Artur Landsberger
Haß
Artur Landsberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Wie der junge Stoelping die Steeplechaise verritt

Die Startnummern für das Internationale Jagdrennen, das als Hauptereignis des Tages auf dem Programm der Grunewaldrennbahn stand, wurden aufgezogen.

Dreizehn Pferde gingen für das wertvolle Rennen an den Start.

Mit seinen schweren Sprüngen und einer Distanz von 5000 Metern gab es nur sicheren Springern und ausgesprochenen Stehern eine Chance.

Das Feld setzte sich aus vier Pferden deutschen, je zwei Frankreichs und des verbündeten Österreich, einem italienischen und drei amerikanischen Steeplern zusammen. Ferner beteiligten sich zum ersten Male – und darin lag das Ereignis des Tages – auch Pferde aus englischen Ställen an einem deutschen Rennen. Und dies Ereignis war nicht nur sportlicher Natur.

Schon als den Mitgliedern des Unionklubs der Antrag vorgelegen hatte, das Rennreglement, das besagte, »dies Rennen ist offen für Pferde aller Nationen, mit Ausnahme der des Königreichs England«, durch Streichung dieses Zusatzes zu ändern, war es zu lebhaften Debatten gekommen. Und als der Zusatz schließlich bei 48 Stimmenthaltungen gefallen war, erklärte der Führer der Opposition, Dr. von Stoelping:

»Ich hoffe, die Engländer werden soviel Takt aufbringen und uns verschonen.«

Und wirklich verschonten die Engländer die deutschen Bahnen mit ihrer Gegenwart und blieben den Rennen fern, bis – ja, bis eben die Werte der Rennen beinahe um das Doppelte stiegen. Da kamen sie, obschon sie wußten, daß man sie nicht haben wollte. Und obschon deutsche Ställe, auch wo ihre Aussichten die besten waren, englischen Rennen fern blieben.

Mr. Harrison, ein englischer Sportsmann, hatte seinen besten Steepler »Lori« über den Kanal entsandt, der ihm schon manches wertvolle Rennen gewonnen hatte. Auf ihn in erster Linie konzentrierte sich heute auf der Grunewaldrennbahn das Interesse.

Ephrussi, der aus Paris gekommen war, um dem Laufen seiner Wunderstute »Mon Désir« beizuwohnen, stand mit dem Generalstaatsanwalt von Stoelping auf der Tribüne und betrachtete durch sein Rennglas die Tausende von Menschen auf dem grünen Rasen.

»So sah es bei uns vor dreißig Jahren an einem ganz großen Tage in Auteuil aus!« sagte er wehleidig zu Stoelping, und der erwiderte:

»Und so wird es wieder werden. Ihr seid auf dem besten Wege dahin.«

Aber Ephrussi schüttelte resigniert den Kopf.

»Ich werde es nicht mehr erleben! Und dann, selbst wenn es wiederkommt, es wird nie mehr das werden, was es war. Es hat das Ursprüngliche verloren. Es kommt aus zweiter Hand. Ist eine Kopie, während es vor fünfzig Jahren noch Original war, das alle anderen Länder möglichst getreu nachzubilden suchten. – Siehst du, wir haben es ohne Groll mit angesehen, daß ihr uns auf dem Weltmarkt überflügelt habt. Wir sind nun mal nicht solche Krämerseelen wie eure »Freunde« jenseits des Kanals; unsere Genußfreudigkeit ist eine vitale und erschöpft sich nicht im Couponschneiden. Auch daß ihr anfingt, uns wissenschaftlich zu überflügeln, haben wir neidlos mitangesehen. Wir hatten ja doch immer die Krone; etwas, worum uns die Welt beneidete, das Höchste, was niemand uns nachmachte: die Französin! Und glaube mir, solange der höchste Stolz einer Nation ihre Frauen sind, ist es nicht schlecht um sie bestellt. Die Französin, das war ein Begriff, der bei jedem Franzosen ein Gefühl auslöste, das sich einfach nicht beschreiben läßt. Für das Vollendete hat die Sprache keine Worte. Aber so oft man um die Wohlfahrt der Nation besorgt war, ob es nun hieß, wir gehen in unseren Kolonien, im Handel, in der Kunst, ja selbst in der Produktion unseres Weinbaues zurück, – gewiß, es ging einem nahe, – aber immer sagte man sich: Laß nur! In etwas, da bleiben wir obenan. Und man war wieder froh; denn man dachte – an die Frauen! – Und heute . . .?«

