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25

Im grauen Morgen lief ein Schiff aus Quirie ein. Der Rumpf war schwarz gestrichen, die Aufbauten weiß. Es war ein schönes Schiff mit einer starken Dampfmaschine. Das Segelzeug war geborgen, alles deutete auf ein Getreideschiff hin, die Breite und der schöne Tiefgang. Es war die Levante, auf dem Schornstein war in großen Lettern der Name der Reederei gemalt: Paul Vancour. Die Levante machte an der Außenmole fest, dicht hinter den Flößen. Auf der Mole stand Jens mit ganz bleichem Gesicht. Später kam Stamer gerannt, er hatte den Augenblick verschlafen.

Jens ging an Bord und begrüßte den Kapitän; einen eleganten Mann in mittleren Jahren, namens Joe Streen. Liegen Sie schon lange im Hafen? fragte der Kapitän.

Seit acht Tagen.

Wie viel Bäume haben Sie? fragte der Kapitän und lachte ihn an.

Fünfzigtausend Tannen, sagte Jens wie im Traum.

Acht Flöße, wie ich sehe! Das wird wie ein Blitz in Buffalo einschlagen. Wer hat Ihnen nur diesen Gedanken eingegeben!

Und Jens dachte darüber nach, er sah auf die goldenen Tressen des Herrn Streen und verfiel darauf, den eleganten Kapitän zu necken. Ein Mädchen, Kapitän, ein Mädchen gab mir den Gedanken …

Ein Mädchen? lächelte der Kapitän und sah von der Brücke hinab auf die Mole. Was sind das für Gestalten? Er zeigte mit dem Finger auf Stamer und Tucy. Ihre Freunde?

Jens überlegte und sagte: Ich kenne sie, einer von ihnen war mein Jäger im Walde.

Übrigens, sagte der Kapitän, der Schiffseigner Vancour ist seit drei Monaten verstorben.

Jens zitterte plötzlich und starrte zu Boden.

Es hat einen Kampf gegeben mit den Erben, in letzter Minute erhielt ich die Ordre, Ihre Fracht aus Port Williams einzunehmen. Sie haben Glück gehabt!

Jens sah immer noch nicht auf. Vancour tot, dachte er, und sein Herz bebte.

Der Kapitän sagte: Vancour hat sich entleibt. Diese Ordre aber war in seinem Testament festgelegt. Hören Sie mich?

Ich höre …

Nun bitte ich Sie, die Ladepapiere zu unterzeichnen. Bei welcher Gesellschaft ist die Fracht versichert?

Übernimmt die Reederei nicht die Versicherung?

In diesem Falle nicht, sagte der Kapitän nachdrücklich, die Reederei ist nur gegen ihren eigenen Schaden versichert. Doch trägt die Reederei alle Frachtkosten.

Jens verabschiedete sich hastig, lief ins Hafenamt und nahm eine Versicherung über zehntausend Dollar auf. Er bezahlte die Police mit seinem letzten Geld, steckte alles in einen Umschlag und sandte es Madun zu. Was er damit tat, konnte er nicht sagen. Als es geschehen war, wars ihm eine Wonne; er lief zum Schiff zurück. Und es war ihm, als sähe er sich selber zu und als dächte er über sich: Da geht einer, der seine Pflicht bis zum letzten tat. Er trägt aber sein Unglück mit sich herum. Seht, er hinkt auch, wenn er schnell geht. Eben erhielt er die Botschaft, daß sein guter Bekannter verstorben ist. Daran denkt er aber nicht. Dreimal verflucht, weil er so lieblos ist, nicht daran zu denken. – – –

Gegen ein Uhr ließ der Kapitän die Ladeluken öffnen, das Gangspill kreischte, längsseits lag das erste Floß. Scould und Varin standen auf dem Floß, nun galt es, die Ketten durch die Tannenberge zu ziehen, die Schlingen zu legen und hiv auf zu schreien. Wenn die Ketten die Lasten nur hielten! Der Steuermann selber stand am Gangspill und fluchte über die dünnen Ketten, die solche Lasten hochhiven sollten. Er warf dickere Ketten auf das Floß und jagte zwei Matrosen in den Laderaum zum Packen. Jens und Stamer standen im Laderaum. Es waren dreihundert Tonnen Marmor zum besseren Gleichgewicht in den Ecken verstaut.

