Sophie von La Roche
Rosalie und Cleberg auf dem Lande / 1
Sophie von La Roche

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Sechster Brief.

Rosalie an Marianen.

Ich schreibe Ihnen zwar an einem ungewöhnlichen Posttag: aber dies soll Sie nicht in Ihrer Ordnung stören und zu mehreren Briefen an mich verleiten; wodurch ich freilich für die kleinen Blättchen entschädigt würde, welche ich von Ihnen erhalte: aber da Ihre Lage und Ihr edler Lebensplan fordern, alle Ihre Stunden aufzuopfern, so verehre ich die Beharrlichkeit, mit welcher Sie Ihren Weg fortsetzen. Sie sagen dabei: meine Briefe wären für Sie, was die Brunnen und Ruhebänke auf dem Weg nach Palermo den Reisenden in Sizilien seyn müssen, wenn die Hitze und Dürre sie abgemattet haben. Auf diese Art brauche ich wohl keine Schutzschrift für einen ausserordentlichen Brief, bei welchem ich selbst so viel genieße, wenn ich etwas mit Ihnen theile, und goldene Zeiten zurückrufe! Ich sagte letzthin, da ich meinen Brief schnell endigte: Cleberg bringt mir Fremde! Das war auch.

Ein Mann von ohngefähr fünfzig Jahren, seine Frau von acht und dreißig, liessen sich unter dem Titel des Herrn Raths und Frau Räthin von Sand melden – mit dem Zusatz: sie hoften, daß sie in ihrer Reisekleidung erscheinen dürften. Das ward ganz natürlich bewilligt. Und ihr Besuch befriedigte auch unsere Neugierde; da man uns schon viel von den Fremden gesprochen hatte, welche im Rasthof das Mittagessen bestellten, und dann das ganze Dorf durchwanderten, am Ende aber bei zwei Stunden mit dem Seebauern sich unterhielten, der sie auch auf den zerfallnen Schloßmauern und Thürmen herumführte. Nun brachte sie Cleberg in den Saal. Der untersuchende Blick des Mannes, als ich ihm und seiner Frau vorgestellt wurde, dünkte mich kühn und beleidigend; aber es lag viel feuriger Verstand in seiner Miene, und da er sehr große schwarze Augen und Augbraunen hat, so mögen auch diese seinen Blicken dies doppelt geben, was mir darin misfiel. Sobald sie sich gesetzt hatten, wandte sich Herr von Sand zu meinem Manne, und sagte:

»Ich wünsche sehr, daß der Herr Resident mir eine Stunde gütiger Aufmerksamkeit schenken könnten, ohne Ihren andern Geschäften abzubrechen!«

Cleberg erwiederte: Ich bin vollkommen zu Ihrem Befehl, Herr Rath! und habe heute kein so wichtiges Geschäft; so daß ich Ihnen diese Stunde mit Vergnügen wiedme. Wollen Sie mit mir in mein Zimmer? setzte er hinzu, als er aufstand. Die Frau Räthin wird indessen, wie ich hoffe, mit der Gesellschaft meiner Frau zufrieden seyn.

Herr von Sand fiel ein: »Sie erlauben, daß ich in Gegenwart der Madame Cleberg und meiner Frau sprechen darf; denn Ihre Gemahlinn hat einen großen Antheil an dem, was ich zu sagen habe.«

Dies gab mir Staunen! Ich hatte den Namen des Mannes nie gehört, hatte nie weder ihn noch sie gesehen. Ich blickte in meiner Verlegenheit nach ihr hin – sie lächelte, und sagte mit einer Verbeugung:

»Ja gewiß, Frau Residentinn! Sie haben einen großen Antheil an dem, was mein Mann vorzutragen hat.«

Ich sagte nun eifrig gegen den Mann: Ich muß bitten, daß Sie es bald erzählen; denn ich bekenne, daß ich unruhig bin.