Er wies wieder auf den grünen Rasen, auf die Menschen, die zu Tausenden da unten hin und her wogten – »sieh dir die Frauen an! Es gab eine Zeit, da stand ich hier und habe über sie gelacht, wie sie ihre Pariser Moden spazieren führten. Wie die Modelle, denen das Kleid alles, der Mensch, der drin steckt, nichts bedeutet. Es waren im besten Falle zwei absolut voneinander getrennte Dinge: das Kleid und der Mensch, und ich hatte immer das Gefühl, daß diese Frau qualvoll darunter litte, nicht mehrere ihrer Kleider gleichzeitig ausführen zu können. Und jetzt, wie selbstverständlich sind ihnen diese Dinge geworden. Zeig mir da unten auch nur eine Frau, die mit dem, was sie trägt, nicht ein scheinbar unzertrennliches Ganzes bildet. Und das ist es, was bei jedem Kunstwerk die Vollendung ausmacht! Daß ein natürliches Empfinden aus tausend Dingen gefühlsmäßig eine Einheit schafft, so daß man sich die Teile voneinander losgelöst gar nicht denken kann! Und darum hat man ja bei uns auch immer darüber gelacht, wie sich die deutschen Frauen auf die neueste Mode stürzten, während sich bei uns, wie eben jetzt bei euch, jede Frau im Rahmen einer bestimmten Moderichtung ihre eigene Mode macht! Glaub nicht, daß das nur äußere Dinge sind. Das Stilgefühl ist eine verteufelt innerliche Sache. Wer Stil hat, hat auch Takt. Takt bei einer Frau, das ist schon immer eine gewisse Gewähr für ein Glück des Mannes.«

»Aber lieber Ephrussi,« erwiderte Stoelping, »du siehst entschieden zu schwarz! Das alles besitzt die Französin auch heute noch.«

»Sie ist im Begriff, es wiederzugewinnen. Aber nicht aus sich heraus! Ich könnte dir ein Dutzend unserer ersten Damenschneider zeigen, die da unten herumlaufen und an deutschen Frauen ihre Studien machen. Noch vor dreißig Jahren war das umgekehrt; da fuhren eure Schneider nach Paris. Aber wir haben zuviel gelitten. Frauen, die leiden, fangen an, sich zu vernachlässigen und hören schließlich ganz auf, auf sich zu achten. Das äußert sich schon im Gang.«

Und da der alte Stoelping sich mit den Pferden beschäftigte und nicht auf ihn hörte, so fuhr er fort:

»Schade, daß dir der Sinn für die Frauen abgeht, lieber Stoelping; bei mir hat er sich mit den Jahren immer mehr entwickelt.«

Jetzt schob er plötzlich Glas und Kopf mit einem Ruck nach rechts und rief:

»Da! Sieh diese Blondine! Fabelhaft! Ganz fabelhaft! Für eine Frau mit solchem Gange brächte ich es heute mit meinen 72 Jahren noch fertig, eine Dummheit zu machen!«

Nur um etwas zu sagen, erwiderte Stoelping:

»Da bewerten wir unsere Frauen denn doch nach etwas anderen Grundsätzen.«

»Möglich, daß ihr das tut. Richtig ist es darum noch nicht. Für den Wert eines Mannes mag Geist und Charakter entscheidend sein, für den Wert einer Frau, da ist es der Gang und die Schlankheit ihrer Gelenke.«

»Mir scheint wahrhaftig, du kommst der Frauen und nicht des Rennens wegen nach Berlin,« sagte Stoelping und musterte die Pferde, die eben vor der Hofloge paradierten.

»Sowohl als auch,« erwiderte Ephrussi, »jedes zu seiner Zeit.«

»Na, dann wäre es wohl zeitgemäß, daß du dich jetzt für das Rennen und deine Pferde interessierst.«

»Wo ist dein Sohn? – welches ist ›Ingo‹?« fragte er Stoelping.

Stoelping wies auf einen Fuchshengst, auf dem der junge Stoelping in der Uniform der dritten Garde-Ulanen saß.

»Schade!« sagte Ephrussi.

»Was meinst du?« fragte Stoelping.