Als der erste Tannenberg sich durch das Luk senkte, schrie Stamer laut vor Freude. Jens warf sich der Last entgegen und griff in die Ketten. Zieh! schrie er Stamer zu, die Matrosen faßten an und zogen den schwebenden Tannenberg in die äußerste Ecke des Laderaums. Die Tannen legten sich sanft zu Boden. Der Steuermann beugte sich oben über den Lukenrand und rief: Längsseits verstauen, locker packen, die schönen Tannen!

Tucy fehlte; er strich an der Mole auf und ab, seine Hände scheuten die Arbeit. Er dachte über Fanny nach und darüber, daß die kostbare Zeit dahinstreicht, in welcher ein Mann wie Allister seine Glut verfeuert. Ein Anwalt, wäre nur ein Anwalt zur Stelle, der mit Allister über den Preis verhandelte! Und er ging die Mole hinab, schnell und schneller, er lief durch die Gassen von Port Williams, einen Anwalt zu suchen. – –

Solange das Tageslicht währte, wurde verladen, drei Flöße waren bis zum Abend übernommen. Der Kapitän schwankte, ob er bei der Dunkelheit weiter laden sollte. Das Wetter war günstig, nichts trieb ihn zu einer außerordentlichen Eile. Er ließ die Arbeit stoppen und befahl, in der Frühe zu beginnen.

Jens strich durch den Laderaum. Die Tannen lagen in langen Reihen geschichtet, dazwischen liefen Gänge, kreuz und quer, damit die Tannen Luft hatten und nicht stocken konnten. Als nun die Matrosen den Laderaum verließen, hielt er Stamer fest und sagte: Wir müssen die Reihen mit Latten verschlagen, bitte den Steuermann um Schlaglatten.

Warum sollen die Reihen verschlagen werden? fragte Stamer unwillig.

Auf See werden die Berge kippen, die Bäume scheuern sich und werden unansehnlich. Geh, hole Latten, der Steuermann hat Schlaglatten.

Ich bin müde, murmelte Stamer, ich habe den ganzen Tag geschuftet.

Soll ich dich mit Gewalt zur Arbeit anhalten! sagte Jens wütend. Du willst ohne Arbeit reich werden. Im Walde habe ich dich geschont, ich ließ dich jagen. Hier gibt es nichts zu jagen.

Ich weiß, was ich will, sagte Stamer und stieg die Leiter hoch. Er kam nicht wieder, er bat auch den Steuermann nicht um die Schlaglatten, wie ihm Jens gesagt hatte.

So wurde es eine Nachtarbeit für Jens allein. Er holte sich Latten vom Steuermann, schaffte sie in die Tiefe des Laderaumes und bei schwachem Licht begann er Längsbäume zu ziehen und Querlatten zu nageln. Der Steuermann schickte ihm den Schiffsjungen mit einem Topf Essen. Dank auch, Steuermann. Es war sein erstes Essen an diesem Tage, der fremde Steuermann schickte ihm ein gutes Nachtessen. Weder Stamer noch Tucy dachten daran, ihm ein Essen zu schicken. Dank auch, Steuermann!

Um elf Uhr kam der Schiffsjunge wieder, er sah verschlafen aus, der Steuermann hatte ihn aus dem Schlaf gerissen und zu Jens geschickt, um ihm eine Nachricht zu überbringen. Ein Mädchen steht am Schiff, sagte der Junge, sie fragte nach Ihnen.

Ach, welch ein Unglück, sagte Jens dem Jungen, geh und laß dich nicht mehr aus dem Schlaf reißen wegen eines Mädchens … Wie heißt du?

Joe, sagte der Junge, Joe Smith; ich tat es gern.

Wie sieht das Fräulein aus, Joe? Ist sie groß und stattlich?

Nein, sie ist klein, hat ein schönes Kleid an und helle Haare.

Geh und lege dich wieder schlafen, Joe!

Der Junge stieg die Leiter wieder hinauf, Jens ging seiner Arbeit nach. Wie viele Latten schlug er an, es war ein riesiges Spalierwerk! Es fehlten Latten, er stieg hinauf, es war spät geworden, der Steuermann schlief, nur die Wache ging. Wo sind die Latten? – Dort, sagte die Wache. – Was stehst du hier und starrst mein Mädchen an, fragte Jens leise. – Die Wache sagte: Es ist die zweite, eine ging, diese dort kam. Kennst du sie?

Und Jens sah sich die Augen nach dem Mädchen aus, ja, ich kenne sie seit gestern. Sie heißt Margrit. Er ging, Margrit zu begrüßen, die sich zur Nachtzeit vor das Schiff stellte.

