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26. Indische Spiele

Eine Terrasse des ungeheuren Residenzschlosses war hergerichtet worden, zahlreiche Gäste zu empfangen. Einheimische Gewächse schlossen das weite Plateau ein. Im Norden erblickte man durch die freigelassenen Aussichtsstellen die schneebedeckten Gipfel des Himalajagebirges, im Scheine der Abendsonne erglänzend, im Osten überschaute das Auge, beugte man sich über die Balustrade, das liebliche Tal der Dschamna, und im Süden konnte der Blick auf blühenden Feldern und Fluren weilen, nur schade, daß er dabei auf so viele rauchende Trümmerhaufen traf. Schon neigte sich das reife Korn schwer zur Seite, ohne daß es fleißige Schnitter gab; denn in Indien wütete der Krieg. Wie lange würde es noch dauern, so war das Getreide niedergestampft! Links erhob sich die massive Wand eines Schloßflügels und schützte vor der Sonne.

In weitem Kreise waren auf der Terrasse Stühle aufgestellt oder dicke Polsterkissen niedergelegt worden, und schon saßen oder lagen auf denselben die Gäste, welche nicht zur direkten Umgebung Bahadurs gehörten und nicht im Schlosse selbst wohnten. Die eingeladenen französischen Offiziere nahmen die Stühle, die indischen Anführer die Kissen ein.

Von der Schloßmauer am weitesten entfernt erhob sich ein meterhoher Aufbau, wie zur Aufnahme eines Thrones bestimmt, links und rechts grenzten ebenfalls Erhöhungen an, welche jedoch schon mit weichen Kissen belegt waren.

Die schon anwesenden Gäste befanden sich diesem Platze gegenüber, unter ihnen auch Madame Dubois.

Während die Offiziere leise miteinander flüsterten, scherzten, lachten und der kommenden Schaustellung neugierig harrten, lagen die Indier schweigend und in echt orientalischem Gleichmut da, als gebe es für sie überhaupt nichts Überraschendes mehr, und diese Männer, deren Juwelenschmuck schon ihren Reichtum verriet, waren wirklich mit allem übersättigt, was das Leben ihnen bieten konnte. Eine solche Vorstellung war ihnen gar nichts mehr.

Nur einer der Indier zeigte sich gesprächig.

Neben der auf einem Diwan sitzenden Phöbe lag in bequemer Stellung ein noch junger Mann und unterhielt sich leise mit ihr. Schon sein ganzes Äußere war von dem der übrigen verschieden. Sein schwarzes Haar fiel nicht in langen Locken auf die Schultern, sondern war kurz geschoren, auf dem Haupte saß kein großer Turban, sondern nur ein kleines rotes Käppchen auf dem Hinterkopf, das weite Gewand aus dunkelblauer Seide umfloß in malerischen Falten den schlanken Körper und ließ im Gegensatz zu den anderen Indiern den rechten, sehnigen Arm frei.

Dieses Gewand ward in den Hüften von einem Schuppengürtel zusammengehalten, in welchem außer den gewöhnlichen Dolchen und Pistolen noch eine sonderbare Waffe steckte, welche den Mann allein schon als Bengalesen kenntlich machte.

Es war eine Waffe, halb Beil, halb Hackemesser, etwa zwei Fuß lang, vorn konvexer Form, mit kurzem, leichtem Griff, der Stahl von hinten nach vorn immer breiter und breiter werdend, so daß der Schwerpunkt in der Spitze liegen mußte. Diese Waffe, Dschambea genannt, ist nur den Bengalesen eigentümlich, und wird in der Hand eines Mannes, der sie zu führen versteht, ein furchtbares Werkzeug.

Im ganzen war der Mann einfacher gekleidet als seine Landsleute, machte aber den günstigsten Eindruck. Das Auge blickte freundlich und kühn zugleich, die hohe Stirn, die dunklen, hochgeschwungenen Augenbrauen, der wohlgepflegte, tiefschwarze Vollbart, diese Sicherheit der kleinsten Bewegung – kurz, es war eine auffallende, angenehme Erscheinung, und nicht nur die Offiziere schauten oft bewundernd nach ihm hin, selbst die phlegmatischen Indier taten dies ab und zu, und es war für sie wirklich ein Grund zur Neugier vorhanden.

Bengalen hatte sich bisher neutral verhalten, nur die Sepoys, welche von dort aus sich für englische Dienste hatten werben lassen, meuterten ebenfalls. Dies aber war auch wieder der Grund, daß nicht alle Sepoys von den Engländern abfielen, zum Beispiel nicht die aus den Himalaja-Gegenden, denn diese, darunter die Gurgghas und die Sikhs, haßten die Bengali-Sepoys glühend.

Der fremde Gast nun war ein Bengalese, und es stand zu erwarten, daß er mit Bahadur Unterhandlung pflegen wollte.

Madame Dubois, welche in Bengalen mehr zu Hause war als in diesem Teile Indiens, hatte ihn als Penab Ran, als den Sohn eines indischen Nabobs vorgestellt, ihn auch schon mit dem Großmogul zusammengebracht, doch Bahadur hatte ihn nicht besonders beachtet, weil er sich jetzt mit den Bengalesen nicht mehr einlassen wollte. Der Fremde war sein Gast, damit genug.

Es herrscht die Meinung, ein indischer Nabob sei einfach ein reicher Mann, das ist jedoch nicht richtig, denn unter Umständen kann ein Nabob auch verarmen und bleibt dennoch ein Nabob. Er ist kein Fürst, sondern nur ein Mann mit ungeheurem Grundbesitz, die Feldarbeiter sind seine Leibeigenen, er steht jedoch in Abhängigkeit von dem Radscha des Landes. Da der Nabob aber meist reich ist, reicher als dieser, so besitzt er indirekt eine größere Macht als derselbe.

Indien ist groß. Es gibt darin eine Menge Nabobs, deren Namen man kaum kennt, wie in Rußland mancher Krösus lebt, dessen Namen die Welt nie erfährt.

Als den Sohn eines solchen Nabobs hatte Phöbe Penab Ran vorgestellt, doch die anwesenden Indier hielten nicht viel von ihm, er war ihnen nicht reich genug gekleidet. Nur sein gefälliges Äußeres mußten sie neidisch bewundern.

Das Schmettern eines unsichtbaren Trompetenorchesters erklang; die Gäste standen auf; das Tor in der Schloßmauer öffnete sich; ein langer Zug betrat die Terrasse.

Zuerst kamen pomphaft gekleidete Diener, lange Stäbe mit goldenen Knöpfen in der Hand tragend, die Zeremonienmeister, andere schwangen Weihrauchbecken, andere wieder trugen Wasserpfeifen.

Auf den Schultern von acht Männern lagen die goldenen Tragestangen einer verhüllten Sänfte; diesem schlossen sich die zu Fuß gehenden, mit Schmuck überladenen Fürsten an, voran Bahadur und Nana Sahib.

Die beiden letzteren wußten nicht, daß diese Zusammenkunft die letzte sein sollte, an der alle Fürsten einträchtig teilnahmen; denn kaum hatten die Engländer etwas Waffenglück, so standen Bahadur und Nana Sahib allein da – die meisten ihrer jetzigen Freunde ließen sie jämmerlich im Stich.

Die Anwesenden verbeugten sich tief, mit einer Ehrfurcht, als hielte die Sänfte einen Gott verborgen.

