Sophie von La Roche
Rosalie und Cleberg auf dem Lande / 1
Sophie von La Roche

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Zweiter Brief.

Rosalie an Marianen.

Ich hoffe daß Sie nun glücklich angelangt sind, denn es würde mich gegen meine Gewohnheit traurig über die Witterung machen, wenn ich Sie bei dem ausserordentlich starken Regenwetter noch auf der Landstraße denken müßte. Sie erinnern sich mir gesagt zu haben, daß ich in sehr nahem Verhältniß mit der Natur stünde, weil Regen meinen Geist wie die Luft zu erleichtern schiene, indem ich niemals nur das geringste Kennzeichen übler Laune zeigte, wenn die Witterung sich änderte; ich weiß aber heute nicht was ich thun würde, wenn ich nun in einer Postkalesche unter dem dichten kalten Regen fort müßte. Mögen Sie also Ihre Wallfahrt wohlbehalten geendigt haben! Ich fragte meinen Onkel und Cleberg: ob sie nicht wahrscheinlich sagen könnten, wie die Witterung in der Gegend sey, wo Sie sie jetzo finden? denn ich fühle heute die Beschwerden Ihrer Reise viel lebhafter, als die Trauer Ihrer Abwesenheit.

Abends –

Gewiß vermutheten Sie nach der Anzeige des Regens, eben so wenig als ich, die Ueberraschung eines Besuchs in Seedorf? Wir hatten um die gewohnte Stunde das Frühstück verlassen. Jedes gieng seinem Beruf zu folgen. Ich hatte aber kaum jede Anordnung in meinem Haus fertig gebracht, und saß mit meinen Kindern zur Lehrstunde in Ihrem Cabinet, als ich auf einmal Clebergs Stimme und das Tripplen von Weiber- und Kinder-Füßen hörte; bei Bewegung der Thürschlinge begierig aufsah, und unsere theure immer lebhafte Madame Grafe, mit zwei Mädchen und einem Knaben, mir zueilen sah, die sagte:

»Da liebe Rosalia! drei nun ganz eigene Kinder, Grafe aus A–! Hier, auf mich deutend, sagte sie den Kleinen, ist die Tante Cleberg, von welcher ich euch unterwegs erzählte!«

Die gute Geschöpfe blickten mich an, reichten nach meinen Händen, küßten sie, und ich umarmte die Kinder mit der äussersten Bewegung, denn ihre Trauerkleider und die Erklärung der Madame Grafe – meine nun eigene Kinder, sagten mir, daß die kranke Mutter, wie man es befürchtet hatte, den Tod des Vaters nicht überlebte. Die gute alte Wärterinn von den verstorbenen Kindern unserer Grafe kam nun auch in die Stube, und letzte sagte:

»Rosalie! ich bleibe heute bei Ihnen, ich kann in diesem Regen nicht zurück, und muß Sie, als einen Lohn für erlittenen Kummer, wenigstens auf vier und zwanzig Stunden geniessen.«

»Herzlich gerne, liebe Frau! es ist Raum und es sind auch Betten im Hause:«

»Wenn Sie uns nur Raum und Betten für mich und Frau Sille geben, so ist es genug, denn die Betten der Kinder hab ich noch bei mir, und die sind bald in einer Ecke des Zimmers zurecht gelegt – aber ich will Ihnen erzählen wie ich herkam.

