Sophie von La Roche
Rosalie und Cleberg auf dem Lande / 1
Sophie von La Roche

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Dreizehnter Brief.

Rosalie an van Guden.

Sie klagen über meine kleine und seltene Briefe, aber meine theure Freundinn muß sich erinnern, daß ich den Vertrag machte, Ihnen und Marianen immer wechselweise dasjenige zu schreiben, was ich Beiden gefällig zu seyn achte, und ich weis wohl, daß Sie sagten: Mir wird alles, was in Seedorf vorgeht, angenehm seyn. Dies war sehr liebreich von Ihnen; aber nicht alles verdient das Schreiben – und dann habe ich, aufrichtig zu sagen, als Hausmutter viel weniger Muße, als ich in dem Stand eines Gasts bei Frau Grafe hatte, und jetzo nimmt mir auch die obschon noch entfernte Aussicht auf ein neues Wochenbett manche Viertelstunde in kleinen Uebelkeiten weg, so daß mein ehmals so sorgfältiges Malen tausend kleiner Gegenstände sich nicht mehr mit meinen täglichen Beschäftigungen verbinden läßt; aber ungewöhnlichen Ideen, die mir erscheinen, kann ich das Aufzeichnen und Mittheilen nicht versagen, so wie es wirklich mit einem Stück des Aufenthalts der Frau Grafe in Seedorf ist, welches auch ganz eigentlich Ihnen vorgelegt werden muß, da es meist die Erziehung betrift.

Frau Grafe kam gestern in meine Stube, und wollte uns ohne anders sogleich einen Erziehungsplan vorlesen, den sie eben ins Reine gebracht hätte, und darinn wörtlich bewiese, daß sie wenigstens für sich sehr wahr sagte, als sie behauptete: »Wir machten alle nur willkürliche Auszüge aus den Schriften, welche die Weisheit des Lebens und der Erziehungskunst betreffen; und daß Männer und Weiber, Rath, Vorstellungen und Vorschriften nur in dem, was das Aeusserliche der Kleidung und Verzierung in Hausgeräthe, Nahrung und Belustigung angehe, gerne und genau befolgten, nachahmten und auffaßten – aber bei dem innern Anordnen des Denkens und der Gesinnungen trete immer ein Widerstreben und das willkürliche Wählen und Verwerfen der vorgelegten Ideen ein.« – Sie hatte, wie sie mir einst schrieb, schon bei ihrem Mann alle Erziehungsschriften durchblättert, denn ordentlich gelesen konnte sie sie in der kurzen Zeit nicht haben, ob sie schon Auszüge mit hieher brachte. Uns fragte sie links und rechts nach unserm Plan, und durchstürte auch unsere Bücher. Endlich schrieb sie einige Morgen sogleich nach dem Frühstück sehr eifrig, und legte nun den neuen Einfall zu Tage: Ihre zwei Nichten durch die Geschichte der Musen und Grazien zu bilden, und einen neuen Versuch über die Zaubergewalt des Wörtchens Schön zu machen. Weil dieses bei allem Aeusserlichen so vielen Einfluß auf Erwachsene und Kinder habe, so will sie es auch bei der Moral gebrauchen, und sehen, ob nicht schönes Denken aus dem Lob des schön gedachten – und schöne Gesinnung aus dem Ruhm einer schönen That, aus schönen Ideen in Büchern oder von Personen einzupropfen wäre. Alle diese fragen, sagte sie, erschienen in ihrer Seele bei einem Kapitel in meinem mir durch Großens neue Uebersetzung neu schätzbar gewordenen Beaties wo er von der Dichtkunst sagt: »Daß sie ähnliche Anlagen in unserm Geist weckt und thätig machte denn der lebhafte Witz, die biegsame Einbildungskraft, die Gabe zur Erfindung und die Reizbarkeit des Herzens zeigten sich in dem Dichter, wie in denen, die ihn lesen; bei dem erstem in seinen Werken, und bei dem zweiten in dem Vergnügen und Wirkung bei dem Lesen: denn Gefühle und Witz, edle Erhebung der Seele und der Ideen, würden durch vorzügliche Poesie stärker und thätiger; die Sprache, als Einkleidung unserer Gedanken, werde durch Dichter verschönert und bereichert,« u. s. w. Dieses war, sagte sie, ein Lichtstral auf meine Papiere, wo meine Ideen noch dunkel lagen. –