Sie ward auf die Erhöhung gestellt, links und rechts nahmen die Fürsten nach ihrem Range Platz, stufenweise absteigend, bis die unbedeutenderen Radschas zu ebener Erde saßen, während Bahadur und Nana Sahib dicht neben dem Baldachin auf Kissen ruhten.

Hinter dem Kreis waren die Diener postiert.

Plötzlich flogen die Vorhänge des Baldachins zur Seite, ein goldener Thronsessel ward sichtbar, und auf diesem saß die Begum in strahlender, jungfräulicher Schönheit. Sie hätte sich nicht zu schmücken brauchen, um sich ein königliches Aussehen zu geben, ihre Erscheinung selbst war eine königliche.

Ernst blickte ihr dunkles Auge kurz im Kreise umher. Sie neigte nur leise dankend ihr Haupt, als sich alle, diesmal auch die Fürsten, erhoben und dadurch ihre Ehrfurcht bezeugten.

Dann lehnte sie sich zurück, stützte den schönen Kopf leicht auf den Arm und wohnte mit unveränderlichem Ernst, ohne Staunen oder Aufregung zu zeigen, der Vorstellung bei.

In dem weißen Gewand aber, welches mit blitzenden Diamanten übersät war, glich sie nicht der Tochter der schrecklichen Kali, sondern vielmehr der Göttin des reinen, keuschen Lichtes selbst.

Auf jeden Gast trat ein Diener zu, stellte eine kristallene, mit Rosenwasser gefüllte Hukah Wasserpfeife, bei den Türken Nargileh, bei den Arabern Ischah genannt. vor ihn hin, legte glühende Holzkohlen auf den herrlich duftenden Tabak von Schiras und schob das mit Rubinen bedeckte Mundstück zwischen die Lippen des Gastes.

Auch die anwesenden europäischen Damen rauchten, denn wenn sie zu der Festlichkeit zugelassen wurden, durften sie auch keine Gabe der Gastfreundschaft abschlagen.

Andere Diener gingen hin und her und präsentierten Schalen mit Konfekt, unter dem besonders verzuckerte Früchte, Kokosnußschnitte und Rosenblätter eine Rolle spielten. Diese kandierten Rosenblätter sind eine Spezialität Indiens, sie dürfen in keinem Harem fehlen.

Ohne daß eine weitere Vorstellung stattfand, trat der erste Zeremonienmeister vor, ließ geschickt und elegant den goldenen Stab um seinen Kopf wirbeln, daß er das Aussehen eines glänzenden Rades bekam, und verkündete den Anfang, die erste Nummer der Vorstellung.

Ein häßlich gewachsener, hochschultriger Mann mit verzerrten, aber sehr beweglichen Zügen, in denen es beständig zuckte, begab sich in den Kreis und ließ sich vor dem Thronsessel auf einem Teppich nieder. Es war der Spaßmacher und Märchenerzähler des Hofes, und bald zeigte sich, daß in diesem Manne ein außergewöhnliches Schauspieltalent steckte.

Er erzählte eine uralte indische Sage. Ein Jüngling liebt ein Mädchen, entgegen dem Verbote beider Elternpaare. Alle Geister und Kobolde, Nixen und Feen, gute wie böse, greifen in das Schicksal der Liebenden ein, bald für sie, bald gegen sie Partei nehmend, bis am Schlusse das Gute siegt, das heißt, sie bekommen sich zuletzt.

Der Mann verstand ausgezeichnet zu erzählen. Er konnte seiner Stimme einen Schmelz verleihen, wie man es ihm nie zugetraut hätte; in solchen Momenten verschönte sich selbst sein Gesicht. Dann wieder keifte er wie die alte Mutter, seine Züge wurden häßlich, er krächzte wie der böse Dämon, er sang lieblich wie die bittende Fee; sprach dieser, so klang seine Rede kurz, abgerissen, sprach jene, so nahm seine Stimme einen singenden Ton an, dann bediente er sich improvisierter Verse. Ließ er vier Geister sich unterhalten, so glaubte man diese vier wirklich sprechen zu hören, jeder sprach völlig anders, ja, man meinte oft, sie sprächen alle vier zugleich, und einen heftigen Zank wußte er in einer köstlich humoristischen Weise wiederzugeben.

Die Indier hörten aufmerksam zu, sie lachten bei den drastischen Stellen, klatschten in die Hände und warfen dem Erzähler Geldstücke zu, was diesen immer mehr anfeuerte, seine Kunst zu entfalten.

Die Franzosen dagegen langweilten sich äußerst bei dieser langen Erzählung. Des Indischen nur durch die Konversation mächtig, verstanden sie den Sprecher höchstens, wenn er einmal recht feierlich erzählte, alles andere entging ihnen, besonders, weil der Dialekt oft wechselte. Deshalb beschäftigten sich die Herren anstatt mit dem Zuhören, mit der Begum.

»Ein prächtiges Weib,« flüsterte Montpassier seinem Nachbar Duplessis zu, »aber ernst, stolz und kalt! Nun, wie steht's, wollen Sie nicht den Versuch machen? Acht Tage noch, dann haben Sie den Korb Champagner verloren.«

»Ein herrliches Weib!« seufzte Duplessis nach. »Aber wie soll ich das beginnen? Sie scheint unnahbar zu sein.«

»Mut, Kamerad! Ich sollte Ihnen doch wahrhaftig keinen zusprechen müssen. Weiß der Teufel, mir kommt es überhaupt manchmal vor, als ob die Begum Ihnen recht lange Blicke zuwürfe.«

»Wie, haben Sie das auch schon bemerkt? Ich dachte, ich hätte mich getäuscht.«

»Los, ziehen Sie vom Leder! Sie sind ein Glückspilz! Schmachten Sie, kokettieren Sie, vielleicht fängt sie Feuer!«

»Es kann gefährlich werden.«

»Bah, sie ist ein Weib, und Sie sind ein verteufelt hübscher Kerl. Werfen Sie mit schmachtenden Blicken um sich, seufzen Sie, legen Sie die Hand aufs Herz, als hätten Sie Schmerzen darin!«

»Ja, wenn ich allein ihr gegenüber säße, oder wenigstens nicht so verdammt weit entfernt von ihr.«

Wieder traf den jungen Offizier ein langer Blick aus den dunklen Augen der Begum, so feurig, ja, geradezu so auffordernd, daß er erst förmlich verwirrt wurde, dann aber schleunigst seine Manöver begann, wenn auch so heimlich wie möglich.

Er hatte nicht viel Erfolg, wenigstens jetzt noch nicht; denn die Blicke des Mädchens richteten sich nicht mehr so oft nach ihm hin, sondern hatten sich jetzt ein anderes Ziel gesucht.

Bahadur hatte der Begum mehrere Male etwas zugeflüstert und dadurch ihre Augen auf den jungen, fremden Indier gelenkt. Sie zuckte die Achseln, schüttelte geringschätzend den Kopf und beschäftigte sich wieder mit Duplessis, mit dem sie wirklich ein heimliches Augenspiel begann. Wenigstens beobachtete sie den Franzosen und mußte seinen schmachtenden Augenaufschlag und seine Gebärden auch verstehen.

Es war ein gewagtes Spiel, das Duplessis begann.

Endlich aber warf die Begum wieder einen Blick nach dem jungen Bengalesen, noch einen; länger und länger ruhten ihre Augen auf seiner schönen Erscheinung, und plötzlich schien es fast, als ob ihr Auge, ihr Gesicht einen furchtbar drohenden Ausdruck annähme.

