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21

Ein Sommer kam. Die Wasser des Superior leuchteten, die Brandung klagte hohl gegen die schroffen Felsen. Des Adlers sommerlicher Schrei klang schrecklich über Gneisplatte und Moräneschutt. An der Erde summten schwere Honigbienen, Meisen sangen und die Abende lagen glänzend über der Thunder-Bay. Der wasserreiche Kaministiquia rauschte über blaue Felsen, in den Wäldern murmelte sein Echo. Der Sommer flog dahin, die Bay füllte sich mit Zugvögeln und die Fische zogen wieder westwärts, ein ewiges Gehen und Ziehen, Insekten stürzten zu Wasser, und im Dunst der Nacht erstand ein brüllendes Meer, es zog von Eiland zu Eiland und saugte den Flüssen das Wasser ab.

Nun sind die Katarakte des Kaministiquia verschlammt und grün, der Regen ist vorüber, im Gebirge aber sammeln sich neue Seen. Über den Tannen dort oben ziehen die Gänse, das Genist ist flügge. In den Nordschatten der Berge glänzt es weiß, dreijähriger Schnee schmolz und sickert durch die Felsen in die eisigen Bergseen.

Seit Monaten hallt der Axtschlag durch die Wälder, in der Frühe begann Jens mit den Männern, am Abend leuchteten Lichter im Tannendickicht auf, Feuer und Rauch zog zu den Sternen, aus dem Lager bellten die Hunde. Das Wild war aufgestört, es stand hinter den Bäumen und starrte in die Feuer. Der Hirsch scheuerte sein Fell, der Luchs lag still im Geäst, der Schwarzbär brach wütend das Unterholz.

An diesen Abenden schoß Stamer das Wild vom Feuer weg. Es fielen zwei oder drei Tiere, sie lagen stumm hinter den Bäumen. Die Männer zogen an Ort und Stelle das Wild ab und schleppten das Fleisch in die Zelte. Im Lagerplatz wurde kein Stück Wild abgefellt, die Häute wurden hinter den Bäumen vergraben. Es waren Sommerfelle, sie hatten einen üblen Geruch und Jens schlief nicht gut, wenn die Felle an der Luft moderten. Aber es war nicht allein sein Wille, daß die Felle vergraben wurden. Stamer wünschte es, auch er konnte den Geruch der Häute nicht ertragen. Ihm aber hatte es eins der Mädchen zugeflüstert, die im Lager waren und Frauenarbeit verrichteten. Zwei Mädchen waren im Holzfällerlager. Sie waren aus Port Williams ihrem Vater nachgezogen und arbeiteten ohne Lohn. Es waren die Töchter des alten Madun, Jeanne und Irene. Sie schliefen abseits in einem Zelt, eine Quelle war in ihrer Nähe, sie wuschen die Wäsche der Männer und kochten das Essen. Madun war Stellmacher, er hatte ein Haus in Port Williams, war auch wohlhabend, ihn trieb die Sehnsucht in den Wald. –

Auf, auf! Es ist vier Uhr, und die Sonne geht hoch! – Die Männer erhoben sich und griffen nach ihren Taschenuhren, die im Stroh lagen. Auf! die Luft ist blank und kühl, wir haben Nordwind, legt euch warme Westen an! Stamer stand im Zelt, er hatte nicht geschlafen, es wuchs ihm ein Bart in seinem grauen Gesicht. Axt und Gewehr hingen ihm über der Schulter und ein Hund lag zu seinen Füßen.

Du hast in der Nacht wieder gejagt! sagte Madun, gib endlich den Tieren Ruhe.

Ich habe in dieser Nacht nicht gejagt, ich war an deiner Rutschbahn und habe die Gleitschlitten gezählt, Madun. Es fehlen noch Schlitten, wenn wir die Bäume alle zum Fluß bringen wollen.

Madun verzog das Gesicht, er nahm von Stamer keine Belehrungen an. Du bist ein Fischer und kein Holzfäller, sagte er, die Schlitten werden ohne deine Weisheit fertig.

Es waren fünfzehn Männer im Zelt, welche den Wald kannten; sie richteten ihre Augen auf Stamer, der nachts jagte und am Tage nicht die Kraft besaß, fünfzig Bäume zu fällen und zu stapeln. Doch sagten sie darüber kein Wort, weil er so armselig und zerschunden aussah.

Du sagtest das mit dem Fischer, erwiderte Stamer, Fischer und Jäger sind etwas Gleiches.

