Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15

Am Morgen durchzog er die Stadt, er kaufte weiche Fellstiefel, einen neuen Anzug und kleidete sich um. Auf den Straßen und Plätzen herrschte Trubel, feiner Schnee fiel, die Plätze waren mit Fahnen geschmückt, bunte Tücher flatterten durch den Schnee, auf den Weihnachtsmärkten spielte eine stürmische Musik. Er streifte lange umher, an einer einsamen Stelle setzte er sich auf eine verschneite Bank und lauschte der Musik. Eine junge Dame kam vorüber und lächelte. Er sah ihr nach, ihr Pelz war verschneit, sie trug Pakete in den Händen. Später entsann er sich, daß er sie kannte, es war die junge Dame aus dem schönen Hause neben seinem Gasthof.

Er machte einen langen Weg und kam an den Hafen, der frische Schnee lag fußhoch, das Eis im Hafen hatte alle Schiffe gehoben, die kleineren Segler lagen auf dem Eis. Seeleute standen an langen bunten Buden und tranken Grog. Buffalos Hafen war groß, und es gab viele Buden, an denen getrunken wurde. In großen Eisenkörben glühten Feuer aus Holz und Kohle, an den Piers lag Schiff um Schiff, Wachfeuer schwelten an Bord, auf dem Eis spielten Kinder.

Wo liegen die Eisbrecher? fragte Jens einen Fischer.

Es liegen vier Eisbrecher im Hafen, erhielt er zur Antwort.

Ich suche einen Freund, murmelte er und ging weiter durch den Hafen. An einem Zwischenpier fand er Burtes Eisbrecher, er lag tief im Eis, die Luken waren verhängt, über den Aufbauten hing eine Persenning, wohl um das Glas zu schützen. Jens stieg an Deck, der Niedergang war verschlossen, er rüttelte an der Kombüsentür. Kein Mensch war an Bord. Er ging aufs Eis um das breite Heck herum; hier lag die Steuermannskajüte, er blickte durch das Bullauge, die Scheiben waren mit Schnee und Eis beschlagen, er sah nichts. Aber dieses war die Kabine, in welcher der Priester starb, den Stamer erschoß.

Er hauchte die Scheiben an und wischte den Schnee aus der Luke, es rieselte über sein Gesicht. Plötzlich schloß er die Augen, etwas berührte seine Hände, es war ihm, als streichele jemand seine Hand. Es ist der Schnee, überlegte er und steckte die Hände in die Taschen. Er fühlte aber die Berührung weiter an seinen Händen. Es war die Kälte, sagte er sich, aber seine Hände brannten.

Dann ist es der Priester, stöhnte es in seiner Brust. Er schlich sich am Schiffsrumpf zurück. Als er an Land kletterte, rief ihn eine Stimme an, es war der Wachmann, der über die Pier gelaufen kam.

Was treiben Sie hier? schrie der Wachmann.

Ich suche Kapitän Burte, entgegnete Jens.

Kapitän Burte ist seit gestern im Jenseits, erwiderte der Wachmann und ließ ihn passieren.

Es geschah alles zufällig, daß er den Weg in den Hafen fand und auf den Eisbrecher stieß, wo ihm ein Wachmann begegnete, der ihn auslachte, als er Kapitän Burte auf der Erde suchte. Es kam ihm wie ein Traum an. Burte ist tot? Ja, mir träumte, daß ein Eisbrecher auf dem Pier lag, und alles war wie bei einem Trauerfall tief verhängt. Kapitän Burte tot? Dann kann Stamer ruhig seiner Wege gehen, Tote verstehen zu schweigen. – –

Er wanderte zurück, und weil ihn die Einsamkeit drückte, stellte er sich zu Seeleuten, die er zu kennen vorgab. He! Ich kenne dich, sagte er zu einem Bootsmann, ich fuhr mit dir, entsinne dich nur, deinen Namen vergaß ich, dein Gesicht ist mir bekannt … Ja, sagte der Bootsmann, du bist es? – Ich bin es! Und es wurde ein Grund zu übergroßer Freude, sie umarmten sich und standen eine Weile vor den Wärmfeuern, danach tranken sie gemeinsam.