Doch gleich wurde es wieder ernst und kalt wie gewöhnlich, sie lehnte sich zurück und wandte sich an Bahadur.: »Er soll nicht sagen können, die Begum habe ihn geringschätzend behandelt. Rufe ihn an meine Seite, ich will ihn auszeichnen.«

Während der Spaßmacher noch erzählte, verließ der Zeremonienmeister seinen Platz hinter Bahadur, durchmaß mit majestätischem Schritt den Kreis, blieb vor dem Bengalesen stehen, berührte mit dem Stockknopf die Schulter des jungen Mannes und sagte etwas zu ihm.

Er erhob sich ohne Zögern und folgte dem Diener; sonderbar war es nur, daß sich bei diesem Vorgang im Antlitz Phöbes, seiner Nachbarin, etwas wie namenloser Schrecken ausdrückte, ja, es schien fast, als wollte sie den Bengalesen zurückhalten – und der Begum war diese kleine Szene nicht entgangen.

Der Bengalese stand vor dem Thron und verneigte sich tief. Ein Wink der Begum und ihr zur Rechten ward ein Kissen niedergelegt, nach welchem sie eine einladende Handbewegung machte.

»Setze dich mir zur Seite, Penab Ran, Sohn des Penab Tsarin,« sagte sie langsam, jedes Wort betonend, und ihn dabei mit durchbohrenden Blicken musternd. »Bist du auch kein Feind der Faringis, wie ich höre, so bist du doch auch nicht unser Feind; setze dich neben mich und merke, daß die Begum von Dschansi gerecht ist.«

»Ich bin nicht wert, daß ich deinen Platz teile, der noch über den des Padischas ragt, nur deiner Gnade habe ich diese Gunst zu danken,« entgegnete der Indier, ohne die Augen vor dem feurigen Blick niederzuschlagen, bestieg den Thron und ließ sich neben dem Mädchen auf dem Kissen nieder.

In diesem Augenblick verstummte der Erzähler, rauschender Beifall lohnte ihm, auch klingender in Goldstücken, doch er wäre noch reichlicher ausgefallen, hätte sich nicht die allgemeine Aufmerksamkeit auf den begünstigten Bengalesen gewendet. Ein Flüstern ging von Mund zu Mund; man sah die beiden sprechen, fortgesetzt ruhten des Mädchens Augen durchbohrend auf ihrem Nachbar, der sich nicht im mindesten befangen zeigte.

»Bahadur wird rot wie ein Truthahn,« sagte Montpassier, »und Nana Sahib noch mehr.

Daß ein Fremder so bevorzugt wird, paßt den beiden gar nicht.«

»Ich möchte, ich säße da oben,« entgegnete Duplessis, »dann wollte ich das Vögelchen bald kirre gemacht haben.«

Der Zeremonienmeister gab das zweite Zeichen.

Eine Gesellschaft von Jongleuren und Zauberern betrat den Kreis, bestehend aus einem starken, hünenhaften Indier, einem kleinen, schmächtigen Chinesen, einer noch jungen Frau und einem Knaben von etwa acht Jahren. Die Männer trugen nur kurze, enganschließende Kniehosen und einen Gürtel, die Frau ein weißes, weites Gewand, das lange Haar fiel ihr offen und lose herab. Während der Zaubervorstellung hielt sie sich von den sich produzierenden Männern weit entfernt, so daß die Möglichkeit, ihr Gewand diene als Versteck, ausgeschlossen war. Nur einmal trat sie mit auf.

Die Frau breitete eine dünne Bastmatte aus und legte auf einem Korb einige Decken, Waffen von fürchterlichem Aussehen, Messer, Kugeln, Stäbe, ein Fischernetz und andere Sachen darauf. Dann zog sie sich zurück.

Der Chinese trat vor, begrüßte die Herrschaften mit einem Wortschwall und schloß mit den Worten: »Mit der gnädigen Genehmigung Timur Dhars, des Königs der Gaukler, meines Herrn und Meisters, gegen den ich ein Stümper, ein Nichts bin, beginne ich die Vorstellung.«

Er bot die ausgebreiteten Gegenstände zur Besichtigung an, der Knabe trug sie umher, doch nur die Franzosen prüften sie, ohne etwas Auffälliges an ihnen zu bemerken, höchstens, daß die Waffen von einer fürchterlichen Schärfe waren.

Der Gaukler hatte übrigens keinen Grund, sich Timur Dhar gegenüber so klein zu machen, seine Geschicklichkeit war staunenerregend, desgleichen die seiner Genossen.

Es wird noch einmal darauf aufmerksam gemacht, daß solche Kunststücke, wie einige jetzt beschrieben werden sollen, nicht etwa Gebilde der Phantasie sind. Erst seit einigen Jahren treten auch in Europa sogenannte Prästidigitateurs und Magier auf; ein wunderbarer Taschenspieler war z. B. Bosco, später ein gewisser Pinetti, ein Houdin imponierte durch seine unglaubliche Gewandtheit, ein Hermann durch seine haarsträubende Geschicklichkeit im Spiele mit scharfen Waffen, jetzt zeigen sich auch ab und zu indische Taschenspieler auf der europäischen Bühne, aber den wirklichen Gaukler kann man nur in Indien und China sehen, selbst der arabische reicht ihm nicht das Wasser; Indien ist das Heimatland des Gauklers, er verläßt es nicht, und alle anderen Schaustellungen bieten nur einen schwachen Abglanz von den Wunderdingen, die man dort schauen kann.

Die Vorstellung begann damit, daß der Chinese eine etwa acht Meter lange Bambusstange, oben mit einer blanken Stahlspitze versehen, aufrecht auf den Boden setzte und an ihr hinaufkletterte, als wäre sie festgewurzelt oder als würde sie von unsichtbaren Händen gehalten. Oben angelangt, legte er sich mit dem Bauch auf die Spitze, bog die Füße zurück, faßte diese mit den Händen und drehte plötzlich den Leib gleich einer Scheibe blitzschnell um sich selbst, daß die Augen der Zuschauer seinen Bewegungen nicht mehr folgen konnten.

Aber nicht genug damit, während dieses Herumwirbelns schraubte sich der Chinese an der Stange abwechselnd hinunter und wieder hinaus, so daß die Spitze oft einen Meter aus dem Körper des Mannes herauszuragen schien, als habe sie ihn durchbohrt.

Die Indier blickten gleichgültig auf dieses Schauspiel; die Franzosen dagegen staunten.

Hatten sie auch schon oft genug Gaukler gesehen, so doch eine solche Geschicklichkeit noch nie. Derartige Künstler produzierten sich nur vor Leuten, von denen sie ihren Lohn in Gold empfingen, nicht auf der Straße. Schließlich rutschte der Chinese pfeilschnell herab, kam auf die Füße zu stehen und schleuderte die Stange, ohne die Hände zu gebrauchen, dem Knaben zu, der sie auffing.

Während sich der Chinese unter den Beifallsbezeugungen der Zuschauer nach allen Seiten hin lächelnd verbeugte, näherte sich ihm von hinten der große Kuli mit wütendem Gesicht, ein langes Messer in der Hand, und bohrte es dem Ahnungslosen in den Rücken.

Man sah die Spitze aus der Brust des Getreuen herausdringen, ein Blutstrahl spritzte vorn und hinten hervor; der Kuli stieß mehrmals zu, aber ruhig fuhr der Chinese fort, sich zu verbeugen.

Achselzuckend warf der Indier schließlich das Messer fort, während ein neues Beifallsklatschen, besonders von den Offizieren, dieses auf Täuschung beruhende Kunststück des anscheinend unverwundbaren Gauklers belohnte.

