Artur Landsberger
Haß
Artur Landsberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel

Wie sich der alte Stoelping mit Williams Vettern auseinandersetzte

Der alte Stoelping wurde in Paris von seinen Freunden, dem Advokaten Dubray und dem Sportsmann Ephrussi erwartet. Er dankte ihnen, daß sie gekommen waren und erzählte ihnen den Anlaß seiner Reise.

»Ich habe hier eine für meinen Sohn wichtige Besprechung mit zwei Herren, mit denen ich, da es Engländer sind, nicht ohne Zeugen verhandeln will.«

»Etwas Prozessuales?« fragte Dubray.

»Nein, rein privater Natur. Aber ihr werdet gleich im Bilde sein, wenn ihr diesen Brief lest.« Und er entnahm seiner Mappe ein Kuvert, das er Dubray reichte. Der nahm den Brief heraus und las:

»Einschreiben.

London W, den 12. November 1949.

Herrn Generalstaatsanwalt von Stoelping.

Wir teilen Ihnen hierdurch mit, daß unser Vater, Herr Edward Smith, der Bruder des Herrn William Smith, des Vaters Ihres Adoptivsohnes William, jetzigen Staatsanwalts Willi von Stoelping, im vorigen Monat in Birmingham, 69 Jahre alt, gestorben ist.

Wir, die Unterzeichneten, seine Söhne, haben nun in den hinterlassenen Papieren unseres Vaters ein Schriftstück gefunden. Aus diesem Schriftstück geht hervor, daß unser Vater am 15. September 1914 für sich und seine Erben gegen eine einmalige Abfindung von zehntausend Pfund auf das Erbrecht verzichtet hat, das ihm am Nachlaß seines Neffen William, alias Willi von Stoelping, für den Fall zugestanden hätte, daß dieser ohne Testament und ohne gesetzliche Erben näheren Grades gestorben wäre.

Ein solcher Verzicht von seiten des Herren Edward Smith konnte rechtsgültig nur für seine Person, nicht aber für uns, seine damals minderjährigen Erben, erfolgen, die er nach englischem Recht wohl berechtigen, nicht aber verpflichten konnte. In einem Verzicht auf ein bedingtes Recht liegt zweifellos eine Verpflichtung im Sinne des Gesetzes.

Wir teilen Ihnen daher mit, daß wir den Verzicht nicht anerkennen, indes bereit sind, mit Ihnen zwecks Herbeiführung einer Verständigung zu verhandeln, und zwar auf einer Basis, die der damals zugrunde gelegten analog läuft. Um so mehr, als wir keinerlei Interesse daran haben, unseren Vetter William über seine Herkunft aufzuklären.

Falls unser Schweigen und unser Verzicht auch heute noch für Sie den Wert und die Bedeutung wie vor 25 Jahren hat, sehen wir Ihren Vorschlägen innerhalb einer Woche entgegen.

Hochachtungsvoll

Edi Smith. Frank Smith.«

Dubray reichte Stoelping den Brief zurück und sagte:

»Pfui Deibel, das nennt man auf französisch Erpressung.«

»Auf deutsch auch,« erwiderte Stoelping. »Aber was hilft's, ich werde mit diesen Gentlemen verhandeln müssen. Ihr beide habt mir damals geholfen, die Adoption über alle staats- und vermögensrechtliche Schwierigkeiten hinweg in einer Form zu vollziehen, die den kleinen William tatsächlich zu unserem Sohn machte. Ihr könnt nicht ermessen, was ihr an meiner Frau und mir damit Gutes getan habt.«

»Ich bitt' dich, heut' nach 25 Jahren . . .«

». . . bin ich euch noch genau so dankbar wie damals,« fiel ihm Stoelping ins Wort. »Damals habt ihr vor allem mein Gewissen beruhigt; nun, ich gebe zu, das wäre an der Seite meiner Frau mit der Zeit vielleicht auch so zur Ruhe gekommen. Aber die Freude, das Leben eines Menschen zu gestalten, die danke ich in erster Linie euch.«

»Deine Zufriedenheit ist uns der schönste Lohn,« sagte Ephrussi, »und wenn wir dir irgend nützlich sein können, du weißt, wir tun es gern.«

Stoelping gab ihm die Hand.

