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6

Böses Wetter kam. Von West und Ost zogen schwere Gewitter über St. Martin. Sturm heulte vom Höhenrücken, war durch die Prärie geeilt und hatte nur Gras gefunden, jetzt wälzte sich Sturm und Regen über die Getreidefelder. Die Erde verwandelte sich in Schlamm. Drei Tage schien die Sonne unerbittlich, brannte und sog die Feuchtigkeit auf, danach lagen die Wolken in geringer Höhe über der Flur und feuchteten die Luft mit nassen Tüchern. Die Ernte ruhte, Allister konnte seinen frühen Weizen nicht ernten, alles Getreide lagerte sich.

Tucy war genesen, sein Gesicht aber war verfallen. Am Tage stand er vor der Tür und teilte nach allen Seiten freundliche Grüße aus. Er kümmerte sich auch um die Erntearbeiter, ließ viel saure Sahne verbacken und spielte mit Chester und Daniel ein Spiel um Geld, five to five, ein Holzfällerspiel. Er erzählte jedem einzelnen, daß er zwei Tage dem Tod ins Gesicht gesehen habe, vor seinem Bettpfosten habe der Knochenmann gestanden und Jens sei es gewesen, der ihm das Leben rettete.

Eines Tages sagte er zu Louison: Weißt du eigentlich, wie uneigennützig dein Jens ist? Er könnte heute Besitzer meiner Farm sein, er zog es aber vor, mein Freund zu bleiben.

Als sie ihn groß anblickte, sagte er: Geh nur hin zu ihm, Louison, du kannst auch seine Schlafstube teilen, ich dulde eure Liebe und werde es deinem frommen Vater verschweigen. Habe nur acht, daß er nicht Cornelia Allister verfällt … Fanny stand dabei, sie wurde rot vor Ärger und sagte: Du Kuppler!

Louison erzählte es Jens traurig wieder. –

Ja, sagte er, denke dir … kannst du es glauben, daß Tucy edelmütig ist! Geh, Liebste, ich denke auch nicht an Cornelia Allister.

Nein, sagte sie, du denkst nicht an sie.

Wie du mich anblickst! murmelte er.

Sie standen auf dem Felde; die Natur war noch feucht und Louison ging barfüßig, sie trug ein Stück Segeltuch über den Schultern. In einigen Tagen war sie erblüht, sie bog im Gehen ihren Körper nach seiner Seite hin, ihre runden Knie streiften das nasse Gras, sie fand nichts dabei. Ihre Bluse stand offen, der Hals war bis tief in den Busen hinein gerötet, sie lief zu den hohen Pappeln hin; alles an ihr war schön und zog ihn an. Vor einer der schlanken Pappeln blieb sie stehen, blickte inbrünstig in die Rinde, umarmte sie und jauchzte. Ihre nackten Waden zeigten keine Mühe, nur Lust, nur Lust. – Sie legten sich auf das Stück Segeltuch, obgleich es von den Bäumen tropfte, die Pappel blieb ihr Schutz. An der Erde ringelte sich Efeu, Stockblumen, Goldenrod, noch blühten Siebenstern und Tausendschön. Ein ganzer vielfältiger Garten grünte unter den hohen Pappeln.

 

Nach Tucys schlechter Nachrede gab Jens seine Kammer auf und zog zu Chester und Daniel. Abends kam auch Kal, sie zeichneten eine Karte der Prärie und bestimmten eine Stelle, an der das Haus stehen sollte. Sie nannten es das Jägerhaus. Etwas Acker wollten sie urbar machen, eine Kuh wollten sie halten. Und Jens sagte: Spielt weiter mit Tucy five to five, seid freundlich, damit er nicht ahnt, daß wir ihn im Winter verlassen wollen.

Vielleicht ist er uns gerne los, meinte Kal.

Gleichviel, nach der Ernte gehe ich ins Gebirge und schlage das Holz zum Haus. Ihr überwacht Tucy, daß kein Händler ins Haus kommt, ehe ich zurück bin.