Jetzt kam der Indier an die Reihe.

Er zeigte, daß der etwa einen Meter lange und einen halben Meter hohe und breite Korb aus Rohrgeflecht leer war, und setzte ihn auf die Matte. Dann wurde er von dem Chinesen an Händen und Füßen gebunden und vollständig in das Fischnetz gewickelt. Der baumlange Mann krümmte sich wie ein Aal zusammen, der Chinese warf ihn in den Korb, und er ging wohl hinein, aber an ein Schließen des Deckels war nicht zu denken, er stand weit offen. Der Chinese versuchte es trotzdem, er klemmte den Deckel zu, trat mit Füßen darauf, und siehe da, mehr und mehr senkte sich der Deckel, bis er endlich schloß.

Wie der große, starke Mann in dem kleinen Korbe Platz fand, war allen unerklärlich, und die phlegmatischen Indier suchten auch nach keiner Erklärung.

Die Kunststücke wurden nicht stillschweigend ausgeführt, sondern waren von scherzhaften Zwiegesprächen begleitet. So versicherte der Chinese dem Knaben jetzt, der Gefangene, sein Vater, wäre ein arger Verbrecher und müsse sterben, was der Knabe nach einigem Widersprechen zugab und dann die Messer wetzte.

Bevor der Chinese mit dem Gefangenen im Korbe weiterexperimentierte, nahm er zehn schwere Metallkugeln und erklärte, es seien Sterne, die er einst bei einem Ausflug nach dem Monde vom Himmel herabgeholt habe. Jetzt wolle er sie wieder oben befestigen.

Er warf die Kugeln, eine nach der anderen, in die Luft, man sah sie fliegen, sie verschwanden im dunkelblauen Äther und – keine kehrte zurück.

»Jetzt sind sie am Himmel, heute abend werden die Herrschaften zehn Sterne mehr sehen.

So, nun wollen wir den Kerl totmachen!«

Er nahm ein haarscharfes Schwert und hieb auf den Korb, tief drang es in das Geflecht, und ein Strom Blut quoll heraus. Ebenso bohrte der Knabe den langen Dolch an verschiedenen Stellen in den Korb, und immer drang Blut heraus.

»Wehe euch, ihr habt mich unschuldig ermordet!« erklang eine Stimme, und unwillkürlich richteten sich aller Augen nach oben, denn aus der Luft mußte der Ruf kommen.

»Ist es deine Seele, die spricht?« rief der Chinese hinauf.

»Meine Seele ist es.«

»Wo bist du jetzt?«

»Zwischen den Sternen.«

»Sind die zehn Sterne oben?«

»Sie sind oben. Soll ich sie dir wiederbringen?«

»Ja, wenn du das könntest! Komm, wir wollen seinen Leichnam begraben.«

Er öffnete den Korb, und wie eine Feder sprang der große Indier lebendig, unversehrt und fessellos heraus. Die Stricke, mit denen er gebunden, lagen zusammengerollt in einer Ecke, in der anderen aufgewickelt das Fischernetz. Er streckte sofort die Hände vor und zeigte die zehn Kugeln, die nicht wieder zur Erde gefallen waren.

Es folgten noch unzählige andere Kunststücke, die durch die fabelhafte Geschicklichkeit, die dazu erforderlich war, oder durch ihre Gefährlichkeit manchmal das Staunen selbst der Indier hervorriefen. Nur eine Person gab es, welcher das Schauspiel kein Interesse abgewinnen konnte – Phöbe. Sie wendete ihre ganze Aufmerksamkeit dem Baldachin zu; mit ängstlicher Spannung betrachtete sie unausgesetzt die Begum und den Bengalen, die beide zwar zuschauten, sich aber auch oft unterhielten, und es entging ihr nicht, wie erstere ihre Augen oft lange und durchdringend auf dem Gesicht ihres Nachbars ruhen ließ.

Die Gauklergesellschaft führte auch ein Kunststück aus, welches dem Leser vielleicht unglaublich erscheint, aber er braucht nur eine Person zu fragen, die schon in Indien gewesen ist, auch nur in indischen Hafenstädten, und er wird die Wahrheit bestätigt bekommen.

Der Korb wird erst über einen Menschen gedeckt. Hebt ihn der Gaukler dann, so ist der Mensch darunter verschwunden, an seiner Stelle erscheint vielleicht ein äußerst magerer Hund, dann ist derselbe plötzlich kugelrund, beim nächsten Male steht ein Schwein da, dann liegt dieses mit durchschnittener Kehle am Boden, und schließlich bleibt wieder derselbe Mensch übrig.

Daß dies alles nur auf Täuschung beruht, ist natürlich, aber wie diese erzielt wird, kann sich kein Uneingeweihter erklären, und der Gaukler verrät sein Geheimnis nicht um alles Gold der Welt. Es vererbt sich vom Vater auf den Sohn und bleibt immer in der Kaste der Gaukler.

Diese Produktion fand hier noch einen überraschenden Schluß.

Als der Gaukler den Korb zum vorletzten Male hob, war der Knabe darunter, als er ihn zum letzten Male aufdeckte, war an seiner Stelle ein lebender Pfauhahn, jedoch schien es, als passe das nicht in das Programm des Chinesen, denn er machte ein erstauntes Gesicht, sah seine Begleiter fragend an und schüttelte den Kopf.

Schnell deckte er den Korb wieder darüber, murmelte seinen Spruch, hob auf, doch der Pfauhahn war noch da. So oft der Chinese den Versuch auch wiederholte, der Pfau machte keinem anderen Wesen Platz.

Jetzt begann der Indier Streit, er wollte von dem Chinesen seinen Sohn wiederhaben.

Diese Gelegenheit benutzte der Vogel, um auszureißen. Er flog auf die Balustrade und flatterte schreiend auf den Hof hinunter.

»Meinen Sohn, meinen Sohn will ich wiederhaben!« schrie der Indier, und das Weib, jedenfalls seine Frau, stand ihm bei. Sie fuhren den Chinesen, der sich ganz verzweifelt gebärdete, wütend an und wollten durchaus ihren verzauberten Sohn wieder haben.

Das Publikum wußte wirklich nicht, ob dies Ernst oder nur Scherz sei.

Da, als es dem Chinesen bald an den Kragen ging, erscholl hoch oben ein fröhliches Gelächter, und aus einem Fenster im zweiten Stockwerk des Schlosses blickte der Junge heraus.

Das Staunen der Zuschauer ohne Ausnahme verwandelte sich aber in wirkliches Entsetzen, als der Junge auf die Fensterbank sprang und sich von da oben, den Kopf voran, hinabstürzte.

Er mußte auf den Steinfliesen der Terrasse zerschellen; hier half keine Geschicklichkeit mehr.

Blitzschnell jedoch hatte die Frau ihren weiten Ärmel zurückgeschlagen, sie streckte den nackten Arm aus, und im nächsten Augenblick hing der Junge wie ein Bündel Wäsche daran.

Noch ein anderes Kunststück sei erwähnt, das man oft von gewöhnlichen Straßengauklern zu sehen bekommt. Ein Gaukler wünscht von einem anderen rasiert zu werden, er wird zeremoniell behandelt, eingeseift, das Rasiermesser schabt, und der Vollbart fällt. Der Barbier wischt mit einem Tuche die Seife ab, und entfernt er das Tuch – sofort steht der Bart wieder da. Der Mann kann den Kunden rasieren so oft er will, der Bart scheint immer wieder nachzuwachsen, und ebenso geht es mit dem Kopfhaar.