»Mein letztes Nachtquartier war nahe an W. Wir standen früh auf und waren bald in der Stadt, ich fragte gleich nach Ihnen, man sagte, Sie wären schon nach Seedorf gezogen, um dort die Abreise von Marianen zu beweinen! Es war mir leid für Sie, daß Ihre Freundinn fort ist; und für mich, daß ich Sie nicht fand. Ich gieng unmuthig in meinem Zimmer auf und ab. Mittlerweile wurden die Pferde von meiner Kutsche abgespannt und die Koffers abgepackt – mein Mann bleibt noch für mehrere Tage in A – ich konnte den Gedanken nicht tragen Sie zu missen, und gab kurz den Befehl, man solle den Bettsack wieder festbinden und die zwei Kutschenkistgen auch nicht auspacken, sondern um frische Pferde sich umsehen, weil ich weiter wollte. Frau Sille und mein guter Jacob sahen wechselsweis bald mich bald sich selbst an, und giengen zugleich an das Fenster, welches Frau Sille stillschweigend öffnete, und mit der Hand auf das gegenüber stark überströmende Dachtrauf zeigte. Ich seh es wohl ihr lieben Guten! aber Rosalie ist nicht hier – Rosalia weint wie der Himmel über uns; ich muß sie sehen – Herr Grafe kommt erst in sechs Tagen – Jacob setzt sich zu uns in den Wagen, in den Kistchen ist alles was wir brauchen und die Kinderbetten im Sack, die großen Koffers bleiben hier, und der Postillion wird für doppeltes Trinkgeld wohl den Regen ausdauren. Und so kam ich her, sicher, daß Sie mich beide willkommen heissen und auf meinem neuen Weg mir die Hände reichen werden!« – wobei sie eine von Clebergs, und eine meiner Hände ergrif, und mit Thränen in dem sonst so muthvollen Auge uns anblickte. – Mein Mann und ich versicherten – daß sie gewiß auf alles zählen könne was in der Gewalt unsers Herzens, und unserer Kräfte seyn würde. –

Indessen hatten sich die Kinder angeguckt, und traten sich näher. Frau Grafe sagte: – Ich habe schon gefragt, ob meine alte Stube leer sey? »Herr Cleberg sagte ja, und der Bettsack wird schon hingetragen – Liebe Sille! sagte sie der Wärterinn, führe Sie die Kleinen ein wenig auf dem Hübschen Gang des Hauses spatzieren. – Meine Kinder sahen bittend nach ihrem Vater und mir. – Carl – Wilhelm! sagte Cleberg, führt Eure artige Gäste in den Gang, aber kommt weder mit Händen noch Füßen in die Blumentöpfe –

Meine Nanny stockte, weil sie nicht mit genannt war, da kam die Reihe der Erlaubniß an mich: ich ermunterte sie nachzufolgen und hübsch mit den Fremden zu sprechen. Die drei Grafische Kinder hüpften zu ihrer Tante und sagten: – »Adieu liebe Mutter bis zum wiedersehen!« – Sie nickte ihnen freundlich zu ohne zu reden, aber sobald die Kinder aus der Thüre und wir allein waren, brach sie in Thränen aus und sagte: – »Sehen Sie jetzt, lieben Freunde! warum ich meine eigene Kinder alle verlohr. – Ich sollte Kinderlos werden, um diese Vater- und Mutterlose Waisen aufzunehmen, und ungetheilt zu besorgen: Ich will es auch« (sagte sie mit zum Himmel erhobenem Auge) »getreu erfüllen, das mir zugefallene Loos des thätigen Lebens; und ich freue mich des Trostes, den ich dem Vater und der Mutter noch geben konnte eh sie starben, – freue mich meinem theuren Mann zu zeigen, wie lieb sein Name und seine Familie mir immer war; denn ich bekenne, es ist mir lieber, daß ich alles für Kinder von seinen Verwandten zu thun habe, als wenn sie von den meinigen abstammten.«

Während den letzten Worten hatte sie ihre Reisekappe abgenommen, und nun bemerkte ich erst ganz wie blaß und abgefallen sie aussah, und blickte mit Rührung sie an, indem ich sagte: – »Beste Frau! ich sehe die Spuren dessen was Sie gelitten haben –