Bei den Alten waren die Dichter eine Quelle von Heldenseelen – bei den Neuen werden Bildhauer, Poeten und Maler aus dem Homer mit vollen Eimern geschöpft, Moral, Geschichte und Lehrsätze der alten Griechen darinn gefunden; da will ich auch Etwas heraus holen, und der Weise der Alten folgen, meine Mädchen in lauter Bildern zu belehren. Sie haben ohnehin Zeichnen- Musik- und Schreibmeister; sie lernen Sticken: da erscheinen ja auch lauter Bilder in Landschaften, Noten, Buchstaben und Blumen; dies giebt mit meinem Plan ein harmonisches Ganzes. – Ich schaffe mir schöne Kupfer von der Minerva und den neun Musen; führe dann in der ersten zum Nachdenken und Lernen bestimmten Stunde mein junges Volk mit einer Art Feierlichkeit in die Bibliothek meines Mannes, (weil mir dort die Luft selbst etwas Günstiges zu haben scheint) stelle sie vor die große Erdkugel, und erzähle ihnen kürzlich etwas von der Erschaffung der Welt, und wie diese Erde, die wir bewohnen, durch die Hand der Allmacht in dem Luftraum erhalten wird, täglich sich umwälzt, in so viel Zeit einen Cirkel um die Sonne beschreibt, und uns dadurch Tag und Nacht und die vier Jahrszeiten giebt. Dann zeige ich ihnen die Meere und das feste Land; nachher folgt die Benennung der Welttheile und die Verschiedenheit ihrer Bewohner, deren Geschichte ich ihnen nach und nach verspreche, und bei Asien anfange, weil dort das Menschengeschlecht zuerst aufkeimte, und auch zuerst die besten Geschenke der Natur in allen Produkten der Erde und allen edeln Gaben des Himmels, in Wissenschaften und Künsten, genoß. – Nun halte ich mich an Griechenland, und sage: Hier, meine Lieben! wohnten die klügsten und besten Menschen, welche auf alles Schöne und Gute um sie her aufmerksam waren, und sich ein oberstes allmächtiges und allgütiges Wesen dachten, welches Alles auf der Welt weise und liebreich ordnete; nun verehrten sie dieses Wesen über Alles, und dankten ihm für Alles wurden aber immer aufmerksamer und fleissiger in Beobachtung der wohlthätigen Schönheiten der Natur, und über sich selbst. Sie bemerkten, daß Alles durch unsichtbare Kräfte entstand, die weit über die ihrigen erhaben waren. Die Sonne des Tages, der schöne Sternhimmel bei Nacht, däuchte sie das Schönste und Prächtigste, und war ihnen also der natürliche Wohnsitz dieses obersten Wesens; doch konnten sie noch nicht begreifen, daß Alles auf Erden nur durch seinen Willen entstehe, und faßten den lieben kindlichen Gedanken, zu sagen: »Wenn ein kleines hilfloses Kind zur Welt kommt, so wird es durch die Mutter und pflegende Hände der Wärterinnen besorgt und geleitet; das oberste Wesen hat dieses so gütig für unsern Körper besorgt, gewiß hat es auch eben so freundliche unsichtbare Pflegmütter für das Beste von uns allen geschaffen, welche wie das denkende Wesen in uns, unsichtbar wie die oberste Gottheit selbst, immer wie unsere guten leiblichen Mütter für uns arbeiten.« Und so wurden aus dankbaren Kindern – dankbare Menschen gegen den Schöpfer. Sie dachten sich so viele unsichtbare Wohltäterinnen, als sie sichtbares Gutes erblickten. Nun war es natürlich, daß sie diesen Wesen auch Namen gaben. Sie hatten Gewitter am Himmel, Zorn und Stärke in ihren Vätern gesehen: nun ward das oberste Wesen, Jupiter, ein Mann mit Donnerkeilen; die Sturmwinde, das Empören des Meeres, der Krieg, der Weinbau wegen des Rauschtrinkens – alles dies wurde Männern zugeschrieben; aber sanfte wohlthätige Erfindungen dem weiblichen Geschlecht. – Die Wiesen wurden durch freundliche liebe Mädchen, die Napeen, geschmückt; die Blumen kamen von der Flora; kleine liebliche Bäche wurden durch Najaden ergossen; schöne Wälder durch Oreaden besorgt; die Göttinn Ceres pflanzte das Korn; die Pomona Obst; u. s. w. Nun waren die Menschen und Thiere mit Nahrung und anmuthigen Aussichten versorgt. Nachdem fiengen sie an, über die Gabe des Denkens und der Erfindungen ihre Betrachtung zu machen. Klugheit und alle Tugenden wurden der Minerva, einer sehr gescheuten Göttin, verdankt; man verehrte sie auch vorzüglich, und ihre großen Bilder wurden in Tempeln, die kleinen aber in den Häusern aufgestellt, damit man sich immer an die Wohlthaten der Weisheit erinnern, und die Göttin darum bitten möge.