»Ich weiß es!« sagte er, »und ich bin, wie ihr seht, unbescheiden genug, eure Güte nochmals in Anspruch zu nehmen. Diese Kerls hier« – und dabei hielt er den Brief noch immer in der Hand – »müssen natürlich abgefunden werden. Dem Gefühle nach überlieferte ich sie lieber dem Staatsanwalt. Aber was hilft's, ich täte heute alles, um mir den Jungen, den ich mir aus meinem Leben einfach nicht mehr wegdenken kann, zu erhalten.«

»Und du meinst, er würde es sehr schwer nehmen, wenn er seine wahre Abkunft erführe?« fragte Dubray.

»Nicht auszudenken!« wehrte Stoelping leidenschaftlich ab. »Er ist seinem Gefühl nach Deutscher. – Na, und was das heißt, einem Deutschen plötzlich zu erklären: ›Du bist ein Engländer!‹ ich glaube, das könnt ihr euch denken!«

Dubray nickte.

»Daß ich zur Erledigung nach London fuhr, kam nicht in Frage. Einmal fahre ich ohne zwingendsten Grund prinzipiell nicht nach England; dann aber hätte das zu interessiert ausgesehen und vermutlich die Erhöhung ihrer Forderung von zehn- auf zwanzigtausend Pfund zur Folge gehabt.«

»Da magst du die Gesellschaft schon richtig einschätzen,« sagte Ephrussi.

»Das Einfachste und Gegebene war natürlich, daß ich den beiden Ehrenmännern schrieb: ›Sie äußern Wünsche; ich teile Ihnen mit, daß ich täglich von zehn bis zwölf in meinem Berliner Bureau – Alt-Moabit 111 – zu finden bin.«

»Das wäre die richtige Antwort gewesen!« entschied Dubray. Aber Stoelping war anderer Meinung.

»Gewiß. Aber ich wollte sie nicht in der Nähe meines Jungen haben. Die Situation zeugt oft eigene Gedanken. Wer weiß, auf was die da nicht alles verfallen wären, wo sie das Opfer in erreichbarer Nähe hatten. So kam ich auf Paris. Schon weil ich hier so gute Freunde wie euch habe! Ich telegraphierte heute früh, daß ich abends in Paris zu tun hätte; wenn die Angelegenheit ihnen wichtig genug erscheine, sollten sie herüberkommen. Noch ehe ich abreiste, erhielt ich ein Telegramm, daß sie um 6 Uhr 30 im Hotel Chatam zu meiner Verfügung ständen.«

»Fahren wir also ins Chatam!« schlug Dubray vor und sah nach der Uhr. »Es ist bereits ¾9.«

»Aber nein!« widersprach Stoelping, »nur kein Interesse zeigen. Sie dürfen nicht glauben, daß ich ihretwegen in Paris bin. Sie müssen vielmehr den Eindruck haben, als wenn ich die Angelegenheit so nebenbei, zwischen meinen Geschäften erledige.«

»Das scheint mir auch gewitzter,« entschied Ephrussi. Und Stoelping sagte:

»Ich schlage also vor, daß wir in aller Gemütsruhe in die Oper und dann zu Paillard essen gehen. Gegen zwölf bestelle ich sie mir dann ins Hotel – in meins natürlich.«

»Wird das nicht etwas reichlich spät für die Herren sein?« fragte Dubray.

»Gewiß,« bestätigte Stoelping, »spät und unbequem. Sie würden um die Zeit einen Aufenthalt in irgendeinem Nachtlokal auf dem Montmartre wahrscheinlich vorziehen. Aber es kommt dadurch zum Ausdruck, daß ich die Zeit bestimme, nicht sie, und zwar ohne Rücksicht, ob sie ihnen paßt. Wenn sie dann um Mitternacht antreten, wird mein Diener sie empfangen und sie ersuchen, zu warten, bis wir kommen. Und ihr werdet einmal sehen, wie artig sie das, vielleicht nicht ohne die Zähne aufeinander zu beißen, tun werden. Ich gebe ohne weiteres zu, daß das weder höflich, noch deutsch ist – es ist englisch! Jedenfalls aber die allein richtige Methode, in der man sie behandeln muß.«

Sie fuhren also in die Oper. Von der Oper aus fuhren sie zu Paillard, sprachen vom unsterblichen Balzac, von Kunst und Politik, bis Dubray auf die Uhr sah und feststellte, daß es mittlerweile ¼1 geworden war.

