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17

Eine Woche verging, sie sahen einander nicht. Jens war heimlich umgezogen, er hatte ein Quartier bei einem Schauermann im Norden der Stadt genommen. Sie arbeiteten zusammen im Hafen, es gab drei Arten der Beschäftigung für Schauermänner im Winter. Sie zogen aufs Eis, die Eisbrecher brachen in der Nacht die Fahrrinne auf, in der Frühe zogen die Schauerleute in Pelzen los, zerschlugen mit Stangen und Äxten die Schollen und stießen sie in die Strömung des Buffalo-Creek. Anderntags zogen sie Getreidekähne durch die Rinnen, am dritten Tag aber standen sie in den Kähnen und lenkten die Schläuche der Elevatoren. Sie verdienten viel Geld, fünf und sechs Dollar den Tag und wenn die Luft auch eisig war, in den Kähnen wärmte das lebendige Getreide. Sie tranken Wein aus Toronto und aßen viel fettes Fleisch.

Das Haus, in welchem er nun wohnte, stand in einer langen Reihe kleiner Häuser, war niedrig gebaut und aus Holz, wie alle Häuser der Schauerleute. Die Männer waren wegen ihres Berufes nicht geachtet, sie heirateten nicht, die Frauen fürchteten die Roheit der Schauerleute. Es verkehrten aber viele Mädchen in der Straße, sie zogen am Abend mutig daher, zu einer Zeit, in der die Vesperglocken läuteten. Die Schauerleute warfen lachend Münzen in den Schnee und freuten sich daran, daß die Mädchen die Münzen in den Schnee traten. Die alten Mütter der Schauerleute aber, die auf dem Altan der Holzhäuser wohnten, rissen die Fenster auf und schimpften über die verlorenen Münzen.

Jens' Hauswirt war ein älterer Mann, er hieß Elson, seine Mutter war betagt gestorben, im Altan wohnte nun Jens. Ein gelber Strohhut mit Papierblumen hing vor seiner Tür, er gehörte Elsons Mutter. In diesem Winter waren es zwei Jahre, daß sie starb, und der einsame Elson weinte um sie. Zu Neujahr nahm er ihre verblichenen Kleider aus dem Schrank und hing sie in die Wintersonne.

Seht, Elson trauert um seine Mutter, hieß es in der Straße und sie kamen alle, Elson zu trösten. Die Stube füllte sich mit Schauerleuten, sie erzählten Geschichten aus dem Leben der Verstorbenen, und bei [Kornbrand] wurde Elson wieder heiter. Er trank seinen Freunden zu und des Erzählens nahm kein Ende. Die Männer sprachen von der Zeit, als es noch keine Profession der Schauerleute in Buffalo gab. Sie waren einst alle Fischer und hatten schwarze Kutter am Strande liegen und segelten auf den See hinaus, fingen den Stör mit dem Spieß und die großen Seeforellen mit den Netzen.

Hört zu! sagte Elson, meiner Mutter Schwesterkind hat sich gerettet, er ist kein Schauermann geworden, er hat seinen Fischkutter und lebt glücklich. Ihr kennt ihn alle, seine Jugend verlebte er in diesem Hause, er war meiner Mutter Liebling. Er spielte der alten Frau manchen Streich. Entsinnt ihr euch des Jungen?

Nein! riefen die Männer, welcher ist es denn, deine Mutter zog zwei Waisen groß.

Es war der kleine schwarze Junge, welcher nach einem Vogel schoß und meiner Mutter alten Strohhut traf. Sie bildete sich ein, der Schuß habe ihr Herz gekitzelt und als sie starb, sagte sie, das war Adams schlechter Schuß … Entsinnt ihr euch nicht!

Ja, ja, sie kannten ihn, das war wohl der kleine, schwarze Stamer! Wo lebt denn deiner Mutter Schwesterkind, Elson?

In Sault St. Marie!

Und welchen Fisch fängt er?

Den Lachs, er ist Lachsfischer! Ihr glaubt mir wohl nicht, daß sich einer von meiner Sippe rettete!