»Doch nicht sehr, hoffe ich?« erwiederte er – »denn Ihr Antheil an meiner Geschichte ist sehr schön!«

Ich bückte mich nun schweigend, und Cleberg sah auch begierig nach ihm. Er fieng an:

»Ich bin ein Schwabe. Sie könnten es nicht nur in meiner Sprache, sondern vielleicht auch in dem Titel des Herrn von Sand finden; denn ich glaube, daß wir am meisten nach dem Wörtchen von begierig sind; und daß unsere alten adelichen Familien auch Vergnügen daran haben, eine Gattung Edelknechte um sich herum zu sehen, weil der erhöhte Stand des Dienstmannes natürlich den Oberherrn selbst erhöht! Ich habe noch einen Bruder. Wir dienten zwei verschiedenen Herren, und hatten das Glück, in einer vortreflichen Familie zwei schätzbare Töchter zu finden, die uns mit Liebe ihre Hand gaben, und uns sehr glücklich machten. (Hier traten der Frau Thränen in die Augen, und sie drückte ihrem Manne freundlich die Hand. Er fuhr fort:) Der Himmel versagte mir Kinder; und dies setzte mich in einen Stand von Unabhängigkeit, den ich liebe. Weil nach dem Tode unserer Eltern das Vermögen gros genug war, die mäßigen Wünsche meiner Lotte und die meinigen zu vergnügen, und ich bei meinem Herrn nichts Gutes wirken konnte, so hofte ich, indem ich an den Ort zog, wo mein Bruder in einem angesehenen Amte stand, diesem zur Hand zu seyn, und seinen und seiner guten Frau angenehmen Umgang zu genießen. Dies geschah, und wir lebten einige Jahre als ehrliche Männer durch die guten Dienste, welche der Herr und die Unterthanen von uns erhielten, sehr glücklich. Der Fürst fühlte sich wohl dabei; aber der Neid misgönnte meinem Bruder die trauliche Achtung des guten Landesherrn, und den Ruhm, den seine Dienste und sein Verstand ihm erworben hatten. Er wurde verfolgt, sein Wohlstand und das Vertrauen seines Herrn untergraben, so, daß er seine Stelle verließ. – – – Herr Latten kann darüber mehr sagen, als ich – und Sie, Herr Resident! lesen diese Papiere. (Wobei er meinem Mann ein Paquet übergab, und fortfuhr:) Sie denken wohl, Herr Resident! daß der Ort und die Einwohner alles Angenehme für mich und meine Frau verloren hatten, und daß wir mit meinem Bruder an einen andern Wohnsitz dachten? – Dienste wurden uns angeboten, wohl von größern Herren, als die erstern; aber wir waren zu tief in der Seele verwundet. – Mein Bruder wollte bei keinem Großen mehr Glück und Ehre suchen, sondern in einem kleinen Cirkel von vernünftigen und rechtschaffenen Menschen den Rest seiner Tage mit mir und seinen Kindern verleben, welche wir gemeinschaftlich erziehen und ausbilden wollten. Wir sprachen darüber mit einem wackern Mann der Stadt, und dieser, wenige Tage nachher, mit Herrn Latten, der von einer Reise in unserer Gegend zurückkam. Er hörte unsere Geschichte und unsere Wünsche mit Nachdenken an, und sagte am Ende: Wenn die zwei Brüder von Sand Vernunft, Rechtschaffenheit und wahre Liebenswürdigkeit in ihrem künftigen Wohnsitz zu treffen wünschen; so sollen sie nach Seedorf bei W. ziehen: da finden sie in dem Schoos der schönsten Natur gewiß zugleich in der Familie des fürstlichen Beamten die edelsten Menschen. Er gab dann, setzte der Rath hinzu, eine Beschreibung von Ihnen, Herr Resident, und von Madame Cleberg; daß wir keine andre Wünsche mehr hatten, als sobald möglich nach Seedorf zu kommen. – Herr Latten sollte gar nichts von uns sagen; wir wollten erst alles selbst sehen, und auch – verzeihen Sie! – (sagte er gegen meinen Mann) von den Nachbarn und Unterthanen von Ihnen reden hören; dann unser Wort führen, und sehen, ob der gerade redliche Antrag und Eröfnung uns Zutritt verschaffen würde! Meine Frau und ich kamen zur Umsicht hieher; die Lage und das Ansehen von Seedorf entzückten uns; der Segen, welcher den Ausdruck Ihrer beiden Namen immer begleitete, vermehrten unsere Begierde, aufgenommen zu werden. Aber da man im Gasthof sagte: es sey schwer, ein Haus zu bekommen; so wollten wir sehen, ob nicht eine Hütte für zwei philosophische Köpfe in Ordnung zu bringen wäre, und wir trafen alles bei dem Bauern im Seehaus: denn wenn Sie, Herr Resident, es erlauben, und uns nach dem Lesen der Papiere aufnehmen; so wird uns der Bauer das sogenannte alte Seehaus, so ihm als Scheuer dient, abtreten, und ich baue ihm eine Scheune und Wagenschoppen auf der andern Seite des Hofs; lasse das Haus und die zwei alten Thürme für mich und meines Bruders Familie zurecht machen, und trage die Zinsen davon bei dem fürstlichen Rentamt ab.«