»Es waren zwei harte Schläge« – setzte Cleberg hinzu, und sie erwiederte: –

»Ja gewiß, es ist hart, einen Mann von sieben und dreissig Jahren, und ein Weib von acht und zwanzig in Zeit von wenigen Wachen hinfallen zu sehen. Sie wissen, daß ich oft sagte. daß ich keinem Baum fällen sehen konnte, ob ich schon eine Forstmeisterstochter war; denken Sie, wie die Schläge des Schicksals auf den Bruder meines Mannes mich beugten! Seine Güte und zu viel Vertrauen in Freunde und Untergebene machten sein Unglück. – Aber es ist vorbei; er hat seine Probezeit geendet, und sein gutes Weib, welche diesen vielfachen Kummer nicht tragen konnte, leidet nun auch nicht mehr. Aber, fuhr sie fort, wie viele herzzerreissende Auftritte folgten sich in dem Hause, ehe der wohlthätige Tod alles endigte! – Sie erinnern sich, meine Freunde, wie sehr mein Schwager meinen Sohn Eduard liebte. Zwei Tage vor seinem Tode sagte er: Euren Eduard, den ich so innig liebte, sehe ich nun bald wieder, und werde ewig mit ihm leben. Bruder! Schwester! (seine Arme nach uns bewegend) liebt die drei Waisen, die ich zurücklasse, nur den zehenten Theil, wie ich euren Eduard liebte, und führt meinen Sohn auf die Lebensbahn des frühen Engels.«

»Rosalie!« sagte sie, sich weinend gegen mich beugend, »denken Sie sich diese Scene, welche den Verlust meines Sohnes zurückrief! – O wie sollte ich das Uebrige erzählen! Wie den Abschied von der Frau, welcher seinen Tod beförderte, als er sie nach dem zitternd gesagten Lebewohl ohnmächtig hinsinken sah! Wie vermöchte ich den Dank und den Segen auszudrücken, welche von den sterbenden Lippen des Vaters und der Mutter auf uns flossen, als wir ihnen für ihre Kinder Vater- und Muttertreue gelobten! Ach es ist eine unaussprechliche Sache um das Gefühl, welches die Bitten und der Dank eines Sterbenden geben. Aber tröstend ist es, die Freude in einem halbtodten Auge noch schimmern zu sehen. Sehr tröstlich, wenn man keine Beleidigung abzubitten, keine Kälte zu erwärmen braucht, sondern nur die Erinnerung erhaltener und gegebener Liebe und Freundschaft sich denkt; wenn die Sterbenden ihren Segen uns lassen, und den unsern über das Grab hinübernehmen. Als ich und mein Mann die drei Kinder vor dem Bett des Sterbenden vereint umfaßten, so übergab ich ihnen meine drei vorausgegangen Lieben zur Gesellschaft in der andern Welt, so wie ich die ihrigen als Unterpfand ihres Vertrauens in mein Herz für dieses Leben aufnahm. Dem Himmel sey Dank, daß sie vorüber sind, diese Scenen. Wünschen Sie nur, daß ich diese neuen Pflichten getreu und glücklich erfülle.«

Cleberg und ich waren mit ihr bewegt, umarmten und segneten sie, mit der Versicherung: Daß alles, was wir beitragen könnten, ihr herzlich gewidmet sey. Sie dankte uns nur mit einer stillen Umarmung, und gieng dann schweigend auf und ab. Wir verehrten den sichtbaren Kampf und das Ringen nach Stärke auch mit stiller Ruhe; aber nach einigen Minuten suchte Cleberg unsere Freundinn von ihren Trauer-Ideen abzuleiten, und stellte sich unter die Saalthüre, wobei er dann, als Frau Grafe im Hin- und Hergehen von der Fensterseite sich etwas näherte, mir zuflüsterte. »Rosalie! wenn unsere gute Mariane alles dies gehört hätte?« – – Ich verstand seine Absicht, und gieng zu ihm, da ich auch halb leise sagte: »Ach Lieber! wer weis, zu was für Auftritten die edle Seele berufen wurde.« –

