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14

Ein Tag nur war vergangen, alles war verändert. Der Priester war seiner Wege gezogen, Kapitän Burte wurde davongetragen; im Hafen fand der Abschied statt. Der Priester fuhr nach Westen, Jens nahm ein Zimmer, das in der Innenstadt lag, vor seinem Gasthof standen graue Akazien mit schwarzen Ästen. Und der Tag ging hin, ein ganzer Tag mit seinen Geräuschen. Es geschah nichts, Jens starrte durch die Fenster auf die Straße. Morgen, sagte er sich, morgen am Tage. Er blickte den Fuhrwerken nach, einige hielten vor dem Gasthof; es waren Kutscher und kleine Händler, die hier nächtigten. Ein großer Eisenofen stand in seinem Zimmer, er verbreitete eine stechende Hitze, die Wände schwitzten, das Zimmer war lange unbewohnt. Der Spiegel an der Wand war blind. Hei! ein blinder Spiegel an der Wand, ein Tisch auf vier Füßen, eine Matte auf dem Boden, ein Stuhl und ein Bett. Es gab Quartiere, wo es schlechter zu wohnen war, im Hafen und an der Nordseite der Stadt. In der Weststadt waren die Gasthöfe mit Marmortreppen versehen, sie hatten aber keine Akazien vor den Fenstern, wie dieser kleine Gasthof, in dem Kutscher und Händler verkehrten. Gleich neben dem Gasthof lag ein Garten mit Obstbäumen und weit zurückgelehnt stand ein schönes Haus; jetzt war alles verschneit, ein Weg war durch den Schnee geschaufelt. Ein alter Herr und eine junge Dame bewohnten das Haus, auch ein Kind war zu sehen. Die ganze Straße nannte sich ›Am Paradies‹ und lag zwischen zwei größeren Straßenzügen versteckt. Dem Gasthof gegenüber stand ein breites, zweistöckiges Haus mit einer Toreinfahrt, darüber hing ein schwarzes Schild mit weißen Lettern: Paul Vancour, Getreide und Viktualien. Sieben verschiedene Getreidekontore lagen am Paradies.

Er kannte nun jedes Haus der Straße und auch diesen und jenen Bürger, einige Damen und deren Bedienstete, welche ihre Einkäufe erledigten. Am Morgen fuhren zwei hochlehnige Schlitten mit Pferden aus, jetzt ging es gegen Abend, die Schlitten waren noch nicht zurückgekehrt. Es war niemand Bekanntes in den Schlitten, aber einer der Schlitten kam aus Vancours Toreinfahrt. Die Pferde hatten Schellenhauben über den Ohren, ping, pong, ping, pong … Vier lustige Damen, die in der Frühe gelacht hatten und unter Tändeleien in die Schlitten stiegen, in silbergraue Pelze gehüllt, alle vier in Kappen; sie fuhren die Straße hinab, Jens riß das Fenster auf und starrte hinaus, eine Dame blickte herauf, im Übermut winkte sie, obgleich sie wissen mußte, daß nur Kutscher und Händler im Gasthof nächtigten. Eine lustige Straße, in welcher Damen den Kutschern Grüße schicken.

Dort drüben wohnt Herr Vancour. Pünktlich um fünf Uhr verließen sieben bejahrte Männer das Haus, etwas später kamen zwei blasse Jünglinge mit Paketen von der Post. Als es dunkel wurde, schimmerte Licht aus Vancours Haus, hinter den Bogenfenstern bewegte sich ein Schatten, auf dem Hofe flammte ein starkes Licht auf, eine Rollade fiel, es wurde dunkel. Die Schlitten waren noch nicht zurückgekehrt.

Um diese Zeit wurde es lebendig im Gasthof, eine lärmende Gesellschaft war eingekehrt, mehrere Männer und Frauen, ihr Gelächter klang gedämpft herauf. Jens öffnete die Türe und lauschte. Wenn unten eine Tür ging, hörte er Gläser klirren, ein Mädchen sang. Sein Gesicht verklärte sich, er ging in sein Zimmer zurück und blickte sich freudig um. Jetzt tat er so, als erwarte er eine bestimmte Person in seinem Zimmer, blickte auf die Uhr und sagte sich, sie kann noch nicht anwesend sein, ich habe noch einige Minuten, bis sie erscheint. Und er richtete die Matte am Boden, zog die Bettdecke glatt und stellte den Tisch in die Mitte. Er blickte in den blinden Spiegel und stand eine ganze Weile so, in der sicheren Erwartung, daß jemand von außen in sein Zimmer käme, das gerichtet war, Besuch zu empfangen.

