Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

27

Am zehnten Dezember kam der Winter mit starkem Frost über die See. Die Levante fuhr durch den Erie-Kanal, voraus lief ein Eisbrecher. Das Land war weiß, gegen die Ufer klatschten Eisschollen und Wogen. Jens stand auf der Back und starrte auf das Land. Nun führte ihn sein Stern wieder nach Buffalo, und wieder hat der Winter das Land ergriffen, es ist kein Unterschied mehr, vor einem Jahr war es genau so. Der Fahrtwind war eisig. Seine Augen tränten, er sah sich hilflos um in der öden Weiße des Winters. Kein Mensch steht diesseits und jenseits des Kanals, die Luft ist klar und geschmacklos; aber es war ihm, als wäre in diesem Augenblick ein Geruch an ihm vorbeigezogen, vielleicht kam er aus der leeren Heringstonne, welche an Deck lag. Aber es war ein Geruch von Menschen und Häusern. War es Buffalo? – – –

Der Kapitän ließ ihn rufen, Anlaß waren die Ladepapiere. Der Kapitän saß im warmen Kartenraum, er trank heißen Rum und trug eine Pelzjacke. Fort waren die goldenen Schnüre, er ging in molligen Pantoffeln, die Eleganz war wie fortgeblasen. Er goß Jens Rum ein, sie besprachen die Ausladung der Fracht. Das Schiff sollte ins Dock, es hatte im letzten Jahr zwei Meilen an Fahrt verloren.

Darnach sprach der Kapitän von seinem toten Reeder. Er war sieben Jahre für Vancour gefahren. Sein Ende hat mich erschreckt, sagte er. Tags zuvor gab er ein Fest, Vertreter der Stadt und der Kaufmannschaft waren geladen, wir Kapitäne waren auch zugegen. Es war ein Fest, auf das der Tod folgt. Ich frage mich oft, ob es ein Abschiedsfest war … ein Todesfest? Auch Sie waren erschüttert, fuhr der Kapitän fort, ich las es in Ihrem Gesicht. Waren Sie befreundet mit Vancour?

Ich kannte ihn näher, erwiderte Jens.

Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht ausforschen. Es liegt aber nahe, daß ich Sie frage. Ein Mann wie Vancour, nicht zu alt, ein Mann des Erfolges! Er war ein guter Reeder, er sparte nicht am falschen Ende, wir fuhren gut bei ihm. Ich könnte jederzeit ein Loblied auf ihn singen. Er machte sich gemein mit jedermann, seine Arbeiter vergötterten ihn.

Mit einem Schlage war es für Jens, als spräche der Kapitän im Auftrage Vancours, als habe Vancour für den Kapitän den Auftrag hinterlassen, ihn vor Jens zu loben und ihm mit aller Deutlichkeit über sein Ende zu berichten. Vielleicht war dieser Kapitän ein Verwandter Vancours, oder gar sein Erbe.

Der Kapitän sah ihn nachdenklich an und sagte: das Ganze hat ein Geheimnis, für manchen bleibt es ein Rätsel … Er blickte Jens scharf an.

Jens seufzte: Wie ging es denn zu? Vancour war doch ein Mann von Vernunft. Es war sicher ein grausiger Entschluß für ihn. Er hing am Leben, wog an zweihundertfünfzig Pfund …

Der Kapitän blickte sich um und sagte: Es ging anders zu, als Sie denken. Ich kenne einen Diener aus Vancours Haus, er berichtete mir, daß dieses Fest am Tage vor dem Tode ein Freudenfest werden sollte. Vancour wollte sich öffentlich verloben, die Dame kam nicht. Das war der ganze Schmerz, die Braut blieb aus.

Dann war es ein Zufall, stotterte Jens und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.