Morgen werde ich eine Einladung bekommen, flüsterte ihm Jens ins Ohr.

So?

Zu einer Dame, ich hoffe, daß du darüber schweigst, wahr und wahrhaftig schweigst! Es ist eine Dame, die einen guten Ruf zu verspielen hat, darum mahne ich dich zu schweigen.

Kamerad, sagte der Bootsmann, wenn ich auch darüber redete, es könnte ihrem Ruf nicht schaden, da ich sie ja nicht kenne.

Ah! ich dachte nicht daran, du kennst sie nicht. Wenn ich morgen die Einladung bekomme, Freund, dann wollte ich wohl die Zeit mit dir vertun.

Ich denke, du wirst die Einladung bekommen?!

In meiner Einbildung!

In deiner Einbildung, sagte der Bootsmann und lachte. Dann ist es auch eine Einbildung, daß wir uns kennen. Ich sah dich nie, weiß Gott, dein Gesicht ist mir angenehm, aber ich sah dich nie, ich kenne dich nicht.

Was tut's, lachte Jens. Ich gab auch nur vor, dich zu kennen, weil du mir so gefielst. Ich wollte dir eine Weile nahe sein. Vergiß mich nicht!

Nie und nimmer, sagte der Bootsmann gerührt, sie umarmten einander wie Brüder. Die anderen Seeleute sahen es und hatten ihre Freude an dem Wiedersehen. Sie wurden alle lustig und tranken zusammen. Bei der nächsten Gelegenheit aber stahl sich Jens davon. Über den ganzen Tag trieb er es so, ohne Speise, er feierte ein Wiedersehen nach dem anderen. Als es dunkelte und kälter wurde, kam er auf einen Platz, der mit Menschen und Lichtern erfüllt war. Auf einem Tanzboden spielte eine Kapelle, rote Raketen sausten durch die Luft, ein Feuerwerk war im Gange. Das Ganze spielte sich in der Nähe seines Gasthofes ab, es war auch eine bessere Welt auf dem Platz versammelt. Die Fellhändler priesen unter Karbidlampen ihre kostbarsten Felle an, Ottern, Biber, den Silberfuchs und Hermelin, die gefärbten Felle von jungen Wildkatzen leuchteten violett und scharlachrot. Einige Diamantenhändler saßen hinter Gitterstäben, die Steine lagen in kleinen Glasvitrinen, weißes Magnesiumlicht brannte in Bronzeschalen. In den Vitrinen funkelte es. Mitten auf dem Platz war eine hohe Stange aufgestellt, daran baumelte ein Weihnachtsmann, nach ihm wurde mit Büchsen geschossen; Damen der Gesellschaft hatten ihre Lust daran, der Puppe die schwarzen Glasaugen wegzuknallen. An den Straßenrändern standen viele Kinder, die Polizei schritt die Straße ab und richtete die Kinder nach einer Schnur aus.

An einer Stelle des Platzes war ein großer Schlitten aufgefahren, die Pferde standen noch im Geschirr, der Schlitten war mit Tannen beladen und ein junger Mann schrie: Weihnachtsbäume aus den Appalachen! Zwei Männer hatten zu tun, die Bäume flogen von dem Schlitten, es waren mannshohe Tannen, grün und mit weichen Nadeln. Die Tannen kommen vom Superior, dachte Jens, ich sollte sie kennen, es sind kanadische Bäumchen. Christbäume aus den Appalachen! schrien die Verkäufer. Damen und Herren stritten sich um die Tannen, ein Baum kostete vier Dollar; nach einer Weile brachte der Baum fünf Dollar und mehr.

Jens' Gesicht war kalt und feucht vom Schnee. Das Ganze ist ein Kniff, rechnete er, wie kommen die Bäume über das Eis, sie sind frisch und haben eine weite Reise gemacht. Diesseits der Seen wachsen in tausend Meilen keine Tannen. Es müssen gezüchtete Tannen sein, die Nadeln sind ja wie feines Glas.