Als sie gegen ½1 ins Hotel Meurice kamen, wurde ihnen schon im Vestibül gemeldet, daß zwei Herren in der Hotelbar auf Stoelping warteten.

»Sagen Sie den Herren, ich erwarte sie in meinem Salon,« sagte Stoelping und stieg mit Ephrussi und Dubray in den Fahrstuhl.

»Sie werden sich revanchieren,« meinte Dubray, »und nun uns warten lassen.«

Stoelping sah nach der Uhr.

»Wenn sie in zehn Minuten nicht oben sind, lasse ich ihnen sagen, daß ich sie heute nicht mehr empfangen kann und bestelle sie für morgen um acht, – vorausgesetzt, daß ich wirklich bis zu meiner Abreise über euch verfügen kann.«

Sie waren kaum oben und standen noch, da meldete der Diener auch schon:

»Die Mister Smith!«

Zwei englische Typen, – gut gekleidet, bartlos, schmal, lang, unbekümmert, mit kalten Augen, schmalem Mund, die Hände in dem eng anliegenden Smoking, – traten ins Zimmer.

»Good evening!« sagte der eine.

»Verzeihung,« erwiderte Stoelping. »Wir befinden uns hier in Paris, ich möchte Sie daher bitten, die Verhandlung in französischer Sprache zu führen.«

Die beiden Smith sahen sich an.

»Wenn es sein muß – meinetwegen.«

Und was nun folgte, vollzog sich in französischer Sprache.

Stoelping bot seinen Freunden Sessel an, die etwas seitwärts neben einem Schreibtisch standen. Mit einer Handbewegung forderte er die Brüder Smith auf, sich zu setzen. Er selbst stand an die Wand gelehnt und betrachtete mit großem Interesse die beiden Brüder, denen allmählich zumute war, als wenn man sie, die kamen, um zu fordern, einem Verhör unterziehen wollte.

Ein paar Augenblicke schien es, als wenn Stoelping mit seinen Gedanken wo anders war. Das kam deutlich in seinem Gesicht zum Ausdruck. Etwas schreckhaft Scheues lag in seinem sonst so klaren und bestimmten Blick. Eine Ähnlichkeit zwischen diesen Menschen und seinem Sohne war ihm aufgefallen. Nicht, daß er sie bestimmen und bezeichnen konnte. Stirn, Auge, Mund und Haar waren verschieden. Auch in der ganzen Erscheinung glichen sie sich nicht. Und doch war da ein Zug, den er dann und wann auch bei seinem Jungen beobachtet hatte. Längst nicht so ausgeprägt und in dieser Schärfe wie hier – kaum angedeutet, aber doch als Ausdruck einer Anlage oder eines Gefühls, das aus derselben Quelle, aus der Gleichheit des Blutes kam. Und er sagte sich: das haben Erziehung und Umgebung gemildert. Ohne sie sähe er heute aus wie die. Das störte und verwirrte ihn im ersten Augenblick.

Dann aber fand er seine Beherrschung wieder.

»Nun, wir wissen, wer wir sind,« begann er. »Eine Vorstellung erübrigt sich. Meine Freunde, die Herren Ephrussi und Dubray, werden Sie nicht stören; denn ich denke mir, daß Sie nichts vorbringen werden, was das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen hat.«

Dieser geschickte Hinweis setzte die Brüder Smith in Verlegenheit.

»Gewiß nicht,« erwiderte der eine, der der Ältere schien, »nur dachten wir, daß Sie ein Interesse an der Geheimhaltung haben.«

»Meine Freunde wissen das; und das genügt. Die Herren sind Franzosen. Sie werden daher schweigen, auch ohne daß ich sie dafür bezahle. Im übrigen bitte ich Sie, sich meiner Interessen wegen nicht zu inkommodieren.«

»Es wäre vielleicht möglich, die Angelegenheit wie Gentlemans zu erledigen,« meinte der Jüngere.