Sie lief ihm entgegen und sagte: Ich bin ja so froh, daß Ihr Schiff gekommen ist. Den ganzen Tag habe ich daran gedacht.

Es ist Nacht, du solltest dich schlafen legen, sagte er ihr.

Die Freude bringt mich um, nein, ich könnte nicht schlafen.

Es ist die zweite Nacht, die du nicht schläfst, sagte er leise.

Sie schlug die Augen nieder und griff nach ihrer Tasche. Hier, sagte sie, ich brachte dir etwas mit.

Ein Geschenk? murmelte er.

Nein, es ist etwas zum Essen.

Danke, aber nun gehe heim, ich habe zu arbeiten. Sei morgen wieder hier, denke daran, morgen. Gute Nacht!

 

Um fünf Uhr kamen Scould und Varin. Sie stiegen in den Laderaum hinunter und fanden Jens über einer Tanne eingeschlafen. Jens fuhr auf, er sah im Düstern eine Gestalt und ehe er noch ganz wach war, griff er nach dem Hammer und schrie Scould an: Steh, Stamer!

Ich bin Scould und dort steht Varin, antwortete Scould. Nun erkannte er sie und stammelte: Bei Gott, ich glaubte, es sei Stamer gewesen.

Sie starrten ihn an, aber er ließ ihnen keine Zeit zum Denken. Gut, da seid ihr! glaubt ihr mir nun, daß ich kein Betrüger bin? Stamer hat euch gegen mich eingenommen, ich weiß es, Stamer war es. Seid ihm aber nicht gram, er ist verrückt!

Wir sind ihm aber gram, sagte Scould, er hat uns eingeredet, du seist ein Betrüger.

Wußte ich's doch! – –

So begann der Tag; er endete, als der letzte Baum verstaut war. Der untere wie obere Laderaum war bis unters Luk gefüllt, eine Floßladung war auf dem Vorderdeck verstaut. Es gab dem Schiff ein schönes Aussehen, die Tannen starrten grün über den Bug hinweg, die Spitzen gen Himmel gerichtet. Der Kapitän inspizierte die Ladung und Jens bat ihn, die Ladeluken offen zu lassen. Der Kapitän nickte dazu. Sie wollen Luft für die Bäume haben, sagte er. Ich will ein übriges tun und den Tannen auch von unten Luft geben. Er befahl, daß man ein Schott aufzog, das vor dem Klüwerkasten hing. Und gleich danach kam ein frischer Zug aus der Tiefe des Laderaumes. Jens bedankte sich bei dem Kapitän und bat um freie Passage für Scould und Stamer. Der Kapitän überlegte kurz und gestattete die freie Fahrt. Darnach bat Jens um freie Fahrt für Tucy, der an der Laufbrücke stand.

Für diesen da? fragte der Kapitän. Er hat nicht gearbeitet, er mag seine Passage bezahlen. –

Da geschah es aber, daß Stamer hinzutrat und für Tucys Passage gutsagte. Ich zahle, sagte er, Tucy ist mir die Passage wert. Dabei funkelten seine Augen in einem merkwürdigen Glanz.

Der Kapitän sah ihn kaum an, er sagte zu Jens: Es ist nicht allein die Passage, er mag aber mitfahren, wenn Sie es wünschen.

Das war zu viel für Stamers Eitelkeit, daß nicht sein Geld allein Tucys Mitfahrt entschied. Er ging über Deck zum Mannschaftslogis und lud alle zum Umtrunk ein. Es waren bei zwölf Mann, auch der Steuermann sagte nicht ab, selbst der Ingenieur schloß sich an. Sie zogen alle zum ›Wilden Büffel‹, der berühmtesten Kneipe im Hafen.

Der Kapitän ließ Jens eine saubere Kajüte anweisen. Der Junge schaffte den Seesack an Bord. In der Frühe sollte die Levante ausfahren. Stamer schickte beizeiten Tucy zum Schiff zurück und ließ Jens sagen, er solle an der Sauferei teilnehmen. Jens lachte ihn aus, er habe Besseres zu tun. Er ließ aber Tucy in seine Kajüte eintreten, in welcher er nackend stand und sich wusch. Tucy bewunderte das schöne Logis und Jens gab ihm zu verstehen, was es heißt, sich ganz und gar an Stamer zu verkaufen. Ich habe gehört, sagte er ihm, daß er deine Passage bezahlt hat, ich frage mich nur, was er eines Tages von dir fordern wird.