Nachdem sich der Knabe noch in unnatürlichen Gliederverrenkungen und im Kugelspiel produziert, das Weib mit haarscharfen Schwertern und Dolchen gespielt hatte, als wären es Kochlöffel, wurde auch dies eben erwähnte Kunststück ausgeführt.

Die Frau beklagte sich, daß ihr das lange Haar bei dieser Hitze den Kopf zu warm mache. Der Chinese wußte schnell Rat, er ließ die Frau sich hinsetzen, nahm ein Beil und hackte ihr damit mit mörderischen Streichen auf dem Kopf herum, nicht ohne spaßige Zwischenfragen, ob die Schere gut schneide, ob er eine leichte Hand habe und so weiter.

Es sah schrecklich aus, um so mehr, als das Blut bald in Strömen zu fließen begann und die Frau Zeter und Mord schrie. Eine Flechte fiel nach der anderen, der Gaukler entschuldigte sich wegen seiner kleinen Unvorsichtigkeiten und wischte ihr das Blut mit einem Tuche ab.

Plötzlich quoll unter diesem – niemand wußte, wie es geschah – langes, dunkles Haar hervor, wie vorher hing es vom Kopfe herab.

Erschrocken prallten der Barbier und sein Gehilfe zurück, sie begannen die Prozedur abermals, sie rissen Flechte für Flechte mit verzweifelter Kraftanstrengung heraus – vergeblich, das Haar entstand ihnen immer wieder unter den Händen.

»Ist der Korb schon voll von den vielen Haaren?« rief der Chinese kläglich.

Der Junge steckte den Kopf tief in den Korb.

»Ja, sagte er, hob den Kopf – und von seinem Kinn floß ein langer Bart herab.

Der kleine Kerl mit dem langen Barte sah über aus köstlich aus. Er wurde barbiert – ebenfalls vergeblich, der Bart wuchs nach, immer neue Haare wanderten in den Korb. Der Vater nahm den Jungen an den Beinen, der Chinese faßte ihn an der Bartspitze, beide rissen, aber der Bart saß fest, der Indier hob den Jungen daran hoch empor und schwang ihn sausend durch die Luft.

Schließlich verschwand er ebenso geheimnisvoll wieder, wie er gekommen war, aber der Korb war doch bis zum Rande mit festgestampften Haaren gefüllt.

»Die stopfen wir in die Kissen,« meinte die Frau, in dem Korbe wühlend.

»Was soll das sein?« fragte der Chinese.

»Nun, was denn anderes, als Haare.«

»Haare? Unsinn, das sind doch Schlangen!«

»Dann müßte ich ja Schlangen auf dem Kopfe gehabt haben.«

Der Chinese stülpte den Korb um, und in scheußlichem Gewimmel lag auf der Matte ein Haufen zischender und sich windender Schlangen, an dem geschwellten Halse, der wie ein Schild aufgebläht werden konnte, an den schwarzen Ringen um die in grünem Feuer funkelnden Augen und an der lohgelben Farbe als die gefährlichsten aller Schlangen erkenntlich, als Brillenschlangen.

Der Schlangentanz begann, das Beschwören der giftigen Reptilien durch Klänge einer Pfeife und faszinierende Blicke.

Die Kunstfertigkeit der indischen Schlangenbeschwörer ist schon zu oft geschildert worden, als daß es hier nötig wäre.

Gleichgültig blickten die Indier nach dem ekelerregenden Schauspiel, es war ihnen etwas ganz Alltägliches. Sie wußten bestimmt, daß diesen Schlangen die Giftzähne nicht ausgebrochen waren, denn der Gaukler würde sich geschämt haben, mit harmlosen Schlangen zu experimentieren.

Wie schon einmal erwähnt, wurde erst im Jahre 1895 von einem französischen Gelehrten bewiesen, daß in Indien wirklich eine Pflanze wächst, deren Saft die Wirkung des Schlangengiftes aufhebt. Bei Bissen von anderen Schlangen ist es wohl noch möglich, dieses Medikament in das Blut zu spritzen; wenn man jedoch von einer Kobra gebissen wird, so tritt der Tod fast augenblicklich ein, beim stärksten Menschen in höchstens einer Minute.

Dieser Saft besitzt aber auch noch eine andere Eigenschaft. Alle Schlangen, auch die Kobra, ekeln sich vor ihm ungemein. Nie, und wären sie noch so gereizt, werden sie in einen Gegenstand beißen, der mit ihm bestrichen ist.

Nun könnte sich ja jeder in Indien Lebende einfach mit diesem Saft bestreichen, und er brauchte Giftschlangen nicht mehr zu fürchten; aber einmal ist die Pflanze sehr selten, die Schlangengaukler nehmen sie für sich in Beschlag, und dann ätzt der Saft auch die Haut in bedenklicher Weise. Die Begum hatte inzwischen mit dem von ihr begünstigten Bengalesen ab und zu einige Worte gewechselt, ihn über seine Heimat befragt und höfliche und klare Antworten erhalten.

Einmal hatte sie sogar eine scherzhafte Bemerkung gemacht.

Als der Indier den Jungen an dem künstlichen Bart durch die Luft schwenkte, wendete sie sich lächelnd an den Bengalen mit der Frage: »Würde dein Bart, Penab Ran, wohl ausreißen, wenn man so daran zöge?«

»Nur an meiner Leiche könnte man solch eine Mißhandlung ausüben!« war die Antwort, und das Mädchen schwieg.

»Hol mich der Teufel,« flüsterte auf der anderen Seite Duplessis, »die Geschichte hier wird mir bald langweilig. Die beiden dort oben scheinen eine Liebelei anzuknüpfen; vorhin hat sie ihm so huldvoll zugelächelt, und ich überschütte sie vergeblich mit schmachtenden Blicken.«

»Urteile nicht so vorschnell!« entgegnete Montpassier. »Sieh doch, du Adonis, jetzt wendet sie sich von dem Negerknaben an ihrer Seite ab und wirft wieder dir zündende Blicke zu!«

Es war so; die Augen der Begum suchten den Franzosen und ruhten lange und freundlich auf ihm. Dann rief sie den Zeremonienmeister zu sich und sprach mit ihm.

Den Stab um den Kopf wirbelnd schritt dieser über den freien Platz, die Nähe der Schlangen aber sorgsam meidend.

»Paß auf, jetzt holt er dich!« flüsterte Montpassier seinem Gefährten zu, der eben seufzte, die Augen nach oben verdrehte und wie traurig das Haupt auf den Arm lehnte.

Duplessis selbst aber glaubte nicht eher an eine solche Möglichkeit, als bis der Indier plötzlich vor ihm stand und ihn mit dem Stocke an der Schulter berührte.

»Die allergnädigste Begum von Dschansi, die Kaiserin von Indien, deren Macht reicht vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, deren Fußstapfen zu küssen den mächtigen Maharadschas die größte Ehre ist, geruht, dich aus dem Staube zu ihrer Höhe emporzuziehen, damit du dich an ihrem strahlenden Lichte ergötzest und jung werdest. Folge mir!«

Ganz bestürzt erhob sich Duplessis; erst auf dem Wege nach dem Throne sammelte er sich wieder, denn er sah ein, daß er jetzt seiner ganzen Überlegung bedurfte, wollte er sein Ziel erreichen. Selbst seinen gewöhnlichen Übermut fand er wieder. Die Begum sollte kennen lernen, was es heißt, einen Kavalier aus der französischen Schule zum Gesellschafter zu haben.