Ein Mißverständnis, sagte er sich, sie kommt zu einer unerwarteten Zeit, zu einer Stunde, die ich nicht bestimme. Aber so unsinnig war er, sich einzureden, es müsse ihn in der fremden Stadt eine Person aufsuchen, daß er dastand wie ein Verrückter und wartete. Er seufzte und warf seine Felljacke über. In einem plötzlichen Entschluß verließ er den Gasthof. Aus einem Fenster in Vancours Haus fiel Licht. Er ging durch die Toreinfahrt und kam vor eine Tür. Bei der Tür stand ein Hundekäfig, ein großer Hund schlug an, Jens zog die Schelle. Schritte kamen durchs Haus, es wurde Licht. Vancours Hausknecht ließ ihn eintreten. Der Herr speist, sagte der Hausknecht.

Führen Sie mich! sagte Jens fest.

Es ist Abend, erwiderte der Hausknecht und blickte an Jens hinab, ich kenne Sie nicht … er ging ängstlich voraus.

Sie gingen durch das Hinterhaus, an Wirtschaftsräumen vorbei und kamen in eine erleuchtete Diele. Der Hausknecht sagte: Wollen Sie sich gedulden … Sie standen vor einer offenen Tür, eine Stimme rief: Was ist das da!

Es war Vancours schöne Stimme, Jens trat ein und sah durch einen dunklen Raum Vancour an einem abgeräumten Tische sitzen, düster und mit gespannten Augen. In Jens' Rücken wurde Licht, jetzt erkannte ihn Vancour, er erhob sich von seinem Stuhl.

Um Himmels willen, sagte Vancour erstaunt, wo kommen Sie her!

Aus Sault St. Marie!

Über das Eis? er starrte Jens mit unverhohlener Neugierde an. Über das Eis an der Küste? Sie Teufelskerl, wer kommt denn jetzt noch aus dem Superior heraus! Sind Sie mit den Lachsen geschwommen … wie sehr ich mich freue! Rum her! rief er aus und schüttelte mit einer raschen Bewegung Jens an den Schultern. Willkommen! Seine Stimme zitterte, er wischte sich eine Träne aus den Augen.

Sie sind der erste, der mich in Buffalo begrüßt, murmelte Jens. Ich hatte es nicht erwartet, Herr Vancour … ich habe es nicht erwarten können, Sie zu sehen!

Lügen Sie nicht, Jens. Sie kamen zu mir, weil sie jemanden hier zu treffen hoffen. Still! wir wollen später darauf zurückkommen, später, wenn Sie gestatten.

Ich? zu treffen … wen?

Das da! sagte Vancour und wies auf Jens' Kleidung, das muß anders werden. Legen Sie die Felljacke ab, Sie sind hier nicht in Sault St. Marie. Und Ihre Stiefel, ihr rechter Stiefel ist ja zerrupft. In Buffalo macht man nicht sein Glück in schlechten Stiefeln.

Ich kam nicht, um mein Glück zu machen.

Vancour lächelte, er sagte: Ich weiß es, das Glück läuft Ihnen nach, Sie brauchen keinen Finger darum zu rühren. Genug davon, meine ganze Freude ist es, daß Sie mich zuerst aufgesucht haben. Es ist möglich, daß wir zusammen etwas ausrichten, es ist möglich …

Jens blickte ihn fragend an.

Rum! rief Vancour. Der Hausknecht kam mit den Flaschen. Es ist wie bei Mac Allister, sagte er, dort sitzen Sie, dort zwischen den Paneelen, und hier sitzt Mac Allister mit seiner weißen Maria am Ofen. Prosit!

Prosit! lachte Jens. Sie haben Grund, fröhlich zu sein. Sie leben in gesicherten Umständen, ein Haus voller Möbel, ein Kontor mit sieben Kontoristen.

Sie haben meine Herren gezählt?

Zwei Jünglinge zählte ich. Schicken Sie die jungen Männer ein Jahr nach Sault St. Marie, damit sie zu Männern werden!

Jawohl, erwiderte Vancour, das gehört zu ihrer Laufbahn, zwei Jahre Innendienst und ein Jahr Außendienst. So wie die Bengels jetzt aussehen, sind sie keine Gefahr für die Weiber. Sie leben von Rindfleisch und Weißbrot. Übrigens, zum Teufel, woher kennen Sie mein ganzes Personal!

In der Frühe kam ein Schlitten mit jungen Damen durch die Torfahrt.