Die Männer lachten, und es war Scould, ein starker Holzfäller mit kindischem Verstand, welcher Stamer zurief: Fischer und Jäger sind unglückliche Menschen!

Stamer blickte betroffen in Scoulds Gesicht, in dem nur ein paar gedankenlose Augen standen und ein kleiner Mund. In diesem Augenblick aber glaubte er in das Gesicht eines klugen Mannes zu sehen. Er verließ das Zelt. – Vor dem Zelt stand Jens, in der Hüfttasche das Beil, er blinzelte in die Sonne. In seiner Nähe bellten zwei Hunde.

Ich schlief wieder nicht, sagte Stamer traurig, in keiner Nacht komme ich zu Schlaf. Sieh mich an, Jens.

Dann ist es deine Unrast, die dich nicht schlafen läßt.

Ich weiß nicht, was in mir vorgeht, aber es ist ja von außen zu sehen! Vor Zeiten hatte ich schöne Augen. Denk nur an die Gassen in Sault St. Marie, wie sie mir nachblickten!

Wer hat die Feuerwache?

Ich! Das Feuer brennt, ich legte es um drei Uhr an, ich habe Jeanne geweckt.

Jeanne! sagte Jens und blickte durch die Bäume, wo der Rauch aufstieg.

Ich habe Jeanne geweckt, beharrte Stamer, es ist aber die andere, welche am Feuer steht.

Du verwechselst die Mädchen im Schlaf.

Nein, ich stieß an die linke Seite der Zeltwand, dort liegt Jeanne.

Aber es ist die andere, sagte Jens, sie hat sich auf die linke Seite gelegt, um sich von dir wecken zu lassen.

Haha! lachte Stamer, ja, es ist Irene, sie geht mir nach, aber ich denke nicht an sie, ich denke an keine.

Woran denkst du denn?

An dich! sagte Stamer böse und kroch in sein Zelt, welches Pflock an Pflock neben Jens' Zelt stand, sein Hund kroch ihm nach.

Stamer! rief Jens, ich will dich heute nicht mehr im Holzschlag sehen!

Es war ruhig hinter der Zeltwand, Jens stand und blinzelte wieder in die Sonne. Die Männer kamen, Varin, Scould, Deern, Madun und die anderen, sie schritten über den Lagerplatz. Die Äxte wurden ins Feuer gelegt und geschärft. Jens horchte hinter sich, nach einer Zeit wußte er, daß es nicht Stamers Hund war, der im Zelt schluchzte. Er riß das Zeltdach auseinander und sah Stamer weinend an der Erde kauern.

Was ist es? fragte Jens.

Der Priester! gab er gramvoll zurück.

Diesmal ist es der Priester, sagte Jens wütend, einmal ist es Bianca, ganz, wie es dir einfällt.

Nein, es kriecht in mich hinein …

Laß das nächtliche Jagen!

Jeder hat seine eigenen Gedanken, sagte Stamer, ich muß jagen.

Jens verließ ihn, er ging zum Feuer, legte seine Axt in die Glut und teilte mit den Männern das Frühmahl.

Stamer fehlt, sagte Irene und stellte einen Topf Suppe auf den rohen Tisch. Es ist Stamers Platz, setzte sie leise hinzu und sah Scould an, der seinen Platz verlegt hatte.

Der kindische Scould blickte sie verlegen an. Stamer, flüsterte er, der Jäger?

Der Jäger, erwiderte sie leise, ein Leuchten ging durch ihre Augen. Sie war klein und kräftig, ihr Gesicht war braun und verlockend, sie hatte helle Haare. Irene Madun war neunzehn Jahre alt. Sie sah beiseite, als Scould von Stamers Platz rückte.

Madun rief über den Tisch: Warum rückst du, Scould! Stamer arbeitet nicht, du aber bist der stärkste Holzfäller unter uns!

Er arbeitet doch, erwiderte sie ihrem Vater, er arbeitet nach seinen Kräften, nachts hält er uns die Bären vom Lager.

Du Schaf! sagte Madun, ein Kind könnte mit seinem Schreien die Bären fernhalten.

Scould sagte: Es gehört aber ein schreiendes Kind dazu, wo ist das Kind? Es muß schon ein Mann sein, der nicht schlafen kann, der Mann heißt Stamer!

Warum kann er nicht schlafen? fragte Madun.