Wenn er aber das Getreide heimlich auf dem Halm verkauft, warf Chester ein. Bei Allister hält sich der Händler aus Buffalo auf.

Was du nicht weißt! sagte Jens.

Abend für Abend sprachen sie von der Prärie.

 

Über die ganze Nacht sauste wieder der Regen, am Tage schien die Sonne, ein leiser Wind kam, er riß aber die Schwüle nicht auf. Die Erde dampfte, am Nachmittag hörte der Wind ganz auf und brütende Stille lag über der Erde. Das Getreide hob sich nicht, es war ausgereift und hatte keinen Saft mehr. Wenn es trocken wird, müssen die Messer der Mähmaschinen dicht über die Erde fahren, um die Ähren zu fangen. Allister wird nun doch sein Stroh ernten müssen.

Es war nicht zu erwarten, daß Allister an diesem Tage seinen Dampfzug laufen hatte. Um sich aber Gewißheit zu holen, ritt Jens am Nachmittag zum Honigfeld. Da stand der Dampfzug von allen Menschen verlassen, sein großer Leib war kalt, ohne Feuer und Rauch. Das Zelt schien leer, kein Pferd trieb sich herum. Und der Weizen lag, wie ihn der Windstrudel geworfen hatte, kreuz und quer. Auf den Feldern aber türmten sich schon die Getreideberge; der schlaue Allister hatte sie mit Planen zugedeckt. Er konnte sagen, Dank, mein Gott, daß du mir einen Verstand gabst, um Plane zu kaufen, statt der Kühe, die ich verkaufte. Stroh wollte ich nicht ernten, nun muß es doch sein. Pfui über den unnützen Regen! Auf dem Zelt stand das Wasser noch in Tümpeln und dampfte. Plötzlich sah er blauen Rauch aufsteigen. Ein Mensch, ein Mensch sitzt unter dem Zelt. Es war der Einsäer, er kam hinter der Zeltbahn hervor und stand unerwartet vor Jens, er blickte dem Alten erschrocken auf die nackten Füße. Du hältst Wache?

Der Einsäer schlug die Falten des Zeltes zurück und sagte: Treten Sie ein, Herr. Es kommt heute niemand mehr. Herr Vancour und das Fräulein haben vor einer Weile bei mir gesessen.

Aha, sagte Jens leise, band sein Pferd fest und trat hastig unter das Zelt. Sein Auge streifte über den langen Holztisch in der Mitte, dort standen zwei Gläser, ein Spirituskocher flammte, im Kessel kochte es.

Zwei Gläser, sagte er leichthin und nahm auf der Bank Platz. Zwei Gläser sehe ich, dann trank Vancour Wein?

Der Einsäer nickte und sagte: Vancour schenkte mir hundert Dollar, dafür danke ich Ihnen, ich weiß, es war Ihr Douceur. Herr Allister sagte es mir.

Jens erwiderte: Das war vor einer Woche, Fritjof.

Ja, sagte der Alte, es war an dem Tage, als der Dampfzug anlief.

Höre, Fritjof, ich sehe hier zwei Gläser stehen. Trank das Fräulein Herrn Vancour zu?

Der Einsäer blickte an ihm vorbei.

Wie? fragte Jens gelassen, wie tat sie es! Blickte sie ihm dazu in die Augen?

Der Einsäer murmelte: Ich sah nichts, Herr Vancour schickte mich zum Dampfzug.

Du hast aber spioniert. Rede nicht, sprich die Wahrheit. Trank sie ihm zu?

Ich schwöre, ich sah nichts. Ich sagte Ihnen doch, Vancour schickte mich zum Dampfzug. Jetzt begreife ich, was er wollte. Er war verliebt. Ihm zitterten die Hände, als er unter das Zelt trat … Nun sind sie fort, sie kamen zu Fuß gegangen. Herr Vancour schwitzte arg, sie lieh ihm ein Tuch, sein Gesicht zu trocknen.