»Das wird schwer sein,« parierte Stoelping; »denn dazu sind die deutschen und englischen Begriffe vom Gentleman denn wohl doch zu verschieden. Bei uns gehört dazu vor allem Charakter, bei Ihnen ein gutsitzender Frack.«

»Immerhin,« wich Smith aus und wies auf die Franzosen, »sind es doch Familienangelegenheiten . . .«

». . . die dadurch, daß Sie sie geschäftlich auszubeuten suchen, jeden familiären Charakter verloren haben,« fiel ihm Stoelping ins Wort. »Im übrigen, meine Herren,« und er zog die Uhr heraus, – »verlieren wir die Zeit nicht mit Präliminarien. Es ist jetzt zehn Minuten nach halb eins. Punkt ein Uhr habe ich ein Rendezvous am Place Vendôme. Für Ihr Geschäft bleiben uns also zwanzig Minuten.«

»Dann empfiehlt es sich wohl, es auf morgen zu vertagen,« schlug Smith vor.

»Ich bedaure,« erwiderte Stoelping, »mein Reiseprogramm dieses Geschäftes wegen nicht ändern zu können. Im übrigen werden Sie gleich sehen, wie schnell wir uns verständigen werden. Zunächst eine Frage.«

»Bitte.«

»Sie sind also entschlossen, Ihren Herrn Vater zu desavouieren?«

Die Brüder Smith grinsten.

»Auf die Frage waren wir vorbereitet,« erwiderte der Ältere und zog ein Schreiben aus der Tasche.

»Ein Schriftstück, das uns unser Vater hinterlassen hat,« sagte er und blätterte, »und in dem auch von dieser Angelegenheit die Rede ist. Hier, auf Seite 5, heißt es: ›Das gleiche gilt von dem im Oktober 1914 mit dem damaligen Staatsanwalt Dr. von Stoelping abgeschlossenen Vertrage, der für Euch rechtsunverbindlich ist. Ich überlasse es auch hier Eurer geschäftlichen Klugheit, Eure Interessen wahrzunehmen.‹«

»Danke!« unterbrach ihn Stoelping. »Ich bin im Bilde. Kommen wir also, ohne uns lange bei der strafrechtlichen Seite des Geschäftes aufzuhalten,« – dabei sah er die beiden Smith an, die keine Miene verzogen, – »zur Sache. Um uns über den Charakter des Geschäftes zu verständigen, nur ein paar Worte. Daß Sie, die Sie auch nach englischem Recht als Vettern keine Noterben sind, nach Eintritt der Testierfähigkeit meines Sohnes nicht geerbt hätten, steht außer Zweifel. Starb er aber vor seiner Testierfähigkeit, so fiele nach den Abmachungen mit Ihrem Vater sein Erbteil ohne jeden Abzug sowieso an Ihre Familie. Somit ist in Wirklichkeit die Ihrem Vater gezahlte Summe – worüber sich der denn auch keinen Augenblick im Unklaren war – als nichts anderes aufzufassen, als als Schweigegeld. Und lediglich die Höhe des Schweigegeldes ist es daher auch hier, über die ich mich mit Ihnen in diesem Augenblick zu verständigen habe.«

»Durchaus nicht,« erwiderte der ältere Smith; »denn hätten Sie den Jungen nicht der Familie entzogen, so wären wir auch nach Eintritt seiner Testierfähigkeit sehr wahrscheinlich als Erben in Betracht gekommen.«

Und sein Bruder sprang ihm bei und sagte:

»Und wenn unser Vater eines Tages zu der Einsicht kam, daß in dem Vertrag, den er mit Ihnen in Kriegszeiten geschlossen hat, unsere Interessen nicht genügend gewahrt sind, so war es einfach seine Pflicht, uns nach seinem Tode die Wahrung unserer Interessen selbst zu überlassen. Denn schließlich standen seine Jungen ihm näher als sein Neffe.«

»Verdrehungen sind das,« sagte Stoelping. »Und das Mäntelchen, das Sie der Sache jetzt umzuhängen suchen, mag für die bei Ihnen herrschende Moral dicht genug sein; ich zweifle keinen Augenblick daran. Bei uns, die wir gründlicher und gewissenhafter sind, dürften Sie sich nicht einmal des Nachts damit über die Straße wagen.«

»Entkleidet können sich die wenigsten Geschäfte in gute Gesellschaft wagen,« erwiderte der jüngere Smith. »Menschen mit Kultur werden daher stets ihren Geschäften an Stellen, die gar zu grell dem Lichte ausgesetzt sind, einen Mantel umhängen . . .«

». . . Und nur Tölpel und Barbaren werden ihn herunterreißen,« ergänzte sein Bruder.