»Mir wäre lieber, meine Stute würde von deinem Sohn als von dieser ›Lori‹ geschlagen. Aber nach diesem Aufgalopp wird es wohl bei dem Wunsche bleiben.«

Die elektrischen Uhren gegenüber den Tribünen, die mechanisch die Veränderung in den Odds jedes Pferdes im Augenblick der Entnahme eines Tickets am Totalisator angaben, zeigten, daß Ephrussis »Mon Désir« vor dem Graditzer Hengst »Hagen« und dem Amerikaner »Oncle Tom« Favorit war. Der Engländer war, obgleich er überall als erster getippt und – wenn er über die Sprünge kam – nach Form und Klasse nicht zu schlagen war, nicht stark gewettet. Auch bei den Buchmachern nicht. So sehr man mit seinem Siege rechnete, so brachte man es doch nicht über sich, auch nur durch sein Vertrauen den Sieg eines Pferdes zu unterstützen, das die verhaßten Farben trug. Nur ein paar Professionals überwanden die Scheu und legten das Geld auf den Engländer.

Ein mäßiger Start. Es wurde abgeläutet. Das Rennen war im Gange.

Nach viertausend Metern waren außer »Oncle Tom«, »Ingo«, »Mon Désir« und »Lori« alle übrigen geschlagen oder durch Sturz aus dem Rennen ausgeschieden. Diese vier galoppierten, wie es den Anschein hatte, alle gleich frisch; Gurt an Gurt kamen sie über den letzten Steinwall. Hier griff als Erster Mr. Sopp auf »Oncle Tom« zur Peitsche, so daß der amerikanische Steepler schnell zwei bis drei Längen vor dem Felde lag. Auch »Mon Désir« und »Ingo« wurden jetzt geritten. Nur »Lori«, die zwischen beiden lag, ging noch überlegen und sah schon hier, fünfhundert Meter vor dem Ziel, wie der sichere Sieger aus. Sein Reiter hatte die Hände noch voll, und es schien, daß er sein Pferd nur anzufassen brauchte, um es von »Ingo« und »Mon Désir« loszubekommen und bei »Oncle Tom« vorbeizubringen.

So kam das kleine Feld, dem der zum Teil aufgepullte Rest in weitem Abstand folgte, an die Tribünen.

In ungeheurer Erregung stand die Menge; schrie und heulte: »Ingo!« – »Mon Désir!« dröhnte es über den grünen Rasen den Kämpfern entgegen. Und dazwischen erklang es: »Der Engländer gewinnt!«

Die drei kamen dem führenden Amerikaner immer näher; vor dem Totalisator trennte sie nur noch eine halbe Länge; kein Zweifel, der Amerikaner war geschlagen. »Ingo« und »Mon Désir« klebten aneinander.

»Ingo!« – »Mon Désir!« brüllte das Publikum wie rasend, sprang auf Stühle und Bänke, beugte sich vor und fuchtelte wild mit den Armen. Und dazwischen tönten wieder die Rufe:

»Der Engländer!!« – »Wie er will!« –

»Ingo!« – »Mon Désir!« tobte die Menge.

Hundert Meter vorm Ziel.

Es scheint, als läßt »Mon Désir« nach; sein Reiter hockt auf dem Hals des Pferdes und schiebt es mit letzter Kraft vorwärts; aber jeder sieht, es ist mit seiner Kraft zu Ende. Da hebt Hill auf »Lori« die Peitsche, und im selben Augenblick ist der Kopf des Engländers auch schon vorn.

Das Publikum erkennt die Gefahr, sieht den Franzosen geschlagen. Ein letztes Mal rast es:

»Ingo!« »Stoelping!« und vertausendfacht: »Stoelping!«

Wie gellende Hilferufe dringen die Schreie zu ihm hinüber.

Das Gefühl, sich auf den Engländer zu stürzen, ihn aus dem Sattel zu reißen, treibt ihn, verzehnfacht seine Kraft. Er schiebt den völlig ausgepumpten »Ingo« Hand um Hand breit vorwärts.

Zehn Meter vorm Ziel.

»Lori« ist über Halslänge vor »Ingo« in Front. »Mon Désir« und »Oncle Tom« sind geschlagen. Die Schlacht verloren.

Die Erregung des Publikums wächst zur Revolte. Es stürzt von den Tribünen herunter, brüllt »Stoelping«, und drängt zur Barriere.

Drei Meter vorm Ziel.

Stoelping steht im Sattel. Ihm ist, als rase hinter ihm ein Feuermeer her, das ihn vorwärts treibt.

»Stoelping! Stoelping!!«

Er kann nicht siegen.

Da, mit äußerster Kraft – jede Muskel ist gespannt – holt er das letzte aus »Ingo« heraus. Einen Augenblick lang sieht es aus, als wenn er das Pferd unter sich in die Höhe hebe – und jetzt, ein gewaltsamer Ruck – er wirft es nach vorn – oder seitwärts . . .

»Stoel . . .«

Blitzartig bricht der Ruf ab; Tausenden bleibt der Atem fort, steht das Herz still – sie stehen starr, betäubt, den Mund offen; Augenblicke lang rührt sich nichts.