Vancour blickte ihn scheel an. Nicht wahr, sagte er, Sie vermißten eine Dame …

Jens wurde schweigsam. Vancour zeigte ihm zwei Ölbilder an den Wänden. Tümmler auf hoher See, sagte er, und dies ist eine Landschaft bei Ottawa. In diesem Kasten steckt altes Indianergut, sehen Sie nur, sehen Sie sich alles an. Und trinken Sie! ermunterte ihn Vancour. Sprechen Sie sich gefälligst aus, Sie wissen, daß ich Sie hoch schätze. Sie haben es auch nicht nötig, mein Haus auszuspionieren. Ich lade Sie ein, bei mir zu wohnen, ich will einen honetten Menschen aus Ihnen machen … Schütteln Sie nicht den Kopf, es ist nicht uneigennützig gedacht. Ich habe auf der kanadischen Seite viel Weizen gekauft, ich brauche Dampfer in Sault St. Marie, ich will einen großen Umschlagplatz einrichten.

In Sault St. Marie?

Sie wären mein Mann! sagte Vancour.

Ich trete nicht in Ihre Dienste, erwiderte Jens bestimmt.

Als mein Freund, nicht als Diener, sagte Vancour und sein offenes Gesicht leuchtete vor Herzlichkeit.

Im ganzen scheint er mager geworden zu sein, dachte Jens. Die Kleider hängen ihm lose um den Bauch, seine Locken sind auch nicht mehr so wild, und er sagte leise: Haben Sie Kummer, Vancour?

Vancour brach in ein Gelächter aus, er stellte sich breitbeinig vor ihn hin und soff in einem Zuge ein volles Glas Rum in sich hinein. Großer Gott, wenn Arbeit Kummer heißt, dann ja, dann ja! Ich dresche wie ein Flegel auf die Großfarmer los, ich war viel auf Reisen. Das ist es. Ich weiß, was ich will und ich möchte, daß Sie Geld verdienen!

Mehr Geld, sagte Jens ohne einen Sinn.

Vancour blickte ihn verblüfft an und Jens gelüstete es, ihn weiter zu verblüffen, er sagte: Getreide? schön, das ist ein Centsgeschäft, Sie kaufen und verkaufen, Ihr Risiko ist mir zu groß, ein Hieb daneben und Sie sind ruiniert. Ich hänge mich nicht an Möglichkeiten, Vancour, ich habe einen Gedanken, log er, wir reden später darüber, wir bleiben in Verbindung, nicht wahr? Ich wohne Ihnen gegenüber, in diesem Gasthof für Kutscher und Händler … Was blicken Sie mich so erstaunt an!

Tat ich das? Ja, es ist zum Staunen, was Sie mir da entwickeln. Ich glaube Ihnen kein Wort davon, Sie gehen auf Freiersfüßen, das ist es und Sie haben keinen Blick mehr für die Wirklichkeit. Sie kommen hierher, offen gesagt, Sie suchen Cornelia. Mir machen Sie keine Tiraden vor!

Und Sie?

Was mich betrifft, so mache ich Ihnen ein ehrliches Angebot, unter meiner Weltkenntnis Geld zu verdienen …

Ach, Vancour! sagte Jens herzlich, wenn ich in Ihren Diensten stünde, bedenken Sie, in Ihren Diensten! Sie könnten von einem Turm auf mich heruntergaffen. Wer wäre ich noch, es ist besser für mich, wenn ich unter den Kutschern wohne, Ihnen gegenüber, die Damen werfen dann Grüße an mein Fenster.

Nun ist es gesagt, dachte er, es ist einmal gesagt, daß ich nicht sein Dienstmann sein will.

Sie tranken sich zu, ein jeder mit versteckten Gedanken.

Kennen Sie Buffalo? fragte Vancour plötzlich. Ich meine dieses Buffalo, diese verführerische Stadt mit seinen großen Straßen und Nachtlichtern. Die Häuser, in denen ewig Licht brennt und die Reihen der Pfirsich- und Pflaumenbäume! Im Sommer sind es Chaisen mit vier Pferden, im Winter sind es Schlitten, die über die Straßen fahren, immer im Schritt, Mädchenfinger halten die Pferdeleinen, es ist zum Lachen! Die jungen Herren flanieren daneben. Buffalo hat Männer, die auf einer Eisspitze tanzen können; ich glaube, man nennt es grazil, nicht wahr. Hören Sie mir zu?

Sie meinen die Gecken!