Schon war links neben ihr ein Sitz, kein Lager, aus Kissen hergerichtet, ein Wink rief Duplessis herauf; der gewandte Weltmann verbeugte sich graziös und nahm Platz.

Die Begum wendete sich ihm voll und ganz zu und schaute ihm lächelnd ins Gesicht.

»Warum siehst du mich immer an?«

»Blickt man nicht lieber nach dem Schönen, als nach dem Häßlichen? Soll ich nach den Schlangen sehen, da ich deinen Anblick genießen kann?«

»Du findest mich also schön?«

Der Franzose war über diese naive Frage entzückt. Er hatte sich das junge Mädchen, das er bisher nur aus der Ferne gesehen, ganz anders vorgestellt, stolz, hochmütig, und nun war sie so zuvorkommend. Ihre Naivität hielt er nicht für natürlich. Duplessis gehörte überhaupt zu jenen Männern, die das Weib nur von der schlechten Seite kennen; er glaubte jetzt, daß mit ihr leicht anzuknüpfen sei, sie kam ihm entgegen, indem sie sich naiv stellte.

»Ob du schön bist? Wie kannst du so fragen? Ich habe schöne Mädchen in meinem Heimatlande gesehen, das deswegen berühmt ist, aber vor dir, Begum, verblassen sie. Du bist lieblich wie eine – eine – wie eine ...«

Das Mädchen lachte hell auf.

»Du sprichst schlecht Indisch, und die blumenreichen Wendungen suchst du vergeblich.

Du bist ein Franke?«

»Ja, doch ich bedaure, daß ich kein Indier bin.«

»Warum das?« »Dann könnte ich dir sagen, mit was du zu vergleichen bist.«

»So sprechen wir Französisch!« fuhr die Begum in dieser Sprache fort.

»Wie? Sie sprechen Französisch?«

»Wie Sie hören! Wir können uns unterhalten, ohne fürchten zu müssen, von dem Fremden neben mir verstanden zu werden. Welchen Rang bekleiden Sie?«

»Den eines Artilleriekapitäns, mir verliehen durch die Gnade der schönen Begum von Dschansi.«

»Pst, so dürfen Sie nicht sprechen, wenigstens nicht auf französisch, nur auf indisch.«

»Aber warum denn nicht?«

»Das müssen Sie doch verstehen. Im Indischen ist dies eine Höflichkeit, im Französischen eine Schmeichelei!«

»Man kann Ihnen keine Schmeichelei, sondern nur die Wahrheit sagen!«

»Aber nicht, wenn Hörer zugegen sind. Unter vier Augen ist so etwas eher erlaubt.«

»Unter vier Augen!« seufzte Duplessis schwärmerisch, im Innern entzückt.

»Sind Sie nicht jener Offizier,« fuhr das Mädchen fort, »der die zweite Batterie vor der Mauer befehligt?«

»Das ist mein Posten!«

»So waren Sie es also auch, dem gestern das Unglück passierte, mit dem Erdreich samt dem Geschütz von der Bastion hinabzurutschen?«

»Es war kein Unfall von Bedeutung! Es ging gut ab; das Kanonenrohr kam über mich zu liegen, ich selbst in eine Höhlung. Sonst freilich wäre ich zu Brei zerquetscht worden.«

»Schrecklich!« seufzte das Mädchen. »Ich stand am Fenster und beobachtete Sie. Ich schrie vor Entsetzen laut auf, als ich Sie mit dem Geschütz im Graben verschwinden sah.«

Duplessis Entzücken wuchs; sie beobachtete ihn also heimlich.

»Nun,« fuhr sie fort, »wenn es Ihnen nichts geschadet hat, so waren Sie gewiß noch an demselben Abend bei Madame Chevaulet und amüsierten sich.«

Diese Bemerkung wäre sehr frei gewesen, wenn nicht eine Indierin sie gemacht hätte. In diesem Lande ist nicht nur eine Anspielung, sondern eine offene, sogar sehr offene Sprache erlaubt.

»Ich war nicht dort!«

»So hatten Sie Dienst?«

»Allerdings, aber ...«

»Also gehen Sie heute abend hin?«

Wie sie ihn doch genau beobachtet hatte! »Ich schwöre Ihnen, ich gehe nie wieder dorthin.«

»Warum denn nicht? Es soll ja sehr hübsch dort sein.«

»Es könnte mir nie mehr dort gefallen, nachdem ich Sie gesehen und kennen gelernt habe.«

»Schweigen Sie! Sie werden zu deutlich. So etwas dürfen Sie nur auf indisch sagen,« flüsterte die Begum befangen und warf scheue Blicke um sich.

»Werden Sie beobachtet?«

»Wer sollte das wagen?« entgegnete sie stolz.

»Sie scheinen aber Lauscher zu fürchten.«

»Ich bin frei.«

»O, so möchte ich Ihnen gern so viel noch sagen.«

»Wirklich?« lächelte sie.

»Dienstgeheimnisse?«

»Geheimnisse wohl, doch nicht den Dienst betreffend, oder doch, nämlich den Dienst, dem ich mich von jetzt an weihen will.«

»In diesem Falle dürfen Sie deutlicher sprechen. Sie wollen sich meinem Dienste weihen, und das muß ich sogar von Ihnen verlangen, denn ich bin Ihre Gebieterin.«

»Nun denn, so weihe ich mich Ihnen – als Ritter.« Es war, als ob das Mädchen zusammenzuckte, zur tiefsten Genugtuung von Duplessis.

»Und Sie gehen wirklich nicht mehr zur Chevaulet?« flüsterte sie dann.

»Bei meiner Ehre, nein!«

Die Begum bewog ihn, seine Aufmerksamkeit den Gauklern zuzuwenden.

Der Schlangentanz war beendet; eine Scheibe wurde aufgestellt, nach welcher das Weib mit unfehlbarer Sicherheit Messer schleuderte. Dann nahm den Platz vor der Scheibe ihr Sohn ein, sie warf ihm die haarscharfen Messer zwischen die Finger, durchspießte eine auf seinen Kopf gelegte Apfelsine und vollbrachte ähnliche gefährliche Übungen mehr, alles auf eine Entfernung von etwa zwanzig Metern.

Die Begum wendete sich wieder dem Bengalesen zu, den sie so lange vollkommen vernachlässigt hatte. Sie blickte in ein Paar starre, mit seltsamem Ausdruck auf sie gerichtete Augen.

»Nun, Monsieur, Monsieur – wie war doch gleich Ihr Name? – Ach so, entschuldige, du sprichst kein Französisch. Richtig, Penab Ran. Du führst eine gefährliche Waffe im Gürtel, die Dschambea, und ich habe gehört, die Puharris, zu denen du gehörst, sollen Meister in der Führung dieser Waffe sein.«

»Wir wissen uns damit zu verteidigen und das zu schützen, was uns gehört, o, Begum.«

»Diese Waffe wird auch geworfen.«

»Sie ist dazu eingerichtet, der Schwerpunkt liegt vorn.«

»Dann ist dies leichter als das Schleudern mit Messern. Ich hegte schon lange den Wunsch, die Dschambea werfen zu sehen; du wirst es mir zeigen.«

Das klang wie ein Befehl.

»Ich bin ein Krieger, Begum, und ergreife die Waffe nur, wenn es nötig ist.«

»Das wäre ein schöner Krieger, der sich in seinen Waffen nicht übt und sie nicht zu gebrauchen versteht,« spottete das Mädchen. »Wozu trägst du denn die Dschambea im Gürtel?«

Bahadur hatte dies Zwiegespräch gehört. Er faßte es als etwas ganz Selbstverständliches auf, daß dem Wunsche der Begum unbedingt Folge geleistet wurde.