Scould sagte einfältig: Er ist inwendig ausgebrannt!

Genug! fuhr Jens dazwischen, Stamer schießt uns das Wild, er ist uns nützlich, auch ist er ein guter Mensch.

Alle miteinander nickten. Irene blickte beiseite, der einfältige Scould sagte überdies: Ach, ich bin auch ein guter Mensch, ich arbeite, seit ich geboren bin. Mich aber will keine, sie gehen an mir vorbei …

Auf, Kameraden! rief Jens, es ist fünf Uhr vorbei.

In diesem Augenblick trat Stamer zu Tisch, er trank stehend seine Suppe, danach ließ er den Hund aus seinem Topf saufen. Irene schlich sich an Stamers Seite und sah zu, wie liebreich er seinem Hund das Fell kraulte. Sie streichelte Stamers Gewehr. Wer von den Männern ließ auch seinen Hund aus dem eigenen Topf saufen. Nur der unglückliche Stamer tat es, obgleich es Jens mit aller Deutlichkeit untersagt hatte, einen Hund aus dem Topf saufen zu lassen.

Die Hunde bleiben im Lager! rief Jens. Sie jagen das Wild umeinander.

Die Männer legten die Hunde an die Ketten, es waren Wolfshunde, große Terrier und zwei alte Waldläuferhunde, welche von Luchsen herstammten, verteufelt wild in den Augen und reißend im Gebiß. Sie gehörten Scould, der sie in den Tiefen Alaskas gezogen hatte.

Für Stamer galt es gleich nichts, er legte seinen Hund an eine rote Bastleine. Immer noch stand Irene an seiner Seite. Geh! sagte er ihr, ich kann dich nicht gebrauchen.

Du klopftest in der Nacht an unser Zelt, flüsterte sie.

Ich meinte Jeanne, erwiderte Stamer barsch.

Jeanne aber will dich nicht, sie selber hat es mir gesagt. Du bist ihr zu alt.

Zu alt? Und du bist jünger als Jeanne und willst mich!

Stamer! rief Jens und trat zwischen sie. Du gehst zur Gleitbahn und schälst Stämme. Nimm einen Hammer und klopfe das Holz, du kannst auch jagen. – Er blickte das Mädchen an. Wie ergeben sie dastand, sie sieht nur Stamer in der Welt, der so elend und verkommen aussieht.

Stamer ging mit seinem Hund davon, die Holzfäller zogen aufwärts zu den Tannen, die Hunde heulten hinter ihnen her. Der ganze Wald war erfüllt vom Lärm der Hunde. Ruhe! donnerte Scoulds Stimme zurück. Augenblicklich schwiegen die Waldläuferhunde und legten sich auf die Pfoten.

Sieh, sagte Jens, Scould ist ein Mann für dich, Irene, die Hunde gehorchen ihm aufs Wort, er ist stark und will einem Mädchen ganz gehören.

Was frage ich danach!

Du willst nicht einen Mann, der dir gehört?

Sie schüttelte den Kopf.

Aber sieh, wer ist Stamer, ein Unglücklicher, der viele Mädchen gekannt hat. Was ist an ihm? Bald zieht er davon, du siehst ihn nicht wieder.

Ich weiß es, sagte sie.

Aber nun geh und denke darüber nach, Scould ist ein Mann für dich, er arbeitet sich krumm für ein Mädchen. Stamer ist ein geknickter Mann.

Sie blickte schnell auf und sagte: Sie können ihn in meinen Augen nicht schlecht machen.

Ich habe dich nur belehren wollen.

Nein, Sie wollten sich in ein gutes Licht rücken, erwiderte sie ihm.

Glaubst du, daß ich Stamer aus deinem Herzen verdrängen will. Ich habe für Scould gedacht.

Für Scould gedacht, lachte sie.

Er ging den Männern nach, noch einmal bellten alle Hunde, eine dicke Rüde riß sich los und sprang die Waldläuferhunde an. Die Bestien flogen hoch, ihr Fauchen und Bellen zerriß die Luft. Wenn es Scould hört, zerreißt er die Rüde. Jens sprang zu und schlug den Hund mit dem Axtstiel nieder. Scould hatte nichts gehört, er band den Hund an einen Baum. Als er nun endlich ging, sah er Jeanne am Zelt stehen, er ging schneller zu, das Mädchen hob den Arm und winkte ihm. Es kam ihm aber nicht in den Sinn, stehen zu bleiben und Jeanne zu begrüßen. Wußte er, hinter welchem Baum der irre Stamer stand. – Aber dort steht Jeanne, ein Mädchen mit schlanken Beinen, sie hat weiche Arme und schmale Hände, sie winkt, daß er kommen soll. Ihr Winken macht ihn hilflos, denn sie ist keines Mannes Geliebte im Lager, weder Stamer noch der hübsche Varin konnten sich rühmen, an ihrer Seite gelegen zu haben, aber Jens fürchtete sich wegen eines Streites, den er mit Stamer haben könnte.

