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18

Er ging wie gewöhnlich in den Hafen und arbeitete neben Elson auf dem Eis und in den Schiffsbunkern. Nach der Arbeit kleidete er sich um, er logierte wieder im Gasthof ›Am Paradies‹. Es waren Spuren in seinem Gesicht von durchwachten Nächten, ein paar Menschenaugen wurden rot und feurig. So ging ein ganzer Monat hin. Plackerei am Tage. Ein Reeder hatte die Schauerleute in Vertrag genommen, er ließ zwei Schiffe verschrotten, und die Schauerleute hantierten in der Kälte mit Eisen und Stahl; sie mußten Holz schleppen und ein Dach zimmern. Im eisigen Wind saßen sie zehn Meter hoch auf den Balken und legten Sparren; ein jeder Nagel, den Jens schlug, war ein Stich durch starre Finger. Der Frost war noch härter geworden, die Sonne schien rot und kalt, viel Wind kam und eiskalte Nächte.

Es ist ein Mann zu mir gekommen, sagte Elson eines Tages, er will dein Zimmer mieten.

Daß du dich nicht unterstehst, erwiderte Jens. Habe ich meinen Zins nicht immer bezahlt?

Rede nicht davon, sagte Elson, du bist mir keinen Zins schuldig, mein ganzes Leben ist ein Zins an dich … Es ist ein Mann zu mir gekommen, er kam über das Eis, er wollte ein Zimmer in meinem Hause. Ich habe es ihm abgeschlagen, obgleich er ein Anrecht auf ein Zimmer hat.

Über das Eis? fragte Jens erschrocken.

Es ist Stamer, erwiderte Elson, und blickte Jens scharf an.

Nun, so ist es Stamer, stammelte Jens. Wie kam er denn über das Eis, das ist ja nicht zu glauben.

Er kommt von Falmouth, von dort nahm ihn ein Eisbrecher bis an den Erie-See mit. Er ist zwanzig Tage über das Eis gewandert, er hatte einen Hund bei sich. Sie zogen zusammen mit dem Schlitten über den Erie-See. Er hat mehrere Zehen erfroren.

Und sein Hund?

Sein Hund ist wohlauf, er schläft unter meinem Bett.

Sieh an, flüsterte Jens, Stamer ist gekommen. Kennt er mich?

Er kennt dich, er sah deinen Seesack in der Ecke, daran allein erkannte er dich.

Wie heißt sein Hund?

Elson blickte vor sich hin, er überlegte, schließlich sagte er: Er hat keinen Namen, jetzt erst weiß ich es, der Hund hat keinen Namen. Stamer sagt du zu ihm.

Er muß aber einen Namen haben! schrie Jens und lachte.

Er schlägt ihn oft, sagte Elson.

Ist er denn verrückt, daß er seinen Hund schlägt, der ihn über das Eis begleitet hat!

Kurz und gut, sagte Elson, ich habe Stamer aufgenommen, er schläft in meiner Kammer. Ich wohne nun auf Mutters Altan.

Dann ist es gut, erwiderte Jens.

Wo wohnst du? fragte Elson ihn zum ersten Male.

In der Innenstadt, erwiderte Jens. Höre, Elson, was sagte Stamer über unsere Bekanntschaft?

Er sagt, daß er dich kennt. Als ich ihn fragte, woher er deinen Seesack kennt, schwieg er.

Er hat doch einen schönen Fischkutter in Sault St. Marie und ein Häuschen an den Schnellen. Warum kommt er nach Buffalo?

Er hat alles verkauft, sagte Elson, er will einen Handel anfangen und schnell reich werden.

Er will einen Handel anfangen, sagte Jens mühsam.

An diesem Tage ward das Dach gedeckt, eine andere Arbeit begann. Im Hafen sollte eine Schleuse erneuert werden, das Wasser war schon abgelassen. Es begann eine schwere Arbeit für die armen Schauerleute, sie standen über Tag im Eisschlamm und atmeten die ungesunde Luft, der Mott sprengte immer wieder das Eis, Gase stiegen auf. Doch mußte es sein, die Schleuse war brüchig geworden. Eisen und Steine wurden versenkt, eine mühselige Arbeit, das Eis mußte immer wieder geöffnet werden. Die Schauerleute erlitten Frostschäden; nach einer Woche starb ein Mann, als er die Nachtwache vor der Schleuse bezog. Es war ein Rätsel, warum er starb, er war gesund und dennoch starb er während der Nacht.

Tage vergingen. An einem Morgen stand Maria vor Jens' Gasthof; es war um die fünfte Stunde, Jens ging wie gewohnt zur Arbeit, plötzlich sah er Maria im Pelz ihrer Herrin vor sich stehen. Sollte er erschrocken tun und dieser Beterin seine Angst zeigen, daß sie vor ihm stand. Er lachte sie an und strich an ihr vorüber. Sie lief ihm nach; er blieb stehen und hörte sie abgewandten Gesichts an.

Mein Fräulein läßt dir bestellen …

Hoho! sagte er, rede mich nicht als deinesgleichen an. Was bestellte deine Herrin?

Am Abend sollst du in Vancours Haus erscheinen, fuhr Maria fort. Sie schlug den teuren Pelz auseinander und zeigte ein rotes Wollkleid.