Es ist schwül, erwiderte Jens leise. Er erhob sich, alles war seltsam verändert, er blickte stumpf durch das Zelt.

Wenn es trocken bleibt, mähen wir wieder, sagte der Einsäer. Es wird hohe Zeit, Regen und Sonne verderben uns das Korn, nicht wahr, Herr!

Warum sagst du Herr zu mir?

Dann kommt bald meine Zeit, murmelte der Einsäer, wenn erst die großen Eggen durch die Stoppeln gehen. Mit achtzig Händen werden wir säen, der alte Fritjof voran, nur ein Punkt in der Luft, Herr, immer geradeaus und kein Korn fällt doppelt.

Warum antwortest du mir nicht?

Der Alte blickte ihn von unten an und sagte: Herr, Herr, Sie sind von Allisters Schlag, Sie werden ein großer Farmer.

Jens lachte wild und verließ das Zelt. Warum nicht gar? Ein großer Farmer!

Gott befohlen! rief ihm der Einsäer nach.

Und Jens ritt wieder durch den sonnigen Tag.

Aus dem Gras stieg heißer Dunst auf, auch Gras und Stoppeln hatten ihren Geruch, der süße Duft von Honig zog über die Erde. Die gelbe Sonne war nicht anzusehen, ihr Feuer flackerte und stieß feurige Kreise aus. Des Pferdes Hufe flogen durch aufgeweichte Erde, kein Gras, welches knackte, kein Stein, der an die Hufe schlug. Menschen kamen über das Feld, zwei Männer und zwei junge Weiber, sie gingen Arm in Arm. Sie gingen dorthin, woher er geritten kam. Das Pferd wieherte, Jens blickte den Paaren verstohlen nach. Einmal hörte er die jungen Weiber lachen. Er blickte lange in die Richtung, aus der ihr Lachen kam. Als er weiter ritt, kam ein Wagen und rollte St. Martin entgegen. Er reckte sich im Sattel, es war ein großer Erntewagen, welcher schnell dahinrollte. Der Wagen war mit grünem Laub geschmückt, in der Wagenmitte war ein Baum aufgerichtet, daran hingen bunte Bänder. Menschenstimmen klangen herüber, sie sangen und riefen, es klang heiter und langgezogen über das Feld. Er ritt schneller, um noch vor dem Wagen auf Allisters Hof einzutreffen. Eine Zeit sah es so aus, als gelänge es ihm, aber der Wagen lag weit voraus; zur selben Zeit tauchte ein neuer Wagen auf, welcher in derselben Weise geschmückt war, mit heiteren Menschen, welche laut sangen.

Kurze Zeit nach dem Wagen ritt auch er über den Hof. Die lärmenden Leute spannten ihre Wagen vor dem Hause aus, Weiber warfen Grün über die Treppe. Aus dem Hause kamen ihm einige Männer entgegen, in der Tracht der Waldgänger, mit Lederhosen und Wolltüchern um den Hals. Allisters Stimme schallte durch das Haus. Junge Mädchen standen im Durchgang des Hauses, Jens sah bunte Tücher und Kopfputz, alles schien wie zu einem Fest gerüstet. Im Flur lagen Feldblumen, die Fenster im Festsaal waren weit geöffnet, eine lange Tafel war gedeckt. Vor den Fenstern strich ein alter Holzfäller auf einem Sägenblatt, es klang süß und zitternd durch den Raum. Immer mehr Menschen betraten das Haus, es waren Allisters Erntearbeiter, sie waren festlich gekleidet. Die alten Waldarbeiter trugen goldene Uhrketten, selbstgefertigte Ringe, ihre Stockknäufe waren aus Gold, an ihren Gürteln klapperten Dollarstücke; die jungen Weiber hatten sich Feldblumen ins Haar gesteckt, ihre kurzen Röcke waren bunt, aus mehrererlei Tuch und in Streifen zusammengenäht, sie trugen billigen Japanschmuck, schlechte Korallen in Blech gefaßt, falschen Onyx und rohe Jadesteine …