Wir glauben dir, sagte ein alter Schauermann. Seht an, Stamer ist Lachsfischer geworden. Wie glücklich muß er sein, er kann den Winter verschlafen, ißt Lachs in Öl und im Frühjahr fährt er zur See …

Er ist noch glücklicher, sagte Elson. Im Vorjahr schrieb er mir, daß er ein reiches Mädchen hat. Er will sich einen Dampfer kaufen. Gott gebe, daß sein Glück standhält, er ist aus meiner Sippe.

Jens wurde weiß, er versteckte seine Hände, als von Stamer die Rede war. In diesem Hause war Stamer groß geworden; denk, daß er auf diesem Stuhl saß und in langsamen Stichen wuchs, bis er dahin kam, daß er einen Priester erschoß. – Er zitterte und fragte heiser: Er traf mit einem Schuß deiner Mutter Strohhut?

Elson sagte: Um des Himmelswillen, es lag keine Absicht im Schuß, der Knabe wollte auf einen frechen Sperling schießen. Er war sonst ein guter Schütze, sein Vater war ein ehrlicher Mann.

Ich kenne Stamer, sagte Jens, er wohnt in Sault St. Marie, jenseits der Flußschnellen.

Du kennst ihn? fragte Elson freudig.

Ich kenne die Stelle, an der er wohnt. Er ist Lachsfischer, sein Haar ist schwarz, er ist mittelgroß und hat düstere Augen.

Er ist es, erwiderte Elson. Nun sag mir, sahst du auch sein reiches Mädchen?

Er schloß die Augen und murmelte: Ich kenne sie nicht.

Elson sagte: Das ist sonderbar, du kommst in den Hafen von Buffalo und gerätst in mein Haus. Jetzt kannst du allen versichern, daß einer meiner Sippe sich als Fischer gerettet hat. Ich werde dir später alle Plätze zeigen, welche Stamer liebte. Im Buffalo-Creek fing er Krebse, im Kanal tauchte er nach Forellen; er war sehr geschickt …

Und Jens sann darüber nach, was es ist, daß Elson und Stamer gleichen Blutes sind. Ein Zufall trieb ihn in Elsons Haus. Als er im Hafenamt stand, kam Elson des Wegs, sein Gesicht war bekümmert und Jens fragte ihn nach Quartier. – Du hast einen Seesack, sagte Elson, geh mit mir, du bist Seemann. Er führte ihn in den Norden der Stadt, fort aus den Bezirken der Innenstadt. Und es war Stamers Blut, das ihn in den Norden der Stadt führte … Nein, so ist es auch nicht. Stamer steckt in Sault St. Marie und es ist ein elender Zufall, daß er in Elsons Haus geriet. Aber derselbe Zufall trieb ihn in Stamers Haus, das Blut der Stamer zog ihn an. Ich will das Quartier wechseln, sagte er sich, es ist nicht gut, in diesem Hause zu bleiben.

 

Am Morgen aber stand er neben Elson auf dem Eis, es war diesig und sehr kalt, in der Luft zog sich Schnee zusammen. Die Fahrrinne war einen Steinwurf breit, sie trieben auf einer großen Scholle und steuerten sie in die Strömung. Flink! sagte Elson, treib den Keil in die Mitte, an der nächsten Krümmung müssen wir aufs Eis übersetzen. Elson bediente das Schleppsteuer in Gestalt einer Kette und eines Luftsackes. Jens trieb einen Stahlkeil in die Mitte der Scholle. Das Eis knackte, während die Scholle schnell mit der Strömung trieb. Halt! rief Elson, setz über! Sie kamen an eine Biegung der Fahrrinne; hinter der Biegung öffnete sich das Wasser des Buffalo-Creek und wurde sehr breit. In der diesigen Luft sahen sie nur zehn Schritt weit. Die Scholle war durch den Stahlkeil angerissen, Jens steckte den Keil in eine Lederscheide und schwang den schweren Hammer über die Schulter. In diesem Augenblick streiften sie die Eiskante, Elson warf die Eisenstange über und nahm die Steuerkette, die Scholle brach auseinander. Jens setzte über, die Schollen segelten nun mit der Strömung ins offene Wasser.