Nun schwieg er, und Cleberg dankte ihm nicht nur für das Vertrauen, mit welchem er sich eröfnet hatte, sondern auch für das Vergnügen, welches er über diesen Beweis seiner Hochachtung fühle, indem er es seinem Freund Latten zu danken habe. Sand fiel ein: »Nicht ganz, Herr Resident! denn die angrenzenden Nachbarn und die Amtsuntergebenen haben auch Antheil daran.« – »Es freut mich sehr, wenn diese beiden mit mir zufrieden sind!« sagte mein Mann. – Sand drang darauf, Cleberg möge doch die Papiere durchlesen, und ich erlauben, daß er und seine Frau indessen bei mir seyn könnten. Beides geschah, denn Cleberg gieng mit den Papieren in sein Kabinet, und ich fragte sie: ob wir nicht einen Gang in den Garten thun wollten? welches sie gern annahmen. Meine Kinder waren mit dabei, und da ich seit einiger Zeit alle meine Verhältnisse und Beschäftigungen nur für den Nutzen meiner Kinder berechne, so gab mir die freundliche Unterhaltung des Mannes mit meinen Knaben eine schöne Hofnung und innige Wünsche für den glücklichen Erfolg seiner Absichten auf Seedorf. Denn ich bemerkte so oft bei fremden und auch bei meinen Kindern, daß sie Lehrsätze, Ideen und Erzählungen aus dem zweiten und dritten Mund mit mehr Eifer und Begierde auffassen, als das, was ihnen von den Eltern oder dem ordentlichen Lehrer täglich zufließt. Die Brüder von Sand wollen ihre Kinder unterrichten und erziehen; kann da nicht eine Mittheilung entstehen, die meinem Carl und meinem Wilhelm nützlich seyn würde? –

Ich führte sie in den kleinen Wald, und konnte mich nicht enthalten, von der Austrocknung des Sumpfes, und andern guten Anstalten zu sprechen, welche das Amt meinem Manne zu danken hat. Sie wissen, wie ich die Erde und die guten Bauersleute liebe, und wie sehr ich daneben an den Verzierungen hafte, und Verschönerung einer Gegend wünsche. Cleberg hat alles erfüllt, was ich von dieser Seite begehren konnte: es blieb um unser Seedorf, wie Sie wissen, kein Fleck Erde unangebaut; kein Landmann des ganzen Amts ohne Unterstützung; und er weis die Eintheilung der Grundstücke, den Satz der Häuser, und die Anlage der kleinen Gärten, so anzugeben und einzurichten, daß das Ansehen der Schönheit aus der Ordnung entspringt, welche in allem herrscht. Herr von Sand hörte mich mit vieler Gefälligkeit an, lobte die Hochachtung, welche ich für meinen Mann bezeugte, und sagte mir aber auch: Daß er darinn die Frau finde, von welcher Herr Latten mit so vieler Verehrung gesprochen hätte. Ich fand in diesem Kompliment die Ursache der ersten Blicke des Herrn v. Sand, welche mir so kühn und so untersuchend schienen, daß sie mich beleidigten. Ohne Zweifel hat der gute Latten mit seinem alten Vorurtheil von mitgesprochen, und Sand wollte gleich beobachten: ob das alles so wahr sey. Es ist an sich unaussprechlich süß, Freunde zu haben, welche gerne einem Fremden eine vortheilhafte Idee von uns geben. Aber wenn die Farben zu glänzend genommen werden; wenn die Ausdrücke etwas Ungewöhnliches anzeigen: so schadet man sicher der gelobten Person, indem man sie unmöglich so vollkommen finden kann, als man erwartete, und setzt sich selbst dem Tadel des Uebertreibens aus. Wirklich, sollte ich erleben, meine Kinder bis zu den Jahren zu führen, wo ihr Urtheil etwas gelten kann; so werde ich mich bemühen, sie in einen mäßigen Ton zu stimmen, damit sie bei dem Tadeln das Beissende, und bei dem Loben das Entzückende vermeiden. Diese letztre Erfahrung giebt mir Beweggründe genug an die Hand: wenn ich nur bedenke, daß mir mein kleiner Unmuth über das untersuchende Gucken des Herrn von Sand ein sehr unangenehmes Aussehen geben mußte, welches auf ihn einen sehr widrigen Eindruck machen konnte, und gewiß dem Ruhm des Herrn Latten eben so wenig günstig war, als mir! – Alle diese Ideen umschwebten mich auf Ihrer Bank im Walde, und ich gab mir Mühe, ich bekenne es, unsern Freund und mich in gutem Rufe zu befestigen. Doch hat, glaube ich, Clebergs Ankunft bei uns am meisten beigetragen, mich in einem vorteilhaften Licht zu erhalten; denn er kam mit den Papieren des Herrn von Sand, und sagte ihm:

»Theurer Herr Rath! ich habe in langer Zeit keine so rührende Familiengeschichte gelesen! Diente ich nicht einem der besten Fürsten, so würde ich in der ersten Bewegung, welche diese Papiere in mir erregten, meine Stelle niedergelegt haben. Aber dem Himmel sey Dank! es giebt Fürsten, welche verdienen, daß man für sie lebt und stirbt. Diese Ueberzeugung sollen Sie in Seedorf finden, wenn Sie, wie ich es wünsche, bei dem Entschlusse bleiben, hieherzuziehen.«

O meine Freundinn! wie glücklich ist ein Mensch, wenn er einem Andern ein gewünschtes Glück geben kann! Wären Sie nur an meiner Seite gewesen, und hätten die Züge der Freude und Zufriedenheit gesehen, welche in den Gesichtern der Frau und des Mannes erschienen, als Cleberg die letzten Worte gesprochen hatte, und wie freudig der Ton war, in welchem der Rath antwortete:

»Herr Resident! es soll Sie gewiß nie reuen, zween ehrlichen Männern die Hand geboten zu haben! Nehmen Sie diese Versicherung, und meinen innigen Dank für Ihre Willfahrung an.«

Seine Frau weinte dabei, wie sie sagte, Thränen der Freude, und bat mich um meine Freundschaft, die ich ihr gerne versprach. Die Männer giengen dann zusammen nach dem Seehaus, wo sie alles besahen, und auch Cleberg mit dem Bauern sprach, Herr von Sand aber sogleich mit unsern geschickten Handwerksleuten sich beredete, und Bestellungen machte. Cleberg giebt aus der herrschaftlichen Vorratskammer, wo immer – in Nachahmung der herrlichen Anstalten des grossen Grafen Friederich von Stadion-Warthaußen – alles Gebälke und Holzwerk zu Häusern fertig liegt, das Wenige her, was man braucht; und Sand liefert neues Holz, zum Ersatz des großen Vortheils, welchen er durch trockenes Holz erhält. Die Scheunen des Bauern werden morgen schon angefangen. Mein Mann wird Oberaufseher seyn – und diese Arbeit freut ihn, weil er sehr gerne baut und anordnet.

Die Sands reisten diesen Nachmittag ab, nachdem die Männer die Zeichnungen und Einteilung miteinander berichtigt hatten. – Mein Oncle und wir alle sind mit der Eroberung dieser Familie sehr zufrieden, und bezeugten es gegen Freund Latten, der heute frühe von meinem Manne berufen wurde, und mit bescheidener Freude unsere Zufriedenheit und die Danksagungen der Sands anhörte. – –


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