Der erste, welcher Jens begegnete, war Herr Vancour, mitten im Durchgang des Hauses trafen sie sich. Er nahm Jens an den Arm und führte ihn in die Großstube. Vancour trug eine braune Samtjacke und schwarze Hosen mit breiten Litzen. Er hatte sein Haar gestutzt, im Gesicht schien er abgemagert. Er erzählte Jens ausführlich, was dieser Tag zu bedeuten habe. Allister habe sich entschlossen, das Erntefest vorwegzunehmen, denn der Regen habe ihnen genug Zeit gestohlen, heute sei Festtag. Ein Jammer nur, daß der Regen den Weizen niedergewalzt habe. Aber noch sei nichts verloren, das Korn sitze fest in der Ähre. Er habe sich davon überzeugt. So, und nun beachten Sie die Weiber, es ist junges Blut darunter, ich sah nichts Besseres in Buffalo. Die Burschen haben auch ihre Weiber nicht fest in der Hand. Die Mädchen gehen mit jedem. Haha!

Allister kam, er sah ungepflegt aus und trug seinen gewöhnlichen Anzug mit der Lüsterjacke. Er schien getrunken zu haben, denn er umarmte Jens mit einer seltsamen Ekstase und sagte laut: Wärst du mein Sohn, ich könnte dich nicht lieber haben! …

Jens blickte ihn stumm und verlegen an, darauf sagte Allister gramvoll: Ich weiß, daß es dir nichts gilt. Oder bist du wütend, daß ich dich anrede wie einen Sohn, he!

Jens sagte kurz: Reden Sie mich so an, reden Sie nur, Sie sind ein achtbarer Mann …

Achtbar? sagte Allister. Das sagst du! … Er blickte sich nach Vancour um und sagte: Gehen Sie, Vancour, ich habe mit ihm zu reden. Oder bleiben Sie, Herr Vancour, Sie können es hören, was ich zu sagen habe. Es kommen einsame Tage für mich alten Mann, ich brauche eine Stütze, eine Altersstütze … In seinem Gesicht arbeitete es, er drehte sich plötzlich um und schoß davon.

Er ist betrunken, flüsterte Vancour, er trank schon am frühen Morgen; aber ich hätte es dem alten Teufel nicht angesehen, daß er so berauscht ist.

Etwas hat ihn geknickt, meinte Jens.

Ich glaube zu wissen, was es ist, sagte Vancour, später teile ich es Ihnen mit … Sehen Sie sich unter dem Volk um! – Damit verließ er ihn, seine breiten Hosenbeine mit der Litze wehten um seine Schuhe, die Samtjacke war ihm etwas zu kurz.

Von fern her rollte ein Gewitter, durch die geöffneten Fenster strich ein frischer Wind, draußen sangen die Waldgänger.

Ein eilender Schritt, ein Ruf, Cornelia stand in der Tür. Als sie ihn sah, schloß sie einen Augenblick die Augen, dann kam sie ihm strahlend entgegen und flüsterte: Es sind viele Menschen im Hause, aber wir werden Gelegenheit haben, uns zu sehen. Am Abend geht es zum Zelt. Ich werde nur mit … Ihnen gehen. Ich werde Sie suchen, Jens … Wir werden uns zu treffen wissen, vergessen Sie es nicht!

Er schwieg mit angehaltenem Atem.

Vergessen Sie es nicht! flüsterte sie und blickte ihn verlangend an. In einer Nacht habe ich am Weizen gestanden und gewartet. Wir hatten uns nicht verabredet, mir träumte aber, daß Sie kamen. Ich habe mich geirrt.

Sie hatten sich vielleicht mit Herrn Vancour verabredet, sagte er halblaut.