»Sobald diese Vorstellung beendet ist,« sagte er, »wird Penab Ran, dir, o, Begum, zeigen, wie die Puharris mit der Dschambea das ferne Ziel zu treffen wissen. Sind die Jäger dieses Landes doch auch dafür berühmt, daß sie mit dieser Waffe dem Panther mit einem Schlage den Kopf spalten.«

Der Indier schwieg; es gab für ihn keine Weigerung mehr.

Als sich die Gauklerfamilie nach einem Goldregen entfernt hatte, trat der Zeremonienmeister vor und verkündete mit lauter Stimme, daß Penab Ran, Sohn des Nabobs Penab Tfarin, zeigen würde, wie die Männer seines Landes mit der Dschambea ein zwanzig Meter entferntes Ziel mit unfehlbarer Sicherheit zu treffen wüßten.

Lautes Bravorufen erscholl; die vornehmen Indier bewundern körperliche Tüchtigkeit, sind aber meist selbst zu bequem, um sich darin zu üben, sie sehen lieber darin ausgebildeten Sklaven zu. Wer von ihnen aber in ritterlichen Übungen Meister ist, dem zollen sie die größte Hochachtung.

Nur eine Person erschrak bei dieser Verkündigung sichtlich, es war wieder Phöbe.

Angstvoll blickte sie nach dem Bengalesen, der gelassen aufstand, die Dschambea aus dem Gürtel zog und nach der Mitte des Kreises schritt, die Waffe geschickt auf einem Finger balancierend.

In diesem Augenblick wurde der Torflügel aufgerissen, und in vollem Laufe wurde ein Käfig auf Rädern hereingeschoben. Die dabei beschäftigten Diener kannten das veränderte Programm nicht.

Der Zeremonienmeister ließ schon die Scheibe aufstellen, er wollte den Käfig zurückfahren lassen; doch schnell erhob sich die Begum und traf selbst die Anordnungen. »Gut denn, laß den Pantherkampf beginnen!« rief sie. »Aber das Tier soll nicht getötet werden. Penab Ran wird dann den Käfig betreten und dem Panther den Kopf spalten, was den Puharris ja ein leichtes sein soll. Penab Ran, setze dich wieder neben mich.«

»Du wirst den Kampf mit dem Raubtier zuletzt ausfechten,« empfing sie den Zurückkehrenden.

Der Bengalese verneigte sich schweigend zum Zeichen der Zustimmung und setzte sich.

»Würden Sie zögern, einem Panther nur mit dem Schwert in der Hand gegenüberzutreten?« wendete sie sich dann an Duplessis.

»Ich würde mich hüten,« entgegnete der Franzose.

»Wie? Sie gestehen ganz offen ihre Mutlosigkeit ein?«

»Es ist nur ein Zeichen von Vernunft, wenn ich mich nicht unnötig in Gefahr begebe.«

»Dennoch finde ich dieses Geständnis nicht schön. Sehen Sie diesen Bengalesen; ich fordere ihn auf, dann den Käfig zu betreten und mit dem Panther Auge in Auge zu kämpfen, und ohne Zögern sagt er zu.«

»Ja, das ist auch etwas ganz anderes! Sie haben es von ihm verlangt.«

»Also würden Sie es auch tun, wenn ich es von Ihnen verlangte?«

»Aber natürlich! Sie brauchten nur zu wünschen, und ich würde noch etwas ganz anderes tun, um Ihren Willen zu erfüllen. Für Sie zu sterben, sollte mir die größte Wonne sein.«

Der Käfig war in die Mitte des Kreises gefahren worden. Er bestand aus einem Gitter von Bambusstäben, ungefähr acht Meter hoch, oben offen. Neben dem sehr geräumigen Käfig stand noch ein viel kleinerer, mit dem ersten durch eine jetzt noch geschlossene Tür verbunden, und in diesem befand sich ein gefleckter Panther, der fauchend die Zuschauer begrüßte.

Es war ein Tier von außergewöhnlicher Größe, Stärke und Wildheit, erst vor einigen Tagen in den Dschungeln gefangen.

In dem großen Raume stand schon der professionelle Pantherkämpfer, ein schlank gebauter Mann, behend wie eine Katze, aber mit Muskeln wie von Stahl. Er war nur mit einer kurzen Hose bekleidet, in der rechten Hand trug er ein kleines, breites Schwert, in der linken einen Schild, etwa anderthalb Meter lang, auf der einen Seite spitz, auf der anderen flach und etwa einen Meter breit.

Jubelnde Beifallsrufe empfingen den Pantherkämpfer, dieses non plus ultra von Gewandtheit, Kraft und Verwegenheit.

Sein Körper, Arme und Beine zeigten tiefe, schreckliche Narben, aber diese rührten nicht etwa von schon überstandenen Kämpfen mit wilden Panthern her, sondern noch aus seinen Lehrjahren. Denn gelang es solch einem wilden Tiere, ihm nur einen einzigen Tatzenschlag beizubringen, so war der Mann unrettbar verloren; der zweite streckte ihn zu Boden, ein blitzähnlicher Biß zermalmte ihm das Genick. Die Narben stammten aus früheren Jahren, als er unter der Leitung von Lehrmeistern sich mit gezähmten Pantherweibchen übte. Manchen Tatzenschlag mochte er bekommen haben, oft mochte er unter den Bestien am Boden gelegen haben, aber die gezähmten Tiere durften ihr Gebiß nicht an dem Besiegten probieren.

Graziös verneigte sich der Mann nach allen Seiten, nahm Positur, die Tür ward zurückgeschoben, der Panther stieß ein entsetzliches Gebrüll aus und warf sich in gewaltigem, bogenartigem Sprunge auf den Mann.

Es gelang dem Tiere nicht, seine Pranken in das Fleisch des Gegners zu schlagen; es kam auf den schnell erhobenen Schild zu sitzen. Einen Augenblick war das Tier anscheinend selbst verblüfft, dann sprang es herunter, wieder auf den Mann los, doch immer war der Schild vor oder unter ihm. Schoß er am Boden nach den Beinen des Indiers hin, so stand der Schild senkrecht auf der Erde, sprang er, so schlug er dagegen. Blitzähnlich waren die Bewegungen des Tieres, doch der Arm des Bedrohten war ebenso schnell.

Da änderte der Panther seine Kampfweise. Er sprang auf den erhobenen Schild und versuchte den Arm oder den Kopf des Mannes mit Tatzenschlägen zu erreichen, aber vergebens, es gelang ihm nicht, der Indier neckte ihn sogar noch mit dem Schwert. Es war ein grausiges Schauspiel, und doch zugleich schön, weil der Kämpfer seiner Kraft und Gewandtheit so sicher war, weil er mit dem Raubtiere nur zu spielen schien wie ein Kind mit einem Kätzchen.

Ob der Panther den Mann zu ermüden trachtete, indem er so lange auf dem Schilde sitzen blieb? Wie lange konnte der erhobene Arm wohl diese Zentnerlast noch tragen? Minute nach Minute verstrich, doch der wie aus Marmorgemeißelte, von Muskeln strotzende Arm senkte sich auch nicht einen Millimeter.

»Genug!« rief da Bahadur.

Der Arm schnellte wie eine Feder vor, und der Panther ward von dem Schilde direkt in den kleinen Käfig geschleudert, und dessen Tür schnell geschlossen.