»Karambolage!« sagt völlig ruhig und nicht übermäßig laut Ephrussi zum alten Stoelping; aber in der Totenstille hören's viele.

Karambolage wiederholt erst einer, dann viele.

Und auf der Bahn – ein Meter vorm Ziel – liegen Hill und Stoelping unter ihren Pferden.

»Mon Désir« beschreibt einen kleinen Bogen um sie herum und geht vor dem aufgeprellten »Oncle Tom« als Erster durchs Ziel.

Schnell stellt sich heraus, daß weder die gestürzten Reiter, noch ihre Pferde zu Schaden gekommen sind.

Als »Mon Désir« zur Wage zurückkehrt, bricht endloser Jubel los, und zwischen dem »Hoch!« und »Bravo!« hört man immer wieder die Rufe »Es lebe Frankreich!« die von den Tribünen herab mit kräftigem »Vive l'Allemagne!« beantwortet werden.

Als Stoelping, der nur unerhebliche Hautabschürfungen davongetragen hat, am Arm seines Trainers, bleich wie der Tod, die Bahn verläßt, umringt ihn die Menge und jubelt ihm zu.

Er sieht und hört nicht, was um ihn herum vorgeht; man legt ihn in ein kleines Zimmer neben der Wage und läßt ihn auf seine Bitte allein.

Neben dem Richterpavillon geht der schwarze Ball hoch. Mr. Harrison, der Besitzer von »Lori«, legt Protest ein.

Ein Skandal bricht los.

Die Richter treten zusammen.

Jeder weiß es: Lori ist der moralische Sieger. Ohne die Karambolage hätte »Mon Désir« nie gewonnen. Aber es liegt kein Grund vor, ihn zu disqualifizieren. Er hat die Pferde vor sich weder gekreuzt, noch angeritten. Der Protest wird zurückgewiesen.

Der alte Stoelping sucht seinen Sohn. Der Trainer weist ihm das Zimmer.

»Was soll nun werden?« fragt er, ohne sich nach dem Befinden seines Sohnes zu erkundigen.

Der liegt noch ausgestreckt auf der Chaiselongue und erwidert, obschon er genau weiß, was die Frage bedeutet.

»Wieso?«

»Ich habe vom Richterpavillon aus genau gesehen – aber nicht nur ich, auch Ephrussi –«

Stoelping richtete sich hoch.

»Ihr habt . . .?« fragt er und reißt die Augen weit auf.

»Ganz deutlich!« erwiderte der Alte »und wer weiß, ob nicht andere auch . . .« – dann trat er nahe an ihn heran, hob die Arme und sagte vorwurfsvoll:

»Wie konntest du nur!«

Stoelping saß jetzt auf der Chaiselongue, stützte den Kopf in die Hand, seufzte und sagte:

»Ich weiß es selbst nicht. Ich sah, daß ›Lori‹ gewann und aus meinem Pferde nichts mehr rauszuholen war. Ich war verzweifelt. Der Engländer durfte nicht gewinnen. Tausende von Stimmen, die von den Tribünen kamen, sagten's mir. Schon hatte der Engländer den Kopf vor. Ich machte übermenschliche Anstrengungen, aber ›Ingo‹ war ausgepumpt. Die Distanz wurde größer; schon war es ein Hals, wenn nicht mehr, der mich von ihm trennte. Da wußte ich nicht, was ich tat; der ohrenbetäubende Lärm, vor mir das Ziel – ich faßte also mein Pferd, hob es mit letzter Kraft hoch und warf es zur Seite. – Was dann geschah, weißt du.«

»Leider!« erwiderte Stoelping. »Ein Mensch in deiner Stellung und deinem Alter, der sich so wenig in der Gewalt hat, bedeutet geradezu eine Gefahr. Und wenn es zehnmal mein Sohn ist, so ist es meine Pflicht, dieser Gefahr vorzubeugen.«

»Wie?« rief Stoelping entsetzt, »das heißt doch nicht etwa . . .«

»Allerdings! Das heißt, daß ich ernstlich erwägen werde, ob du nach diesem Vorfall noch weiter im Amte bleiben kannst.«

Stoelping sprang auf.