Nun kam Frau Grafe, blieb stehen und erblickte ihr Bild, staunte es an, und rief aus: »Ei da ist sie ja lebend, die gute Mariane!« Zugleich trat sie in den Saal; konnte nicht anders, als von der Schönheit und der Aehnlichkeit des Gemäldes gerührt werden, und davon sprechen. Solche Augenblicke sind der wahre Triumph der Künste, wenn sie die Erinnerung an Verdienste zurückrufen, und durch die zauberische Gewalt der Täuschung ein Uebel oder einen Schmerz von uns entfernen; denn gewiß, die getheilten Gefühle über das hohe Talent des Malers in Darstellung der sprechenden Aehnlichkeit, und des Andenkens an Marianens Geist und Tugenden, brachten unsere Frau Grafe in eine allerliebste Stimmung der Seele. Es war nicht Munterkeit, sondern ganz eigen die Erheitrung eines Sonnenstrals, welcher graue Wolken mit einem goldenen Saum umfaßt, und nach und nach ganz erhellt; denn als sie das Gemälde nach allen Theilen betrachtet und bewundert hatte, so sagte sie am Ende, mit dem frohen Blick, welchen uns die Hofnung immer giebt: »Der junge Grafe wird mit Entzücken vor diesem Bilde stehen, und Sie werden finden, daß wahres Genie aus dem Jungen spricht.«

Dann war die Frage von Ihnen, von Ihrem Ruf, von dem Aufenthalt unserer van Guden, von den kindischen wiewohl kostbaren Festen, welche Herr von Pinndorf der neuen Freundinn seiner Schwester giebt, welches Cleberg und Frau Grafe als die wahre Ursache der Entfernung unserer van Guden ansehen: »Denn, sagte sie, wie kann eine edeldenkende Seele Zeuge von dem Verfall eines Mannes seyn, an welchem sie so grosen Antheil nahm?« – Cleberg erwiederte: »Gewiß haben Sie darinn die Hälfte der Beweggründe gesehen, welche unsere Freundinn in fremde Gegenden führten; aber Sie werden mir erlauben, daß ich die andre Hälfte dazu setze: Der Schmerz über eine neue Liebe des Herrn von Pinndorf hat gewiß das erste Triebrad zu dieser Entfernung geliefert.« »Das weis ich nicht, sagte Frau Grafe – denn van Guden sah ihn ja schon zweimal verheurathet. Das erstemal zog sie um seinetwillen in unsere Gegend, und blieb auch bei der zweiten Verbindung in der Nähe von Pinndorfs Wohnsitz. Es muß eine andre Ursache da seyn, als die, welche die männliche Eitelkeit zu entdecken glaubte.«

Gut! dachte ich, liebe Frau Grafe! Du bist also wieder in den gewöhnlichen Gang deines Geistes gerathen, und wir haben von dem Uebermaas der Trauer nichts mehr zu befürchten. Cleberg antwortete gelassen lächelnd: »Nein, meine theure Frau Grafe! Diesesmal hat die Eitelkeit ganz stille geschwiegen, wie sie immer thut, wenn die Wahrheit in vollem Glanz vor sie tritt; ich wollte nur als eine Art Naturkundiger von einer Erscheinung reden, und Sie haben mir, ohne es zu wollen, einen Beweis meiner Ideen geliefert, denn ich nehme die Ihrige wegen den zwei Heurathen an. Bei der ersten genoß die edle Eigenliebe unserer van Guden den Trost des schönen Entschlusses: ihn den Pflichten des kindlichen Gehorsams, den Erforderungen seines Standes, und der Erfüllung seines Versprechens aufzuopfern. – Sie wußte, daß es von ihr abhieng, ihn alle diese Bande zerreissen zu machen, wie unbesonnene Mädchen und Buben schon so oft gethan haben; aber besser und klüger als Tausende wählte sie die schöne Entsagung auf diese Rechte, und genoß die Freude der Grosmuth und Vernunft, neben der Versicherung, gewiß ewig geliebt und geschätzt zu seyn. Bei der zweiten Heurath waren eine Menge Entschuldigungen vorhanden. – Pinndorf konnte nicht wissen, daß sie Wittib, daß sie reich sey! – Er war in Verlegenheiten gerathen, die ihm keinen andern Ausweg offen ließen, als eine reiche Heurath. – Dabei war die Ueberredung seiner Schwester. Alles dies erregte van Gudens Mitleiden. Sie sah ihn dann weinend zu ihren Füßen, mit vielen Merkmalen erhaltener Liebe; sie that ihm in seinen Kindern Gutes, und war dadurch in einem edeln Bündnis mit ihm. – Dieses war der schätzbaren delikaten Schwärmerinn genug, und stützte sie bei dem zweiten Verlust. Aber die Winterbekanntschaft mit der Marquise, der ganz abgeänderte Weg seiner Ideen bewiesen, daß die Sympathie der Seelen völlig verschwunden, daß die Erinnerung ihrer Liebe und Verehrung ausgelöscht sey. Alles dieses schmerzt, und die Ideen dazugenommen, von welchen Sie sprachen, bringen den Gedanken hervor: Die Zeugen und die Ursache unsers Kummers zu fliehen. – Ruhiger Genuß der Freundschaft hilft nicht gleich, sonst würde die liebe Frau bei uns geblieben seyn.« –