Dann zeige ich ihnen das Bild der Göttin, und lese aus des Herrn Müllers schöner Abhandlung über Minerva faßliche Auszüge vor; z. B. wo er von ihrer Kleidung sagt: »Die Weisheit sey bewaffnet, weil sie immer gegen Thorheit und Vorurtheil kämpfen müsse. Der Morgenstern über ihrem Haupt zeige an, daß er die Stunden der frühen Weisheit herbeiführe; daß Minerva die Erfinderinn der Künste des Friedens und die Beschützerinn des gesellschaftlichen Lebens sey; daß sie stille Häuslichkeit und Fleiß liebte, und die Menschen die sanftesten unentbehrlichsten Künste, den Oehl- und Feldbau, das Spinnen und Weben, und die Kunst die Wiesen zu mähen lehrte, indem die Weisheit ihre Kräfte nicht an unnütze Dinge verschwende, weshalb Minerva auch wegen dieser häuslichen glücklichen Erfindungen den Namen Ergane bekam.«

Von der Minerva gehe ich dann zu der Erzählung der Geschichte von den Musen, den Töchtern der Mnemosine, Göttin der Erinnerung, welche den Auftrag haben, die schönen Eigenschaften, womit die Weisheit die Menschen beschenkte, zu bewahren und im Gedächtnis zu behalten, damit sie die Sterblichen immer unterrichten könnten. Wer nun die Geschichte der Erde und der Menschen wissen wollte, mußte die Wissenschaft der Muse Clio studiren, welche ein großes Buch hält, worinn sie alle merkwürdige Thaten der Menschen aufzeichnete.

Urania, mit dem Sehrohr und dem Cirkel, lehrte die Sternkunde, Mathematik und Philosophie.

Calliope lehrt die Heldengedichte, weswegen sie auch einen Schreibgriffel und eine Rolle Papier hat.

Euterpe hält eine Flöte, welche die Minerva erfand, und sie blasen lehrte, um die Menschen in trüben Tagen mit einer sanften Musik zu trösten.

Polyhimnia, mit Noten in der Hand, lehrt die Redekunst und liebliche Lieder, weil beide harmonisch seyn müssen.

Erato gab die Maler und Bildhauerkünste ein, und erfand die Laute.

Melpomene besorgte die Trauerspiele, und hat deswegen einen Dolch in der Hand.

Terpsicore lehrte schöne Stellung und Tanz, wie man es in ihrem Bild sehen kann.

Thalia lehrt den feinen Scherz und die Lustspiele, denn die Maske zeigt, daß alles nur Spiel, nicht Ernst sey.