Der Schlitten war leer, im Schnee aber lagen noch einige Bäume, welche die Händler um keinen Preis verkaufen wollten. Zehn Dollar! sagte eine Stimme hinter Jens. Zehn Dollar für einen Baum! Jens zuckte zusammen, er erkannte die Stimme Vancours in seinem Rücken. – Haha! Es erscholl ein Gelächter. Fünfzehn Dollar! bot eine fremde Stimme.

Die Verkäufer holten unter einer Plane zehn weitere Bäume hervor und stellten sie vor dem Schlitten auf, prächtige Tannen, an zwei Meter hoch, die Nadeln waren frisch und grün, als wären sie gespritzt.

Vancour drängte sich nach vorn, nach wenigen Minuten waren auch diese Bäume verkauft. Man zahlte dreißig Dollar für einen Baum. Vancour hob seinen Baum hoch über den Kopf, sein Gesicht strahlte. Jens sah in seine leuchtenden Augen, die über die Menschen hinweg auf eine Gruppe von Personen gerichtet waren. Ich habe einen Baum! rief er, seht den schönen Baum! Seine hohe, breite Gestalt schob sich durch die Menge, die Pelzkappe war ihm verrutscht, seine Locken waren weiß vom Schnee.

Dort stand eine Gesellschaft von zwei jungen Damen und einem Herrn, sie riefen Vancour lachend zu: Hierher mit dem Baum! Vancour bahnte sich seinen Weg, noch immer hielt er den Baum über seinem Kopf.

Jens stellte sich seitwärts und blickte Vancour nach, er sah auch die Damen, sein Herz machte einen Ruck, Erde und Himmel drehten sich um ihn, er hatte Cornelia erkannt. Sie lachte und stand am Arm eines jungen Mannes, der Vancour mit spöttischer Miene entgegensah. Ihr Gesicht war eine einzige Freude und Bewegtheit; sie hob ihren Arm und winkte Vancour, sie schien zu hüpfen; ihre linke Hand lag still in dem Arm des jungen Mannes. Vancour kam und stellte den Baum vor Cornelia hin, die Tanne verdeckte sie ganz. Mechanisch bewegte sich Jens vorwärts, er betrachtete des jungen Mannes Gesicht, der unbewegt Cornelias Hand in seinem Arm hielt. Sein Pelz stand offen, darunter sah man eine weiße Strickjacke, ein weicher Schlapphut saß auf seinem Kopf. Sein Gesicht war stolz und kalt.

Vancour legte den Baum in den Schnee. Cornelia beugte sich ein wenig vor und reichte Vancour ihre freie Hand; als sie wieder aufblickte, wurde ihr Gesicht starr, sie löste ihre Hand aus dem Arm des jungen Mannes, ihre Augen weiteten sich. Sie hatte Jens gesehen, in ihrem Gesicht malte sich ein tiefes Erschrecken ab. Vancour blickte hinter sich, auch der junge Mann drehte seinen Kopf und starrte Jens an.

Sie hat mich erkannt, dachte er. Alle sind Zeugen, daß sie mich erkannt hat. Er schlug die Augen nieder und drehte sich schleppend um.

Jens! erscholl es hinter ihm. Es war Vancours Stimme. Jens!

Er blickte sich um, sah einen Augenblick Cornelias Gesicht, dann neigte sie sich dem jungen Manne zu und sprach auf ihn ein. Der junge Mann beugte sein Haupt und nickte, der Schlapphut kippte ihm vornüber. Die andere junge Dame war blond, sie stand gleichgültig da, als ginge sie das Ganze nichts an. Vancour winkte Jens mit der Hand, sein Gesicht war ernst, schließlich kam er mit ausgestrecktem Arm und rief: So kommen Sie doch!

Jens schüttelte erschrocken den Kopf, ließ es aber geschehen, daß Vancour ihn anfaßte und mit sich zog.

Wollen Sie denn die Segel streichen wegen dieses Gimpels, flüsterte ihm Vancour zu. Er ist Student, verstehen Sie, er studiert auch nicht, dazu ist er viel zu stolz und zu dumm …

Großartig! lachte Jens laut heraus.