Elson aber sprang zu kurz, er stürzte ins Wasser, die schwere Kette zog ihn nach unten. Jens sah ihn wegtauchen, er sprang über das Eis zur Kante hin, er sah Elson nicht mehr, der Luftsack mit der schweren Kette trieb über Wasser. Er lief mit der Strömung um die Wette, dort hinter der Eiskante mußte Elson wieder auftauchen. Er lief und sah plötzlich Elson im Wasser treiben, aber die Strömung trieb ihn schnell hinaus. Ohne einen Gedanken zu fassen, warf er Hammer und Eisenkeil fort, riß den Pelz ab und warf sich ins Wasser. Er fühlte die Kälte des Wassers alsogleich, in starken Stößen schwamm er Elson nach. Aber welchen Sinn hatte es nur, daß er mit der Strömung Elson nachschwamm. Die Luft war diesig, kaum, daß er Elson im Wasser sah. Die Kälte drang durch seine Waden, seine Arme wurden müde. Er hob sich aus dem Wasser und sah plötzlich Elson, sah wie der Alte mit seinem schweren Pelz kämpfte.

Ich komme! schrie er über das Wasser, die Strömung riß sie miteinander in das weite Delta des Buffalo-Creek hinaus. Ich kann ihn nicht erreichen, dachte er, warf sich herum und versuchte gegen die Strömung zurückzuschwimmen. Das Wasser kräuselte sich in leichten Wellen, der Sog der Strömung war gewaltig. Und er überschlug in seinem Kopf, wie lange er noch die Kraft haben würde, dem Strom entgegenzuschwimmen. Er ließ sich treiben, die Kälte durchfuhr ihn schmerzhaft, es wurde ihm übel. Plötzlich sah er, wie Elson mit dem Arm über einer Eisscholle hing. Jens verdoppelte seine Anstrengungen, dort trieb im Wasser eine Scholle, seine ganze Hoffnung. Aber seine Schläge wurden immer schwächer, er fühlte, daß seine Hände steif wurden – er schwamm weiter und kam der Scholle näher. Elson hing erstarrt über der Kante. Endlich konnte er seine Hand nach der Scholle ausstrecken, er hielt sich für gerettet. Elson! flüsterte er, wir sind gerettet … Er versuchte sich aufs Eis zu ziehen, es gelang ihm aber nicht, ein Bein über die Kante zu heben, er rutschte mit dem Arm vom Eise ab und dachte einen Augenblick, daß es doch zu spät sei. An Elsons Seite sollte er umkommen, Stamers Blut zieht mich mit hinüber. Nein! schrie er und warf sich mit aller Kraft höher auf die Scholle, er schwang ein Bein über die Kante und krallte sich in den Unebenheiten des Eises fest, er zog sich ganz hinauf. Nach einer Pause warf er sich herum und griff mit beiden Händen in Elsons Pelz hinein.

Seine Finger aber waren starr, er griff ins Leere. Nun unterzog er sich der schrecklichen Gefahr, mit Elson gemeinsam zu ertrinken; er griff unter Elsons Arme und stemmte sich mit der Brust gegen das Eis. Er zog aus Leibeskräften. Elson murmelte etwas, was er nicht verstand. Elson konnte sich nicht bewegen, aber Jens zog ihn allein mit seinen Armen über die Eiskante, legte ihn aufs Eis und knöpfte ihm den Pelz auf.

Da lagen sie beide erschöpft auf der Scholle und bewegten mühsam ihre Glieder. Nach einer Zeit stieß die Scholle gegen Eis. Sie waren mit der großen Eisdecke in Verbindung geraten. Auf! rief Jens. Elson raffte sich hoch, sie taumelten Arm in Arm auf die Eisdecke hinüber.

Eine Stunde später lagen sie in einer Baracke, und während auf einem Feuer eine Suppe kochte, schliefen sie sanft ein. Das Ereignis verbreitete sich mit Windeseile unter den Schauerleuten. Elson und Jens! sagten sie untereinander. Elson hat sich einen Engel ins Haus geholt. Oder sie sagten, Elsons alte Mutter hat ihre Hand über den Verunglückten gehalten.