Nun folgte die Geschichte der Grazien oder Göttinnen der Anmuth, welche den Musen als Freundinnen gegeben wurden, damit diese lernten, selbst bei ernsten Beschäftigungen immer etwas Gefälliges zu haben. – Wohl bemerkt, Rosalie! (setzte sie hinzu) ich zeige meinen Mädchen die bekleideten Grazien des Sokrates, nicht die andern, welche in unsern Zeiten und Landen bei unsern Söhnen und Töchtern wenig Nutzen schaften. Nun, (fuhr sie fort) wenn ich die Bilder gewiesen, und so davon erzählt habe, so werde ich den Mädchen sagen, daß die göttliche Vorsicht in der That alle Künste und Wissenschaften in Asien aufblühen machte, und den Menschen dort wirklich ein doppeltes Paradies bereitet hatte, nämlich dies der ersten Schönheiten der Erde, und dann auch das reizende Gebiet der Kunst und der Kenntnisse; – daß aber Künste und Wissenschaften auch Wandrungen machten, und andre Weltgegenden besuchten, welches ich ihnen nach und nach erzählen, und den Antheil zeigen wollte, der unserm Vaterland von den Gaben der Musen und Grazien zugeflossen sey. Und um ein richtiges Maaß für uns und andre Weltteile anzumerken, will ich mir das englische Buch über Wunder der Natur und Kunst von allen Theilen der Erde anschaffen, welches ich in Ihrer Büchersammlung fand, indem ich darinn einen guten Leitfaden zu meiner Absicht angetroffen habe, damit ich zwischen abschreckendem Ernst und seichte Köpfe machenden Spielen einen Weg zur Ausbildung des Geistes meiner Mädchen finde, wo mir das Unterrichten angenehm, und den Kindern das Lernen leicht seyn wird. Ich denke dabei, die Mädchen sollen sich freuen, daß alles Gute und Schöne in der Welt aus weiblichen Händen kommt, und sie sollen von Nacheifer beseelt werden, Tugend und Verdienste in das kommende Jahrhundert verpflanzen zu helfen; der Bube aber, glaube ich, wird desto mehr Verehrung für unser Geschlecht bekommen. – A pro pos, setzte sie schnell hinzu, da giebt es ja Widerspruch und Wettstreit mit Herrn Cleberg, denn dieser will Ihre Nanny bei den Lehrstunden der Buben haben, damit sie ja recht frühe die Verdienste der Männer bewundern lerne. Wir wollen nun sehen, ob mein Neffe artiger als andre Buben – und ob Ihre Nanny klüger als die übrigen Mädchen wird.

Ueberhaupt (sagte sie) zähle ich bei diesem Plan wenigstens zur Hälfte auf den Beistand der Eigenliebe, welche in meinen zwei Nichten liegt, und sie immer Eigenes für sich wünschen macht, daher zu hoffen ist, daß, wenn sie nun wissen, dieser Weg des Lernens sey allein für sie gefunden worden, sie auch aus Eitelkeit schnelle Fortschritte machen werden. –

Nun eilte sie in ihr Zimmer zum Abschreiben, und ich sagte gegen Cleberg und meinen Oncle: Da wir das Ganze aus diesem Gesichtspunkt betrachten müßten, so könnte man es wohl artig finden; besonders da immer alles zu unsern Umständen passen soll, und Herr Grafe die Munterkeit seiner Frau ungemein liebte, und auch wünschte, daß die Kinder bei heiterm Sinn erhalten würden, so sollte man auch deswegen diesen Plan gut heißen. – Aber Cleberg und mein Oncle dachten nicht so. Der Erste sagte mir nach einem Auszug aus Klopstock: » Gesonderte Pfade führen zum hohen Ziel. Aber, liebe Rosalie! je mehr Sonderbares die Andern machen, je einfacher wollen wir bleiben.« – Und der Zweite setzte hinzu: »Kinder! erinnert Euch des Wegs, den Ihr geführt wurdet! Macht Euern Söhnen das Lernen nicht zu leicht, denn die Kräfte des Verstandes erschlaffen, wie die des Körpers, wenn sie nicht durch Anstrengung und ernste Uebung gestärkt werden.«

Lieber Oncle! sagte ich, Sie verwerfen doch nicht alles, was die gute Frau in ihren Plan verwebte? – Nein! antwortete er, und fügte hinzu: Die Art, mit den Kindern über die griechische Götterlehre zu sprechen, habe ihm gefallen; der Vorsatz, das Buch über Wunder der Natur und Kunst zu gebrauchen, sey auch gut – doch gefalle ihm am besten, daß sie nach Müllers Minerva das Verdienst der Handarbeit angezeigt habe. Frau Grafe sey eine Frau von Verstand, und würde das Unzuverläßige ihres Plans bei der Ausführung bemerken; im Ganzen sey viel Gutes darinn, mehr als man von einem Aufsatz des herrschenden Witzes erwarten könne, ihm wäre aber ihr Erster Vorsatz, die Keime der Leidenschaften zu entdecken, und sie zum Guten zu lenken, viel schätzbarer gewesen. – –

Abends bei dem Thee sagten ihr mein Oncle und Cleberg: Sie liebten nicht, daß lauter zufällige Sachen auf sie wirkten.

