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10

Es kamen schwere Tage für Jens und Stone. Der Wind trug den Frost mit sich, oft genug sah es in der Luft nach Schnee aus. Jens schoß einen Fuchs, den er Stone überließ. Aus dem Fell nähte er sich einen Schuh. Und es gab Stunden, in denen sich ein eiskalter Nebel über die Prärie senkte, mitten am Tage, es sah aus, als wolle er niemals weichen. Hob sich der Nebel, dann war es ungewiß, in welcher Richtung sie gegangen waren; die Berge waren längst im Nebel versunken. Die Kälte mergelte sie aus, die Tage waren kurz, es dunkelte schnell, aber auch in der Nacht krochen sie weiter.

Am dritten Tage entdeckte er bekannte Stellen in der Ebene, einen Platz mit zwei Windpappeln, hier und da eine Steingruppe. Am Abend glaubte er St. Martin zu sehen, er eilte mit Stone lange Zeit voran, pfiff und sang und nahm einen guten Schluck Wasser aus der Bärenblase und teilte mit Stone ein großes Stück Fleisch. Als die Nacht anbrach, sah er, daß er sich geirrt hatte. Er mußte sich südlicher halten, sie waren auf Cachel losmarschiert.

Südlicher. Er hatte seine Kräfte überschätzt; nun taumelten sie noch ein Stück in der neuen Richtung. Es wurde die kälteste Nacht, lange vor Mitternacht war das Gras steif, die Sterne funkelten, der Frost kam ohne Wind hereingeweht. Jens machte ein Feuer aus Gras, fast die ganze Nacht brachte er damit zu, Gras zu rupfen und bedeckte damit seinen Fuß, warf auch gewärmtes Gras über den schlafenden Stone. Seine Augen tränten vom Rauch und er dachte daran, welche Genüsse er sich in St. Martin bereiten wollte. Eine warme Suppe, ein Stück Brot dazu und Zucker, nur ein Stück Zucker und heißes Bier, darum wollte er zuerst bitten, um Zucker und einen warmen Trank für Stone.

Es wurde Morgen, es wurde Nachmittag, sie liefen den ganzen Tag. Nun war es keine Täuschung mehr, heute noch erreichten sie St. Martin. Stone witterte Menschen, er stand versunken und schnüffelte am Gras, hob die Nase in den Wind, bellte und schoß weiter. Es dunkelte schon, als sie die ersten Geräusche vernahmen. Lange wußte Jens nicht, was für ein Geräusch in der Luft lag. Auch Stone stand und lauschte; dann kam es Jens plötzlich ein, daß es eine Dreschmaschine ist. Auf St. Martin mußten die Ähren durch die Trommel fliegen. Sie gingen dem Summen nach. Nach einer Zeit sah Jens einen Lichtschein in der Finsternis, Stone lief mit geducktem Kopf davon.

Stone! rief er mit schwacher Stimme, aber der Hund war nicht zu halten, er verschwand in der Dunkelheit. Aber das waren nicht die Hauptgebäude von St. Martin, das Licht kam vom Felde. Er unterschied eine Reihe von Windlichtern und einen Getreideberg. Dann erkannte er den Dampfzug, einmal pfiff die Sirene grell zu ihm herüber. Die Dreschmaschine stand hinter dem Getreideberg, das Summen wurde immer stärker. Einige Minuten später entdeckte er Menschen und sah Garben an den Lichtern vorüber fliegen. Am Dampfzug standen Männer und als die Feuertür aufflog, glaubte Jens Allister zu erkennen. Ermattet wankte er zum Dampfzug, sah, daß drei Männer auf etwas an der Erde starrten und zusammen sprachen. Als sie auseinander gingen, lag Stone an der Erde, er soff aus einem Topf Wasser.

Jens stand zehn Schritte entfernt, die Männer stierten ihn an, und da er im Dunklen stand, erkannte man ihn nicht gleich; er sah verwahrlost aus, seine Schuhe waren mit Gras umwickelt, die Jacke hing in Fetzen, sein Gesicht war bärtig und rußig. Er stand da, unerkannt und blickte tränenden Auges auf Stone.

Stone!

Der Hund zuckte zusammen und kam winselnd zu Jens gekrochen. Eine bittere Empfindung überkam ihn, er sah nur unbekannte Gesichter; die Männer starrten ihn an und rätselten, wer er sei. Als einer der Männer auf ihn zukam, drehte er sich um und ging schweigend ins Dunkle, Stone folgte ihm.

Hallo! rief ihm eine Stimme nach, hallo! riefen die Männer. Das Summen der Maschine hörte plötzlich auf. Jens aber war im Dunklen verschwunden und hörte das Sprechen vieler Menschen.