In dieser Weise ging es noch eine Zeitlang weiter, ohne daß man einer Einigung näher kam. Und Dubray sah, daß es bei der Verschiedenheit der Charaktere niemals zu einer Verständigung kommen würde. Von der Verschlagenheit der Brüder Smith zu der schroffen Ehrlichkeit des alten Stoelping führte nur eine Brücke, die sich mit beiden vertrug: die Höflichkeit. Und die besaß der Franzose.

Dubray nahm also seinen Freund Stoelping beiseite und sagte:

»Bitte bedenke, daß es sich hier nicht darum handelt festzustellen, wer recht und wer unrecht hat. Im Recht bist du! Entschieden! Jeder von uns weiß das!« fügte er laut hinzu. »Selbst die Brüder Smith sind davon überzeugt.«

Die widersprachen nicht, verzogen keine Miene und saßen, die Beine übereinander geschlagen, da, als verstände sich das von selbst.

Und wieder leise fuhr Dubray fort:

»Hier aber handelt es sich um weit mehr: um das Glück deines Jungen, wenn du schon nicht an dein eigenes denken willst. Darum appelliere an das Gefühl dieser Leute, vielleicht daß du damit . . .«

Aber Stoelping ließ ihn nicht zu Ende sprechen.

»Lieber Dubray,« sagte er, »ich bin ein schlechter Diplomat, ich weiß es. Du aber bist ein Kind, wenn du in diesen ausgedörrten Körpern, die nichts als Rechenmaschinen-›System Mensch‹ sind, Herz vermutest. Und ihnen, verlangst du, soll ich mein Herz enthüllen? Nein, mein Lieber, glaube mir, hier ist nur eine Verständigung mit Zahlen möglich.«

»Ich glaube beinahe, du hast recht,« erwiderte Dubray, »aber dann bitte in anderer Form.« Und er wandte sich an die Brüder Smith und sagte:

»Gestatten Sie mir ein vermittelndes Wort, meine Herren.«

Beide verbeugten sich und sagten:

»Bitte sehr!«

»Mein Freund wäre nicht hier, wenn er sich nicht mit Ihnen verständigen wollte. Im Prinzip sind die Herren sich also durchaus einig; nur die Form wäre noch zu finden. Vielleicht sind Sie so freundlich und sagen uns, wie Sie sich die Regelung gedacht haben.«

Der ältere Smith erwiderte:

»Wenngleich wir davon überzeugt sind, daß sich das Vermögen unseres Vetters bei dem wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt hat, so sind wir, um unser Entgegenkommen zu zeigen, trotzdem bereit, uns mit einer nochmaligen Zahlung von 15 000 Pfund . . .«

»Es waren ja damals nur 10 000!« berichtigte Stoelping.

»Gewiß!« erklärte Smith, ohne einen Augenblick seine Ruhe zu verlieren, »obgleich es seinerzeit nur 10 000 waren, sind wir mit einem Nachschuß von nur 15 000 zufrieden.«

»Und wenn sich nun, was ich Ihnen verspreche, Deutschland in den nächsten zwanzig Jahren wirtschaftlich in demselben Tempo weiter entwickelt, mit welchen neuen Ansprüchen würden Sie, respektive Ihre Söhne, dann nach weiteren zwanzig Jahren an mich herantreten?« fragte Stoelping.