»Ach Männer! (antwortete sie mit etwas Erröthen auf Beide blickend) hat Zufall keine Gewalt über Euch? Die Hälfte der Geschichte Eurer Kriege und Siege, Eurer Künste und Erfindungen, auf was ruhen sie, als auf Zufall, der von dem Klugen benutzt wird? Warum sollte ich in dem Streiten und Wählen von Erziehungsideen, da sich so Viele die Freiheit nehmen, Vorschriften zu machen, nicht queer über das noch ziemlich unangebaute Feld einen Fußpfad nehmen können, der mich früher in den Schatten führt?«

Gewiß, beste Frau! haben Sie die Freiheit, Ihren Weg zu wählen; – aber mich dünkt, Sie haben manches angebaute Stück übersehen, und von andern nur die Blumen genommen – und diese allein sind nicht genug, Ihren Zweck zu erreichen – sagte mein Oncle.

»Ich nahm sie nur, weil mir das Korn noch nicht reif schien. (erwiederte sie) Oder hätte ich es machen sollen, wie meine Haushälterin, welche die noch grünen Aehren abschneidet, sie mühsam trocknet, aber dann doch nichts als Suppen davon einkochen kann? Und Sie wissen, zu viele Suppen verderben den Magen für bessere Speisen.«

Eine gewisse Erhöhung des Tons und des Kopfs der lieben Frau ließ mich Unmuth besorgen, und da ich gar zu gerne Jeden bei seiner Weise lasse, besonders wenn sie unschädlich ist, so sagte ich: Weil doch die Rede von Blumen sey, so dünkten sie mich dem Alter der zwei Nichten unserer Freundinn sehr passend zu seyn, indem beide jung genug wären, um das Reifen des Waizens abzuwarten. – Sie bemerkten alle meine Absicht, und stimmten mit ein. Dadurch wurde ich von der Sorge befreit, Frau Grafe noch den letzten Abend ihres Aufenthalts misvergnügt zu sehen. Sie saß einige Minuten stille, mein Oncle und Cleberg giengen auf und ab, da faßte sie mit liebreicher offener Miene meine Hand, und sagte: »Haben Sie Dank, gute Rosalia! daß Sie so sorgsam den Faden mir reichten, aus dem kleinen Labyrinth zu kommen. Der Widerspruch, den mein Plan mir zuzog, hat mein Nachdenken angefeuert, denn es ist mir nicht gleichgültig, ob der Oncle da, und der ihm nacheifernde Nepote, mich loben oder tadeln, weil ihre Verdienste wirklich den Werth ihres Beifalls erhöhen, wie sie das Gewicht des Tadels erschweren. – Ich will doch auch den Unfall benutzen, der mich meinen Plan hier entwerfen und vorlegen machte, denn ich will die Winke des Leichten, welches die Herren unter den Blumen verstehen, mir merken, und Sorge tragen, ganz nahe der Natur zu folgen, welche allem, was Früchte tragen soll, erst Blumen gab, die als Blüte nie Tadel finden. Indessen können die Ideen in meinem Kopf mit dem Waizen reifen, zwischen welchem ich die Blumen pflückte.«

Das ist gut, recht gut, schätzbare Frau, sagte mein Oncle, der mit Cleberg ein paar Schritte von uns stille gestanden, und ihr zugehört hatte. Sie haben allen Geist und alles Nachdenken, welche dazu gehören, die Kinder stufenweise zu Kenntnis und Vergnügen zu leiten, und ihnen von beiden das zu geben, was den Jahren zukommt; nicht wie Viele aus mißverstandenem Ehrgeitz thun, und den ersten Jugendjahren geben, was Genuß und Nahrung des reifen Alters seyn sollte. –

Auf diese Art zeigten Alle, daß sanfter wohlmeinender Widerspruch von der edeln Seele immer gut aufgenommen wird, und unser Abend war in vollkommner Harmonie mit der Natur; denn als wir uns zum Thee setzten, war es bei einem mit kleinen Wolken durchzogenen Himmel noch helle genug, um die auf eine gewisse Art unnützen Blumenbeete des Gartens vor uns zu sehen, und ich glaube, man hat auch deswegen um so eifriger und länger davon gesprochen. – Nach und nach sank, wie der Dichter sagt, die Nacht herunter, aber es erschienen hingegen immer mehr Sterne an dem schönen ganz heiter gewordenen Firmament, wie bei unserm erheiterten Humor immer neue, nützliche und angenehme Ideen in dem Gespräche hervorkamen. –

Nun Adieu! und meine Wünsche zu glücklichen Tagen für Sie! Ich bemerke, daß ich bei einem Lieblingsgegenstand war; sonst würde mein Brief nicht einem kleinen Buch ähnlich geworden seyn.


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