundinn auf die Bahn thätiger Tugend berufen zu sehen, und daß wir Beide, sie als wahre Mutter, und ich als Pflegerinn, unsere Tagarbeit getreu ausrichten wollen. Das Schicksal gab mir sechs Jahre Glückseligkeit, nun erwartet es billig einiges Verdienst als Rückgabe.« Dann schwieg sie einige Minuten, gab Latten mit einer Thräne im Aug die Hand, und sagte etwas bewegt: »Nehmen Sie meinen Dank und meinen Segen für Sie und meine Cleberge, und gönnen Sie mir alle Tage den Ihrigen, ich werde ihn bei jedem Schritt in diesem Hause nöthig haben. – Damit gieng sie in das Vorhaus gegen das Zimmer ihrer Tante, Latten küßte ihr stillschweigend die Hand, und reiste mit dem Segen der zwei alten Dienstleute ab.

»Sie waren mir ehrwürdig, die zwei Leute, sagte er, und ich erblickte Mariane noch auf einem Altan mit den Kindern, während der alte Hausmeister und die Beschliesserinn mir noch mit ihren Blicken folgten. Mich deuchte, ich verließ unsere Freundinn bei Redlichkeit und Unschuld auf einer ihrem Charakter angemessenen Laufbahn, winkte ihr noch meinen Segen zu, und bringe Ihnen den, mit welchem sie mich beladen hat.«

Ich konnte mir nicht anders als mit Thränen helfen. Cleberg sagte lange nichts, küßte mir nur nach einiger Zeit die Hand, und munterte mich auf: »Liebe! wir wollen der edeln Freundinn nachahmen, dankbar an genossenes Glück uns erinnern, und uns bemühen, neues zu verdienen.« Ich stimmte mit ein, und nahm Antheil an der Unterredung über Gegenden, Feldbau und Schönheit der Natur, der Gebäude und Gärten, welche Latten bemerkt hatte; denn schon lange bin ich von dem Eigensinn befreit, auf dem zu bestehen, was mich besonders anzieht, und was gegen die Gesinnungen der Andern läuft. Man findet auch immer am Ende eine doppelte Belohnung bereit, denn man hat etwas zu dem Wohl der Andern beigetragen, und unser Kummer ist verscheucht, welcher immer eine Menge trüber Wolken über den Verstand verbreitet, und ihn hindert, mit wahrer Einsicht zu handeln, so wie er auch manche Blume mit Schatten bedeckt, welche an dem Rand unseres Weges blüht. Cleberg und mein Oncle begleiteten dann unsere Freund bis zur Hälfte des Wegs, und kamen mit der Nachricht zurück: Daß sie einen Rüstwagen mir dem Geräthe von Otts angetroffen, welche Morgen mit ihren Kindern ankämen.

»Du siehst also, liebe Salie! (sagten mein Oncle) daß wir einen Theil unserer Gesellschaft behalten haben, mir welchem wir von den Tugenden und den Begebenheiten der Andern sprechen können! – Deine van Guden wird uns in dem schönen Gebiete der Natur in der Schweiz, und deine Mariane in dem, von der edeln Wohlthätigkeit gegen Feinde, herumführen – und du wirst uns zeigen, was vernünftige Güte und Freundschaft über ein edles Weib vermögen – und wir (sagte er, mit seiner Hand nach Cleberg reichend) werden dadurch einen doppelt schönen Sommer haben.«

»Lieber gütiger Oncle! (sagte ich) wie glücklich werde ich seyn, wenn ich dieses zuwegebringe.«

»Ja, meine Liebe! du kannst durch deine Heiterkeit die Wohlthat der Sommertage verdoppeln: denn gewiß sproßt unter den liebreichen zufriedenen Blicken einer klugen Hausfrau nicht allein das tägliche Glück ihres Mannes und ihrer Hausgenossen empor, sondern es reift auch mancher schöner guter Gedanke in den Kindern, mancher nützliche Entwurf in dem Gesinde, wie in der Sonne die Aehre reift; wohingegen der kalte Ernst und das trübe Wesen der Hausfrau alles zurückhält und erstickt.«

Sie denken wohl, meine Freundinn! wie sehr ich gerührt wurde, und mich aufgerufen fühlte, dieses Lob zu verdienen. – Ich merkte wohl, daß es eine feinversteckte Vorschrift war; aber ich empfand auch den Werth der Güte, daß der Mann, welcher mir befehlen konnte, seine Wünsche auf diese Art zeigte. Wäre ich wohl werth, seine Nichte zu seyn, wenn ich nicht alle meine Kräfte anstrengte, das zu thun, was ihn glücklich machen kann! Also mit heiterm Geiste denke ich Mariane vierzig Stunden von mir entfernt, das unaussprechliche Glück ihres Umgangs auf Andre ergießend; und van Guden auf den Bergen der Schweiz, Stärke suchend. – O wünschen Sie mir, daß ich die finde, in Wahrheit heiter zu seyn! – Adieu.


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