Er lief den Männern nach, bis er sie eingeholt hatte. Bald darauf pfiffen die Äxte im Tannendickicht, die Tannenspitzen zitterten, es ging ein Rauschen durch die jungen Zweige, ein Bäumchen fiel, nach diesem ersten ein weiteres. Die Äxte sprangen durch die dünnen Stamme. Ein sanfter Schlag, der scharfe Eisenbart der Axt glänzte, die Tannen legten sich liebreich zur Erde, sie klagten nicht.

Die Männer sahen einander nicht, ein jeder schlug in seinem Trakt, sie gingen durch die Reihen der Bäume, nur die besten und schlanken Tannen fielen, dazu mußten sie lange Unterzweige aufreißen, in der Mitte voll sein, sie durften kein Weiberhaar haben und keinen Fraß. Spinnen am Baum waren verhaßt und Tannen mit Doppelspitzen wurden nicht geschlagen. Rieselte Rost aus den Zweigen, so waren die umstehenden Bäume auch gefeit. Nie vorher ging eine Axt mit größerer Wahl durch den Wald.

Um Mittag wurden die Bäume gesammelt und gestapelt, sie wurden auf Ketten gelegt. Danach ging der Tannenschlag weiter. Am Abend wurden Feuer angezündet, hier ein Feuer, dort ein Feuer, Scould legte sie zwischen Steinen an, sie wiesen den Weg zur Gleitbahn. Die Männer spannten sich an die Ketten und zogen Berge von Tannen durch den Wald. Der letzte von ihnen löschte das Feuer, es war wieder Scould, er war der erste und der letzte, und da er so stark war, las er noch die Bäume auf, die aus den Ketten der anderen gerutscht waren. Jedesmal kam er mit dem größten Berg zur Gleitbahn. Er hatte die Kette dreifach um seine Schulter geschlagen, der rote Hals war ihm geschwollen, das Haar war silbern vom Schweiß. Ein großes Feuer brannte am Bergrand, die Felsen leuchteten golden, eine unendliche Kette von Tannenbergen säumte den Platz. Aus der Hefe kam eine kalte Zugluft, aus den Felsschluchten oberwärts zog auch eisige Luft. Dieser Platz war kalt, von den Felsen tropfte Eiswasser herab, nur die Spätsonne trat kurze Zeit auf den Plan. Aber die heißen Sommerstunden waren vorüber, und die warme Luft des Tages verwandelte sich hier am Nordhang in kalte Grabesluft.

Eine kleine Tanne steckte in der Erde, sie war im April gefällt, es war der erste Schlag gewesen. Jetzt war es Oktober, die Tanne war noch grün und die Nadeln saßen ihr so fest, als stünde sie auf ihrer Wurzel.

Der eiserne Madun hatte seit dem ersten Tage hier seine Werkstatt errichtet. Zwei Männer halfen ihm Langholz schlagen und schälen. Die Gleitbahn entstand, über achthundert Meter führte ein Holzstrang den Felsberg hinab, nicht zu steil, über ein Brückenwerk zum Kaministiquia hinab. In fünfzig breiten Schlitten sollten die Bäume zu Tal sausen. Madun baute die Schlitten aus geschälten Rundhölzern mit halbkreisförmigen Führungsringen vorn und achtern. Jens und Madun hatten den Plan dazu überlegt, Stamer hatte keinen Anteil daran, er war Fischer und konnte nicht in Höhen denken.