»Wir sind keine Räuber!« erwiderte Edi Smith. »Wir würden nicht fordern, wenn wir uns nicht dazu für berechtigt hielten.«

»Das eben empört mich ja so,« sagte Stoelping laut, »daß Sie diesem Raubzug auch noch den Schein eines Rechts zu geben suchen!«

Aber Dubray redete ihm zu:

»Du mußt deine Gefühle jetzt unterdrücken, lieber Freund. Die Motive der Herren Smith spielen für dich gar keine Rolle.«

»Du hast recht,« erwiderte Stoelping. »Aber wer kann aus seiner Haut.« – Dann wandte er sich an die Brüder Smith und sagte in ruhigem Tone:

»Ihre Forderung scheint mir reichlich hoch. Aber ich gebe zu, daß ich keine Erfahrung in Geschäften dieser Art habe. Dieser Erkenntnis halten Sie es bitte zugute, wenn ich Ihnen einen anderen Vorschlag unterbreite. Vorher aber eine Frage?«

»Bitte!«

»Was wäre geschehen, wenn ich Ihnen erklärt hätte, daß ich mich im Interesse meines Sohnes außerstande sähe, auch nur noch einen Schilling in der Sache zu opfern?«

Die Brüder Smith schwiegen. Erst auf die nochmalige Aufforderung Stoelpings:

»Bitte, meine Herren, wollen Sie sich dazu erklären,« erwiderte der Ältere:

»Das wissen wir im Augenblick natürlich nicht. Möglich, daß sich dann eines Tages unsere verwandtschaftlichen Gefühle geregt und wir Anschluß mit unserem Vetter gesucht hätten.«

»Danke,« erwiderte Stoelping. »Das Geständnis wäre also heraus. Nun brauche ich also auch mit meinem Vorschlag nicht zurückzuhalten. Also hören Sie: Ich zahle Ihnen statt der 15 000 Pfund, die Sie fordern, 17 000; aber nicht auf einmal, sondern in jährlichen Raten von 3000 Pfund, und zahle Ihnen vom Fälligkeitstermine der ersten Rate, also von heute ab, bis zur letzten Ratenzahlung Zinsen in Höhe von 5%. Sind Sie damit einverstanden?«

Die Brüder Smith stutzten. Sie wußten, daß eine Summe von 15 000 Pfund für ihn eine Bagatelle war. Demnach verband er mit diesem Vorschlag irgendeinen Zweck. Diesen Zweck, der gewiß gegen sie gerichtet war, ließ er sich 40 000 M. kosten.«

»Dürfen wir erfahren, aus welchem Grunde Sie uns diesen etwas überraschenden Vorschlag machen?« fragte Edi Smith.

»Nein!« erwiderte Stoelping.

Dies bestimmte Nein erhöhte ihren Argwohn.

»Dann bedauern wir, ihn nicht akzeptieren zu können. Nehmen Sie an, unserem Vetter stieße etwas zu, vielleicht heute, vielleicht in einem Jahre. Nach der Art, in der Sie uns heute begegnet sind, muß es erlaubt sein, zu zweifeln, ob Sie dann noch Interesse an der Erfüllung des Vertrages haben.«

Und sein Bruder ergänzte diese Betrachtung und sagte:

»Auch Sie sind nur ein Mensch – wer von uns kann wissen, ob er morgen noch lebt.«

Diese Einwände erregten Stoelping maßlos. Er richtete sich auf und sagte:

»Meine Herren! Ein Vertrag, unter den ich meinen Namen setze, ist unverrückbar; und ich verbürge mich, daß weder meine Kinder, noch meine Enkel es wagen werden, an ihm zu rütteln. Ihren Besorgnissen werde ich mit der Deponierung des Geldes an einer neutralen Stelle begegnen. Solange Sie den Vertrag halten, soll weder mir, noch meinen Erben ein Recht an dem Gelde zustehen. Das wird Ihnen, denke ich, genügen.«

Die Brüder Smith bewegten zum Zeichen, daß sie zustimmten, den Kopf.

»Und nun,« fuhr Stoelping fort, »will ich Ihnen auch sagen, weshalb ich den Modus der vier Jahre gewählt habe.«

Alle sahen gespannt auf; denn auch Dubray und Ephrussi errieten den Grund nicht.