Sie irren, es sind Männer, welche in Kanada auf Felljagd waren, schlanke Burschen, ohne Fett und löwenmutig und doch tanzen sie auf einer Eisspitze. Sie sind gut gekleidet, haben Lippen wie Apfelsinenscheiben und gerade Nasen. Am Tage sitzen sie im Kontor, sie reden drei Sprachen, ihre Väter grämen sich und ersticken vor Neid über ihre Söhne …

Ja, was soll das!

Cornelia verkehrt mit diesen jungen Männern, sie ist mir entrückt. Übrigens haben Sie Mac Allister ins Gesicht geschlagen. Die Nachricht kam mit dem letzten Postschiff aus Sault St. Marie. Sie hätten Cornelia sehen sollen, sie wurde weiß, als sie den Brief las. Ich weiß nicht, was sonst noch darin stand.

Jens erhob sich.

Menschenskind! sagte Vancour, fassen Sie sich, Sie sind ja ganz verstört. Ich glaubte nicht, daß es Sie treffen könnte. Nun halten Sie aber mit, trinken Sie, ein Schluck den Weibern!

Der Abend war so hübsch, sagte Jens und trank mit ihm.

Hübsch! nennen Sie das. Wir könnten es hübscher haben, wenn wir noch ausgingen.

Danke, erwiderte ihm Jens. Lassen Sie mich aus Sault St. Marie berichten, wie es mir erging …

Sie sind schwermütig, Jens, unterlassen Sie es, sparen Sie sich diese Geschichte auf.

Es handelt sich um ein Mädchen, sagte Jens leise.

Hören Sie auf! sagte Vancour aufgebracht, bei Ihnen muß jede Geschichte mit einem Trauerfall enden.

Ich erzählte Ihnen noch keine Geschichte …

So! mir ist es aber, als kenne ich sie im voraus … Wie war es denn mit dem Mädchen? Kam sie zu Ihnen? Endete es so, daß Sie sich trafen ohne Rücksicht auf einen anderen Geprellten. So pflegen doch Ihre Geschichten auszugehen!

Jens sagte ihm: Ich hatte nicht vor, von einem Mann zu erzählen, von einem Mädchen und einer Kette von Umständen wollte ich Ihnen berichten. Und wieso es möglich ist, daß ein Mensch ohne eine Schuld für etwas büßt, was ihn nichts angeht, davon wollte ich erzählen. Sie haben es mir für heute verdorben. – Gute Nacht, Herr Vancour.

Gute Nacht, erwiderte Vancour. Warten Sie, ich geleitete Sie über die Straße.

Sie verließen das Haus durch eine vordere Tür. Der Mond war aufgegangen, die Häuser waren gut sichtbar. Kommen Sie, sagte Vancour, es ist nicht mehr so kalt, gehen wir ein Stück durch den Schnee!

Sie gingen stumm die Straße hinunter, kreuzten einen großen Straßenzug, der hell erleuchtet war, gingen an Geschäften und Gaststuben vorüber. Plötzlich blieb Vancour stehen, er blickte zu Boden, danach starrte er Jens ins Gesicht.

Nun! fragte Jens, was haben Sie vor!

Gehen Sie, sagte Vancour, gehen Sie nur, und er blieb einen Viertelschritt hinter Jens und sagte: Dort um die Ecke, wir gehen noch um diesen Häuserblock. Ich bringe Sie sicher und heil zu Ihrem Gasthof … und morgen sehe ich Cornelia, sie kommt in mein Haus … Sagen Sie, Jens, Sie hinken ja!

Jens blickte sich überrascht um, und es war hell genug, gerade hell genug, in Vancours Gesicht stand eine Freude darüber zu lesen, daß er hinkte.

Sie schleppen ja mächtig an Ihrem Fuß, rief er aus, wie kam das denn?

Jens wandte sich stumm um und ging davon.

Halt! bleiben Sie stehen, wann kann ich Sie morgen erwarten?

Er aber lief durch den Schnee, er bog um eine Ecke, sein Fuß machte ihm sehr zu schaffen. Einmal stolperte er, er lief in einer verkehrten Richtung. In einer stillen Gasse hielt er erschrocken an. Und während die Sterne am schwarzen Himmel zitterten, ging er müde und verzweifelt weiter durch die nächtlichen Straßen, trat hier und da in ein Lokal und erwärmte sich. Spät kehrte er zurück. Vancours Haus war erleuchtet, ein Schlitten stand ausgespannt vor dem Hause. Als er vorüberging, sah er zwei Pelze im Schlitten und die Pferdeleine, welche im Schnee lag.


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