Man kann nicht in die Weiber hineingucken, sagte der Kapitän. Andere sind ihm jahrelang nachgelaufen, er wollte keine. Diese war ein einfaches Mädchen, er hatte sie aus Kanada kommen lassen, sie fand Geschmack an einem anderen. Für mich bedeutet es eine Richtschnur, man soll sein Leben nie auf eine Karte setzen.

Jens sah zum Bullauge hinaus, seine Augen brannten von der flimmernden Weiße da draußen. Er fragte: Im Juli geschah es?

Im Hochsommer, zur Zeit der Pfirsichernte.

Es verging ein Tag und eine Nacht, die ›Levante‹ lief durch den Buffalo-Creek. Es war viel Leben auf dem Fluß, alle Dampfer aus Kanada liefen ein, manch Segler fuhr im Schlepp, ein Postdampfer fuhr mit Volldampf an der ›Levante‹ vorüber, vielleicht wollte er noch einmal ausfahren, ehe sich das Eis an den Küsten schloß. Die Sonne schien, der Morgen des Lebens lag über dem rauchigen Land, die Stadt kündigte sich an mit viel Lärm und gespensterhaften Schwaden.

Stamer stand vor der Kajüttür und Jens sollte gleich erfahren, was er wollte. Herein! rief er aufgeräumt. He, Stamer! Du hast dich herausgeputzt, man sieht es dir nicht an, wie du die Nächte verbracht hast. –

Er dachte aber das Gegenteil, mit Stamers Alkohol war es aus, jetzt sah man die roten Würmer unter seiner Haut, das Gesicht war blaß und sein Gemüt war ganz zermalmt.

Freut mich sehr, daß ich gut genug aussehe, sagte Stamer und sah ihn mit zitterndem Kopfe an. Mich erwartet niemand in Buffalo. Wie wohl ist mir darum, daß Tucy in meiner Gesellschaft bleibt.

Er soll dir bleiben, sagte Jens froh.

In zwei Stunden legen wir an, murmelte Stamer, wenn du erlaubst, will ich die Schauerleute für dich bestellen.

Ja, tue es, geh zu Elson und bestelle ihm Grüße.

Es wird Mittag, ehe wir anlegen, sagte Stamer so langsam, als überlege er jedes Wort zweimal in seinem Kopf. An diesem Tage wird es nichts mit dem Ausladen.

Gut, dann andern Tags.

Andern Tags in der Frühe, murmelte Stamer, es wird ein Aufsehen geben, wenn die Bäume ausgeladen werden. Es sind nur einige trockene Tannen darunter. Ja, nun kommt der Lohn … In der Nacht will ich bei Elson wohnen; Tucy geht mit mir, bleibt Scould an Bord?

Scould bleibt an Bord, ich will den Kapitän bitten, daß er an Bord bleiben kann.

Dann ist es gut, Scould bewacht unsere Bäume, lachte er spöttisch und ging zur Tür. Halt! sagte er plötzlich und zog ein neugieriges Gesicht. Wenn etwas geschieht … wo finde ich dich?

Es geschieht nichts, sagte Jens.

Stamer fuhr sich mit dem Finger an der Stirne entlang und sagte:

Etwas Außergewöhnliches … wenn ein großer Händler käme und kaufte alle Tannen. Wo finde ich dich?

Jens schwieg, seine Augen hingen an Stamers Gesicht und an seiner gebrochenen Gestalt. Es kam ihm in den Sinn, Stamer im Ungewissen zu lassen, so antwortete er: Wo du mich findest? Das weiß Gott. Ich sehe Buffalo wieder, ich werde hier und dort sein.

In diesem Augenblick brüllte die Sirene, die Wasserstraße verengte sich, das Lotsenboot kam. Die ›Levante‹ schwamm langsam in der Mitte des Stromes. Im Schein der Sonne lag Buffalo, die Dächer waren weiß vom Schnee, um die Kirchtürme zog Nebel, im Hafen dampften die Schlote und die hohen Ladekräne wankten hin und her.