Seit den ersten Tagen des April arbeiteten die Männer für den Tag der Christbaumfahrt, sie schufteten und machten keinen Feiertag, sie dachten an keinen Lohn, der Lohn winkte ihnen erst in Buffalo, und es mußte ein Winter vergehen, ehe das Geld eintraf, das Scould von Buffalo nach Port Williams bringen sollte. Sie hatten Scould dazu ausersehen, mit Jens nach Buffalo zu fahren, weil er einfältig und fromm war. Gab es je ein größeres Werk! Jens genoß jedes Ansehen, die Männer waren ihm gefolgt und lebten seit Monaten in den Bergen, die sich über dem Kaministiquia erheben. Sie alle lebten und arbeiteten mit dem Durst nach Port Williams in der Brust. Nur einmal betranken sie sich, das war der Tag, an dem sie hundert eiserne Führungsringe für die Schlitten aus Port William in die Berge schleppten. Seitdem kamen sie nicht mehr zu Tal. Nur ein Mann stieg jeden Monat hinab, das war Michael Fis, ein Windhund und Schwächling. Er brachte auf einem Maulesel Gewürze zum Kochen und Petroleum in das Waldlager. Zu Zeiten gab es Post, aber seit dem dritten Mond erst wußte Jens, daß mit dem Tag des dritten November ein Frachter aus Buffalo in Port William für die Tannen ankern sollte. Die Nachricht kam aus Sault St. Marie, es war ein Diktat der Reederei Vancour, die eins ihrer Schiffe von Quirie aus in Ordre gab. Das war vor Monaten; jetzt sind die hellen Tage in den Bergen vorüber, der Oktober bringt dunkle Nächte und die Männer tragen schon dicke Westen, auf Maduns Holzplatz setzt der erste Frost ein.

Madun löscht selber seine Feuer und wie an jedem Abend ziehen die Männer hinter Scould her, eine Stunde Wegs durch den finsteren Wald zum Lager zurück. Scould hatte einen unfehlbaren Instinkt im Walde, er irrte sich nie. Einer aber ging vor ihm, eben so blind und sicher im Walde, das war der Fischer Stamer. Und Scould zum Ärger gab Stamer jedesmal einen Schuß ab, um Scould zu sagen: Dies ist die Richtung. Gleich am Anfang machte es Stamer so, um zu zeigen, daß auch er in der Richtung unfehlbar sei.

Scould achtete nicht auf Stamers Schüsse, er ging seinem Instinkt nach. War es aber ein Wunder, daß jeder der Männer auf Stamers Schuß wartete. Sie gingen bereits 35 Minuten, Stamers Schuß war aber nicht gefallen. Es war nicht dunkler als gestern und vorgestern, eher heller, der Mond nahm zu. Und Scould kannte jede Schattierung des Waldes, die Säume des Dickichts, die Falten der Felsen und die vielen Wildwege. Da aber heute der Schuß nicht fiel, wurde er unruhig und glaubte, daß er sich einmal in der Richtung irrte, als sie über eine Äsung schritten. Jens war in Gedanken. Das zweitemal täuschte sich Scould infolge seiner großen Unruhe an einem Bergrutsch und obgleich er nun sicher glaubte, daß er falsch ging, schritt er schnell weiter, in der Hoffnung, durch eine Überschneidung nach Westen die Richtung wiederzufinden. Es gelang ihm aber nicht, er versagte zum ersten Male, er schloß die Augen und lauschte im Gehen. Die Schamröte kroch durch seine Wangen. Der Schuß! Stamers Schüsse hatten ihn gelähmt. Er blieb stehen und wartete auf Jens. Nun wollten alle erkennen, daß sie sich um ein Geringes verlaufen haben mußten. Sie machten ein Feuer, während Scould sich wortlos aufmachte und den Weg zurücklief. Die Männer sprachen nicht über Scoulds Mißgeschick, jeder wußte, daß es Stamer war, der daran die Schuld trug. Keiner von ihnen hätte jetzt auch die Richtung genau bestimmen können. Wenn kein Schuß fiel, mußten sie hier übernachten.

Scould kam in ungewöhnlicher Erregung zurück, er fluchte und warf seine Arme voraus. Los! rief er, löscht das Feuer, ich bin verrückt gewesen, wir sind richtig gegangen. Auf das Haar richtig, hoho! Stamer, der Schuft! Er hatte mich beinahe blind gemacht.

Sie lachten und trösteten ihn; Jens aber grämte sich insgeheim über Stamer, der so berechnend war und seit Monaten einen Schuß abgab, um eines Abends über Scould zu triumphieren.