Dankend nahm der Mann den Beifallssturm und die reichen Geschenke in Empfang, die Begum löste eine Diamantnadel vom Busen und ließ sie ihm reichen. Dann wedelten ihm Diener mit Fächern Kühlung zu.

»Nun, wie gefällt Ihnen dieses Schauspiel?« fragte das Mädchen Duplessis.

»Herrlich! Noch nie habe ich etwas Ähnliches gesehen. Welche Kraft, welche Gewandtheit und Sicherheit! Eins aber wundert mich doch. Als das Tier vorhin in den Käfig geschleudert wurde, bogen sich die Stäbe wie Papier. Wenn sie nun einmal brechen?«

»Sie brechen nicht, die Erfahrung lehrt es. Der stärkste Panther ist nicht imstande, solche Bambusstäbe zu durchbrechen.«

»Ich finde aber den Käfig auch gar nicht hoch genug, oder er sollte wenigstens oben ebenfalls geschlossen sein.«

»Er ist hoch genug, verlassen Sie sich darauf. Diese Pantherkämpfer kennen die Sprungkraft des Tieres ganz genau. Oder glauben Sie, alle diese Zuschauer würden sonst so ruhig dasitzen?«

»Das ist allerdings wahr. Aber es wäre fürchterlich, wenn der Panther die Freiheit erlangte, auf dieser Terrasse, wo es keinen anderen Ausgang gibt, als die eine Tür.«

»Die Männer sind ja alle bewaffnet. Sie werden sich doch nicht von einem einzigen Panther in die Flucht schlagen lassen. Was würden Sie denn tun, wenn derselbe herausspränge und gerade auf mich zukäme?«

»Ich? Selbstverständlich würde ich mich schützend vor Sie stellen. Ich hoffe, Sie zweifeln nicht an meinen Worten.«

»Nach dem, was Sie vorhin gesagt haben, nicht im geringsten,« lächelte das Mädchen.

»Ah, das freut mich, daß Sie mich erkannt haben! Wie wird der Kampf eigentlich fortgesetzt?«

»Es findet noch ein zweiter Gang statt, zu dessen Schluß der Kämpfer den Panther mit einem einzigen Stich töten müßte, da aber mein anderer Herr Nachbar bereit ist, sich mit dem Tiere zu messen, so werden wir noch ein sehr interessantes Schauspiel haben.«

Sie wandte sich an den Bengalesen.

»Penab Ran, hat dich die Größe und die Wildheit des Panthers nicht eingeschüchtert? Hast du noch den Mut, den Käfig zu betreten und dem Tiere den Todesstoß zu geben?«

»Wie du befiehlst, Begum,« entgegnete der Bengalese gleichmütig, »nur sorge, daß das Tier vorher nicht zu sehr erschöpft wird, sonst habe ich ein zu leichtes Spiel.«

Es war, als ob eine Wolke des Unwillens über das Antlitz des Mädchens flöge; hastig gab es das Zeichen zum Fortsetzen des Kampsspieles.

Diesmal sollte dasselbe noch viel gefährlicher werden, als zuvor.

Der Pantherkämpfer wandte dem kleinen Käfig den Rücken und verbeugte sich noch vor den Zuschauern, als ein Diener schon die Zwischentür öffnete.

Dicht an den Boden geschmiegt, jede Muskel zum Sprunge gespannt, die Zunge etwas aus dem von Zähnen starrenden Rachen gestreckt, lag der Panther da und hatte die von Mordlust und Wut glühenden Augen auf den ihm noch immer den Rücken Kehrenden geheftet. Plötzlich schnellte er empor, auf den anscheinend Ahnungslosen zu. Die Europäer stießen einen gellenden Schreckensschrei aus; sie glaubten, das Öffnen sei zu zeitig geschehen, und hielten den Mann für verloren.

Aber schneller als ihm die Augen der Zuschauer folgen konnten, hatte er sich umgedreht, und der vor Enttäuschung aufbrüllende Panther saß abermals auf dem schützenden Schilde.

Er wurde zurückgeschleudert; kaltblütig drehte ihm der Mann wieder den Rücken, und doch fing er ihn abermals auf dem Schilde auf, und immer wieder, obgleich er ihn gar nicht mehr zu beachten schien.

Nicht genug damit, er sprang sogar rückwärts über den auf ihn zuschleichenden Panther hinweg, und dieser schien förmlich zu fühlen, wie er gefoppt wurde, seine Angriffe, wurden immer schwächer, er duckte sich scheu am Gitter.

»Genug!« rief da die Begum. »Demütige das Tier nicht zu sehr, daß es nicht seine ganze Wildheit verliert! Penab Ran wird jetzt den Käfig betreten. Scheuche den Panther in denselben zurück.«

Bravorufe und Händeklatschen begrüßten diese Ankündigung. Aller Augen richteten sich nach dem jungen Bengalesen.

Dieser war aufgestanden und hatte die Dschambea gezogen. Sein Gesicht war plötzlich bleich geworden; doch trotzig funkelte sein Auge. Sein Blick begegnete dem der Begum; in dem ein seltsames Gemisch von Spannung, Teilnahme und Stolz zu lesen war.

»Du wirst kämpfen?« fragte sie, und es erklang wie erstaunt.

»Zweifelst du daran? Lerne jetzt den Mannesmut kennen und wisse, daß ...«

Er brach ab und wollte in den Kreis hinabsteigen.

Da geschah das Fürchterliche, das Duplessis geahnt hatte.

Der Pantherkämpfer hatte noch einmal seine ganze Kraft und Sicherheit zeigen wollen, er hatte die Bestie zum letzten Sprunge gereizt, das Tier saß auf dem Schilde, aber ein unglücklicher Zufall wollte, daß der .Mann den Panther, anstatt in die Ecke, wo das kleine Verlies war, in die Höhe schleuderte. Gleichzeitig hatte der Panther springen wollen. Infolge der durch diese doppelte Bewegung erzeugten Kraft wurde er hoch in die Luft geschleudert, schnellte über das Gitter hinaus und – war in Freiheit.

Die Verwirrung, die auf der Terrasse entstand, als das furchtbare Raubtier mit peitschendem Schweif frei in der Mitte des Kreises stand, läßt sich nicht beschreiben.

Die Hukahs wurden umgestürzt; die dem Tore zunächst Sitzenden flohen diesem zu, die, welche dabei an dem Panther vorbei gemußt hätten, retirierten schreiend in die äußerste Ecke der Terrasse oder flüchteten hinter den Thronsessel; an den Gebrauch einer Waffe dachte niemand.

Die Begum war aufgesprungen, sie sah, wie Duplessis mit einem Satze das Weite suchte, und glaubte sich verlassen.

Die Augen des Panthers waren auf sie gerichtet, mit einem donnernden Gebrüll stürzte er auf sie zu.

Das Mädchen hatte ein Kissen ergriffen, als wollte sie damit das Raubtier abwehren.

Jetzt hatte es sie erreicht, sie fühlte schon den glühenden Atem.

Da sauste wie ein blendender Blitz der Stahl der Dschambea durch die Luft, und Kopf und Körper des Panthers rollten als zwei Teile vor die Füße des Mädchens.

Neben dem Mädchen stand der Bengalese. Beide blickten nicht nach dem erlegten Raubtier, sondern sahen sich an. Wie Wetterleuchten flammte es drohend in den Augen des Mannes auf, und plötzlich senkte die Begum errötend die ihrigen.


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