Sophie von La Roche
Rosalie und Cleberg auf dem Lande / 1
Sophie von La Roche

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Sechs und zwanzigster Brief.

Frau von Pinndorf an Rosalien.

Es war gut, theure Freundinn! daß ich etwas von dem Geist, der in Ihrem letzten Brief schwebt, zum voraus ahndete, denn sonst würde er mich unendlich mehr geschmerzt haben; ich muß auch hinzusetzen, daß ich mir sagte. »Wenn Marianens Eingebungen Ihre Feder gelenkt hätten, wie Sie jetzo Clebergs seinen folgten, so würde mehr Sanftmuth und Gerechtigkeit darinn gewesen seyn.« Indessen kann ich es Ihnen allen, für die Pinndorf nie war, was er ewig für mich seyn wird, nicht ganz übel nehmen, wenn Sie mich unrecht beurtheilen, und will daher meinem Schicksal auch diesen Schmerz vergeben. Pinndorfs Gemüthsruhe, seine Rückkehr zu sich selbst, und das gesicherte Glück seiner Kinder, müssen der gemischte Balsam für diese Wunde werden; nach diesem wird eine Zeit kommen, wo meine nun etwas strenge Freunde gerne ihren Anteil an der Freude des erneuten Wohlstandes einer unschuldigen Familie nehmen werden, und mir ist doch aus diesem Brief eine befriedigende Betrachtung zugeflossen, als ich die staunende Frage machte:

Wie war es möglich, daß der Oncle Frank, mit so vieler Menschenkenntnis und Philosophie, nicht gleich sagte: Daß bei dieser Gelegenheit die Sache so enden mußte, weil die Umstände einen Hauptzug meines Charakters in Bewegung brachten, welcher meiner nur erst eingeschlafenen Leidenschaft neues Leben und Stärke gab?

Denn gewiß, Rosalie! wäre mein Mitleiden und mein immer gleich starker Hang zur Wohlthätigkeit nicht mit Pinndorfs Bild vereint vor meine Seele getreten, so würden Sie keine Heurathsnachrichten erhalten haben. Meine Belehrung ist gewesen:

Kann der weise gütige Oncle Frank, kann der scharfsehende edle Cleberg, und meine liebevolle Rosalie, in einer Sache, welche nicht ganz nach ihrem Sinn ist, ungeachtet der Vortreflichkeit ihres Geistes und ihres Herzens, ungerecht urtheilen, was soll man von Andern erwarten? –

Und dadurch wurde ich über alle Uebrigen ruhig. Ich möchte nun hören, was man immer wollte – was sollten die Andere auf mich vermögen? Oder wie sollt' ich, ohne unrecht zu haben, Andern etwas übel nehmen, oder etwas von ihnen erwarten? Mit dem Frühjahr werden Nebel zerstreut, und dunkle Ideen durch Erklärung erhellt werden, die alte Freundschaft wiederbringen, und der erneute Wohlstand meiner Pflegekinder wird mich alles Vergangne als einen düstern lange gedauerten Traum betrachten lassen; so wie ich selbst von Ihnen hoffe, daß Sie finden werden: Das Schicksal ziehe angenehme Begebenheiten aus Kummer und traurigen Tagen – wie die Natur nach dem Winter schöne Blumen aus schwarzer Erde treibt. – Indessen gehen wir nach den Hierischen Inseln, und wollen sehen, ob sie nicht noch jetzo den alten Beinamen der glücklichen Inseln verdienen; ich erwarte nur die Ankunft des andern Sohnes, welchen man bei dem Pfarrer in Pinndorf zurückgelassen hatte, denn ich will alle die verwaisten Küchelgen unter meinen Flügeln haben.

Gustav und Henrik bestimmen Ihnen schon Geschenke von Hieres; weil sie wissen, daß man schöne und seltene Pflanzen da findet, und sie die Kunst, Pflanzenabdrücke zu machen, gelernt haben, so wollen sie eine ganze Sammlung nicht nur trocknen, sondern auch abdrucken, und Ihnen bringen.