»Vater! ist das dein Ernst? Eben, wo ich anfange, mich durchzusetzen! Was hat denn mein Amt damit zu tun?«

»Es handelt sich um die Zuverlässigkeit des Menschen, die ist an kein Amt gebunden, die äußert sich in allem, und versagt sie, so ist es ohne Belang, wo sie versagt.«

»Mit einer Ausnahme,« erwiderte Stoelping, »bis auf einen Fall, in dem kein guter Deutscher objektiv sein kann und will.«

»Kein deutscher Offizier hätte getan, was du tatst!« widersprach Stoelping. »Du hättest dich, wie die meisten anderen, weigern können, mit einem Engländer zusammen zu starten. Das wäre durchaus verständlich und korrekt gewesen; genau wie du es im Mai in Longchamps tatest.«

»Aber, Vater,« gab ihm Stoelping zur Antwort, »das war ein 10 000-Frank-Rennen, und hier handelte es sich um 150 000 Mark!«

Da zuckte der Generalstaatsanwalt zusammen; hielt sich die Hand vors Gesicht; wieder war es die Ähnlichkeit mit den Brüdern Smith, die ihn erschreckte. Das war dasselbe Blut, aus dem diese Gesinnung sprach. Kein Vorbild, keine Erziehung hatte daran etwas geändert.

Der alte Stoelping ging auf den Sattelplatz und suchte Mr. Harrison. In dem kleinen Raum, der zur Garderobe führte, fand er ihn im Gespräch mit den Herren des Rennvorstandes. Erregt redete er auf sie ein.

Ein höherer Offizier trat dicht an Harrison heran und sagte erregt:

»Wenn das etwa heißen soll, daß Herr von Stoelping absichtlich . . .«

»Ob absichtlich oder nicht,« unterbrach ihn Harrison, »der Effekt bleibt derselbe. Sie werden zugeben, das ›Oncle Tom‹ das Rennen sicher hatte.«

»Verzeihen Sie, meine Herren,« sagte Stoelping und trat an die Gruppe. »Mr. Harrison, darf ich Sie um eine Unterredung bitten?«

Alle sahen auf.

Stoelping und Harrison gingen den kleinen Flur entlang, in ein Zimmer, das an die Wage stieß. Nur ein Tisch und ein paar Sessel standen drin; an der Wand hingen Rennbilder und Photographien berühmter Pferde.

»Mister Harrison,« sagte Stoelping »Sie hätten ohne die unglückliche Karambolage das Rennen gewonnen.«

»Das ist ganz sicher,« erwiderte Harrison.

»Wir müssen zunächst froh sein, daß die Reiter und Pferde keinen Schaden genommen haben.«

»Das ist für mich kein Äquivalent.«

»Soll's auch nicht sein. Ich habe Ihnen im Auftrage meines Sohnes vielmehr zu eröffnen, daß er Ihnen den Wert des Rennens ersetzen wird.«

»Das ist sehr gentlemanlike von Ihrem Herrn Sohn,« sagte Harrison und drückte Stoelping die Hand.

Stoelping begab sich wieder zu seinem Sohn, der eben im Begriff war, das Zimmer zu verlassen.

»Einen Augenblick!« sagte der Alte, »ich habe mit Harrison gesprochen. Daß dein ›Ingo‹ nach links wegbrach und dadurch den Engländer um den Sieg brachte, ist erwiesen. Es ist nicht mehr als billig, daß du ihm den Verlust ersetzt.«

»Was?« rief Stoelping, »welchen Verlust?«

»Auf das erste Pferd fallen nach sämtlichen Abzügen etwa 85 000 Mark. Ich habe Mr. Harrison den Betrag in deinem Namen für morgen vormittag zugesagt.«

Stoelping glaubte zu träumen.

»85 000 Mark – in meinem Namen?« wiederholte er eintönig.

»Es ist etwas hart, ich gebe es zu, aber es gibt keine andere Möglichkeit, die Angelegenheit anständig zu erledigen und geräuschlos aus der Welt zu schaffen.«

Stoelping war nahe an seinen Vater herangetreten. Wie im Traume sagte er:

»Und du hast diesem Harrison das schon zugesagt?«

»Diesen Augenblick.«

»Und er . . .?«

»Wie?«

»Wie nahm er es auf?« fragte Stoelping und zitterte vor Erregung.

»Welche Frage!« erwiderte der Alte. »Er ist Engländer« – dabei ließ er seinen Jungen nicht aus den Augen –, »du kannst dir die Frage also selbst beantworten. So sehr er als Engländer dein Verhalten während des Rennens begreift und, sofern es nur sein Vorteil gewesen wäre, auch gebilligt hätte, so willkommen ist ihm jetzt natürlich deine Großmut.«

Damit war dem jungen Stoelping jede Widerrede abgeschnitten. Er nahm die Hand seines Vaters und dankte ihm.

 


 << zurück weiter >>