Mit kurzer Verspätung trafen sie im Lager ein, Stamer stand schon am Feuer und wälzte das Fleisch im Kessel. Er hatte die Flinte nach unten hängen, was nie vorkam. Er lachte mit den Mädchen und warf ihnen kleine Steine nach. Seit dieser Stunde aber konnte es Scould nicht über sich gewinnen, Stamer anzublicken. Sie sprachen sich nicht an, und Stamer fragte Varin vorsichtig nach dem Rückweg aus. Nach der Mahlzeit gab Stamer einen Schuß ab, er traf einen Bären, der sich am großen Zelt vorbeischlängelte. Keiner hatte ihn gesehen, und es war immer wieder seltsam und erschreckte die Männer, daß der Fischer diesen hochgeborenen Instinkt im Walde hatte. Später am Abend gab es Bärenleber, die Stamer eigenhändig briet, er schickte Scould ein großes Stück Leber. Scould aß es auch, aber er vergaß, sich bei Stamer zu bedanken. –

Am Morgen darauf geschah es, daß Stamer mit Fieber in seinem Zelt lag, er redete irre. Jens gab ihm Chinin und bestellte den Schwestern, nach Stamer zu sehen. Scould blickte sich nicht nach Stamers Zelt um, und die Männer zogen wie gewöhnlich zum Tannenschlag. Um Mittag aber war Stamer schon wieder auf den Beinen und kam zum Tannenschlag hinaus, er zitterte im Fieber und hatte wie ein rechter Jäger eine Adlerfeder an seinem Hut stecken. Er fragte sich nach Jens zurecht und tat sehr eilig und obgleich es ihm ein kleines war, Jens zu finden, ging er doch der Reihe nach alle Trakte im Tannendickicht durch und sprach die Holzfäller an: He, Varin, ich habe eine Neuigkeit, wo steckt Jens? – Dort und dort, sagte Varin und bezeichnete den Weg. Er kam auch zu Scould: Eine Neuigkeit! rief er ihm zu, wo steckt Jens? Scould blickte nicht von der Arbeit auf, er gab ihm aber die Auskunft. – Willst du die Neuigkeit nicht wissen? fragte er. Michael Fis ist wieder im Lager, er hat etwas für dich mitgebracht. Wo steckt denn mein Freund Jens! – Scould dauerte der fiebernde Mann, er sah nur, daß Stamer zitterte und hielt ihn mit den Händen fest. Aber Stamer blickte an ihm vorbei, seine Augen waren klein und tränten. Mir ist schwindlig, sagte er, du bist Scould, ich weiß es. Laß mich los! Scould sagte: Ich bringe dich zum Lager. Jetzt lispelte Stamer: Du glaubst, daß ich den Weg nicht mehr finde. Bums! ich gebe einen Schuß ab, dann weiß ich wieder den Weg.

Aus Scoulds Augen schoß ein Blitz, aber er bezwang sich und ließ Stamer ziehen.

So kam er zuletzt in den Trakt, in welchem Jens seine Tannen schlug. Jens war gerade im Begriff, die Tannen mit der Kette aus dem Dickicht zu schleifen, als er Stamers Gesicht sah. Es kam ihm gleich die Ahnung, daß Stamers Auftauchen ein Signal bedeutete und als er den zitternden Mann betrachtete und das nervöse Beben seiner Hände sah, erschrak er sehr, trat unter eine hohe Tanne und lehnte sich gegen den Stamm. Na! sagte er, ich sollte dich doch in Zucht nehmen, weil du bei deinem Fieber auf den Füßen bist!

Eine Neuigkeit, Jens, sagte Stamer plötzlich, höre selber: Michael Fis ist aus Port Williams zurück …

Das ist kein Grund in den Wald zu gehen! wies ihn Jens zurecht. Er wußte nur allzugut, daß Stamer etwas verbarg. Geh mir aus dem Weg! sagte er und nahm die Kette über seinen Rücken. Und als Stamer schwieg, begann er den Tannenhaufen herauszuziehen. Er hielt auch nicht eher an, als bis er den Haufen aus dem Dickicht unter eine Baumlichtung gezogen hatte, warf die Kette von der Schulter und schickte sich an umzukehren.

Halt! sagte Stamer hinter ihm, ich kam nicht wegen Fis, er hat einen Menschen mitgebracht, der dich seit Monaten an der Küste sucht.

Ein Mensch, der mich sucht?

Ja, wer kann es sein? sagte Stamer tiefsinnig, er will seinen Namen nicht nennen.

Wie sieht er denn aus?

Er ist nicht zu beschreiben, sagte Stamer und blinzelte ihn an, aber soviel ich aus ihm herausbrachte, kommt er von Sault St. Marie gezogen.