Durch ihre Augen ging ein Leuchten. Mit Vancour? fragte sie gedehnt, mit Paul Vancour? Er wohnt doch im Hause … sie lächelte durchsichtig. Ach, das haben Sie geglaubt? Darum kamen Sie eine Woche nicht, und ich habe gewartet … wie sehr habe ich gewartet!

Er faßte sie erregt an dem Arm und zog sie an die Wand neben der Tür, es geschah ohne einen Laut. Als er sie umschlang, entwich ihrem Munde ein klagender Laut, sie küßten sich stumm. Nach einer Zeit flüsterte er mit ihr.

Ist es Vancour, den Sie lieben? …

Sie schüttelte den Kopf, Tränen standen in ihren Augen. Nein, nein! beschwor sie ihn leise.

Aber er ist im Hause, zu jeder Stunde, Cornelia! … Ihr Kleid knisterte in seinen Armen, sie bog sich ihm willenlos entgegen … Schritte näherten sich der Tür, er trat zurück. Draußen erscholl ein vielstimmiger Ausbruch, ein Lachen, das singende Sägenblatt erklang wieder. Mit einem langen Blick verließ Cornelia ihn, er blickte den Gang hinab, dort stand Allister. Er hatte einige junge Weiber um sich versammelt und tippte einer mit dem Finger auf die Brust. Als er Cornelia erblickte, machte er es ungeschoren mit den anderen auch so. Dann schickte er die Weiber in den Festsaal und ging Cornelia nach. –

Jens stellte sich unter die Leute im Festsaal. An den Wänden hing ein Geflecht von Platanen, die Blätter waren an Schnüren aufgezogen, dazwischen steckten gelbe, weiße und rote Blumen. Ein Mädchen summte immerzu Ave, Ave, sie hatte in ihrem Leben wohl nichts anderes gelernt. Sie kam aus Sault St. Marie und trug ein schwarzes Steinkreuz auf der Brust, sie war auffallend bleich. Jens erkundigte sich, wer sie sei. Man antwortete ihm, es sei eine davongelaufene Nonne aus Montreal. Sie sang weiter ihr Ave; draußen auf dem Felde aber war sie eine der fleißigsten, sie zerstach sich die Finger, ihre Hände waren vom Sonnenbrand gerötet. Die Männer betrachteten sie mit Scheu, gingen aber gern an der Nonne vorüber mit anderen, kräftigeren Weibern im Arm, die aus Sault St. Marie kamen, Fischerstöchter mit Holzfällern, Seemannsbräute, die heftig und aufbrausend lachten, mit kurzen Taillen und roten Gesichtern. Eine von ihnen pfiff Jens zu, mit einem leisen Pfiff. Ja, antwortete er unwillkürlich, denn er kannte diesen leisen Pfiff, der nachts vor den Schiffen ertönt.

Cornelia ging vorüber, sein Herz tat einen schnellen Schlag, im Saal wurde es still. Jenes bleiche Mädchen aber reckte sich, neben ihr kicherten die Mädchen.

Die Männer tranken aus einem Faß schwedischen Schnaps; wie lange mag es noch so gehen, daß sie trinken und ruhig zuschauen, wie sich die Tafel deckt. Allister und Vancour kamen Arm in Arm; und dieser alte Glücksritter Allister war wie ein Stück Leder, ein unscheinbares Nichts neben Vancour. Seine grauen Augen aber durchstachen die Menschen, sein grauer Bart erregte Mitleid und seine knorrigen Finger hingen braun herab.

Die Tafel deckte sich mit großen Schüsseln, mit dicken Flaschen Schnaps und Wein. Eine kleine Kapelle tat sich auf, ein junger Holzfäller zauberte aus einem Tongefäß eine ganze Melodie hervor, zwei Sägenblätter spielten auf. Hosianna! sangen die Weiber aus Sault St. Marie. Aber wie es klang! Wie ein Schrei aus Knabenkehlen, immer wieder, gleich einem Meer, das sich schäumend hebt, Gott weiß, es zerfällt sogleich, geht wieder dahin, dieses Meer war nicht für uns bestimmt. Ein anderes, besseres Meer kommt angefegt … Hosianna!