 

Am gleichen Abend stand Vancour vor Jens. Das Ganze war ein Werk des Zufalls. Ein Arbeiter hatte es Vancour erzählt, er kannte Jens nicht, aber er beschrieb ihn genau. Nun stand Vancour in Elsons Haus, draußen wartete ein Schlitten mit zwei Pferden, im Schlitten lagen zwei gefütterte Pelzdecken. Die alten Weiber blickten gespannt vom Altan auf das beleuchtete Gespann.

Herr Vancour sagte: Es kann bisweilen von Nutzen sein, wenn einen das Unglück packt. Nehmen Sie Ihre Sachen, ich habe zwei Felle im Schlitten. Was wollen Sie länger unter den Schauermännern!

Geruhen Sie leise zu sprechen, flüsterte Jens. Elson hat gute Ohren.

Ganz Buffalo ist voll davon, daß Sie mit der Strömung dem Schauermann nachgeschwommen sind. Mein Haar wird grau, wenn ich nur daran denke.

Sie sind so liebenswürdig, murmelte Jens. Warum suchen Sie mich eigentlich auf?

Vancour sagte zaudernd: Erst jetzt denke ich darüber nach, was wäre, wenn Sie nicht mehr lebten. Denken Sie denn gar nicht an Cornelia? Soll sie im Cancan von Buffalo untergehen? Wie? Einen haben Sie ihr vom Halse geschafft, aber es sind eine Reihe anderer Männer da, die nicht wert sind, daß sie ihr die Schuhriemen öffnen.

Sie wollen mich überzeugen, daß ich sie aus dem Cancan herausziehen kann? In Gottes Namen, lassen Sie Cornelia darin untergehen. Gehen Sie, Vancour, hängen Sie Ihr Herz nicht an Allisters Tochter …

Vancour blickte ihn wie ein Geisteskranker an.

Verstehen Sie mich denn nicht, sagte Jens verbittert, daß mich nichts mehr an dieses Mädchen bindet! Wegen ein paar warmer Augenblicke sollte ich mein Leben ruinieren!

Sie kamen doch aus Sault St. Marie, um sie zu sehen, Sie sind ihr nachgereist …

Das ist nicht wahr!

Sie gehen unter die Schauerleute, um Wind zu machen. Sie werfen sich in die Strömung, Sie benehmen sich sinnlos. Warum das alles! Ihr Leben unter den Schauerleuten soll Cornelia locken und quälen. Das ist das Ganze.

Schweigen Sie still!

Ich sage Ihnen aber, daß es Cornelia nicht rührt. Ich habe ihr eine Strafrede gehalten wegen ihres Lebens, sie blickte mich an wie eine Heilige. Zum guten Schluß gelobte sie Besserung. Was hat sie davon gehalten? In der letzten Nacht kam Maria in meine Wohnung und suchte Cornelia. Seit wann ist sie fort? fragte ich sie. – Seit zwei Tagen! Bedenken Sie, zwei Tage, heute morgen tauchte sie wieder auf, sie soll sehr fröhlich gewesen sein, Blumen am Kleid und kalte Füße.

Jens drehte sich um.

Sehen Sie nun, daß Sie mit Ihrer Arbeit unter den Schauerleuten nichts erreichen!

Warum tun Sie das alles, Vancour?

Vancour sagte rauh: Fragen Sie den Mond … warum ich es tue. Ich vertrete Vaterstelle an ihr.

Ihr Gesicht ist ja ganz zerrissen, Sie kommen um vor Liebe. An Ihrer Stelle würde ich Mac Allister benachrichtigen.

Vancour erhob sich, es zuckte in seinen Augen, er versteckte sein Gesicht und murmelte: Kommen Sie endlich mit?

Ich gehe mit Ihnen. Triumphieren Sie aber nicht zu früh, Vancour. Ich gehe mit Ihnen, im übrigen behalte ich mein Quartier. Und gehen Sie voraus. Fahren Sie allein mit Ihrem Schlitten, es soll keiner sagen, daß ich wegen eines schönen Schlittens Elson verlassen habe.


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