Was soll das heißen? In Vancours Haus … Er blickte verwirrt auf ihr Kleid.

Meine Herrin bittet dich zu kommen.

Ich habe dir verboten, mich als deinesgleichen anzusprechen …

Meine Herrin hat es mir befohlen …

Jens überlegte und murmelte: Gehe und bestelle, daß ich gedankt habe. Warum aber lädt mich deine Herrin zu Herrn Vancour.

Maria zuckte mit der Schulter und knöpfte ihren Pelz zu. – –

An diesem Tage traf er Stamer, er kam mit Elson zur Schleuse, er ging in hohen Stiefeln und in einem weißen Lammfellmantel, vor seinen Füßen lief ein zottiger Polarhund.

Elson winkte ihn an und er konnte ihm nicht gut ausweichen. Nun wurde alles in ihm lebendig, was in Sault St. Marie geschehen war. In wenigen Sekunden war ihm alles gegenwärtig, jedes Wort, das er mit Stamer geredet hatte, die Zeit im ›König von Portugal‹, der Schuß auf der Straße. Er gedachte des Augenblicks, als er glücklich das Hotel verließ, vor der Tür war der Hausknecht, Gottes Segen! rief er ihnen nach. –

Er stand vor Stamer und Elson.

Hier ist Stamer, sagte Elson, er will dich begrüßen …

Ja, das ist Stamer, sagte Jens leise und blickte ihn an.

Stamer schnitt ein Gesicht, er grinste, er war unrasiert und sah schmutzig aus.

Wie geht es Ihnen? fragte Stamer laut.

Er fragt so, dachte Jens, als sei es eine alltägliche Sache, wenn ein Mörder in den Morgen ruft: Wie geht es Ihnen! Und er sagte ihm: Stamer, Sie sprechen zu laut am Morgen …

Ja, wollen wir uns nicht wenigstens zum erstenmal begrüßen, sagte Stamer, wie soll es denn werden, wenn wir uns nicht kennen wollen!

Elson blickte erstaunt von einem zum andern und um Elsons willen sagte Jens freundlich: Ich begrüße Sie. Ist das Ihr Hund? Er hat ein schönes Fell.

Es ist noch schöner, wenn es gewaschen ist, sagte Stamer und blickte unstet an Jens vorbei.

Warum waschen Sie das Fell nicht? fragte er und wunderte sich, welche Wendung das Gespräch nahm.

Wenn Sie es wünschen, sagte Stamer, werde ich ihn heute noch waschen. Ich sage Ihnen aber, es ist nicht leicht, so ohne weiteres alles abzuwaschen.

Jens hörte nur zu deutlich, wie es Stamer meinte. – Es kamen mehrere Schauerleute an ihnen vorüber, sie grüßten und pfiffen dem Hund. Er ist schmutzig; riefen sie zurück, laß ihn waschen, Stamer!

Da hören Sie es, lachte Stamer, jeder hält sich über die schmutzige Bestie auf. Haha! Ich bin lange mit ihm gewandert, er hat in Fett und Ruß gewühlt, er kann nicht aussehen wie ein Schoßhund.

Genug! sagte Jens und schritt davon, er ging in die Baubude und zog sein Arbeitszeug an. Was will Stamer von mir, dachte er bei sich, will er sich an mir reiben! Er schickt seinen Hund vor, um mir zu zeigen, wie es um ihn steht.

Als er zur Schleuse ging, war es wieder Stamer, der ihm entgegen kam. Sein Hund sah geschlagen aus, es war nichts Schönes an ihm außer seinem schmutzigen Fell. Stamer griff Jens an den Arm und sagte: Halten Sie doch an!

Jens antwortete: Bald wird es jeder wissen, daß Sie etwas auf dem Gewissen haben. Halten Sie Ihren Mund und gehen Sie einer Arbeit nach.

So? fragte Stamer und lachte nervös. Jeder kann es wissen, daß ich geschossen habe; was ist schon an einem Schuß, der vorbeigeht.

Jens sah ihn an und fragte: Was wollen Sie von mir wissen?

Stamer blickte ihn aus toten Augen an, sein Gesicht war voller Kummer. Er flüsterte ihm zu: Verraten Sie mir nur, wie der unglückliche Schuß traf!

Und Jens sagte aus tiefstem Mitleid: Es tritt kein Zeuge gegen Sie auf, Stamer. Es ist keiner mehr vorhanden. Der Priester starb.

Stamer schluchzte auf.

Den ganzen Tag trieb sich Stamer an der Schleuse herum. Er schlug auch seinen Hund, der vor Hunger jaulte. Am Nachmittag hatte er sich voll getrunken. Elson sah das alles, er sprach nicht darüber, nur wenn Stamer seinen Hund schlug, zuckte Elson zusammen und sah sich nach Jens um, der im Sickerwasser vor dem Schleusentor den Schlamm aushob.

Es ist sein eigener Hund, sagte Jens, er schlägt sich selber.

Hier stehen wir und sehen, wie er seinen Hund schlägt, klagte Elson. Es ist nicht mehr der Stamer, den meine Mutter liebte.


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