»Rosalie! (sagte Frau Grafe) ich bin nicht munter genug, um diese Herzensgeschichte Schritt vor Schritt zu verfolgen; aber ich will edelmüthig seyn, und bekennen: daß mich dünkt, Cleberg habe die wahre Spur des Reisewagens unserer Freundinn aufgefunden. Lassen Sie mich nur sagen: daß ich keinen Mann kenne, der verdient, daß so ein Weib so viel um seinetwillen leide, und so viel für ihn thue!«

Cleberg erwiederte: »Ich bin so froh, daß Sie mir Recht geben, daß ich auch gerne zugebe, daß Sie bei dem letzten Ausspruch Recht haben. Wir wollen bei unsern Töchtern Sorge tragen, daß die Waagschale der Gefühle und der Wahrheit nicht zu sehr aus dem Gleichgewicht komme.« » Und daß unsere Buben keine Pinndorfe werden« setzte Frau Grafe hinzu. Cleberg fuhr fort: Da werden Ihnen kluge Mädchen und rechtschaffene Männer dafür danken: – denn warlich, die Pinndorfe sind eben so wenig zu Freundschaft als zu edler Liebe geschaffen.« Doch waren wir überaus vergnügt, die Unterredung in diesen Ton geführt zu haben, und mein Mann sagte mir nachher: »Wir haben glücklich den Punkt der Zerstreuung erreicht; die angeborne Heiterkeit wird die Oberhand gewinnen. Ich will jetzo zum Oncle, und ihn vorbereiten; suche auch Frau Grafe einen Wink zu geben: daß es dem theuren Alten empfindlich seyn würde, von ihrem Verlust zu reden.« Ich besorgte diesen Auftrag sehr gerne, und es gieng recht artig.

Cleberg kam mit dem Oncle vor dem Mittagessen in den Saal, und legte einen Pack ungebundener Bücher auf den Tisch. Mein Oncle gieng zu Frau Grafe, drückte ihr die Hand, und hieß sie willkommen; blickte dann auf die eben eintretenden Kinder, und setzte hinzu: »Gott segne und erhalte Sie und Ihren Gemahl!« Sie verstand ihn, umarmte ihn schweigend, und rief den Kindern zu: sie sollten auch den Grosoncle grüßen. (Denn Sie wissen, daß wir in unserm Zirkel Clebergs Idee angenommen haben, daß die Kinder alle erwachsenen Freunde und Freundinnen Oncle und Tante nennen.) Nach dem Essen sagte mir mein Mann, daß er den Eintritt der Kinder mit der Kindsfrau verabredete, damit die Trauerscene auf einmal geendet würde. – Mein Oncle fragte ihn da nach den Büchern, und man griff, weil oben ein Bild lag, gleich mit Eifer nach dem Pack; und da die Kinder auch Antheil nehmen konnten, weil es Bilder aus der Naturgeschichte waren, so beschäftigte sich Kleberg mit den Kleinen, um ihnen die Bilder zu erklären. Die Freude der Kinder erheiterte neu die Seele der Frau Grafe, welche seit ihrem Eintritt bewölkt schien.