Wie! rief Jens freudig, ist es ein junger Dachs? Hat er rote Haare! Könnte er Sven oder Daniel heißen!

Er nannte seinen Namen nicht, er ist auch nicht mehr so jung.

Ein Alter? Hat er graue Haare!

Er hat kaum noch Haare, sein Gesicht ist faltig, er ist klein und geht zerlumpt. Aber er will dich sehr gut kennen.

Dann weiß ich es nicht, geh zurück und unterhalte ihn, ich kehre erst am Abend heim.

Er hat ein Doppelkinn, sagte Stamer, oder es ist der Platz vorhanden, wo einmal ein dickes Doppelkinn war, jetzt hängt ihm die Haut in Falten.

Ich kenne ihn nicht, erwiderte Jens in Gedanken. Am Abend werde ich ja sehen.

Stamer nahm mit zitternden Händen seine Büchse von den Schultern und lud sie durch. Denke dir, lachte er, in meinem Fieber habe ich darauf vergessen, die Büchse zu laden. Aber jetzt, wo ein Fremder im Lager ist, der dich so dringend sucht, ist es besser, wenn ich gewappnet bin.

Ach, lachte Jens, mir wäre wohler, wenn du dein Fieber im Zelt verschliefst. Warum lädst du deine Büchse durch und warum willst du gewappnet sein?

Stamer blickte ihn still lächelnd an, nach einer Weile sagte er: Es kann sein, daß der Fremde eine alte Rechnung mit dir zu begleichen hat … und dumpf setzte er hinzu: Zuvor bin ich an der Reihe!

Hatte Stamer nun diese Worte im Fieber gesprochen? Er sah in Stamers Miene den alten Haß gegen sich. Aber er lachte, als fände er in Stamers Worten einen Scherz. Er entgegnete nichts darauf, und ohne Stamer weiter zu beachten, ging er zum Tannenschlag zurück.

Was ist geschehen? Und wer kann es sein, der mich hier sucht und findet. Stamer haßt mich weiter, obgleich ich ihm nur Gutes erwies. Ich sollte ihm die Büchse zerbrechen. Der Narr! In den Abgrund mit ihm!

Er schlug eine Tanne ab, aber er fand, daß es ein schlechter Baum war, den er abgeschlagen hatte, der Stamm hatte eine Ausbuchtung. Er suchte weiter unter den Stämmen, sein Sinn aber war kraus, er ging an allen guten Stämmen vorüber, der Wald tanzte vor seinen Augen. Eine ganze Weile ging er so suchend umher und es geschah ganz zufällig, daß er an der Baumlichtung wieder heraustrat. Er kam da heraus, wo er Stamer verlassen hatte, es war ein Zufall und während er mit leerem Blick ging, sah er auch Stamer nicht, der unter einer Tanne kauerte und ihm den Rücken kehrte. Erst das Geräusch eines schnappenden Flintenschlosses lenkte seinen Blick auf Stamer.

Nun geschah etwas. Jens sah rot, in seiner Hand zuckte das Beil, mechanisch hob er den Arm, sein Blick wurde starr und sein Rücken wölbte sich, seine Faust wog die Entfernung. In dieser Sekunde war er außer sich und schon schwang er die Axt über die Schulter, etwas in ihm aber rief dawider. Mit aller Gewalt hielt er an sich und schrie: Stamer!

Stamers Kopf flog herum, im gleichen Augenblick sauste die Axt an ihm vorüber in den Baum.

Zur selben Zeit riß Stamer die Büchse an die Wange und drückte ab. Jens stand breit und grinsend vor ihm. Der Schuß, der Schuß! schrie Stamer, seine Finger krümmten sich vergeblich. Es war kein Schuß im Lauf, er hatte vergessen, daß er in diesem Augenblick sein Gewehr reinigte. Er sprang auf, drehte das Gewehr um und schwang den Kolben. Jens aber schwankte vor innerer Erregung auf Stamer zu, die Tränen schossen ihm in die Augen. Stamer, stotterte er, Stamer!

Fort! zischte Stamer und trat zurück.