Cornelia stand mit gefalteten Händen vor der Tafel, sie horchte und schauerte zusammen. Vancour und Allister standen dicht hinter ihr, sie waren beide unsicher auf den Beinen. Vancour wackelte bedenklich, doch der kleine Allister hielt ihn fest, aus seinen Augen zuckten Blitze durch den Saal zu der bleichen Nonne hinüber. Als sie sich setzte, blieben die Stühle an ihrer Seite frei. Allister lauerte sie lange an, doch führte Cornelia ihren Vater mit sanfter Gewalt an die Spitze des Tisches, und es nahm sich schön aus, als sie des Vaters trauriges Gesicht in die Hände nahm und ihn auf die Wangen küßte. Jens irrte an der Tafel entlang, Vancour hob seine Finger und forderte ihn auf, an seiner Seite Platz zu nehmen. Er setzte sich aber Allister zum Trotz neben die Nonne, und da er der einzige war, der sich neben sie setzte, fixierten ihn alle Weiber stumm. Er wurde rot und ärgerte sich, daß er sich neben sie gesetzt hatte. Nur Cornelias Augen blickten ihn dankbar an; sie saß an Vancours Seite, und ihre Augen schienen ihn um Verzeihung zu bitten, daß sie nicht an seiner Seite saß. Sie lächelte auch der Nonne zu, plötzlich stand sie auf und ging um die ganze Länge der Tafel herum und wieder den Weg an Jens' Seite herauf. Er fühlte ihr Nahen, sie neigte sich aber dem Mädchen an seiner Seite zu und flüsterte mit ihr. Sie legte der Bleichen beide Hände auf die Schultern, dann sagte sie laut: Also, dann ist es gut, Maria, ich werde mit Mac Allister sprechen. Wieder ging eine Zeit dahin, und er dachte: Maria, wie anders sollte eine Nonne heißen. – Man aß und trank, Allister benahm sich laut und ausfallend, er sprach ungeniert mit Vancour über Maria, redete anzüglich von bleichen Gesichtern und roten Händen. Sollte er doch besser schweigen. Vancour lächelte, er zwinkerte Cornelia zu und versuchte alles mit einem lauten Trinkspruch zu übertönen. Und da er Trinksprüche nach der Reihe ausbrachte, mußte er viel trinken, sein Gesicht war gedunsen. So war er gezwungen, sich am Tisch vollkommen zu betrinken.

Eine Stunde ging hin, Allister trank nicht und aß nicht. Er betrachtete höhnisch Vancour, welcher sich um seinetwillen betrunken hatte und nun matt im Stuhl lehnte. Zwischen Jens und Maria wurde kein Wort gewechselt, es war auch nur gut, daß er es nicht tat. Es hätte Allisters Wut noch mehr geweckt. Nein, man durfte das arme Mädchen Allister nicht ausliefern. Und wer jagt, der wird gejagt werden; das wollte er Allister schon deutlich machen. Einmal wird der Tag kommen, Mac Allister, man kann nicht ungestraft solche Augen auf ein Mädchen richten, das sich vor Angst versteckt. Möglich auch, daß es nur in seiner Einbildung so aussah, vielleicht weckte das arme Mädchen Allisters Mitleid, und all sein Hohn und sein Schweigen waren dumpfe Selbstanklagen. –

Zum Dampfzug! rief Allister plötzlich und erhob sich. Zum Dampfzug! rief es um den Tisch, die Weiber sprangen zuerst auf; Geduld, die Nacht ist lang und die Männer sind ein wenig schwerfällig.

Zum Zelt! rief eine kräftige Stimme. Es war Vancour, er hatte sich erhoben und streichelte Cornelias Arm; gerade so, als sei er ihr Vielgeliebter. Maria stahl sich durch die Türe und verschwand, Allister sah es nicht, er war mit seiner Lüsterjacke beschäftigt, welche viele Flecken aufwies.