Den Nachmittag kamen Linke und Ott geritten, sich nach mir umzusehen; und auch diese erhielten eine Weisung von Cleberg wegen des Betragens gegen Frau Grafe. – Sie sagte mir nachher, daß sie sich sehr viel Dank wisse, sogleich in mein Haus und in meine Arme geeilt zu seyn, weil sie hier die Trauerbesuche am besten ausdauren könne. »Es ist, Liebe! (fuhr sie fort) doch in der That ein höchst schätzbares Wesen um einen edeldenkenden Mann, wie Ihr Cleberg ist; denn ich habe nichts von der feinen Bemühung übersehen, mit welcher er mich von meinem schwarzen Gesichtspunkt ableitete, und ich danke ihm die Kraft, der Wahrheit wieder in das Gesicht sehen zu können; denn es ist doch so: Nur Wahrheit ist gut, und macht glücklich! – wohl nicht allezeit wenn man von ihr spricht, aber doch immer wenn man auf sie achtet und nach ihr wandelt. – Ich sagte ihr dann, daß mich sehr freue, daß Clebergs Art, mit den Menschen umzugehen, auch bei ihr eben so sicher wirkte, wie ich es an mir erfahren hätte; und erzählte, wie er es angriff, meinen Kummer über Ihre Abreise zu unterbrechen und zu lenken. – Sie erwiederte: »Es ist vortreflich, liebe Frau! daß Cleberg einen so edeln Gebrauch von seiner Obergewalt des Redens und Handelns macht. Aber, Rosalia! an Ihrer Stelle würde ich doch dem Mann die ewige Superiorität nicht lassen, und in der ersten Gelegenheit würde ich mich auf eigenen Flügeln in die Höhe schwingen, ohne daß er meinen Weg bezeichnete.« – Ich fragte sie hier sogleich freimütig, wie der Gedanke sich zeigte: Ob sie nicht glaube, daß es leichter sey, einen solchen Plan gegen den Mann der Freundinn zu machen, als bei dem eignen Gatten durchzusetzen? – besonders bei einem Mann, wie Cleberg. – Und warum sollte ich ihm nicht lieber die Freude gönnen, daß ich dem seidenen Faden gerne folge, den er mit Schonung und Liebe mir darbietet, als daß ich, meiner Eigenliebe zu gefallen, ihm ein Vergnügen zerstörte?

»Sie zeigen mir, Rosalie! daß Sie sich als Gattinn betragen, wie Sie als Freundinn sind; nie im Voraus etwas wegnehmen – nichts unterbrechen. Sie würden aber auch, glaube ich, als Regentin nie Ihre Gerechtsame mit dem Degen in der Faust vertheidigt haben – nie einem ehrgeitzigen Nachbar zuvorgekommen seyn!« –

Das folgt gar nicht aus meinem Betragen; denn ich würde als Regentinn die Stelle eines Mannes bekleidet, und also auch männliche Gesinnungen gefaßt haben.

»Ich glaube auch, Beste! daß Sie mit Clebergs Geist besser zurecht kommen, als es durch mich gehen würde; aber mit einem andern Manne würden Sie auch einen andern Gang der Ideen haben. – Doch ist es gut, daß Sie alles für den süßen häuslichen Frieden thun. – Der Himmel stiftete die Verschiedenheit der Charaktere, und er selbst liebt die Mannichfaltigkeit, aus welcher die schönsten Harmonieen entspringen.« Ich erwiederte: Ich glaube auch, daß die kleinen Züge der Verschiedenheit unserer Denkart den Grund zu daurender Melodie gelegt haben.

»Ja, ja, Sie sind die vortreflichste zweite Stimme, die ich kenne, und es mag oft geschehen, daß ein fremder Meister sich wundert, daß Sie nicht die erste haben, besonders wenn er den genauen und reinen Takt bemerkt, der Sie unterscheidet.« Ich mußte lachen, und antwortete: Dieses Zeugnis freut mich ungemein, weil es beweist, daß ich nie zur Unzeit einfalle.

 

Still! Still! sagte sie, als die Männer aus der Bibliothek zu uns zurückkamen. – Sie war den ganzen übrigen Tag voll von ihrer gewohnten Heiterkeit; nur als sie mit den Kindern gebetet hatte, kam sie mit gerührter Miene und rothen Augen wieder zu uns. – Adieu.


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