Stamer! er wankte weiter hinter ihm her, aber Stamer verstand ihn nicht, er zuckte mit dem Kopf, die Adlerfeder kippte ihm vom Hut und hing vor seinen Augen. Und diese kippende Feder irritierte den fiebernden Mann, er schrie plötzlich, ließ das Gewehr fallen und raste in den Wald hinein. –

Jens aber redete sich ein, was auch geschehen sein mag, es geschah ganz zufällig, Gott ist mein Zeuge, meine Gedanken waren weit weg von ihm, als ich ihn sitzen sah, weit weg … Ich habe die Axt gehoben, sagte er sich traurig, es kam aber, weil mich sein Rücken haßerfüllt ansah.

Er zog die Axt aus dem Baum und hob Stamers Gewehr auf. An diesem Tage setzte er das Beil nicht mehr an, er trieb sich durch den Wald und tauchte nach einer Zeit in der Nähe des Lagers auf, besann sich aber und kehrte um; er ging zu Madun, wo er eintraf, als sich der Abend senkte. Er führte ein klares Gespräch mit Madun herbei, sie zählten die Schlitten durch und berechneten die Lasten. Darauf setzten sie sich über einen Bremsklotz auseinander, der in Form eines Keils zwischen die Führungsringe geschoben werden sollte. Nein, es sei doch sicherer, die Schlitten ohne Bremsklotz sausen zu lassen, Last und Geschwindigkeit würden die Schlitten schon in der Bahn halten. – Die Flöße sind in drei Tagen fertig, meinte Madun. Wir nehmen die Stämme dazu aus der Gleitbahn heraus … Und während sie miteinander überlegten, summte es weiter in Jens' Schädel.

Sie tragen ein Gewehr? fragte Madun verwundert.

Es ist Stamers Gewehr, erwiderte Jens nebenhin. Sagen Sie, Madun, es ist ein Fremder im Lager, hörte ich; ich weiß nicht, wer es mir sagte.

Ein Fremder? Ist Fis zurück?

Ja, Fis; er soll den Fremden mitgebracht haben. Und er begann wieder von der Zahl der Tannen zu sprechen.

Ein halbes Hunderttausend, schätzte Madun. Eine schöne Fracht, wie viel Tonnen hat Ihr Frachter?

Und Jens, der es genau wußte, suchte umständlich in seinen Taschen nach dem Schreiben der Reederei. Ha! fünfzehnhundert tons, Madun. Ein schöner Kasten, mit tausend Geviertmetern Segeltuch und einer Dampfmaschine. Fahren Sie mit nach Buffalo, Madun!

Ich kann meine Tochter nicht allein lassen, sagte der Vater.

Bedenken Sie doch, Madun, eine Stadt wie Buffalo, welche sich in zehn Jahren verdoppelt hat. Sie sind doch Deutscher, es wohnen hunderttausend Deutsche in Buffalo!

Ich sagte Ihnen, daß ich meine Tochter nicht verlassen will.

Ja, Mann, eines Tages gehen sie Ihnen doch dahin!

Dann gehe ich mit ihnen.

Ich meine, Madun, wenn sich die Mädchen verehelichen, dann stehen Sie doch nicht mehr für Ihre Töchter ein!

Madun blickte ihn ängstlich an und sagte: Das ist wahr, dann bin ich allein in der Welt. Aber solange bleibe ich, bis sie mich forttreiben.

Um Gottes willen, das ist Torheit.

Das ist der Vater in mir, sagte der eiserne Madun, die Augen tränten ihm.

Sie sahen einander an, Madun stand da, breit und untersetzt, seine Haare grau und mit rissigen Händen, er hatte eine dicke Warze auf der Stirn und weiße Haare wuchsen ihm um die Ohren. Es war nichts von außen zu sehen, was ihn schön machte. Als er sich nach einem Stamm bückte und ihn mit Keuchen aufhob, sah Jens plötzlich, daß Madun einen krummen Rücken hatte und daß er unter der Last schief ging und seitwärts dazu, und wie sich sein Gesicht unter der Mühe verzerrte. Das ist der Vater, es sitzt ihm in der Seele, solches tun nur die Väter. Sie keuchen mit krummen Rücken und werden schief mit den Jahren, sie erbarmen sich über jedes, weil sich ihrer keins mehr erbarmt.

Madun!

Der Alte blickte ihn an und sagte scherzend: Vor Jahren noch trug ich ohne Mühe das doppelte Gewicht, ich war auch flinker auf den Füßen. Es wird Abend, und wir wissen nicht, welche Schwäche uns schon die nächste Stunde bringen kann … Sein Lachen klang stolz, Jens wandte sich überwältigt ab.


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