Die Mannschaft stand und starrte die Stadt an, Scould ging mit kindischer Freude auf und ab, sein breites Gesicht strahlte. Tucy schleppte zwei Koffer an Deck und stellte sie zu Stamers Füßen. Sie wärmten sich die Schuhe auf dem Maschinenoberlicht. Wenn es der Steuermann sieht, wird er sie zum Teufel jagen, denn das Oberlicht war mit glänzendem Messing verspannt. Das kümmerte aber Stamer nicht, er blickte finster auf Buffalo.

Eine Stunde später lag die ›Levante‹ vertäut am Kai. Durch die Gunst des Lotsen kam sie an einen Platz, der für schnelle Löschungen bestimmt war. Als die ›Levante‹ festlag, sammelten sich Neugierige vor dem Schiff. Seeleute und Schauermänner kamen und fragten nach der Fracht. Sie sahen die Tannen auf dem Vorderdeck; auch Hafenbeamte kamen und sprachen mit dem Kapitän. Das Weihnachtsschiff! sagten die Seeleute und zogen lachend durch den Hafen. Christbäume! riefen die Halbwüchsigen und kletterten die Bordwand hoch, sie brachen Zweige aus den Tannen.

Zum Satan mit euch! schrie der Steuermann und jagte sie von Bord.

Fünfzig Schritte entfernt erhoben sich große Speicher. Die Lagerverwalter kamen und baten um Bäume. Später, wurde ihnen geantwortet. Darnach kamen viele deutsche Speicherarbeiter und stellten sich vor die ›Levante‹ hin, von nun an war das Schiff umlagert von Menschen. Und da der Kai so günstig zur Stadt lag, strömten Kinder in den Hafen, sie lachten und sprachen laut durcheinander, ihre Augen hingen an den Tannen. Der Steuermann warf eine Tanne auf den Kai. Die ersten Frauenzimmer kamen, Seeleute drängten sich an sie, helles Lachen ertönte über den Kai, es war ein kleines Erlebnis.

Scould nahm eine größere Tanne und band sie an die Reling. Das war ein weithin sichtbares Zeichen, eine närrische Freude erfaßte alle. Die Besatzung kam aus dem Logis, so wie sie war, mit blanker Brust, sie pfiffen, aus der Menge johlte es zurück. Ein merkwürdiger Mann, wohl ein Prediger kam und stimmte ein Weihnachtslied an. Gott weiß, woher die Seligkeit kam, ein trauriger Zug lag über den Menschen. Der Kapitän nahm in Gedanken seine Mütze ab, da riß die Menge ihre Kopfbekleidung ab, sie waren alle ergriffen und sangen nicht mehr dem Prediger zum Gefallen. Mehr Menschen strömten herbei.

Heio! Der Gesang schraubte sich in den Himmel, eine lustige, törichte Menge sang und Jens war es plötzlich, als höre er eine Stimme neben sich, die ihm sagte: Ein wohlgefälliges Werk … Er blickte sich um, es stand aber keiner hinter ihm. Er rätselte, welche Stimme es war. Bis er darauf kam, daß er es sich selber gesagt hatte. Er schämte sich.

Zollbeamte kamen und drängten sich durch die Menge. Der Gesang erlahmte. Ein Spötter schrie ein Wort, ein Wort, welches nichts besagt, er schrie: Hundedreck! Alles lachte. Der Kapitän setzte seine Mütze auf, er nahm eine Trillerpfeife und stieß einen Pfiff aus. Die Besatzung zog sich zurück. Den ganzen Tag über kamen Menschen, bis die Sirene ging und die Hafentore sich schlossen.

In der Dämmerung zog Stamer mit Tucy von Bord. Zwei Stunden später ging auch Jens. Eine geheimnisvolle Stille lag über dem Kai. Kalter Wind ging, am klaren Himmel ging Stern um Stern auf.


 << zurück weiter >>