Und alles das geschah nur zwei Meilen von Tucy entfernt, der sich zweifellos im Bett wälzte und es sich an den Fingern abzählte, wie weit nun Jens mit Allisters Tochter ist. Gram und Neid verzehrten ihn, das war gewiß, Gram und Neid. – Gut! nahm sich Jens vor, die Nacht ist dunkel, ich werde von hier weichen, ehe mich einer sieht. Er stahl sich durch die Türe und ging inmitten der Weiber und Männer durch den Flur, als er hinter sich rufen hörte.

Jens!

Er blieb stehen und sah Cornelia, die sich durch die Leute drängte, den Kopf erhoben, mit ängstlichen Augen, bis sie ihn erreichte. Sie haben es nicht vergessen! Erwarten Sie mich an der Schmiede, flüsterte sie, an der Nordseite unter der Akazie. Werden Sie warten?

Ja, sagte er wider seinen Willen.

Jens! rief Vancour laut. Sie ergriff seine Hand und flüsterte: Jede Sekunde, die Sie da sind, ist mir eine Freude …

Ich warte, flüsterte er, ich stehe an der Akazie. Sie lächelte selig und preßte seine Hand. –

Er schlug sich durchs Haus ins Freie. Es war dunkel geworden, vor dem Mond lagen fliegende Wolken. Einen Augenblick glaubte er, es sei Reif an der Erde. Zu früh, sagte er sich, es wird ein verkehrter Nebel sein. Er suchte die Richtung, vor ihm ging ein dunkler Schatten. Er spähte durch die Nacht, mehrere Schatten gingen auf und ab. Als er zur Schmiede kam, stieß er mit dem Fuße an die schweren Eggen, er tastete sich an den Maschinen vorbei zur Akazie. Über den großen Hof flackerten Lichter, es wurde heller und er sah, wie man Pferde vor die Wagen brachte. Darauf fuhr der erste Wagen mit Menschen beladen ab. Ein weiterer Wagen fuhr vor das Haus, nach einer Zeit verließ auch dieser Wagen den Hof, die Lichter schwebten durch die Nacht.

Jetzt kommt Allisters kleiner Wagen, dachte er. Aber es geschah nichts weiter; es wurde still, die letzten Lichter versanken, das Haus verdunkelte sich, jeder Laut war erstorben.

Nicht weit von der Schmiede tasteten sich zwei Schatten voran, Jens duckte sich, ein Flüstern drang zu ihm hinüber. Ein Paar, ein verliebtes Paar, das zurückblieb, um ungestört zu sein. Sie gingen an der Schmiede vorbei, er atmete auf und wollte sich von der Erde erheben, als der Mond hervortrat und die Schmiede beleuchtete. Der Mond erleuchtete das zärtliche Paar eine ganze Zeit, es war Allister mit seiner Nonne.

Und die Zeit rann dahin, Allister war verschwunden; erst kamen sie an der Akazie vorbei, darnach gingen sie geradezu über den Weg, der in die Prärie führte. Seitdem sah er sie nicht mehr.

Durch die Dunkelheit kam ihr schneller Schritt; die letzten Schritte kam sie gerannt, schon sah er sie, sie flog auf ihn zu und umarmte ihn wild. Außer Atem sagte sie: Das Haus ist leer, Vancour und mein Vater sind davongefahren, kommen Sie!

Dein Vater …? Er schwieg, er wollte sie nicht betrüben. Sie drückte sich an ihn, lag in seinem Arm, er sank an ihrem Kleid herab und umschlang inbrünstig ihre Knie.

Sie flüsterte bebend: Weil ich dich liebe … weil ich dich liebe … es ist niemand im Hause, Vancour und mein Vater sind auf den Wagen … Sie gingen und betraten das Haus. Er blieb bei ihr bis zum ersten Sonnenstrahl.


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