Schreiben Sie mir noch einmal hieher, und schicken Sie mir des Oncles und Ihren Segen. Mir ist wohl, wenn ich Segen von Pinndorfs Lippen höre, aber der Oncle und Sie müssen mich auch segnen, wenn ich auf dieser neuen Bahn ganz glücklich und zufrieden seyn soll. Schreiben muß mir meine Rosalie, auch mir dabei die daurende Güte meiner Freunde zu Seedorf versichern, und sagen, wie sie leben.

Ich erkenne, daß Cleberg Recht hat zu sagen, der Weg meines Lebens bilde die Zeichnung eines Labyrinths. Warlich er war sehr verwunden der Pfad, der mich zwischen Steinklippen und Dornbüsche führte, ehe ich auf die schöne Stelle der wahren weiblichen Tätigkeit gelangte; aber wie vielen Dank bin ich dem edeln gütigen van Guden schuldig, der so vielfach mein Glück gründete: denn dieses mußte mit dem Seltsamen meines Charakters und meines Schicksals vereint werden, damit ich zur Zeit der Rettung der Pinndorfischen Familie meine Liebe in nützlicher Vollkommenheit zeigen konnte. – Sie wissen, mein Herz war immer für alle Leidenden zur Hülfe bereit – warum sollte es für Pinndorf verschlossen werden? Legen Sie, theure geliebte Freunde! keinen fernern Tadel auf mich – nehmen Sie mir nichts von Ihrer Achtung; Sie liebten mich, als ich in Ihrer Vorstadt die arme Handwerksleute unterstützte – betrachten Sie mich ohne Vorurtheil. – Was that ich durch meine Verbindung, als daß ich meine Hand zum Trost eines lange geliebten Freundes, und zum Besten seiner Kinder, hingab. Ach! lange wird die Freude, die mich lohnt, nicht dauern; denn die Besserung, welche die Aerzte von der milden und gesunden Luft der Hierischen Inseln hoffen, ist nichts als eine Frist. Kummer und Reue haben Pinndorfs Lebenskräfte zernichtet – – Der Himmel, welcher alles so kommen ließ, bleibt die Grundfeste meiner Stärke und Hofnung, denn ich glaube, wenn mein Betragen und meine Handlungen dem Herrn der Schicksale misfiele, so würde meine Gesundheit und mein Muth sich unmöglich auf der Höhe halten, wo sie ohngeachtet der Sorgen, die in meiner Seele liegen, und der vielen Mühe und Unruhe meines Körpers, immer gleich stark sind.

Sehen Sie nicht, Rosalie! wie weit ich von dem ehemaligen romantischen Ton entfernt bin? Eifer des Wohlthuns allein beseelt mich – und ich fühle, ich werde alles Uebrige, nur Sie und Ihre Freundschaft nicht, vergessen. Doch ruhet auf den großen Fittigen der Zeit eine große künftige Freude für mich – in der Idee, daß sechs Monate bald dahin sind, und daß das Frühjahr mich zu Ihrer Nachbarinn macht – wo dann auch der schädliche Dunst verschwunden seyn wird, mit welchem mich jetzo die meisten unserer Freunde umgeben sehen. Indessen bleiben Sie, theure Liebe! unter dem Schutz der weisen Güte Ihres Oncles, und werden von seiner Hand, wie von einem aufmerksamen Genius, auf die Bahn der schönsten Tugenden unsers Geschlechts geleitet. Sie sind zugleich in dem Zirkel auserlesener Freunde – und also hat die mir liebste Person meines Vaterlandes nichts von meiner Abwesenheit zu leiden. Doch wünsche ich, daß bald ein Anlaß erscheine, der Sie zu Marianen führe.

Ich schreibe Ihnen noch vor unserer weitern Reise. Pinndorf, Gustav, Henriette, und die zwei Mooß, sagen Ihnen tausend Schönes, und ich umarme Sie zärtlich.

van Guden Pinndorf.


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