Jens! rief eine bekannte Stimme; es war der Einsäer, welcher ihm nachlief und wiederholt schrie. Sie trafen sich in einer Bodensenke, fünfzig Schritt vom Dreschsatz entfernt.

Herr, Herr! rief ihm der Alte aufgeregt entgegen, ich habe Sie erkannt, an Ihrem Hund habe ich Sie erkannt … Stellen Sie sich ins Licht! Wie Sie aussehen, Sie haben Unglück gehabt?

Jens schwieg, er schwankte und legte den verletzten Fuß über sein Gewehr. Fritjof blickte und zitterte. Unglück … murmelte er und zog eine Flasche aus der Tasche. Trinken Sie, es ist Branntwein!

Mit gebrochener Stimme erwiderte Jens: Hole mir Wasser, Fritjof …

Der Alte lauschte eine Weile der Stimme und lief davon. – Jens verließ die Bodensenke und stellte sich so, daß er das Licht wiedersah … Ha! Menschenwerk, dachte er, Menschenwerk ist das, ein Dampfzug und ein Dreschsatz, selbst das Korn ist Menschenwerk! Und ich stehe wieder mitten unter Menschen. Eine tiefe Ruhe überkam ihn, er ließ sich nieder und sah mit großer Freude, wie Fritjof mit einem Topf in der Hand gelaufen kam.

Danke, sagte er mit überströmender Freude und trank. Setz dich, murmelte er und feuchtete seine Augen mit dem Wasser. Zuletzt goß er ein wenig Wasser über seinen Fuß und schielte Fritjof an. Unglück, sagte der Alte … ich wußte es, als ich den Hund sah. Unglück? sagte Jens. Ja, ich verletzte mir den Fuß.

Sie ritten mit einem Pferd aus, flüsterte der Alte, wo ist das Pferd?

Es liegt erschlagen im Windbruch!

Der Alte stierte ihn an und sagte nach einer Pause: Glück, Herr, Sie haben Glück gehabt!

So! nun gehe und benachrichtige Cornelia Allister, schicke auch einen Mann zu Tucy, Kal soll kommen, er möge meinen Seesack mitbringen. Sage, daß ich hier warte; an dieser Stelle will ich warten. Nun geh!

Ja, murmelte der Alte, ich will selber zu Kal hinüberreiten …

Nein, reite und melde Cornelia Allister … Was starrst du mich so an, he! Ich habe dir ein Geschenk durch Herrn Vancour verschafft, jetzt willst du nicht den Boten spielen!

Unglück, murmelte der Alte, Cornelia Allister ist mit Maria nach Buffalo gereist …

Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn, er stotterte abwesend: Nach Buffalo …? ja, was malte ich mir denn aus … Geh und sage ihr, daß ich hier warte!

Sie ist am Tage nach Ihnen abgereist, ich habe sie nach Sault St. Marie gefahren … Er zog aus seiner Tasche ein umschnürtes Paket, wickelte es auf und reichte Jens einen Brief. Aber Jens sah nicht hin, es zuckte in seinen Augen, er flüsterte: Ich warte hier …

Es ist ein Brief von Cornelia Allister, Herr, sie beschwor mich, Ihnen diesen Brief zu geben!

Du hast sie selber nach Sault St. Marie gebracht? fragte er bebend und begriff endlich, was der Alte ihm sagte. Als er sich erhob, waren seine Füße taub.

Der Brief, Herr! murmelte der Alte. Lesen Sie den Brief!

Verbrenne ihn, flüsterte er, verbrenne ihn im Feuerloch, hörst du! Ich kann nicht lesen … haha! einen Brief hast du von ihr? Her damit, und daß du mir schweigst. Ich weiß, sie hatte eine Reise vor. Ich habe mich in der Zeit geirrt. Das kommt durch den Windbruch, ich habe meine Erinnerung verloren. Ein Glück nur, daß Stone bei mir war. Glaubst du, daß ein Hund seinen Herrn beschützen kann!

Es kann sein, sagte der Alte und starrte auf die Erde. Als er aufblickte, ging Jens davon.

 

Das war nicht das einzige Unglück, das ihn traf. Er dachte fortgesetzt an Tucys letzte Worte: Unglück, Unglück, und begann sein Schicksal zu verfluchen.