Er hat mir das Geld nur verauslagt, erwiderte Tucy. Ich habe einen Anwalt beauftragt, mit Allister zu verhandeln. Stamer zahlte auch dieses.

In Gottes Namen, in Buffalo scheiden sich unsere Wege.

Nach diesem ging Tucy und Jens dachte bei sich: Nun sind alle Freundschaften zerbrochen. Gott weiß, welche Menschen ich in Buffalo treffen werde. Hie und da liegt schon ein Grab auf meinem Weg, ich darf mich nicht umblicken. Und ob ich dieses verschuldet habe, kann ich nicht sagen. Sie alle lebten weit gottloser als ich, Vancour, Tucy, Allister und sein alter Einsäer. Wie konnte der sterbende Kapitän Burte noch fluchen! Nie aber sind es die Weiber, welche gottlos sind.

Wie ich auch denke, sie sind nicht gottlos, sie stecken voller Ahnungen und sind ehrfürchtig. Selbst Fanny war nicht die schlechteste. Sie hat einen Hund vergiftet, das war sehr schlecht von ihr … Louison! wie zärtlich war ihr Gesicht, ich kenne keine Bosheit an ihr … Wäre sie an meiner Seite, mein Leben wäre sauber … Bianca! Genug, ich werde rot. Doch ich bin nicht ängstlich, ich zähle sie alle auf, sie haben mich erwählt, darum bin ich nicht gottlos. Ich werde aber grau vor Wut, wenn ich daran denke, wie gottlos wir doch zusammengenommen sind. –

Er grübelte. Der Mond schien durch das Bullauge, ein bleicher Schein fiel in seine Kajüte. Er öffnete das Bullauge, sah den Mond am Himmel stehen und sieben silberne Bänke neben ihm. Ganz ohne Sinn sagte er zu sich: Die Mond ist schön, sie glänzt und hat sieben Bänke neben sich stehen … Er wiederholte in Gedanken seine Worte und lachte. Die Mond habe ich gesagt, es klingt falsch, aber es ist zu sehen, wie recht ich hatte, die Weiber zu preisen. Die Mond ist falsch, es heißt die Sonne!

Die Sonne! flüsterte er und steckte den Kopf durch das Bullauge und sah die Mole hinab. Welche es auch sei, die ihm zuerst in den Weg läuft, sie sollte ihn ganz haben. Aber er war nicht darauf aus, jemanden zu suchen. Er legte sich über das schmale Bett, eine Zeit beschäftigten sich seine Gedanken nur mit Stamer. Er schloß die Augen und versperrte sich vor der Außenwelt. Schließlich war es nicht mehr Stamer, an den er dachte. Er schlief ein und die erste, welche ihm begegnete, war Cornelia. Er begegnete ihr in St. Martin unter der Honigakazie. Das Entzücken machte ihn ganz krank, er sank dahin ins Gras und weinte an ihrem Halse. Du bist die erste und einzige, flüsterte er, wahr, mein Gott, wahr! Und er sah ihre Finger an, die weiß sind und rote Kuppen haben, und stotterte herzzerbrechend: Was kann ich tun, um immer deine roten Fingerkuppen zu sehen … er hielt an und sah ihre Augen, die auch rot waren und schluchzte: Mit deinen roten Augen laß mich durch die Welt gehen … Sie umarmten sich.

Draußen stand eine Zeit Madun mit seinen Töchtern, Madun hielt die Versicherungspolice in der Hand, aber es war keiner an Bord, keine Wache ging, nur der Zweite Steuermann war an Deck, er schlief seinen gerechten Schlaf. Madun kehrte um. Jeanne und Irene trennten sich von ihrem Vater. Sie gingen eine Stunde lang über die Mole, stumm und engumschlungen; dann verließen sie die Mole. Als die ersten Betrunkenen an Bord kamen, stand Margrit dort und fragte die Männer aus, sie erhielt grobe Reden, einer wollte sie fangen, sie schrie entsetzt. Das geschah unter Jens' Bullauge, ihr Schrei fuhr durch seinen Traum. Er sank abermals Cornelia zu Füßen, war verstört, weil sie so laut klagte. Sie warf ihm eine Blume zu, die Blume war schwarz und hatte lange häßliche Staubgefäße.

Am Morgen fuhr die Levante pünktlich aus.


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