Zu dumm …! sagte Vancour und lachte, sie gingen geradeaus auf die Gruppe los.

Beachten Sie ihn nicht, übersehen Sie ihn! flüsterte Vancour.

Aber ehe Jens noch vor ihnen stand, lüftete er seine Mütze und machte seinen Rücken krumm. Das war unangebracht, es war kalt und man war in keiner Stube. Kein Mensch grüßte auf dem Platz in solcher Weise. Es lenkte auch nur die Blicke der Umstehenden auf diesen Vorgang; ein Mann, der seine Pelzmütze lüftete, den rechten Fuß nach sich zieht und in einer wilden Art den Kopf wirft! – und doch machte es Eindruck. Vancour selber flüsterte: Gut, gut!

Er fühlte plötzlich die Kraft, diesen Menschen zu begegnen, und blickte spöttisch auf den jungen Mann; der Fremde senkte zuerst den Blick und trat einen halben Schritt zurück.

Das ist er! lachte Vancour, das ist Jens!

Nun war es an Cornelia, zu sprechen und ihm die Hand zu reichen. Sie aber stand da und blickte unsicher an ihm vorbei; nach einer Pause sagte sie leise: Da sind Sie!

Seine Augen blickten sie traurig an, zu ihren Füßen lag der Tannenbaum … Cornelia! sagte er.

Sie blickte überrascht auf.

Ich bringe Grüße vom Oberen-See, sagte er weiter.

Einen Augenblick schloß sie die Augen und zitterte.

Er sagte: Ich war betrübt, daß Sie abgereist waren …

Sie erwiderte schnell: Was wollen Sie hier?

Mag sie fragen, dachte er, sie weiß, was ich will und er sagte ihr: Sie wollen mich nicht kennen?

Vancour sagte laut: Das ist ja Unsinn, ihr wart Nachbarn. Cornelia, ich erinnere Sie …

Sie wandte sich ab und sagte: Ja, ich kenne ihn, er war Hausmann auf Tucys Farm … Nun ist es wohl gut!

Hausmann? wiederholte Vancour und blickte beschämt fort. Jens stand und horchte eine Weile in sich hinein, es wogte in seinem Herzen, er nahm seine Kraft zusammen und sagte spöttisch: Sie belieben zu scherzen.

Cornelia! sagte die andere junge Dame warnend, Cornelia!

Aber sie rief bebend: Ich scherze nicht!

Jens sagte kalt: Dann haben Sie einen Hausmann Ihren Liebsten genannt …

Kerl! schrie der junge Mann und sprang einen Schritt vor. Sein schönes und stolzes Gesicht flammte im Haß, er hob seinen Arm und schlug Jens ins Gesicht.

Narr! zischte Vancour, er könnte Ihnen die Knochen brechen.

Jens rührte sich nicht, er fühlte ein Streicheln an seinen Händen, sein Gesicht verzog sich zu einem schmerzlichen Grinsen, zwei Tränen rollten über seine Wangen. Er ist es, flüsterte er vor sich hin und blickte Cornelia an, der Priester streichelt meine Hände. Sein Gesicht war seltsam abwesend. Vancour stampfte mit dem Fuß und murmelte: Eine Gemeinheit war es …

Cornelia starrte Jens an, ihre Augen waren schreckhaft geweitet, ihre Lippen bewegten sich wortlos, sie hauchte: Jens! …

Er reckte sich und legte die Hand auf die Wange, dort wo der Schlag saß und sah seinen Widersacher fest an, er sagte: Ich habe es überwunden … und wandte sich an Vancour: Ein Tannenbaum, flüsterte er, er kommt aber nicht von der kanadischen Seite, es ist eine Züchtung. – Mit diesen Worten drehte er sich um und ging seiner selbst vergessen davon.

Jens! Jens! sagte Cornelia halblaut, der Trubel um sie herum verschlang ihre Worte. Sie alle starrten ihm nach und seine gerade Gestalt machte es doppelt deutlich, wie sehr er den Fuß schleppte.

Er hinkt ja! flüsterte der Student vor sich hin. – Er hieß Gordon Wills.


 << zurück weiter >>