»Um wenigstens fünf Jahre lang vor Ihnen Ruhe zu haben.«

Der junge Smith sprang auf; aber sein Bruder beugte sich phlegmatisch nach vorn, faßte ihn an den Rock und hielt ihn fest:

»Laß ihn doch,« sagte er breit und gelangweilt, »er ist kein Gentleman!«

Dubray entwarf in wenigen Zeilen den Vertrag. Sie unterzeichneten der Reihe nach. Stoelping stellte einen Scheck über die ersten 3000 Pfund aus, den er an Dubray und den Dubray an Smith weitergab.

»Dann wären wir also so weit!« sagte der ältere Smith, grinste und zeigte die Zähne; »ich freue mich, daß wir uns doch noch verständigt haben.« Er trat auf Stoelping zu und reichte ihm die Hand.

Aber Stoelping rührte sich nicht.

»So schlag' schon ein!« rief Dubray, und leise fügte er hinzu: »Was liegt daran!«

Stoelping hob den Arm. Einen Augenblick schien es, als wollte er die Hand, die sich ihm noch entgegenstreckte, ergreifen.

Dubray lag es schon auf der Zunge, zu sagen: »Na also.«

Da zog Stoelping mit einem entschiedenen Ruck plötzlich den Arm zurück. Als wenn man ihn peinigen wollte, warf er den Kopf zurück und sagte:

»So laßt mich! Ich kann nicht heucheln!«

Da geriet Smith in Wut; er zog den Vertrag, den sie eben unterzeichnet hatten, aus der Tasche, ballte ihn zusammen und warf ihn Stoelping vor die Füße. Und auch sein Bruder gab, wenn auch zögernd, den Scheck, den er noch in der Hand hielt, an Dubray zurück. Der war so überrascht, daß er mechanisch zugriff und die kurze Verbeugung, mit der sich die Brüder Smith von ihm und Ephrussi verabschiedeten, unwillkürlich erwiderte. Auch Stoelping stand verdutzt, sah ihnen nach und sagte:

»Donnerwetter! das hätte ich nicht gedacht!«

Ephrussi faßte als erster die veränderte Situation.

»Das muß eingerenkt werden!« sagte er, hob Vertrag und Scheck auf und stürzte den Brüdern Smith nach.

»Ich fürchte, es wird umsonst sein,« sagte Stoelping und wandte sich an Dubray, der noch immer erstaunt stand und zur Tür sah.

»Ich fürchte auch,« sagte er und schüttelte den Kopf. »Warum hast du die Menschen nur so gereizt! Du siehst nun, sie haben auch ihre Ehre; genau wie du! wenn sie sich vielleicht auch in anderer Form äußert.«

Stoelping zog nachdenklich die Stirn in Falten, schüttelte resigniert den Kopf und sagte:

»Sollte ich mich wirklich so in ihnen geirrt haben?«

Da war Ephrussi auch schon wieder zurück. In der Hand hielt er den Vertrag; den Scheck brachte er nicht.

»Was ist?« fragte Stoelping erregt.

Ephrussi berichtete:

»Ich bat sie, den Vorfall als ungeschehen zu betrachten; aber der ältere Smith erklärte mir sehr bestimmt:

›Ich begreife Sie nicht, wie Sie uns das nach dem Affront noch zumuten können!‹

Aber gibt es denn gar keine Möglichkeit, es wieder einzurenken? fragte ich. Herr Stoelping wird sich entschuldigen . . .

›Das ist kein Äquivalent für eine derartige Kränkung,‹ erwiderte Smith.

Ich sagte: So machen Sie einen anderen Vorschlag. Die Brüder traten zur Seite und sprachen leise ein paar Worte miteinander. Dann trat der Ältere vor und erklärte:

›Sagen Sie Herrn von Stoelping, wenn er uns statt der bewilligten 5% nicht mindestens 6% bewilligt, so betrachten wir die Verhandlungen als endgültig gescheitert.‹«

Da platzte Stoelping laut heraus und schüttelte sich, während er den Halter in die Tinte tauchte und die fünf in eine sechs verwandelte, vor Lachen. Dann klopfte er Dubray auf die Schulter und sagte spöttisch:

»Du hast recht, lieber Freund, sie haben auch ihre Ehre! Nur daß sie sich anders äußert als bei uns.«

Dubray sah beschämt zur Erde und sagte nichts mehr.

 


 << zurück weiter >>