Von Kummer und Zorn erfüllt, schleppte er sich zu Tucys Farm hin. Aber dies war nicht das einzige Unglück … Am Hause sah er eine Hundehütte stehen; Djib lag an der Kette und lebte noch. Stone schlug einen Bogen um die Hütte, und als Jens das Haus betrat, drückte sich Stone zuerst hinein und bellte laut, als sei er hier Herr im Hause. Alles dies war von Bedeutung, Stone bellte und benahm sich rüde. Jens stolperte ihm nach und als er in der erleuchteten Diele stand, verbreitete er unter den Anwesenden ein lähmendes Entsetzen. Stone durchlief schnuppernd die Diele, Jens stand wie eine Salzsäule und starrte Mac Allister an, der am Tisch neben Fanny saß. Mac Allister wurde grau, als er Jens vor sich sah, Tucy lachte leise, er blinzelte mit einem Gesicht, als wollte er sagen: Ein gebrochener Mann, ich habe es gewußt. In einer Ecke am Kamin saß Kal, ihm fiel die Pfeife aus dem Mund, seine Kinnbacken schlugen aufeinander. Stone setzte sich zu Jens' Füßen und knurrte. Und seht, in Fanny rührte sich nichts, als sie Jens' leidvolles Gesicht sah. Weder schauderte sie, noch machte sie Miene, eine Träne zu vergießen. In ruhiger Verwunderung schlug sie die Hände zusammen und blickte Allister von der Seite an.

Eine tiefe Ernüchterung ergriff ihn, beim Satan, dachte er, hier stehe ich und weiß kein Wort zu sagen. Er wurde heiß vor Zorn und im Augenblick dachte er an alles, was er durchlebt hatte und schrie: Seht ihr denn nicht, was geschehen ist. Helft mir doch …! Mein Pferd wurde im Windbruch erschlagen. Stone und ich, wir haben uns gerettet …

Schrei nicht so! sagte Tucy ruhig, beim Himmel, was ist dabei! Du bist hungrig, man gibt dir zu essen!

Jens blickte ihn an. Ach, hatten sie denn kein Herz im Leibe, daß sie ihn stehen ließen und vom Essen sprachen. Hier stand er, um einen Schritt dem Tode entrückt, die Wangen schwarz und mager, die Kleider zerfetzt, zu Füßen sein Hund, welcher alles mit ihm erduldet hatte. Und unwillkürlich duckte er sich, er meinte plötzlich das Brausen vom Firn wieder zu hören und das gräßliche Brechen im Walde. Pein und Verzweiflung erfaßten ihn … Aber dieser da, Mac Allister, tat ihm den größten Schimpf an. Er saß dort in einer braunen Samtjacke, sein bunter Schlips stank vor Geld – und nur weil er dort saß und nichts sprach und ihn mit seinen grauen Augen anstarrte, das war sein größter Schimpf.

He, Allister! sagte er mit einer vor Wut bebenden Stimme. Wo hast du die bleiche Maria versteckt, du kleiner, grauer Wolf! Hast sie nach Buffalo geschickt, die Kröte mit dem Betbuch? …

Schweig! sagte Allister, ohne sich zu rühren.

Warum nicht gar, lachte Jens gramvoll, Herr Allister befiehlt mir zu schweigen! Schämen Sie sich gar, mit ihr geschäkert zu haben! Oder hat Ihnen Cornelia den Kopf gewaschen, hat sie es getan, wie ich es ihr befohlen hatte …! Er riß den Brief aus der Tasche, öffnete ihn mit zitternden Fingern, dazu schwatzte er: Ein Brief von Cornelia, jemand hat ihn mir zugesteckt. – Seine Augen lasen und füllten sich mit Tränen. Sie schrieb: So Gott will, im Frühjahr bin ich bei Dir.

Er steckte den Brief ein und sah um sich. Allister stand auf, er blickte Jens höhnisch an und sagte: Narr!

Jens aber stellte seinen umwickelten Fuß vor, daß ihn jeder sah und sagte: Ich verlasse dieses Haus und fahre nach Buffalo. Warum sollte ich ein Narr sein und jetzt schweigen?

Allister sagte heftig: Weil ich nicht dafür hafte, wenn ich Ihnen eine Kugel durch den Kopf jage!

Kal! rief Jens unter Lachen und schwankte zur Tür, riß sie auf und rief laut durchs Haus: Chester, Daniel!

Sie sind auf dem Wege zur Marquette-Bay, sagte Kal aus der Ecke.

Jens riß seine Augen auf und suchte Tucy, aber die Qual und Pein dieser Minuten überwältigten ihn, er sah nichts mehr, vor seinen Augen wogten Nebel, er hörte noch Stones tiefes Klagen. Tucy hat ihn getreten, dachte er blitzschnell und schwang seinen Stock …

Er brach auf der Schwelle zusammen.


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